Trauernacht und Hoffnungsmorgen: Wege durch eine schwere Zeit
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Über dieses E-Book
Der Verlust eines nahen Menschen kann das Vertrauen ins Leben bis auf den Grund erschüttern. Trauer zeigt sich in vielen unterschiedlichen seelischen und körperlichen Symptomen. Auch kann eine schwere Lebenskrise durch den Tod des geliebten Menschen ausgelöst werden. Es ist ein Ausnahmezustand, in den die Trauernden geraten. Trauern ist seelische Schwerstarbeit. Die inneren Prozesse, die Betroffene durchlaufen, sind sehr individuell, auch wenn sie, oberflächlich betrachtet, ähnlich scheinen. Manche brauchen viel Zeit, um ihre Gefühle der Trauer zulassen zu können. Andere spüren den Verlustschmerz vom ersten Augenblick an oder hatten die Möglichkeit, wenn der Verstorbene nicht völlig unerwartet verstarb, bereits ein Stück der Trauer vorwegzunehmen.
Antje Sabine Naegeli begleitet seit vielen Jahren Trauernde. Ihr Buch ist für alle Menschen, die tiefen inneren Schmerz erleiden, weil die Verbundenheit mit dem, der gehen musste, lebensbestimmend war. Aus ihrer eigenen Trauererfahrung heraus hat sie ihre Gedanken aufgeschrieben und möchte damit Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben, ein paar Schritte weit begleiten. Das Buch ist so konzipiert, dass einzelne Kapiteln gelesen werden können statt zu viel auf einmal. Denn die Kraft von Trauernden ist meist begrenzt. Ein Kapitel richtet sich an Menschen, die einen geliebten Menschen durch Suizid verloren haben. Behutsam und verständnisvoll zeigt sie auf, wie Hinterbliebene mit diesem Verlust umgehen können und wie sie die Würde des Verstorbenen bewahren können.
"Dieses Buch enthält keine Theorien über Trauerphasen oder dergleichen, denn Theorien, so stimmig sie sein mögen, sagen herzlich wenig aus über die Leiderfahrungen trauernder Menschen. Mit meinen Leserinnen und Lesern möchte ich ganzheitlicher auf dem Weg sein, als lediglich über Trauerprozesse aufzuklären. Ich möchte Betroffenen keine Rezepte zumuten, sondern Impulse geben, den ganz eigenen Trauerweg zu finden."
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Buchvorschau
Trauernacht und Hoffnungsmorgen - Antje Sabine Naegeli
Antje Sabine Naegeli
Trauernacht und Hoffnungsmorgen
Wege durch eine schwere Zeit
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal
Umschlagmotiv: © AnYudina / iStock - GettyImages,
© Diane Labombarbe / iStock - GettyImages
E-Book-Konvertierung: Daniel Förster
ISBN E-Book 978-3-451-81814-1
ISBN Print 978-3-451-37720-4
Meiner Tochter ChrisTina (†) dankbar gewidmet
»Die Liebe hört niemals auf.« (1. Kor.13,8)
Nicht vorüber
Was vorüber ist,
ist nicht vorüber
Es wächst weiter
in deinen Zellen
Ein Baum aus Tränen
oder vergangenem Glück.
Rose Ausländer
Inhalt
Ein Wort zuvor
1. Wenn die Dunkelheit hereinbricht
Eine neue Wirklichkeit
Unfassbar
Umziehen in ein anderes Leben
Nur diesen Tag bestehen
Eiszeit
2. Krähenschwarze Nacht
Wohin mit den Gefühlen?
Warum?
Achtsamkeit in der Trauerzeit
Trauer und Depression
Vom Umgang mit Erwartungen
Einsamkeit durchleiden
Sprachräume brauchen
Suizid
Vom Schmerz des Versäumten
3. Morgendämmerung
Auf der Suche nach Trost
Wie lange noch?
Die Sache mit Gott
Erinnerung
4. Tagesanbruch
Nachleuchten
Hoffnung über den Tod hinaus?
Nachtoderfahrungen
Ins Leben zurückwachsen
Mit der Endlichkeit leben
Die Liebe bleibt
Ausklang
Quellenverweise
Literatur
Die Autorin
Ein Wort zuvor
Der Verlust eines nahen Menschen kann unser Vertrauen ins Leben bis auf den Grund erschüttern. Wir geraten in eine Achterbahn der Gefühle. Die Trauer zeigt sich in vielen seelischen und körperlichen Symptomen. Eine schwere Lebenskrise kann durch den Tod des geliebten Menschen ausgelöst werden. Wir befinden uns im Ausnahmezustand.
Trauern bedeutet seelische Schwerstarbeit. Die inneren Prozesse, die Betroffene durchlaufen, sind sehr individuell ausgeprägt, auch wenn sie sich, von der Oberfläche her betrachtet, ähnlich zeigen mögen. Es kann sein, dass wir viel Zeit brauchen, bis wir Gefühle der Trauer zulassen können. Vielleicht auch spüren wir den Verlustschmerz vom ersten Augenblick an oder haben ihn, wenn es nicht um ein völlig unerwartetes Abschiednehmen ging, in einer Zeit des langsamen Zugehens auf das Sterben bereits ein Stück vorweggenommen.
Wie und mit welcher Intensität auch immer Trauer erlebt und erlitten wird – die nachfolgenden Gedanken sind für Menschen gedacht, die sich mit tiefen inneren Schmerzen konfrontiert finden, weil die Verbundenheit mit dem, der gehen musste, lebensbestimmend und herznah war.
