Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Sonntagsbrüder
Die Sonntagsbrüder
Die Sonntagsbrüder
eBook840 Seiten13 Stunden

Die Sonntagsbrüder

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Werner und Peter, mit einer Stunde Unterschied 1938 an einem Sonntag in Schlesien geboren, werden von ihren Familien wegen der großen Ähnlichkeit, liebevoll die Sonntagsbrüder genannt.
Trotz NS-Zeit und Kriegshysterie erleben sie eine glückliche Kindheit. Während 1945 die Rote Armee mit aller Härte und Grausamkeit an Breslau vorbei nach Berlin stürmt, sehen und erleben sie Unglaubliches. Gehen verloren und werden in die Sowjetunion deportiert. Um zu überleben, fliehen sie aus dem Lager und irren 2 Jahre in dem fremden Land umher. Peter findet seine Eltern wieder, Werner landet in einem Waisenhaus.
1950 treffen sie sich in Braunschweig wieder. Als Flüchtlinge aus dem Osten verpönt und Werner voller Hass, kämpfen sie sich zurück in ein normales Leben. Peter lernt schnell wie man bereits mit 12 Jahren Geld verdient. Werner schwört Rache an denen, die ihm seine Familie nahmen.
Es folgen glückliche Zeiten. Neben den ersten erotischen Abenteuern mit 15, werden sie hervorragende Segler und Bergsteiger. Liederliche Reisen durch den Süden Europas folgen. Die Zeit bei der Bundeswehr, hart aber schön und voller Erlebnisse.
Peter kehrt nach 3 Jahren zurück, erarbeitet sich in der Industrie hohe Posten und wird schließlich selbst Unternehmer. Werner gelangt über den MAD zum Geheimdienst und wird ein führender Agent im Osten. Beide sehen das Land wieder, in dem sie als Kinder umherirrten. Werner um Rache zu nehmen, Peter um Versöhnung zu erreichen und neue Freunde und Kunden zu gewinnen.
Zwei aufregende Leben mit vielen unglaublichen Ereignissen bis 1996, werden von dem Autor bewegend und mitreißend in Rede und Gegenrede geschildert. Er baut damit eine ungeheure Spannung auf und gibt dem Leser das Gefühl, ständig und bei allem dabei zu sein.
SpracheDeutsch
HerausgeberHeimdall
Erscheinungsdatum21. Apr. 2017
ISBN9783946537373
Die Sonntagsbrüder

Ähnlich wie Die Sonntagsbrüder

Ähnliche E-Books

Biografien – Literatur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Sonntagsbrüder

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Sonntagsbrüder - Peter Hofmeister

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

    Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.ddb.de abrufbar.

    Hergestellt in Deutschland • 1. Auflage 2017

    © Heimdall Verlag, Devesfeldstr. 85, 48431 Rheine,

    www.heimdall-verlag.de

    © Alle Rechte beim Autor: Peter Hofmeister

    Satz und Produktion: www.lettero.de

    Coverbild: © © Tatyana Aleksieva, Getty Images

    Gestaltung: © Matthias Branscheidt, 48431 Rheine

    ISBN: 978-3-946537-37-3

    Weitere Bücher

    als E-Book, Print- und Hörbuch unter:

    www.heimdall-verlag.de

    www.meinaudiobuch.de

    Über das Buch

    Werner und Peter, mit einer Stunde Unterschied 1938 an einem Sonntag in Schlesien geboren, werden von ihren Familien wegen der großen Ähnlichkeit, liebevoll die Sonntagsbrüder genannt.

    Trotz NS-Zeit und Kriegshysterie erleben sie eine glückliche Kindheit. Während 1945 die Rote Armee mit aller Härte und Grausamkeit an Breslau vorbei nach Berlin stürmt, sehen und erleben sie Unglaubliches. Gehen verloren und werden in die Sowjetunion deportiert. Um zu überleben, fliehen sie aus dem Lager und irren 2 Jahre in dem fremden Land umher. Peter findet seine Eltern wieder, Werner landet in einem Waisenhaus.

    1950 treffen sie sich in Braunschweig wieder. Als Flüchtlinge aus dem Osten verpönt und Werner voller Hass, kämpfen sie sich zurück in ein normales Leben. Peter lernt schnell wie man bereits mit 12 Jahren Geld verdient. Werner schwört Rache an denen, die ihm seine Familie nahmen.

