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Pech für den Puppenspieler: Berlin-Schöneberg-Krimi
Pech für den Puppenspieler: Berlin-Schöneberg-Krimi
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eBook217 Seiten3 Stunden

Pech für den Puppenspieler: Berlin-Schöneberg-Krimi

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Über dieses E-Book

Ausgerechnet jetzt muss Tom bei einem mysteriösen Unfall sterben. Endlich stand er mit seinen Schaufenster-Skulpturen vor dem lang erhofften Durchbruch als Künstler. Außerdem ist er gerade Vater geworden. Toms alter Freund Ed ist geschockt, er möchte Toms Freundin Nele und seinem kleinen Sohn helfen und stößt dabei auf immer neue Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit Toms Tod. Also beginnt er, nachzuforschen. Seine Ermittlungen bringen nicht nur einen Mörder zur Strecke, sondern lassen auch den Berliner Stadtteil Schöneberg lebendig werden, der voller historisch und popgeschichtlich bedeutender Orte ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberProlibris Verlag
Erscheinungsdatum17. Juli 2017
ISBN9783954751600
Pech für den Puppenspieler: Berlin-Schöneberg-Krimi

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    Buchvorschau

    Pech für den Puppenspieler - Robert Berg

    25

    Robert Berg

    Pech für den Puppenspieler

    Berlin-Schöneberg-Krimi

    Prolibris Verlag

    Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Auch die Figuren entstammen der Phantasie des Autors. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten,

    auch die des auszugsweisen Nachdrucks

    und der fotomechanischen Wiedergabe

    sowie der Einspeicherung und Verarbeitung

    in elektronischen Systemen.

    © Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2017

    Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29

    Titelfoto: © Günter Rolf, Rietberg

    E-Book: Prolibris Verlag

    ISBN E-Book: 978-3-95475-160-0

    Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.

    ISBN: 978-3-95475-146-4

    www.prolibris-verlag.de

    Für meine Frau,

    mit großem Dank für ihre Unterstützung

    Kapitel 1

    Das Hämmern der Schlagbohrmaschine schmiss mich um zwei Uhr von der Couch, und nur dadurch wurde ich in die Geschichte verwickelt. Hätte der Nachbar früher losgelegt, ich wäre, von dem Lärm genervt, längst aus der Wohnung geflüchtet und hätte den Besucher verpasst. Wäre der Heimwerker aber erst um drei zur Tat geschritten, hätte ich das Klopfen an der Tür gar nicht gehört, sondern weiter ungestört den Klängen aus meinem Kopfhörer gelauscht.

    Aber so wie die Dinge lagen, begann das Bohren um zwei. Vielen Dank, lieber Nachbar!

    Es lief gerade »Somebody To Love« von Jefferson Airplane. Den Song hatte mein Vater gespielt, als ich ihn bei seiner damaligen Freundin Karo besuchte. Da war ich sieben.

    Wir saßen in der Küche ihrer WG in der Potsdamer Straße, und Karo weinte. Dann gingen mein Vater und ich zur Gleiswildnis, dem Ödland zwischen Schöneberg und Kreuzberg mit seinen überwucherten Gleisen. Zwar war das Betreten verboten, aber der Zaun war alt und voller Löcher.

    Ich fragte meinen Vater, warum Karo geweint hatte, und er sagte, das könne ich nicht verstehen, weil ich zu klein sei. Dann baute er mir einen Flitzebogen.

    Zwei Wochen danach war er aus Berlin verschwunden, und es vergingen einige Geburtstage, bis ich wieder von ihm hörte. Damals wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Ich weiß es heute noch nicht. Und welchen Grund könnte es geben, über dreißig Jahre später noch darüber nachzudenken? Das hatte Katja mich auch oft gefragt. »Warum denkst du über Kram nach, der lange vorbei ist?« Immer wieder wollte sie das von mir wissen.

    Aber nun war Katja selbst lange vorbei.

