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Adria Blues: Nimm das Leben, wie es kommt
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Adria Blues: Nimm das Leben, wie es kommt
eBook269 Seiten4 Stunden

Adria Blues: Nimm das Leben, wie es kommt

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Über dieses E-Book

Das „dolce far niente", den mediterranen Müßiggang auf der kleinen, dalmatinischen Insel Olib, kennt man schon von den Vorgängerbüchern „Ein Haus in Dalmatien" und „Dalmatinisches Inselbuch". In „Adria Blues" sieht die Ich-Erzählerin ihre zweite Heimat mit neuen Augen. Eine überstandene Krebserkrankung und das Tagebuch jener Zeit sind der Auslöser für diese autobiographische Erzählung, die das Lebensmotto der Inselbewohner zum Schlüssel für Gelassenheit macht: „Take it easy", sagt der Fischer zur Erzählerin, bevor sie sich völlig in ihr Schneckenhaus auf Olib zurückziehen kann. „Take it easy" weist ihr auch den Weg ins neue Leben.

Nur noch 46 kroatische Inseln sind bewohnt (von 1244), auf allen Inseln nimmt die Bevölkerung ständig ab, mit ihr auch die Landwirtschaft. Rettung verspricht man sich vom Tourismus. Abseits der Saison leben auch auf Olib nur noch die alten und einige wenige Junge, die sie umsorgen. Man nimmt das Leben, wie es kommt, und macht das Beste draus.

Die „Zeitmillionäre Olibs", wie sie die Autorin nennt, sind die Helden einer Geschichte vom Loslassen und Neu-Beginnen, vom aufbrechen und Heimisch-Werden – und vom grenzenlosen Blau der Adria.
SpracheDeutsch
HerausgeberDrava Verlag
Erscheinungsdatum21. Juli 2017
ISBN9783854358510
Adria Blues: Nimm das Leben, wie es kommt

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    Buchvorschau

    Adria Blues - Friederun Pleterski

    978-3-85435-851-0

    Der Katamaran Princ Zadra liegt im Hafen von Zadar vor Anker. Er fährt zu den Inseln Premuda, Silba und Olib. Am Pier herrscht Geschäftigkeit. Die Passagiere stehen mit ihren Koffern, den Taschen und Rucksäcken vor der Landebrücke und warten. Um vierzehn Uhr ist Abfahrt, um Punkt halb zwei dürfen wir an Bord. Bis dahin sollten alle Hunde und Katzen, Blumengebinde und das unbegleitet reisende Gepäck am Boot gut verstaut sein. In der Menschenmenge, die am Pier steht, erkenne ich nur wenige bekannte Gesichter. Seit vierzehn Jahren komme ich in dieses Land –vier volle Jahre, rechnet man die Monate, die ich hier war, zusammen. Vor vierzehn Jahren kaufte ich mein wunderbares Inselhaus auf Olib. Seit sieben Jahren ist es der Princ, der mich verlässlich von Zadar auf die Insel bringt, in eine andere Welt, in die Welt einer kleinen Insel, auf der von Jahr zu Jahr weniger Menschen leben.

    „Slobodno? - „Ist der Platz frei?, frage ich und setze mich zu Joan, einer Inselfrau. Sie hat graue Löckchen, trägt Bluse und Strickjacke, sie ist eine Freundliche mit schneeweißer Haut und roten Bäckchen, auf Olib geboren und in Queens aufgewachsen. In New York heiratete sie einen Jungen, der einige Jahre vor ihr ausgewandert war und der, wie kann es auch anders sein, auch aus Olib stammte. Vor zwanzig Jahren kamen die beiden auf die Insel ihrer Kindheit zurück, um hier ihre Rente zu genießen. Den Ehemann traf bald der Schlag, und bis man ein Boot fand, das ihn nach Zadar ins Krankenhaus hätte bringen können, war er schon tot. Sie freut sich so, dass ich wieder hier bin. Ja, sie weiß, dass ich im letzten Sommer sehr krank war. Sie hat mich vermisst. „Dein Haus war so leer. Und wie geht es Dir jetzt? - „Ich bin gesund. Vor einem Jahr dachte ich noch, meine Zeit sei abgelaufen. Und nun bin ich Zeitmillionärin. Sie lacht, sagt, sie sei „auch so eine. Sie findet, ich sei wieder ganz die Alte. Die bin ich, oder auch nicht. Ich bin achtsamer geworden. Langsamer. Ich genieße den Augenblick, freue mich über Kleinigkeiten. Ein Inselsommer liegt vor mir. Ich werde die meiste Zeit allein sein, ohne Zeitung, Radio und Fernsehen, und ohne Partner, der war mir abhanden gekommen. In das Mail, das ich an alle Freunde verschickte, bevor ich abreiste, schrieb ich: „Besuche sind willkommen. Anmeldung am Festnetz erbeten.