    Es folgen glückliche Zeiten. Neben den ersten erotischen Abenteuern mit 15, werden sie hervorragende Segler und Bergsteiger. Liederliche Reisen durch den Süden Europas folgen. Die Zeit bei der Bundeswehr, hart aber schön und voller Erlebnisse.

    Peter kehrt nach 3 Jahren zurück, erarbeitet sich in der Industrie hohe Posten und wird schließlich selbst Unternehmer. Werner gelangt über den MAD zum Geheimdienst und wird ein führender Agent im Osten. Beide sehen das Land wieder, in dem sie als Kinder umherirrten. Werner um Rache zu nehmen, Peter um Versöhnung zu erreichen und neue Freunde und Kunden zu gewinnen.

    Zwei aufregende Leben mit vielen unglaublichen Ereignissen bis 1996, werden von dem Autor bewegend und mitreißend in Rede und Gegenrede geschildert. Er baut damit eine ungeheure Spannung auf und gibt dem Leser das Gefühl, ständig und bei allem dabei zu sein.

    Die Sonntagsbrüder

    Dieser Roman beruht teilweise auf Tatsachenberichten. Die Namen, Personen und Orte wurden geändert oder sind frei erfunden. Eine Namensgleichheit mit lebenden und verstorbenen Personen wäre rein zufällig.

    Die genauen politischen Daten des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges wurden dem Hermes Handlexikon des Econ Taschenbuch Verlages GmbH entnommen.

    *

    Nach einem langen und strengen Winter liegt Schweidnitz jetzt unter den ersten wärmenden Strahlen der Märzsonne. Eine Anzahl junger Männer schaufelte die von den Räumpflügen an den Straßenrändern aufgeworfenen Schneemassen auf bereitstehende Lastwagen, die sie später in die leicht Hochwasser führende Weistritz abkippen. Das lang herbeigesehnte Tauwetter setzt die Stadtverwaltung unter Druck. Die Kanalisation der aufstrebenden Stadt kann schon seit Längerem die Wassermassen nicht mehr vollständig aufnehmen.

    In der Zobtenerstraße 14 sitzt Annegret Hofmeister nur leicht bekleidet vor dem großen Wandspiegel und betrachtet wie so oft in den letzten Tagen ihren immer größer werdenden Bauch. Wenn Dr. Schneider und die Hebamme Angelika recht behalten, müsste es am 9. oder 10. April so weit sein. Sie hofft auf ein Mädchen, ihr Mann Richard, wie könnte es anders sein, auf einen Sohn. Eine Auto-Hupe und die anschließende Hausklingel unterbrechen ihre Betrachtungen. Sie streift rasch ein leichtes Hauskleid über, blickt auf die Uhr und anschließend aus dem Fenster.

    Es ist ihr Schwiegervater Carl Hofmeister, der am Stadtrand mit seinem Partner Armin Rot eine kleine Radiofabrik betreibt. Er steckt seinen Sicherheitsschlüssel in das Schloss und öffnet die Tür, bleibt stehen und ruft dann: »Pünktlich wie die Eisenbahn.« Er war bis zu seinem 50. Lebensjahr Reichsbahnsekretär gewesen und benutzte bei jeder Gelegenheit gerne diesen Ausruf.

    Es ist 17 Uhr und man schreibt den 31. März 1938. Seit sein Sohn Richard zu seiner zweiten Flugzeugführerprüfung zu einer Fliegereinheit nach Breslau einberufen wurde, besucht er zweimal am Tag seine Schwiegertochter, um nach dem Rechten zu sehen und um den Einkaufszettel für den nächsten Tag mitzunehmen. Seine Frau Klara wird alles beschaffen. Er hat gerade auf der mit blauem Samt bezogenen Couch Platz genommen und seinen obligatorischen Kaffee erhalten, als neben ihm das Telefon klingelt. Annegret hebt neugierig den Hörer ab. Es ist Richard, der sehr aufgeregt über seine bestandene Flugzeugführerprüfung berichtet und anschließend wissen will, wie es seinem noch ungeborenen Sohn geht. Annegret entgegnet scherzhaft: »Du meinst deiner ungeborenen Tochter! Uns geht es gut. Nur der Bauch wird immer größer und lässt den Gedanken zu, dass Sohn und Tochter zu gleicher Zeit kommen.« Richard stellt noch einige Fragen und lässt sich dann seinen Vater geben, den er bittet, seinen Arbeitgeber, die Maschinenfabrik S & D, über seine Rückkehr in der kommenden Woche zu informieren. Richard arbeitet in dem dynamischen Unternehmen als Konstruktionsingenieur und hofft sehr, dass man ihn wegen der immer wiederkehrenden Einberufungen zu Luftwaffenübungen bei Beförderungen nicht übergeht. Abschließend versichert er Annegret, dass er spätestens am 8. April und damit noch rechtzeitig zu der Geburt seines Sohnes bei ihr sein wird.