    In diese Erinnerung bohrte sich mein Nachbar mit Maschinengewalt. Die Bohrmaschine ging los, genau an der Wand, an der ich lag und brachte mich zurück in die Gegenwart, ins Jahr 2012. Das war ein Schock. Noch bevor mein Verstand so richtig durchschaut hatte, was da passierte, war ich von der Couch gesprungen, um von dem Lärm wegzukommen, so weit wie möglich. Aber sogar in der Küche, am anderen Ende der Wohnung, war es zu laut. Unschlüssig stand ich dort und überlegte, wie ich auf die Situation reagieren sollte. Ich setzte Wasser für Tee auf, da klopfte es an der Tür.

    Unangemeldeter Besuch ist nicht immer lieber Besuch. Deshalb warf ich erst mal einen vorsichtigen Blick durch den Türspion. Als illegaler Untermieter muss man jederzeit darauf gefasst sein, dass plötzlich jemand von der Hausverwaltung vor der Tür steht. Wo ist der Hauptmieter dieser Wohnung? Oder: Sie sind doch gar nicht hier gemeldet. Wer sind Sie eigentlich? Und vergleichbar heikle Fragen kann und will ich nicht beantworten.

    Das war auch gar nicht nötig, denn vor der Tür stand Tom. Ich hatte lange nichts von ihm gehört. Wahrscheinlich hing das damit zusammen, dass er mir eine ganze Menge Geld schuldete. Wie auch vielen von unseren gemeinsamen Freunden.

    Warum war er nun da? War sein Konto wieder einmal leer, und er wollte mich erneut anpumpen? Möglicherweise wäre es doch besser, nicht aufzumachen. Andererseits war er einer meiner besten Freunde. Wir kannten uns schon, seitdem wir Babys waren; Toms und meine Mutter hatten zusammen in einer WG gelebt. Also öffnete ich.

    Tom strahlte mich an und rief: »Ed, alter Fischkopp! Wie geht es?« Er boxte mir gegen den Arm. Ich bin zwar in Berlin geboren, habe aber von meinem zweiten bis zu meinem sechsten Lebensjahr in Kiel gewohnt. Deshalb tun einige meiner Kumpel trotzdem so, als wäre ich kein Berliner.

    Ich boxte zurück und antwortete: »Mensch Tom, wie kann es sein, dass ein gebürtiger Bülowstraßler in deinem Alter immer noch nicht im Knast sitzt?«

    »Ich hatte halt Glück«, meinte Tom. Und wir beide wussten, dass das kein Spruch war. In der Stadt groß zu werden, ist manchmal schwierig, und manche unserer Kinderbuddys waren dabei vom rechten Weg abgekommen.

    Der Wasserkessel pfiff, und ich winkte Tom rein. Er setzte sich an den Küchentisch, und ich goss heißes Wasser in die Teekanne.

    »Hast du Hunger?«, fragte ich und öffnete den Kühlschrank.

    Das Leben eines Barkeepers ist gelegentlich unberechenbar. Man besucht nach Feierabend noch Kollegen in einer anderen Bar, übernachtet dann irgendwo und geht eventuell am nächsten Abend direkt zur Arbeit. Manchmal bin ich längere Zeit gar nicht oder nur zum Wechseln meiner Klamotten zu Hause und es ist mir nicht einmal bewusst. Der Zustand meines Kühlschrankes deutete darauf hin, dass es mir anscheinend gerade so ergangen sein musste. Er war leer, bis auf eine halbe Scheibe Toast und einen Litereimer Joghurt. Offenbar hatte ich schon länger nicht mehr hier gegessen.

    Ich überlegte, wie ich die Essenseinladung möglichst elegant zurücknehmen konnte, und drehte mich zu Tom um. Mein Blick fiel auf einen Stapel 50-Euro-Scheine auf dem Küchentisch.

    Tom grinste und sagte: »Eigentlich wollte ich dich zum Essen einladen. Wie wäre es mit asiatisch?«

    Ich wohne in der Erdmannstraße, nahe dem Kleistpark in Berlin-Schöneberg. Von dort sind es zu Fuß bis zur Akazienstraße oder der Goltzstraße mit ihren vielen Restaurants fünf bis zehn Minuten, je nachdem, wie eilig man es hat. Zum Supermarkt gehen, einkaufen, zurückgehen und kochen dauert länger. Und mein leerer Magen verlangte danach, ihn unverzüglich mit Essen zu füllen. Also zog ich mich kurz ausgehfertig an, während Tom noch schnell auf der Toilette verschwand.