    Kaum daheim im Inselhaus, sitze ich schon am Küchentisch und putze die grünen Bohnen. In Wien heißen sie Fisolen, fazoli auf Olib. Nirgendwo sind sie so gut wie hier. Sie sind dick, und sie sind fest, und sie haben selten Fäden. Ich darf beim Putzen nachlässig sein. Es ist Mitte Juni, Fisolenzeit. Ich kaufte sie am Markt in Zadar bei der Marktfrau meines Vertrauens. Auch sie hat den Krebs überwunden, es ist über zehn Jahre her. Sie ist eine Art Gemüsedoktorin und trug mir auf, täglich rotes und grünes Gemüse zu essen: „Iss rot und iss grün. Das ist die beste Medizin." Einen Bund Knoblauch schenkte sie mir dazu.

    Ich habe alle Fenster geöffnet, so kann sich der feuchte Mief aus dem Haus ins Freie verziehen. Ich war im März hier gewesen, um bei den Tischlern zu sein, die im Haus arbeiteten und schliefen. Über die Hälfte der Balken wurde ausgetauscht, sie waren morsch, die Scharniere verrostet. „Das kommt davon, rügte Krešo, „wenn man Fenster aus Holz kauft und nicht aus Kunststoff, so wie wir alle. Kann schon sein, dass Kunststoff nicht verrottet. Ich mag ihn nicht, außer als Ersatzteil, zum Beispiel als Backenzahn. Ich nahm wieder Holz: Lärche im Direktimport aus Österreich. Diese Balken sollten länger halten. Nachdem die Tischler fertig waren, blieb das Haus drei Monate lang zu.

    Ich kappe den Fisolen die Enden ab. Einer nach der anderen. Die Kartoffeln stehen am Herd. Auch die Erbsen, von der Marktfrau höchstpersönlich frisch ausgelöst. Keine Erbse sieht wie die andere aus, und weil jede einzelne Erbse eine andere Form hat, wird jede einzelne eine Nuance anders als ihre Schwester schmecken, und jeder Löffel voll Erbsen anders als der nächste. Die Hälfte der Erbsen werde ich heute verspeisen, aus der anderen Hälfte morgen bizirisi zubereiten. Der Erbsenreis heißt im dalmatinischen Inseldialekt nicht wie in Italien risipisi sondern bizirisi. Die Hälfte der Fisolen lasse ich für Salat übrig. Mein Einstandsgericht auf der Insel: Fisolen, Erbsen und Kartoffeln natur mit etwas Olivenöl, dazu škuta, das ist fetter, frischer Topfen vom Schaf, als Nachspeise eine Schüssel voll festfleischiger, schwarzer Kirschen.

    Auf der einzigen Bank am Strand sitzt ein Herr aus Zagreb, einer, der schon viel länger auf der Insel ist als ich. Ein immer gut gelaunter Mann, dessen Namen ich mir bis heute nicht merkte. Er ist Schwimmer, damit meine ich, dass er weite Strecken sportlich schwimmt. Er krault, durchpflügt wie ein Pfeil das Wasser, bis er dem Blick seiner Frau entschwunden ist, die auf der Bank im Schatten des riesigen, weiß blühenden Oleanderbusches sitzt und auf ihn wartet. Nach ungefähr einer Stunde kehrt er mit derselben Dynamik, mit der er gestartet ist, an den Strand zurück. Er ist schon älter und hat eine gut durchtrainierte Figur. Breite Schultern, schmale Hüften. Seine Frau hat schmale Schultern und breite Hüften. Während er unterwegs war, hat sie ein paar Zigaretten geraucht, das Päckchen liegt am Handtuch bereit für ihren Sportsmann, der sich, sobald er aus dem Wasser gestiegen ist, auch eine Zigarette anzündet. Danach wird er noch eine rauchen. Und noch eine. Er raucht ununterbrochen, es scheint, als hielte ihn nur das Schwimmen vom Rauchen ab. Aber was schreibe ich hier? Ich beschreibe ihn so, wie er war, nicht so, wie er ist.