    Nach einem halbstündigen Plausch verabschiedet sich Carl Hofmeister von seiner Schwiegertochter und tritt den Heimweg an. Annegret schaltet erst das Licht und dann den wunderschönen und neuesten Radioapparat der Marke Hofrot ein. Er war speziell zu ihrer Hochzeit von den Mitarbeitern Carl Hofmeisters gefertigt worden. Inzwischen vermarktet die Hofrot AG diesen Typ als Hochzeitsradio und erschließt sich damit eine neue und überwiegend junge Käuferschicht. Ein Plakat in entsprechender Aufmachung ist in sämtlichen Radiogeschäften Schlesiens zu sehen. Radio Breslau bringt eine heitere Sendung mit dem schlesischen Mundartsprecher Ludwig Manfred Lommel. Sein Sender Runxendorf, mit den Sketchen von Paul und Pauline, erfreut sich großer Beliebtheit. Ganz Schlesien lauscht an diesem Abend amüsiert seiner Hasenjagd mit dem Baron von Jagdwitz. Annegret hört anschließend noch die Kurznachrichten des Tages und schläft später vollkommen entspannt ein. Schwangerschaftsprobleme kennt sie nicht. Im Stillen hofft sie, dass die Geburt ebenso komplikationslos verläuft.

    Nur 30 Kilometer entfernt in Reichenbach hört ein junges Paar die gleiche Sendung und schüttelt sich vor Lachen über die nicht enden wollenden Einfälle Lommels. Es sind der junge Bäckermeister Klaus Walter und seine Frau Traudel. Klaus übernahm vor einem Jahr die Bäckerei seines Vaters und heiratete anschließend die tüchtigste Verkäuferin des Geschäftes, in die er schon lange verliebt war. Gleich in der Hochzeitsnacht muss es passiert sein. Traudl hatte das kleine Schwarze mit den roten Schleifen angezogen und trug dazu aus dem gleichen Material zwei Strumpfringe an den Beinen. Beides, und ein, Morgenmantel aus fast durchsichtiger Seide, stammt aus dem Korsettgeschäft Schulze in Breslau. Diese Aufmachung verfehlte ihre Wirkung nicht. Ihre gesamten Ersparnisse waren dabei drauf gegangen. Aber sie will ja nur einmal heiraten und dann eben richtig. Es wurde eine der berühmten schlesischen Landhochzeiten, bei der zu jeder vollen Stunde eine neue Köstlichkeit gereicht wird. Üblicherweise schlachtet man vor der Hochzeit ein Schwein. Die Bäckerei trug Kuchen und Torten auf, bis sich die Tische bogen. Der selbstgemachte Wein erledigte den Rest. Klaus war an diesem Tag der glücklichste Mensch der Welt. Traudels Niederkunft wurde für die Zeit zwischen dem 9. bis 12. April berechnet. Natürlich soll es ein Junge werden. Ein Bäcker, der eines Tages in die Fußstapfen von Vater und Großvater tritt. Der alte Bäcker Rudolf, überglücklich, prophezeit seinem besten Freund Robert Weidner, der aus Groß Wierau angereist ist, wo er einen Bauernhof und eine Stellmacherei betreibt, dass alles eben eine glückliche Fügung ist und damit die Erbfolge gesichert wird. Er selbst musste ziemlich früh wegen starkem Rheuma das Unternehmen an sein einziger Sohn Klaus abgeben, der bereits ein hervorragender Bäcker und Konditormeister ist. Robert meint, er blicke mit etwas Sorge in die Zukunft. Sein ältester Sohn war ganz plötzlich verstorben, der jüngste Sohn Hans ging zum Militär und wurde Berufssoldat. Die jüngere Tochter Annegret heiratete den gut verdienenden Ingenieur Richard Hofmeister. Nun setzt er alle Hoffnungen auf seine älteste Tochter Giesela, die ihm einen Bauern oder Stellmacher heimbringen soll. Erst dann ist das kleine von ihm geschaffene Doppelunternehmen gesichert.