    Zwar wäre es übertrieben gewesen, zu sagen, dass ich gerade dringend eine Finanzspritze benötigte, aber mein Konto war auch nicht satt im Plus. Deshalb freute ich mich über diese Rückzahlung, zumal ich die Kohle eigentlich schon längst abgeschrieben hatte. Doch als wir so zusammen die Grunewaldstraße runtergingen, beschlichen mich Zweifel. Wieso hatte Tom plötzlich so viel Geld? Hatte er es sich eventuell auf krummen Wegen verschafft? Falls ja: Machte man sich strafbar, wenn man es annahm, ohne nachzufragen, woher es kam? Ich beschloss, es zu lassen und dass Nichtwissen vor Gericht wahrscheinlich die beste Verteidigung war. Aber meine Neugierde machte diese Strategie zunichte. Beim Asiaten angekommen rutschte mir zwischen zwei Bissen Huhn mit Reis doch die gefährliche Frage raus: »Sag mal, woher hast du eigentlich so viel Geld?«

    Tom grinste. »Du wirst es nicht glauben. Ich hatte eine Ausstellung in Sankt Petersburg, und die neureichen Russen waren verrückt nach meinen Skulpturen. Drei habe ich verkauft, und wahrscheinlich werde ich noch mehr los.«

    Diese Antwort überraschte mich. »Deine Schaufensterpuppen?«, fragte ich.

    Toms Gesichtszüge verzerrten sich. »Nenn sie nicht Schaufensterpuppen!«, schrie er und sprang auf. »Es sind Skulpturen.«

    Die anderen Gäste sahen uns an.

    Aber die Skulpturen waren eigentlich Schaufensterpuppen. Tom kaufte sie billig auf, wenn Läden sie ausmusterten oder pleitegingen. Dann veränderte er sie. Er setzte ihnen Perücken auf und bearbeitete die Gesichtszüge mit Plastilin und Schminke. Sie bekamen neue Kleidung und Requisiten, wie zum Beispiel Werkzeug. So schaffte er es, die Puppen zu Ebenbildern tatsächlich existierender Menschen zu machen. Dabei reichte die Palette von Berühmtheiten über Freunde und Bekannte bis hin zu Personen, die er mal in der U-Bahn gesehen hatte. Immer war die Ähnlichkeit wirklich verblüffend, nur war es ihm bisher nie gelungen, die Skulpturen zu einem halbwegs anständigen Preis zu verkaufen. Meistens sagten die Leute: »Das ist ja ganz lustig, aber ist es Kunst?«

    Allerdings frage ich mich bei moderner Kunst oft, ob sie vielleicht gar nicht im Werk selbst liegt, sondern darin, es erfolgreich als Kunst anzupreisen. Und wenn Tom wollte, dass man die Puppen Skulpturen nannte, konnte ich ihm den Gefallen gerne tun, zumal er mich gerade zum Essen eingeladen hatte.

    »Tut mir leid«, sagte ich und versuchte, dabei so überzeugend wie möglich zu klingen. »Ich habe mich versprochen. Deine Skulpturen natürlich.«

    Tom setzte sich wieder hin. Langsam entspannte sich sein Gesicht. Er nahm einen Schluck Wasser, schob sich einen Löffel Reis in den Mund und sprach kauend weiter.

    »Passt natürlich super, dass ich gerade jetzt was verkauft habe. Wegen dem Kleinen und so.«

    »Welchem Kleinen?«, fragte ich.

    Tom ließ die Gabel sinken. »Haben wir uns so lange nicht gesehen? Nele und ich haben ein Baby.«

    Ich hatte mir gerade eine Gabel Fleisch genommen, es blieb mir im Hals stecken, ich verschluckte mich und fing an zu husten. Es dauerte eine Weile, bis es mir möglich war, ein »Herzlichen Glückwunsch« rauszuquetschen.