    Denn jetzt ist er nicht wieder zu erkennen. Seine Haut ist fahl, der Körper bis zu den Rippen abgemagert. Zwei Operationen hat er hinter sich, erzählt seine Frau, er hat Lungenkrebs. „Es wird schon wieder", haucht er und ringt nach Atemluft. Dann steht seine Frau mit ihm auf, stützt ihn beim Hineingehen ins Wasser. Vorsichtig steigen sie über die Stufen hinunter, klammern sich am Geländer fest. Hand in Hand waten sie durchs Seichte, bis er sie loslässt. Langsam, ganz langsam schwimmt er eine kleine Runde. Mir scheint, dass er in diesem Moment glücklich ist.

    Johnny steht am Pier und hält die Schlange am Schwanz. Er hält seinen gestreckten Arm hoch in die Luft, das muss er, denn das Tier, eine Äskulapnatter, ist ausgewachsen und einen Meter und achtzig Zentimeter lang und Johnny ein kleiner Mann. Die Schlange ist ein einziger Muskel, der sich dreht und windet, der Kopf sucht einen Weg nach oben. Johnnys fünfjähriger Sohn, ein blondgelocktes, kapriziöses Kind, beobachtet Vater und Schlange gelassen aus der Nähe, ganz ohne Furcht. Mit Tieren kennt der kleine Nikolaj sich aus. Sein Vater hat auf der Insel ein ganzes Häuschen mit Trophäen geschmückt, ein ausgestopfter Grizzly ist darunter. In Amerika war er ein großer Jäger vor dem Herrn. Jetzt ist er unser Bürgermeister. Zwei Wahlen hat er schon gewonnen, zweimal bekam er drei Stimmen mehr als der Gegenkandidat.

    Er war fünfzig, als er seine Arbeit in New York nach einem schweren Unfall aufgab und seine Familie zurückließ. Er kehrte zu seinen betagten Eltern nach Olib zurück, wo er bald eine zweite Familie gründete, denn er hatte vor zu bleiben. Und auf der Insel Geld zu verdienen. In Containern importierte er aus den Staaten, was der Mensch auf Olib bis dahin nicht brauchte: Fahrzeuge, Sportboote, Gasgrillgeräte und Werkzeuge. Bis zu diesem Zeitpunkt war man hier mit Fahrrädern, mit Hammer und Sichel, Nussschalen mit 1,5 PS Motor und einem Holzkohlengrill ausgekommen.

    Eine Jachttouristin mittleren Alters starrt auf das sich windende Tier. Angst und Schrecken sind ihr ins Gesicht geschrieben. „Don´t worry, sagt Johnny, „sie ist nicht giftig. „Eine Natter, mische ich mich ein. „Nema problema. Die Szene zieht Neugierige an. Stipe, ein Inselwirt, der aus Bosnien, steigt von seinem alten Traktor und macht mit der Hand eine eindeutige Bewegung, die „Kopf ab bedeutet. Johnny schüttelt den Kopf: Er werde das Tier an den Dorfrand bringen und in die Freiheit entlassen, es sei nützlich, aber am Pier am falschen Platz. Stipe zeigt sich damit nicht einverstanden. In seiner Heimat hält man Schlangen für lästig und überflüssig, egal ob sie nun giftig oder ungiftig, nützlich oder nicht sind. In Bosnien geht es ums Überleben, da ist man nicht zimperlich. Zu viele Schlangen gibt es heuer, davon weiß er zu berichten. Sie sind überall. Aus irgendeinem Grund haben sie sich vermehrt. Vielleicht weil die Raubvögel fehlen? Früher gab es bei uns Eulen, Habichte und Seeadler, ich selber habe sie gesehen, seit einigen Jahren vermisse ich sie. Aber wer weiß, vielleicht kehren die Raubvögel eines Tages wieder zurück. Ich erkundige mich nach dem Wildschwein, das uns im letzten Jahr auf Olib besuchte. Ich hatte gehört, dass die Wildschweine auf der Insel Sestrunj bereits eine Plage sind, sie durchwühlen die Gärten, laufen durch die Gassen und fallen den sechs Inselbewohnern auf die Nerven. Keine angenehme Zukunftsvision für Olib. Die Schweine kommen vom Festland, schwimmend. „Das Wildschwein? Stipe zeigt in Richtung Nachbarinsel. Man habe es tot an einem Strand in Silba aufgefunden. Auf Olib behagte es ihm offenbar nicht.