    Traudel und Klaus Walter unternahmen gleich nach ihrer Hochzeitsnacht eine Kurzreise in das Riesengebirge. Überglücklich besuchen sie dabei auch die Kirche Wang in Krummhübel, um ihrem schlesischen Gott, der es so gut mit ihnen meint, einen Besuch abzustatten. Nach einer Kammwanderung auf dem Gebirge mieteten sie sich bei einer kleinen Pension in Hirschberg ein Zimmer. Nach dem Besuch der 3.000 Personen fassenden Gnadenkirche verglichen sie in verschiedenen Bäckereien und Kaffeehäusern das Angebot an Backwaren mit dem des eigenen Unternehmens. Sie stellten dabei fest, dass ihre eigenen nicht zu übertreffen sind.

    An den folgenden Tagen spazierten sie durch die umliegenden Wälder und lernten die Sagen um den schlesischen Berggeist Rübezahl auswendig. Jeder Spaziergang endete in einem Kaffee. Sie kommen dabei zu der Erkenntnis, dass sie ihrem eigenen Backtrieb eine Kaffeestube hinzufügen müssen.

    Mit Unterstützung des Vaters und Altbäckers gelingt die Verwirklichung in kurzer Zeit.

    Traudel, glücklich über ihren Zustand, arbeitet nur noch wenige Stunden am Tag. Hauptsächlich in der Konditorei. Ihre Torten mit den herrlichen Verzierungen sind einfach durch nichts zu übertreffen. Klaus hofft auf eine schnell verlaufende Geburt, damit sie nicht allzu lange ausfällt. Seine Gedanken weilen nur noch bei dem künftigen Thronfolger. Auf die Idee, dass es eine Thronfolgerin werden könnte, kam er nicht. Sein Vater Rudolf sieht das entspannter und wäre auch mit einer Thronfolgerin glücklich. Unter seinem jetzigen Personal befindet sich eine Polin, die mit jedem seiner Bäcker und dem Konditor mühelos mithalten kann. Also warum nicht?

    Richard Hofmeister besteht seine Flugzeugführerprüfung mit Bravur und wird sofort zum Oberleutnant der Reserve befördert. Ein solcher Erfolg muss üblicherweise mit den Kameraden feuchtfröhlich gefeiert werden. Der gesamte Kurs zieht unter Richards Führung durch die Breslauer Altstadt und landet schließlich gegen Mitternacht im »Schlauen Felix.« Gleich neben dem Kaffee »Drei Neger.« Der Schlaue Felix, ein Bierlokal, wird überwiegend von Studenten und deren Verbindungen aufgesucht. An diesem Abend gehört es mehrheitlich der Luftwaffe. Man lässt die gläsernen Stiefel kreisen. Der letzte Trinker bezahlt die nächste Runde. Etwa fünfzig angeheiterte angehende Jagdflieger verlangen mehr. Felix, der Wirt, trägt den Zusatz »schlau« nicht umsonst. Er beschafft in kürzester Zeit eine kleine Kapelle und eine Reihe junger Frauen, die zum Weitertrinken animieren. Sie heizen die Stimmung an und fordern die bereits etwas träge gewordenen Krieger zum Tanzen auf. Neben Richard setzt sich ein bezauberndes rothaariges Geschöpf. Richard erlebt gerade in einem aufregenden Gespräch seine bestandene Prüfung noch einmal, als er ihre Hand in seinem Schritt bemerkt. Sie hält fest, was er dort zu bieten hat. Elvira, sonst Verkäuferin in einem Breslauer Warenhaus, jetzt auf der Pirsch, will einen aufregenden Abend erleben. Sie lehnt sich an ihn und fordert ihn schließlich auf mit ihr zu tanzen. Es geht dabei sehr eng zu. Richard spürt ihren Körper, der sich mit Macht an ihn drängt. Dann flüstert sie: »Möchtest du mich haben?« Richard, der seine Annegret bis dahin noch nie betrogen hatte, weiß nicht so recht, was er antworten soll. Eine stabile Blonde klatscht seinen Tanz ab und macht dort weiter, wo Elvira unterbrochen wurde. »Schau mal meine dicken Brüste. Möchtest du mal? Mit mir erlebst du den Himmel auf Erden. Ich bin gut! Sogar sehr gut!« – »Woher weißt du das?« – »Man sagt es mir immer wieder! Komm, wir gehen nach draußen, dann beweise ich es dir.« – »Vielleicht später. Jetzt noch nicht.« – »Du bist aber jetzt heiß. Ich fühle es doch.«