    Toms Sohn hieß David und war fünf Wochen alt. Ich erstarrte vor Ehrfurcht. Katja und ich hatten zwar theoretisch auch Kinder haben wollen, aber wir waren unserem Gefühl nach immer zu jung dafür gewesen, bis es dann zu spät war. Dass Tom und Nele sich das mit einundvierzig und vierzig Jahren noch getraut hatten, quasi in letzter Sekunde war toll.

    Wir saßen fast zwei Stunden im Restaurant, während mir Tom von den Freuden, ein Vater zu sein, und von Sankt Petersburg erzählte. Dann gingen wir in eine Kneipe und flipperten. Es war ein guter Start in den Nachmittag, leider musste ich irgendwann zum Mädchenzimmer, so heißt die Bar, in der ich arbeite. Deshalb trennten sich unsere Wege. Als ich später in einer Pause auf meinem Smartphone Toms Mail las, dass es ein wunderbarer Tag gewesen sei, so schön wie die Sommertage 1994, war ich geneigt, ihm zuzustimmen, auch wenn ich mich nicht mehr so genau an diese speziellen Tage erinnern konnte.

    Kapitel 2

    Ein paar Tage später kam ich morgens um halb sieben todmüde von der Arbeit. Ich fing an, mich auszuziehen und überlegte, ob ich noch Zähne putzen sollte. Aber dazu fehlte mir die Kraft. Meine ganzen verbliebenen Reserven brauchte ich, um die Leiter zum Hochbett zu schaffen. Oben fiel mir auf, dass ich mit Hose im Bett lag. Da meine Augen sich trotz aller Anstrengung nach maximal anderthalb Sekunden immer wieder von selbst schlossen, behielt ich die Hose an und die Augen zu.

    Als ich gerade ernsthaft eingeschlafen war, klingelte das Handy. Ich griff nach dem Wecker, um die Zeit zu überprüfen. In meinem Matschkopf war ich mir zunächst nicht sicher, ob ich jetzt wirklich gerade erst entschlummert war oder vielleicht doch schon einige Stunden geschlafen hatte, denn normalerweise rief mich niemand so früh am Morgen an. Falls es noch vor zehn war, konnte es ruhig weiterklingeln. Aber ich bekam den Wecker nicht richtig zu fassen, und er fiel mir vom Hochbett. Leise fluchend wollte ich auf die Leiter steigen, verfehlte sie jedoch um fast einen Meter und wäre um ein Haar selbst hinuntergefallen. So langsam war es wirklich Zeit, mal ein Geländer anzubringen.

    Endlich wohlbehalten unten angekommen, fand ich das Handy nach einigem Suchen in der Tasche meiner Jacke und nahm ab. Das »Ja?«, das ich hineinsprach, kann nicht sehr freundlich geklungen haben.

    »Hier ist Volkan«, hörte ich eine mir bekannt vorkommende Stimme sagen. »Bist du das, Ed?«

    Mein Gehirn fühlte sich an wie ein schmerzender Fremdkörper, der zu groß war für meinen Kopf, und meine Beine drohten, unter mir wegzuknicken. »Volkan«, wiederholte ich, während ich mich an der Türklinke in den Flur zog. Der Name kam mir sehr bekannt vor. Aber in meinem augenblicklichen Zustand war ich mir nicht ganz sicher, ob es sich um einen guten Freund von mir handelte oder um eine Figur aus einer der Serien, die ich häufiger sah. Mich an der Kommode entlanghangelnd, schaffte ich es ins Wohnzimmer, wo der Videorecorder mir die Zeit anzeigte. »Welcher Volkan?«

    »Volkan Hüslün, wir kennen uns seit über dreißig Jahren.«

    Volkan Hüslün, okay, ja. Allmählich kam ich in meinem wachen Leben an. Aber es war gerade einmal Viertel vor sieben.

    »Sag mal Volkan, ist das ein Spaß? Du weißt genau, dass ich nachts arbeite. Spinnst du, mich um die Zeit anzurufen?« Meine Beine gaben nach, und ich setzte mich einfach auf den Boden.