    Welche Invasionen habe ich auf Olib schon erlebt? Die Vermehrung der Kaninchen und ihr Sterben an der Pest, als sie zu viele wurden. Das Erscheinen der Eichenspinner, sie fraßen die Wälder kahl, dann ihr plötzliches Verschwinden. Im Jahr danach waren die Bäume wieder grün. Die Märsche der herzigen Erdkröten, in warmen Regenperioden kriechen sie aus ihren Löchern und bevölkern die Straßen, wohl um einander kennen zu lernen. Tausendfüßler fressen sie leider nicht, auch diese tauchen in feuchten Zeiten in Massen auf. Einmal waren Tausende winzige Quallen im Wasser. Streifte man eine beim Schwimmen, entstand an der Berührungsstelle eine Brandblase, man konnte ihr beim Wachsen und Platzen zusehen. Nach einer Woche waren die Quallen wieder verschwunden, die Verbrennungen auf der Haut nicht. Und wie ist es mit den Menschen auf Olib? Hier ist keine Vermehrung in Aussicht. Im Gegenteil. Die Einheimischen werden von Jahr zu Jahr weniger. Im Jahr 2001, dem Beginn meiner persönlichen Inselzeitrechnung, waren es noch 180, jetzt, wo ich diese Zeilen verfasse, sind es 120, und ich wette, am Ende des Jahres werden es ein Dutzend weniger sein. Die Zahl der Saison-Gastronomen hingegen nimmt zu. Aber nur zwischen dem 20. Juli und dem 20. August, wenn die Touristeninvasion eintrifft, wenn Pommes frites, Eis und Pizza die beliebtesten Früchte Olibs sind, und wenn Wein, Schnaps und Bier fließen. Ab September ist es wieder ruhig hier. So ruhig wie jetzt im Juni.

    Es ist Ebbe. Sterne funkeln am tiefschwarzen Himmel, ihr zarter Widerschein lässt das dunkle Meer an seiner Oberfläche glänzen. Ein Motor tuckert, ein zweiter, noch einer. Dann wird es still, die Fischer stellen die Motoren ab. Jeder fischt an einer bestimmten Stelle. Für die älteren Fischer ist das Meer in ideelle Reviere aufgeteilt, die Jungen wissen davon nichts mehr. „An dieser Stelle, sagte Stanley, als er mich noch zum Fischen mitnahm, „hat schon mein Vater gefischt. Und sein Vater. Stanley hatte seine Verbindungen nach Amerika abgebrochen, um auf der Insel seiner Kindheit seinen Lebensabend zu verbringen. Er ist ein leidenschaftlicher Fischer, der nur auf große Fische aus ist und diese nur mit der Angel fängt. Den Oktopus jagte er mit einer Harpune, einem altertümlichen Mordinstrument, das schon sein Vater benutzte. Sie besteht aus einem Widerhaken am Ende eines langen Stocks. Über die Jungen, die sich in Neopren-Anzüge zwängen, tauchen und mit der Gas betriebenen Harpune schießen, verlor er nie ein gutes Wort. Er stellte den Oktopus im Mondlicht, glitt in einem Ruderboot behutsam das Ufer entlang, beobachtete den Meeresgrund, die Höhlen im Fels und die Dellen im Sand, Orte, an denen das Tier wohnt und zur Jagd aufbricht. In dem Moment, in dem es den Kopf aus der Höhle streckte, um wie eine Rakete los zu starten, stach Stanley blitzschnell zu. Ob er es immer noch so streng mit seiner Art zu fischen, dem „slow fishing", hält?

