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Die Leuchtturmgeschichte
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eBook134 Seiten2 Stunden

Die Leuchtturmgeschichte

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Über dieses E-Book

Ein namenloser Ich-Erzähler steigt aus. Er reist auf die fast verlassene Insel San Giorgio und begegnet hier seinem ehemaligen Lehrer, der offenbar aus demselben Grund seit Jahren hier in der Abgeschiedenheit lebt. Als der Ich-Erzähler einen Ausflug zum Leuchtturm machen möchte, wird er von seinem alten Freund und Lehrer entschieden daran gehindert. Dieser verrät jedoch lange nicht, warum er den Besuch des Turms für so gefährlich hält. Der Ich-Erzähler beginnt nachzuforschen und wird immer stärker in eine bedrohliche, düstere und ausweglos scheinende Wirrnis.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum3. Aug. 2017
ISBN9783744892452
Die Leuchtturmgeschichte
Autor

Alberigo Albano Tuccillo

Alberigo Albano Tuccillo was born in Italy in 1955. As a child he moved to Basel, Switzerland. After graduating in philosophy from the University of Basel he has been writing novels, short stories, poetry, librettos for contemporary music and plays in both German and Italian. He teaches German, Italian and Creative Writing. He is also a freelance translator. Find more: https://tuccillo.ch

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    Buchvorschau

    Die Leuchtturmgeschichte - Alberigo Albano Tuccillo

    Die Leuchtturmgeschichte

    Die Leuchtturmgeschichte

    Impressum

    Die Leuchtturmgeschichte

    Seit langem schon habe ich den Wunsch in mir getragen, diese Geschichte — die trotz der vielen Jahre, die verflossen sind, noch immer unverfälscht in meinem Gedächtnis weilt, als hätte sie sich gestern zugetragen — meinen Allernächsten und auch einem weiteren Freundeskreis nicht länger vorzuenthalten. Doch ein in der Eile und ohne rechtes Überlegen gegebenes Ehrenwort, dessen Sinn, jetzt, wo ich an meinem Schreibtisch sitze, entschlossen, alles von der Seele zu schreiben, gar nicht mehr einzusehen ist, zwang mich, bis auf den heutigen Tag zu schweigen. Mein guter Freund und ehemaliger Lehrer, Doktor Jakob Horwath, durch dessen beredte Erzählkunst allein ich in den Genuss kam, von den hier dargestellten, sonderbaren Begebenheiten auf der Insel San Giorgio zu vernehmen, nahm mir nämlich bei Vollendung seiner vortrefflichen Erzählung das Versprechen ab, dass, was diese Geschichte angehe, ich kein einziges Wort über meine Lippen noch aus meiner Feder bringe, so lange er lebe. Und ich habe Wort gehalten.

    Wenn ich mich also anschicke, vermittels dieser Zeilen mein nun schon altes Verlangen zu befriedigen und mir die lange ersehnte Erleichterung zu gönnen, so geschieht dies nunmehr ohne rechte Lust, denn heute in der Frühe erreichte und erschütterte mich die Nachricht, dass Doktor Jakob Horwath nicht mehr unter uns weilt. Und um so mehr erfüllt mich Trauer, weil ich dem Brief, den ich von des Doktors jüngster Schwester Dorothea bekam, nicht bloß die Nachricht des für mich so überraschend eingetretenen Todes entnehmen musste, sondern auch die des Mark verzehrenden Zustandes, in welchem der Ärmste auf seine Erlösung hatte warten müssen.

    Wie oft mag das Unsterbliche in seiner Brust gefleht haben, das Sterbliche verlassen zu dürfen! Wie sehr wird sein getrübter Verstand den Tod herbeigewünscht haben! Er hätte tausend bittere Schicksale dem seinen vorgezogen, hätte ein Jahr vor seinem Ableben der Geist ihn nicht verlassen, den wir den gesunden nennen, wodurch der Kranke außerstande war, sein Leid am Glück der anderen zu messen. Keinem Menschen — Freunde und Verwandte nicht ausgenommen — sei es in diesem Hoffnung und Mut erschütternden letzten Jahr mehr gelungen, auch nur einem einzigen Wort einen Sinn abzugewinnen, das aus dem Munde des Unglücklichen kam. Und nie mehr habe seine Seele unverfälscht gehört, was von außen in sein Ohr drang. Weder den Ärzten noch seinen Nächsten war es gegönnt, von der zerrütteten Psyche gehört, geschweige denn verstanden zu werden, berichtet weiter Dorothea. Nicht sein Ohr, sondern sein Gehirn war taub geworden! Schlimmer noch: Es log ihm Laute und Worte vor, die niemand wirklich von sich gegeben hatte, während die äußere Wirklichkeit für ihn stumm blieb. Mutlosigkeit und Verzweiflung hatten sein Gesicht gezeichnet, bittere Tränen seine Augen gerötet, gereizt, schließlich fast blind gemacht.