    Richard bricht den Tanz mit ihr ab. An seinem Tisch erwartet ihn Elvira. »Was du da machst, ist unfair. Ich habe dich heiß gemacht und will jetzt auch die Früchte des Erfolges ernten.« Die Kapelle beginnt, einen langsamen Walzer zu spielen. Elvira zieht ihn fort und tanzt zwei Runden mit ihm. Durch den Alkohol gelöst geht er auf ihr Spiel ein. In ihm kriecht ein Gefühl hoch, das ihm sagt: Jetzt muss schnell etwas passieren. Elvira bemerkt es, unterbricht den Tanz und schiebt ihn durch eine Seitentür in einen dunklen Nebenraum. Richard lehnt sich keuchend an die Wand und bemerkt ihre flinken Finger in seiner Hose. Sie kniet jetzt vor ihm und löst bei ihm eine gewaltige Explosion aus. »Komm, wir gehen jetzt zu mir. Ich möchte jetzt das Gleiche erleben wie du!« Richard, noch ganz benommen, willigt ein.

    In einem dunklen Treppenhaus geht es aufwärts. In der zweiten Etage schließt sie eine Tür auf und führt ihn ohne das Licht einzuschalten über einen langen Korridor ins Schlafzimmer, fällt wie eine Raubkatze über ihn her und ist dabei unersättlich. Richard erlebt ein Intermezzo von immer wiederkehrenden Höhepunkten, bis in den frühen Morgen hinein. Jedes Mal wenn er glaubt, das war es, führt sie ihn mit neuen Einfällen und Praktiken zu neuen Höhen. Für Richard, der vor Annegret nur wenige flüchtige Bekanntschaften erlebte, ein vollkommen neues Lebensgefühl.

    Er erwacht am folgenden Tag ziemlich benommen alleine in einem fremden Bett. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es für den 10-Uhr-Zug nach Schweidnitz bereits zu spät ist. Auf dem Nachtisch findet er ihre Nachricht. Sie bittet ihn darin, wieder zu kommen. Er kleidete sich in Windeseile an, schlägt die Wohnungstür zu und springt, indem er jeweils zwei Stufen auf einmal nimmt, die Treppe hinunter. Auf dem Ring neben dem Rathaus erwischt er ein Taxi und fährt zu dem Kasernenbereich am westlichen Stadtrand. Seine Kameraden sind bereits abgereist und neue Prüflinge beziehen die freien Quartiere. Als er seinen Kleiderschrank öffnet, fallen ihm viele Zettel mit Anschriften und Telefonnummern der Kameraden entgegen, die durch einen Türspalt eingeworfen wurden. Er packt schnell den kleinen Koffer, richtet seine blaue Uniform, schnallt ein neues Koppel um und ist reisefertig.

    Vor dem Kasernenbereich besteigt er den Luftwaffenbus, der zwischen Hauptbahnhof und Kaserne verkehrt. Dreißig Minuten später steht er auf Bahnsteig zwei. Der Zug läuft ein und sofort bilden sich Menschentrauben vor den Einstiegen. In seinem Abteil angekommen, prallt er mit einem Fahnenjunker der Panzerwaffe zusammen. Er erkennt seinen Schwager Hans Weidner, der aus einem Standort bei Stuttgart kommend auf dem Weg zu seinem Vater nach Groß Wierau ist, um dort acht Tage Urlaub zu verbringen. Die Freude ist groß und durch intensives Erzählen vergeht die Fahrt wie im Fluge. Richard berichtet von dem bevorstehenden Ereignis und will Hans überreden, wenigsten eine Nacht bei ihnen in Schweidnitz zu bleiben. Doch Hans will unbedingt den 16-Uhr-Bus nach Groß Wierau erreichen.