    Vom Fischfang konnten seine Eltern nicht leben, sie waren auf das Geld, das ihnen die Kinder aus Amerika schickten, angewiesen. Die großen Fische wurden verkauft. Die kleinen gab es zuhause. Es gab sie frittiert, auch zum Frühstück, dazu selbst gebackenes Brot und Eier. Mit den Eiern kamen die Ärmsten durch. Und die Ärmsten, das waren die Fischer. Auch ein Oktopus war ein Armeleuteessen. Ein ländliches Paradies, wie es manche schildern, war Olib nie. Es war ein Dorf auf einer sechs Kilometer langen und einen halben Kilometer breiten Insel ohne direkte Anbindung zum Festland. Der Beginn der Dampfschifffahrt gegen Ende des 19. Jahrhundert veränderte Dalmatien und natürlich auch Olib. Die ersten, die nach Argentinien und etwas später in die USA auswanderten, das waren die besten der jungen Männer. Sie suchten in Übersee Arbeit, sparten das Geld, kamen damit zurück, heirateten ein Inselmädchen, zeugten Kinder und fuhren wieder weg. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg packten auch die Frauen und die Mütter ihre Koffer und kamen nach Amerika mit. Heimat, so sagt man im Süden, Heimat ist dort, wo die Mütter sind.

    „Hey", flüstert Leona mir ins Ohr. Wir sitzen in der bocvica bei Saša und trinken Kaffee. „Schräg hinter dir sitzt sie, die Freundin von deinem Ex. Die Neue." Ich drehe mich um und tue so, als würde ich etwas bestellen wollen - und sehe einen Haarschopf, der wie ein Reisbesen aussieht. Der Besen sitzt ganz allein am Tisch. Stanley sitzt zwei Tische weiter und spielt Karten. Sie spielen hier jeden Tag Karten und zwar von fünf bis sechs am Nachmittag. Der Besen sitzt ruhig da, liest ein Buch und raucht.

    Ich bin seit Jahren mit Stanley nur noch auf Facebook befreundet. Ungefähr einmal pro Woche postet er ein Foto, das ihn mit einem Riesenfisch im Arm zeigt. Meist ist es eine Zahnbrasse, ein subatac. Ich denke daran, wie dieser prächtige Fisch in der Natur aussieht. Ein subatac wird bis zu zehn Kilo schwer. Am Körper schimmern seine Schuppen in allen Farben, am Kopf leuchten sie golden, sobald der Fisch an der Angel aus dem Wasser auftaucht. Wie ein Regenbogen vergeht das Farbenspiel nach kurzer Zeit an der Luft.

    Stanley fängt auch Meeraale, mächtige Tiere: Sie sind glatt, schleimig und grün und schmecken nicht besonders, eher trocken. Man gibt sie am besten in die dicke Fischsuppe, sie heißt brodet. Er trägt einen gestutzten, weißen Vollbart nach Kapitän-Iglo-Art, ich finde, dass er immer noch gut aussieht, auch wenn er zu dick geworden ist. Das hätte ich nicht zugelassen, täglich hätte ich ihm vorgehalten, er bewege sich zu wenig. Ich kapierte es einfach nicht, dass Fischer ihre Beine ungern gebrauchen und dass Zufuß-Gehen nur zwischen Boot und fahrbarem Untersatz üblich ist. Ich wollte es nicht wahrhaben, dass Fischer keine Wanderer wie die Menschen aus den Bergen sind, zu denen ich mich immer noch zähle. Wir hatten uns ineinander verliebt. Zusammen kamen wir nie. Ich war ihm zu „bossy", und dann hatten wir unterschiedliche Auffassungen vom Inselleben. Ich wollte die Insel retten, die runden, alten Steinhäuser, in denen keiner mehr wohnt, davor bewahren, von eckigen Neubauten verdrängt zu werden. Ich wollte die Frauen als Hüterinnen der Gärten dazu animieren, es auch mit anderem mediterranen Gemüse zu versuchen, nicht nur mit Petersilie, Kraut und Mangold. Den Wirt des ersten Fast–Food-Restaurants wollte ich davon überzeugen, dass Slow Food die besseren Gäste bringt. Ich wollte mit Sonnenkollektoren warmes Wasser erzeugen und mit Photovoltaik Strom. Sogar ein Kulturprojekt schwebte mir vor, ein feines und leises Musikfestival in der geräumigen Kirche. Als ich bei der Hypo-Alpe-Adria-Bank vorsprach, die damals die Konzerte in der Kirche Sv. Donat in Zadar großzügig finanzierte, und um etwas Geld für ein Trompetenkonzert bat, fragte man nur nach der Zahl der möglichen Besucher im Hochsommer. Ich übertrieb und sagte, es könnten fünfhundert werden. Schnell war ich unverrichteter Dinge wieder draußen bei der Tür. Stanley wusste es, von Anfang an. Er wollte nichts aufbauen, er wollte nur wieder in seine glückliche Kindheit zurück. Drüben, am Pazifik, war das Leben Plackerei, er hatte sich den Ruhestand in Frieden verdient. Er trägt immer noch dieselben T-Shirts wie vor zehn Jahren, heute eines in blassem, verwaschenen Rosa. Er trägt es mit khakifarbenen Shorts aus denen braun gebrannte Waden lugen. Seine Füße stecken in FlipFlops, mit denen kein Mensch laufen kann. Aber das wollen auf Olib nur ein paar Verrückte, zum Beispiel ich.