    Von der höchst befremdenden Tatsache abgesehen, dass Jakob Horwath seit Eintritt des Wahnsinns nur noch Italienisch gesprochen habe, habe er immerzu im Zustand der bedauernswertesten Verzweiflung und Nerven aufreibender Erregung die wunderlichen Sätze geschrien: No! Non tornerò sul faro! Non c'è nessuno che mi capisca! Non posso tornar sul faro! Lasciatemi! Il faro no, in nome di Dio, non sul faro!

    Wer wollte nicht verstehen, dass die Heilkunst nicht wusste, wo sie hätte ansetzen sollen, wenn kein Wort aus dem Munde des Kranken den Ursprung der Krankheit verriet? Wen wundert, dass kein Arzt ihm helfen konnte, wenn kein heilendes Wort in seine Seele zu dringen vermochte?

    So war denn mein guter Freund, er, der die Gesellschaft und die Freundschaft mehr geliebt hatte als alles andere auf dieser Welt, einsam und allein geblieben und gestorben inmitten seiner treusten Freunde.

    Hätte ich bloß früher davon vernommen! Hätte Dorothea mich doch gleich über des Doktors Leiden unterrichtet, als die schreckliche Krankheit anhob, ihr Opfer zu ermatten! Dem abgezehrten Kranken wäre vielleicht geholfen gewesen. Der Leid erregende Mann hätte noch auf Genesung hoffen dürfen, denn ich allein wusste, welche Bewandtnis es mit seinem Leuchtturm hatte. Ich allein besaß den Schlüssel zur Lösung, nach der Ärzte und Freunde vergeblich gesucht hatten. Seine Geschichte, mein Versprechen!

    Doch kommt für sie, mithin für Jakob Horwath, diese Erklärung freilich nun zu spät.

    Der Nachreden ungeachtet, die den Doktor zu einem mit Argwohn gesehenen und kaum geliebten und beliebten Menschen machten, werde ich nicht zögern, ihn einen großen Mann zu nennen. Die meisten fürchteten ihn und vermieden es, wenn immer möglich, sich mit ihm einzulassen. Man zieh ihn der Missgunst und der Selbstgefälligkeit, man nannte ihn neidisch, scheel, arrogant und hochmütig, einen Besserwisser, einen pedantischen Moralprediger. Doch, außer diesem letzten vielleicht, hat kein einziges Wort auch nur einen Hauch von etwas Wahrem an sich. Ich liebte seine Gegenwart und schätzte seine Kritik. Ich müsste zwar lügen, wollte ich behaupten, dass ich, im Streit mit ihm, ihn nicht mehrmals dahin gewünscht hätte, wo der Pfeffer wächst. Doch welche Freundschaft ist schon gegen solche sporadischen Regungen ganz gefeit? Einen ernsthaften Grund zum Streit oder auch nur zu einer Enttäuschung hat er in Wahrheit weder mir noch sonst jemandem je geboten.

    Und dennoch, der Umgang mit ihm — soviel muss man zugeben — war nichts Leichtes. Unnachsichtig verurteilte er die Fehler seiner Nächsten, ohne Gnade setzte er sich auf den strengsten Richterstuhl, wenn er sich den üblichen und oft so harmlosen menschlichen Schwächen gegenüber sah, und dies desto entschiedener, je mehr er den Menschen liebte, der von ihm zu Gericht gezogen war. Doch was seine Beurteilung angeht, würde man den größten aller möglichen Fehler begehen, wenn man glaubte, sich selber sei er ein milderes Tribunal gewesen. Im Gegenteil! In all den Jahren, in denen es mir gegönnt war, auch außerhalb des Unterrichts, im Schulhof etwa oder in seinem Haus, seinen hinreißenden Reden zu folgen, seine subtilen und scharfsinnigen Beobachtungen und Überlegungen zu genießen, mich von seiner Wortkunst führen und verführen zu lassen, in all den Jahren hat niemand vor ihm je eine schwerere Prüfung angetreten als er selbst. «Nur wer nicht ablässt, das Höchste anzustreben, wird halbwegs Leidliches erreichen!» schalt er, wenn immer man die schwache Natur des Menschen als hinreichende Erklärung und Entschuldigung für Versagen ansehen wollte.