    Sein Vater Robert Weidner nahm unfreiwillig am Ersten Weltkrieg als Spieß bei den Pionieren teil. Als er endlich nach Hause kommt, stirbt seine Frau und zwei Monate später sein ältester Sohn Otto. Er stand damals mit seinen Töchtern Giesela, Annegret und dem jüngsten Sohn Hans vor einem schwierigen Neuanfang. Der kleine Hof und die Stellmacherei sind zwar schuldenfrei, doch die Kasse ist leer und der Viehbestand durch Zwangsabgaben für den Krieg bis auf eine Milchkuh, zwei Ziegen, ein Schwein und ein paar Hühner abgewirtschaftet. Robert hatte damals Glück im Unglück. Sein ebenfalls aus dem Krieg heimgekehrter Freund Rudolf Walter machte ihn mit dem Grafen Meltenberg aus Altwasser bekannt. Der und sein Schwager in Portugal, der Comte von Tobe, betreiben unter anderem je ein großes Gestüt. Gemeinsam überredeten sie Robert einen leichten Jagdwagen zu konstruieren, den sie zusammen mit ihren Pferden verkaufen möchten. Meltenberg übernahm die Finanzierung. Robert arbeitete am Tage in seiner Landwirtschaft und nachts an den Plänen für einen Wagen, den man in dieser Ausführung bis dahin nicht kennt. Es wurde ein Galleschen ähnliches leichtes Fahrzeug, in das er, für damalige Verhältnisse einmalig, eine mit dem Fuß zu betätigende Bremse einbaut. Diese Bremse ermöglicht es bei längerer Talfahrt und in schwierigem Gelände, die Zugpferde kontinuierlich oder je nach Bedarf zu entlasten. Die Feststellbremse für das Abstellen des Fahrzeuges bleibt davon unberührt. Ein erstes Fahrzeug wurde von Graf Meltenberg während eines Fahrturniers vorgestellt und findet große Beachtung. Der in Portugal lebende Schwager des Grafen ist von dem Ergebnis sehr angetan und bittet Robert um ein Treffen in Berlin. Robert fuhr zusammen mit dem Grafen nach Berlin. Der kleine Bauer und Stellmacher aus Schlesien erlebte die nach dem Ersten Weltkrieg wieder erstarkende Hauptstadt. Der Comte, ein erfahrener Geschäftsmann, sichert sich das Verkaufsrecht des Weidner-Wagens für ganz Europa – ausgenommen das Deutsche Reich. Er bestellte sofort drei Vorführfahrzeuge. Meltenberg erklärte sich bereit, die Finanzierungen weiterhin zu übernehmen. Außerdem will er das Verkaufsrecht für das Deutsche Reich. Dann stoßen sie gemeinsam und ergriffen mit einem Glas Sekt auf das Gelingen an. Graf Meltenberg, der mit Roberts Bäckerfreund Rudolf eng befreundet ist, bietet ihm das Du an. »Also auf Franz und Robert!« Anschließend stoßen sie auf Wunsch des Comte noch einmal an: »Männer! Das ist die Geburtsstunde des Schnellen Weidner!«

    Nachdem der Comte gegangen ist, um noch weitere Termine wahrzunehmen, erklärt ihm Meltenberg respektive Franz: »Robert, mein Schwager ist ein vorzüglicher ehrenwerter Geschäftsmann. Außerdem stehe ich dir gegenüber jederzeit für ihn ein. Also konzentriere dich nur auf die Herstellung. Alles Andere machen wir.«

    Nachdem das Geschäftliche erledigt ist, entschließt sich Robert einen kleinen Teil seines Reisegeldes in das Berliner Nachtleben zu investieren. Er erlebt eine bisher nie gekannte Glitzerwelt. Über Breslau war er bisher nicht hinausgekommen. Die feinen Lokale, die Revuen, die Nachtclubs, die hübschen Tänzerinnen und Frauen, die nach entsprechender Bezahlung mit in Separees gehen, dort ihre Hüllen fallen lassen und unter Umständen noch mehr bieten.

    Robert, der nach dem Tode seiner Frau keinen Gedanken an körperliche Kontakte verschwendete, ist von der Kleinen Mizi recht angetan. Er beschließt, ein weiteres Lokal aufzusuchen. Im Troadeo trifft er Lilly, eine kleine etwas mollige Schöne, die bereit ist, ihm für einen entsprechenden Zuschuss alles zu geben. Sie nimmt Robert und verschwindet mit ihm durch einen Hinterausgang. Lilly, ein Vollblutweib, gefällt der derbe Bauer aus Schlesien. »Lass uns in meine Wohnung gehen! Wir machen es uns dort gemütlich.«

    Nach kurzer Fahrt mit einem Taxi kommen sie in Lillys Wohnung an. »Sehr gemütlich!«, stellt Robert fest. Während Lilly zwei Gläser mit Sekt füllt, überbrückt er die Zeit mit Schwärmereien über sein schönes Schlesien. »Nu lass ma. Icke bin Berlinerin und nu wolln wer doch mal kieken, wat son Schlesier vom Lande alles droff hat.« Robert spürt ihre flinken Hände und heißen Lippen an seinem heiligsten Körperteil und muss sich nach kurzer Zeit bereits geschlagen geben. Er schaut erschrocken auf Lilly. »Det macht nischt, du wirst mich jetzt erst richtig kennenlernen.« Ihr Unterleib kreist nun über seinem guten Stück und bringt ihn erneut zu einem Höhepunkt. Sie ist unersättlich und gönnt ihm nur wenige Pausen. Lilly gehört zu den Frauen, die selbst großen Spaß an der intimen Zweisamkeit finden. Robert, der derbe Bursche vom Lande, entwickelt ungeahnte Kräfte und dreht das Spiel langsam zu seinen Gunsten. Erst als der Morgen graut, schlafen sie sich in den Armen haltend ein.