    Durch die Loggia streicht ein kühler Wind. Die Loggia, eine überdachte, nach drei Seiten zum Meer hin offene Terrasse liegt über dem Billard-Zimmer des Café Grobak. Schon vor vielen Jahren gab es im Magazin des Cafés einen Computer mit Internetanschluss. Den zweiten hatte ich. Heute haben alle Cafés und Restaurants ihr WLAN. Das Gerücht, dass bald alle kleinen Inseln Dalmatiens über ein „gratis Insel WLAN" verfügen werden, hält sich seit Jahren. Man will damit die starke Abwanderung stoppen. Die jungen Leute wollen alle weg. Um junge Familien zu halten, installierte man auf den Inseln ein System des Fernunterrichts via Internet, der soll recht gut funktionieren. Und damit das Internet besser und schneller ist, hat man auf Olib die letzten der alten und hohen von der Bora gebeugten Schirmkiefern umgeschnitten, sie standen dem Internetempfang im Schulgebäude im Wege. Jetzt sind die Bäume weg, ihr Schatten ist weg und ihr Duft. Und die Schule ist immer noch geschlossen.

    Die Sonne hat den vorderen Teil der Loggia erreicht, wo die Touristen sitzen, sie lieben die Sonne. Die Einheimischen sitzen eine Reihe weiter hinten im Schatten. Der rückwärtige Teil der Terrasse ist frei von Tischen und Stühlen, das Gebälk darüber ist für die Schwalben reserviert, die seit Generationen ihre Kinder in dieser Loggia aufziehen. Ohne Scheu segeln sie über die Gäste hinweg, um ihre Jungen zu füttern, die ihre Köpfchen aus den Nestern recken.

    „Take it easy. What else can you do?" Mein Nachbar Frane hat die Ruhe weg. Mal werkelt er vor dem Haus, mal in seiner Garage herum, mal putzt er kleine Fische oder Karotten, mal sticht er den alten Kartoffen die Augen aus oder flickt ein altes Netz. Es kommt selten vor, dass er nur da sitzt, ohne etwas zu tun. In einer überschaubaren Umgebung kommt man mit Langsamkeit ans Ziel. Im Grunde braucht ein alter Mensch nichts anderes als eine Insel. Und wenn er sie nicht hat, dann schafft er sich eine. Auch in der Stadt.

    Auf Franes Grundstück, auf dem noch die Hundehütte steht, in der kein Hund mehr schläft, mäht ein Mann das Gras mit der Motorsense. Es ist Ferdo, er trägt Ohrenschützer und einen Tarnanzug, den er noch vom Militär hat, das ihm monatlich eine winzige Rente überweist, eine, mit der er am Festland nicht auskommen würde. Auf Olib schon. Er ist Kriegsveteran.