    »Die Zeit ist mir scheißegal«, rief Volkan. »Tom ist tot.«

    Es dauerte eine Weile, bis ich die Bedeutung der Worte wirklich verstand. Zwar hatte mein Ohr sie korrekt aufgenommen, aber mein Gehirn lehnte sie zunächst als offensichtlich falsch ab. Es war einfach zu unwahrscheinlich, Tom konnte nicht tot sein. Einer wie der schummelte sich doch immer irgendwie durch. Außerdem hatte ich ihn gerade noch getroffen, und er hatte nicht krank gewirkt oder so was.

    Mein Gehirn prüfte die Worte dieses schrecklichen Satzes auf klangliche Gemeinsamkeiten mit anderen, die etwas weniger Unangenehmes bedeuteten. Mir fielen keine ein, und ich kam zu dem Schluss, dass es wohl nicht um meinen alten Kumpel Tom gehen konnte. So selten war der Name ja auch nicht. Bestimmt hatten wir mehr als einen Freund, der so hieß. Aber, so tief ich auch in meinem Gedächtnis grub, ich fand keine weiteren. Und wenn es sich nicht um unseren gemeinsamen Kumpel Tom handelte, warum hätte Volkan mich dann morgens früh aus dem Bett klingeln sollen?

    »Bist du noch da?«, fragte Volkan.

    »Tom Lubojanski ist tot?«, fragte ich zurück.

    »Ja«, antwortete Volkan.

    Immer noch war mein Gehirn sehr schlecht durchblutet, und es war schwer, die Sache zu verstehen. Wenn Tom tot war, dann bedeutete das ja praktisch, er war nicht mehr da. Er würde nie wieder an meine Tür klopfen, und wir würden auch nie wieder ein Bier zusammen trinken. Das gefiel mir nicht, ich wollte nicht, dass es wahr war. Vielleicht war das Ganze nur ein schlechter Traum?

    Es fühlte sich aber nicht so an. Außerdem wäre es einer gewesen, hätte ich mich nicht so beschissen gefühlt und wäre längst daraus erwacht. Während diese Gedanken sich mühsam und schmerzhaft den Weg durch meinen Kopf bahnten, redete Volkan einfach immer weiter.

    Anscheinend war Tom vor zwei Tagen nachts völlig nackt auf den Kurt-Schumacher-Damm gelaufen. Die Autos konnten nicht mehr bremsen. Das erste schleuderte ihn in die Luft, zwei weitere überrollten ihn. Tom war tot gewesen, bevor der Rettungswagen eintraf.

    Die Polizei hatte Nele nicht so richtig was erzählt, aber angedeutet, dass Tom Drogen im Blut hatte. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum sie die Leiche noch nicht freigegeben hatten und es keinen Beerdigungstermin gab. Volkan wollte Bescheid sagen, sobald er etwas Neues erfuhr.

    Nachdem ich aufgelegt hatte, blieb ich eine Weile sitzen und versuchte, das Unbegreifliche zu begreifen. Doch der Boden war kalt und hart. Deshalb erhob ich mich schließlich und ging in die Küche.

    Eine Weile betrachtete ich den Tisch, an dem Tom gerade erst gesessen hatte. Anders als bei Tom hatte sich bei ihm in dieser Zeit nichts Maßgebliches verändert. Auch der Inhalt des Kühlschranks war derselbe wie bei Toms Besuch. Heute war ich jedoch entschieden nicht in der Stimmung, außer Haus zu essen.

    Gestern hatte ich mir eine Pizza liefern lassen. Davon war noch ein Stück da. Außerdem fand ich eine angebrochene Flasche Cola. War die fünf Tage alt oder sechs? Egal! Dies war das Frühstück, nach dem ich mich fühlte.

    Ein paar Bissen später ging es mir körperlich etwas besser. Deshalb erwürgte ich meinen Nachbarn nicht, als er an der Tür klingelte, um sich meine Leiter zu leihen. Aber Small Talk konnte ich noch nicht machen. Ich sagte ihm, er solle sich das Scheißteil selbst aus dem Bad holen und mich allein lassen.

    Kapitel 3

    In meiner Familie ist die Lebenserwartung

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