    Gegen Mittag verabschiedet sie ihn mit den Worten: »Du bist schon etwas Besonderes und könntest meine Dauerliebe werden. Einen Schlesier vom Lande hatte ich noch nicht.« In seinem Hotel erfährt er von der Abreise des Comte und dass der Graf in einem Kaffee um die Ecke auf ihn wartet. Meltenberg sieht ihm lächelnd entgegen. »Du hast deinen Betrag aber redlich ausgenutzt.« – »Na ja, ich bin seit einiger Zeit Witwer und die Bauernweiber, wenn man sie ins Bett bekommt, wollen immer gleich heiraten. So weit bin ich noch nicht. Meine Frau habe ich geliebt, es ist ein Jammer, dass sie so schnell von uns ging.« – »Robert, du musst dich nicht entschuldigen. Berlin bleibt eben Berlin. Breslau ist da wesentlich zugeknöpfter. Schweidnitz? Ich glaube, da gibt es überhaupt nichts.« – »Denkst du an eine erneute Heirat?« – »Denken schon, doch die richtige Frau ist schwer zu finden.« – »Ich bin aber auch ein Spinner. Liebe soll es sein, Verstand und eine gute Wirtschafterin noch dazu.« – »Das ist sicher schwer zu finden? Ich habe Glück mit meiner zweiten. Sie ist ein Schatz. Deshalb bin ich ihr auch letzte Nacht treu geblieben.«

    Vom schlesischen Bahnhof aus ging es zurück nach Breslau. Robert steigt um nach Schweidnitz und der Graf nach Waldenburg. Robert verpasst in Schweidnitz den Autobus. Er macht sich auf den Weg zu den Hofmeisters, um dort zu übernachten, trifft unterwegs aber den Verwalter des Dominiums aus Klein Wierau, der ihn in seinem Wagen mitnimmt.

    In den nächsten Wochen und Monaten muss vieles erledigt werden. Zuerst ruft er Freund Rudolf Walter an und erzählt ihm von seinen Glück.

    »Robert, lass es dir gesagt sein, nicht Glück alleine ist entscheidend. Viel wichtiger ist das Können. Und du kannst!« Dann beginnen die Vorbereitungen.

    Er bestellt Beschläge und besondere Hölzer, die er nicht in seinem Lager hat. Ein guter Stellmacher als Vorarbeiter und zwei bis drei Gesellen müssen eingestellt werden. In den Händen von seiner ältesten Tochter Giesela wird künftig die Verwaltung der Stellmacherei und des Bauernhofes liegen. Zusätzlich stellt er noch einen Großknecht ein. Dann muss an die noch kleine Stellmacherei ein großer Raum für die Montage der Wagen angebaut werden. Als Spieß lernte er das Organisieren und Delegieren. Eine Hypothek für den Anbau muss aufgenommen werden und die Aufträge der umliegenden Bauern darf er nicht vernachlässigen. Giesela ist geschockt, übernimmt aber schließlich ohne zu murren die ihr zugewiesenen Aufgaben. Ihr derzeitiger Freund und Geliebter wendete sich daraufhin einer anderen Frau mit mehr Zeit zu. Der durchreisende Stellmachergeselle Julius aus Holland wird sein Vorarbeiter in der Stellmacherei. Zwei Gesellen aus Goglau kommen hinzu. Ein Lehrjunge wird in Groß Wierau gefunden. Unvorhergesehen bestellt das Dominium aus Klein Wierau drei große Leiterwagen, die bis zur Kornernte geliefert werden müssen. An dem Werkstattanbau wird Tag und Nacht gearbeitet. Eine Stellmacherei aus Tampadel, die weniger zu tun hat, leiht ihm zwei Gesellen. Richard, sein Schwiegersohn, obwohl Maschinenbauingenieur, fertigt ihm an Wochenenden die Zeichnungen für die Leiterwagen an. Julius ist ein wahrer Glücksgriff. Er entlastete seinen Chef, wo immer er kann und führt die Stellmacherei, während sich Robert um seinen Hof kümmert, eigenverantwortlich.