    Frane mäht nicht mehr selbst, er ist weit über achtzig. Er sei einmal sehr fesch gewesen, erzählt man sich. Ein mutiger, ein richtiger Mann eben. Er fuhr zur See. In einem Kutter fuhr er von Seattle aus den Pazifik hinauf in den Norden bis nach Alaska zum Krabbenfang. Eisiges Wasser rollte übers Deck, schwere Stürme peitschten ihm um die Ohren, und manchmal waren die Wellen so hoch wie Berge. Dieser Beruf hat ihn abgehärtet und seiner Familie bescheidenen Wohlstand gebracht.

    In zweiter Ehe heiratete er Marija, ein paar Jahre älter als er. Als sie in Pension ging, zogen sie von Amerika auf die Insel und kauften die Villa. Marija wäre lieber ins urbane Mali Lošinj gezogen, woher sie stammte, wo viel mehr los ist und die Erinnerung an das italienische Lussinpiccolo noch lebendig. Wir redeten miteinander immer Italienisch. Ich setzte mich manchmal auf einen Plausch zu ihr, wenn sie unter der Laube vor der Villa saß und ihre Füße in einer emaillierten Waschschüssel badete. „Aaaah", seufzte sie dabei wohlig, während Frane mit seinem 3-PS-Außenbordmotor vor der Küste herumtuckerte, um die Reusen zu kontrollieren und die Netze einzuholen.

    Netze flicken, etwas, das er nun nur zum Zeitvertreib macht, war vor Jahren noch eine seiner Hauptbeschäftigungen. Fische putzen auch. Marija stand in der Küche. An der schönen, 1928 erbauten Villa, die einen quadratischen Grundriss hat, zarte Ornamente an der Fassade und einen Balkon mit einer Balustrade aus Schmiedeeisen, änderten sie nur wenig. So blieb die Villa im typisch italienischen Adria-Stil jener Zeit im Original erhalten: der Boden in der Halle im zart gemusterten, braun-weißen Terrazzo, die Türen mit Laibungen und Messingschnallen, der Stiegenaufgang aus dunkel lackiertem Holz, die Luster aus Murano-Glas, weiße Spitzenvorhänge, die schweren Möbel im Kaffeehausstil der Jahrhundertwende. Im Winter wärmt eine Zentralheizung das ganze Haus, eine Rarität auf Olib. Es gibt vier Villen dieser Art auf der Insel, die sich vom Rest der bäuerlichen Häuser deutlich unterscheiden. Es waren die Villen der feinen Leute. In der schönsten Villa wohnte der Insel-Arzt. Ja, auch so einen hat es früher hier gegeben. „Wir brauchen einen Arzt hier", fordern die Rentner. Für hundertzwanzig Menschen?

    Als ich nach Olib kam, hatten Frane und Marija zwei hübsche Hündinnen, istrische Bracken, die an der Kette hingen. Das war auf der Insel die übliche Art, Hunde zu halten. Frei laufende Hunde kamen erst mit den Touristen hierher, frei laufend oft zu ihrem Schaden, da überall im Dorfgebiet Rattenköder ausgelegt sind, an deren Genuss ein kleiner Hund sofort stirbt und ein größerer qualvoll dahin siecht. Die Kettenhaltung ist in den letzten Jahren aber ganz abgekommen. Franes Hündinnen wurden immer wieder trächtig, und versorgten die ganze Insel mit Hundenachwuchs, der immer hübsch war, mal glatthaarig, mal struppig, meist semmelblond oder weiß mit blonden Flecken.

    In den letzten Jahren bekam Marija Probleme mit den Hüften und musste öfter ins Krankenhaus. Als sie nicht mehr zum Friseur nach Zadar fahren wollte, war sie wirklich alt. Frane kümmerte sich liebevoll um sie. Sobald Milivoj sein Cafe für die Saison aufsperrte, meist zu Ostern, kleidete er sie hübsch, half ihr über die Stufen vor das Haus und auf seinen Quad und fuhr mit ihr am Rücksitz die fünfhundert Meter hinunter an die Mole zum Kaffeetrinken. Im März starb sie an Altersschwäche. Bald nach ihr starb auch Beliza, die letzte der Hündinnen, die Frane mit der Zeit gehend in den letzten zwei Jahren von der Kette gelassen hatte. „Das hätte mir früher auch einfallen können", sagte er einmal. „Jetzt merke ich erst, dass Beliza

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