Dieses Buch enthält keine Theorien über Trauerphasen oder dergleichen, denn Theorien, so stimmig sie sein mögen, sagen herzlich wenig aus über die Leiderfahrungen trauernder Menschen. Mit meinen Leserinnen und Lesern möchte ich ganzheitlicher auf dem Weg sein, als lediglich über Trauerprozesse aufzuklären. Ich möchte Betroffenen keine Rezepte zumuten, sondern Impulse geben, den ganz eigenen Trauerweg zu finden.
Aus persönlicher Trauererfahrung heraus habe ich meine Gedanken zu Papier gebracht und ich wünsche mir, dass Worte darunter sind, durch die sich Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben, ein paar Schritte weit begleitet, wahrgenommen und verstanden fühlen in einer Zeit, die uns durchschüttelt und verstört, auf einem Weg, der uns zuweilen mehr Kraft abverlangt, als wir haben. Meine Ausführungen eignen sich im Übrigen gut, um immer wieder einmal ein Kapitel zu lesen, statt zu viel auf einmal. Für mehr reicht ja viele Male die Kraft auch nicht. Ich wünsche mir sehr, meinen Leserinnen und Lesern eine einfühlsame Begleiterin zu sein.
St. Gallen im Herbst 2019
Antje Sabine Naegeli
1.
Wenn die Dunkelheit hereinbricht
Eine neue Wirklichkeit
Wie lange ist es her, dass der Mensch, mit dem Sie eine Herzensverbindung haben, die Ihr Leben wesentlich geprägt hat, Ihnen entrissen wurde? Vielleicht sind es erst wenige Tage, aber wohl eher einige Wochen oder Monate, denn vorher mag man gar nicht lesen. Alles ist noch sehr nahe, fühlt sich an, als wäre es gestern geschehen.
Einen geliebten Menschen zu verlieren, mit dem man tief zusammengehört, bedeutet einen unermesslichen Schmerz. Manchmal glaubt man, diesen nicht länger oder gar nicht aushalten zu können. Er ist so reißend, so brutal, so unerträglich, so gnadenlos und völlig unentrinnbar. Wir stürzen in eine unmessbare Tiefe. Wir trauern um den Verlorenen, aber wir trauern auch um uns selbst.
Es ist, wie wenn eine Lawine über unser Leben niedergegangen wäre, und wir sind versehrt, nackt und schutzlos zurückgeblieben, können nicht fassen, was passiert ist. Als seien wir in einem Albtraum gefangen, aus dem wir dringend aufwachen möchten, so fühlen wir uns. Manchmal sind wir innerlich ganz starr und leer. Dann wieder überflutet uns die Trauer mit großer Heftigkeit, ohne Ankündigung und ohne dass wir sie aufhalten könnten.
Die Tränen kommen, wann sie wollen, auch an Orten und in Momenten, in denen wir sie lieber zurückdrängen möchten: in einem Gespräch, am Bahnschalter, mitten in der Fußgängerzone oder in einem Geschäft. Wir erfahren, wie verletzlich wir sind.
Wir werden mit nie gekannten Ängsten konfrontiert.
Menschen, deren Trauer noch sehr »frisch« ist, klagen darüber, dass sie nicht mehr richtig denken, sich nicht mehr konzentrieren können. Es kann aber durchaus sein, dass Betroffene über längere Zeit »funktionieren« unter dem harten Zugriff des Gesollten, dass sie ihre Aufgaben – und was will nicht alles getan und geregelt sein, wenn ein Mensch gegangen ist – pflichtbewusst mechanisch erfüllen, ohne mit ihrem Inneren wirklich in Berührung zu sein, so als seien sie von einem verborgenen Uhrwerk gesteuert. Der Kontakt zu uns selbst geht verloren.
Die Sehnsucht nach Trost und Halt kann sich tief innen verbergen, aber sie kann auch spürbar nach außen treten und überwältigend groß sein.
Das kann sich bei Frauen und Männern zeigen, auch wenn Männer in der Regel anders trauern als Frauen. Männer flüchten zumeist in Aktivität und Sachlichkeit. Sie lassen ihre emotionale Befindlichkeit weniger nach außen dringen. Ich habe es aber durchaus auch erlebt, dass der eine oder andere von ihnen mir in großer Erschütterung, geschüttelt von heftigem Weinen, gegenübersaß. Öfter habe ich jedoch erlebt, dass Männer kühl und sachlich, fast emotionslos über ihren Verlust reden konnten und Trauer nicht zugelassen wurde. Bei Frauen ist dies eher selten der Fall.
Wir machen als Trauernde die Erfahrung, dass wir auf Menschen warten, auf Berührungen, auf einfühlsame Worte. Sie tun uns gut und doch müssen wir erfahren, dass nichts bis in die letzte Tiefe unserer Trauer hinab reicht. Trauer bedeutet immer auch ein letztes Stück Einsamkeit. Wir sind im Exil. Alles Heimatliche ist verloren, weil der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Nie mehr wird es werden, wie es vordem war.
Erfahren wir als Trauernde nicht alle dieses Getrenntsein von der »normalen« Welt? Jedes Mal wenn ein geliebter Mensch starb, war ich innerlich ganz fassungslos darüber, dass das Leben um mich herum seinen Gang ging, als wenn nichts geschehen wäre. Ich fühlte einen unheilbaren Riss zwischen der Welt um mich her und der meinen, die in Schmerz und Dunkel getaucht war. Diese ganz normale Welt, zu der ich doch auch gehört hatte, rückte in eine unerreichbare Ferne, mit der mich nichts mehr verband. Ihr Planet und der meine, der so kalt, fremd und unwirtlich war, hatten nichts miteinander zu tun. Das Leben hatte mich ausgestoßen.
Ich konnte es nicht fassen, wenn die Sonne draußen schien. Dieser unerträgliche Frühling, all das aufbrechende Leben! Welche ein Widerspruch! Die Harmlosigkeit und Freundlichkeit eines lichten Tages