    Horwath war ein sehr gebildeter Mensch, dessen Interesse, weit über sein Fach hinaus, allem galt, was es an Wissenswertem gibt auf der Welt. Ein Wissenschaftler, ein Philosoph und ein Künstler. Ein Zeichner, der mit sicherer Hand, mit wenigen Strichen nur, jedes auch noch so fade, nichts sagende Gesicht, nicht selten ganz aus dem Gedächtnis, unverkennbar auf dem Papier festhalten konnte. Ein Pianist, der in freier Improvisation Druckreifes spielte und in den Tonarten mit ebensolcher Leichtigkeit herumspazierte, wie er es sonntags in seinem Garten tat. Dazu kamen, und das ist vielleicht bei solcher Größe das Seltenste und Erstaunlichste, sein didaktisches Geschick und sein pädagogisches Einfühlungsvermögen, denn von all seinen Fähigkeiten, Kenntnissen und Talenten konnte er selbst auf die Unbegabtesten unter uns so viel übertragen, dass im Verborgenen des Herzens ihm sogar diejenigen leise dankten, die ihn am lautesten beschimpften.

    Was aber Doktor Jakob Horwath in meinen Augen wirklich groß machte, waren seine Menschenkenntnis und Menschenliebe. Nie ist mir ein Mensch begegnet, der sich besser darauf verstand, in das Innere einer Seele zu blicken, Leute zu durchschauen, gute und schlechte Absichten, Hass und Liebe, Ehrlichkeit und Lüge im Tiefsten der Psyche so deutlich zu sehen wie bunte Fische im klaren Wasser. Freud und Leid im Herzen der Menschen waren für ihn nicht schwieriger zu lesen, als es für uns diese Zeilen sind. Wie ruchlos müsste aber einer sein, der berichten wollte, Horwath habe auch nur ein einziges Mal einen Vorteil aus dieser seiner Fähigkeit geschlagen! Nie! Entdeckte er Ängste, Sorgen, Zweifel, die ein Herz plagten, so wartete er nicht lange zu, mit dem besten erdenklichen Rat beizustehen, bot, wenn dies in seinen Kräften lag, auch materielle Hilfe an und schaffte es gar nicht selten, ein Lächeln in Gesichter zu zaubern, die jede Hoffnung schon verloren hatten. Entdeckte er aber üble Feindschaft gegen ihn selbst, womöglich gar übel wollende Absichten, so versuchte er zunächst nur durch Reden umzustimmen, was ihm freilich seltener gelang, sah sich dann aber kaum mehr vor, so dass er wiederholt Opfer wurde verruchter Ausbeuter seiner Güte.

    Ich habe ihn sehr geliebt, ja verehrt, und man wird es mir verzeihen können, wenn diese meine Beschreibung der Stimme des Herzens mehr gefolgt ist als der des kühlen Biographen. Wenn ich nun glaube, nichts mehr hinzufügen zu müssen, um unsere Freundschaft, deren Gegenseitigkeit ich durchaus versichern kann, hinreichend zu verdeutlichen, so wird man auch verstehen, wie groß meine Freude sein musste, als ich im Herbst vor einigen Jahren, ganz und gar unerwartet und nach langer Zeit, den verehrten Doktor auf San Giorgio traf, gerade als ich dort begann, der Abgeschiedenheit und Einsamkeit überdrüssig zu werden, und mich danach sehnte, einmal andern Fragen nachzugehen als den eigenen.

    Zu einer Zeit, als meine Sorgen und Gedanken zu einer unerträglich schweren Last anzuschwellen drohten, hatte ich unversehens den Einfall gehabt, meine bescheidenen Ersparnisse dafür aufzuwenden, um nach San Giorgio zu fahren und dort einen längeren Urlaub zu genießen. Ich hatte beschlossen, einige Monate auf der Insel zu bleiben, und hatte mich darauf eingestellt, dass ich das Wintersemester an der Universität womöglich mit einem ganzen Monat Verspätung angetreten hätte. Die Testate hätte ich trotzdem bekommen, auch wenn ich erst in der vierten oder fünften Semesterwoche in den Vorlesungssälen erschienen wäre, und den verpassten Stoff hätte ich auch irgendwann aufgearbeitet. Doch selbst wenn ich mit einem nicht aufholbaren Rückstand hätte rechnen müssen, hätte ich mich nicht anders entschieden, nicht anders entscheiden können; denn ich war zu sehr mit mir selber, mit meinen Ängsten und mit meinen vielleicht altersbedingten Problemen beschäftigt, als dass ich auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden wollte, was Studienplan und Vorlesungsverzeichnis mir bescherten. Ich brauchte Ruhe und Muße. Und ich wollte in der Abgeschiedenheit, in San Giorgio, fern von jeder Ablenkung, mit mir ins reine kommen.

    Vom Alleinsein hatte ich mir viel versprochen, vielleicht allzu viel. Doch die langen Tage — die allerdings unvergessliche Eindrücke in mein Gedächtnis malten, welche allein hinreichten, meine Reise zu rechtfertigen — brachten die Antwort nicht, die zu suchen ich auf die Insel gereist war. Im Gegenteil: War ich auch nie sorgfältiger und methodischer mit meinen Gedanken vorgegangen, so vermehrten sich dennoch Fragen und Ungewissheiten, je mehr ich nach Antwort und Gewissheit suchte. Bald wusste ich nicht mehr,

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