    Giesela, seine Alteste, funktioniert. Sie gibt Bestellungen auf, überwacht die Lieferung und die Arbeiten auf dem Bauernhof. An Wochenenden arbeitete sie das auf, was sie während der Woche nicht schafft. Robert nimmt noch eine weitere Hypothek auf und beweist zum zweiten Male eine glückliche Hand, indem er Otto Kaminski, einen Saisonarbeiter aus Polen, überredete, bei ihm zu bleiben. Er macht ihn zu seinem Großknecht. Er kommt mit den mehr werdenden Mägden und Knechten gut aus und ist ein erfahrener Bauer. Er verliert nie die Geduld und ist dafür bei allen hoch angesehen.

    Der Hof wird zwangsläufig größer und die Nachbarn tuscheln:

    »Bei dem Weidner geht es steil bergauf.« Schließlich muss Robert mehr Wohnraum für sein Personal beschaffen. Ein in der Nähe seines Hofes liegendes Gesindehaus wird kurzerhand gekauft und modernisiert. Für Knechte und Gesellen ist es inzwischen eine Ehre, für den Weidner zu arbeiten. Er zahlt aber auch die höchsten Löhne.

    Giesela stöhnt unter der Last, die sie trägt. »Mädel, ich weiß, was ich dir antue, aber wir müssen da jetzt durch. Sobald ich die passende Frau finde, bist du frei!« – »Ja, ist gut. Ich schaffe das schon. Lass dir Zeit. Schließlich kannst du ja nicht die Erstbeste heiraten.«

    Das vor langer Zeit bestellte Zusatztelefon trifft endlich ein und erleichtert vieles. Der Hof vergrößert sich zusehend. Pferde, Ochsen, Kühe und Kleinvieh werden mehr. Erhebliche Futtermengen sind heranzuschaffen. Die Treffen mit Freunden und Rudolf werden weniger. Man beschränkt sich auf das Telefonieren. Der erste schnelle Weidner wird zur versprochenen Zeit fertig. Ein Spediteur bringt ihn nach Altwasser und nach dreitägiger Erprobung nach Hamburg zum Versand per Schiff. Fritz, Graf aus Berlin, ein Freund von Franz, ist begeistert.

    »Mensch, Robert, ich habe es immer gewusst. In dir schlummert etwas Großes.« Auch Rudolf kommt mit seinem neuen großen Opel-Kapitän und staunt nicht schlecht. Sie fallen sich in die Arme: »Mensch, Robert, du bist schund a verrickter Hund!«

    Ein Fotograf macht Aufnahmen für die Verkaufsunterlagen. Der zweite Wagen ist in Arbeit. Zusätzlich müssen zwei Erntewagen für einen Großbauern zusammengestellt werden. Der Comte von Tobe ist so begeistert von dem »Schnellen Weidner«, dass er ihn für sich behält und ihn fortan mit edlen Pferden aus seiner Zucht bei internationalen Fahrturnieren vorstellt. Innerhalb von drei Monaten verkaufte er zehn Fahrzeuge und gibt die Bestellungen umgehend an Robert weiter.

    Der neue große Werkstattraum wird gerade rechtzeitig fertig. Jetzt kann er drei bis vier Wagen zu gleicher Zeit montieren. Die landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge stellt man zwischenzeitlich in einem ehemaligen Vergnügungszelt her, das Robert von einer Brauerei kaufte und hinter dem neuen Montageraum aufstellen ließ. Die Stellmacherei und auch der Bauernhof werfen trotz der vielen Investitionen bereits erste Gewinne ab. Robert löst damit eine ältere Hypothek ab.

    Inzwischen sind Jahre vergangen. Trotz seiner vielen Angestellten vereinsamte er. »Wie schön war es doch damals in Berlin.« Die Mädchen waren nicht gerade billig, aber willig. Der sonntägliche Kirchgang war über lange Zeit seine einzige Ablenkung. Schließlich raffte er sich endlich auf, putzte sein Motorrad, eine alte BMW, und besucht seinen Freund Rudolf. Die Bäckerei und Konditorei laufen inzwischen gut. Rudolfs Sohn Klaus ist ein Könner und setzt seine Ideen erfolgreich um. Schwiegertochter Traudl und Rudolfs Ehefrau bereichern die Konditorei mit immer neuen Ideen. »Ja, diese Ehefrau! Ein Goldstück.« – »Rudolf, du weißt überhaupt nicht, wie gut es dir geht.« – »Doch, doch, schon. Aber ich konn ja nimmer.« – »Ich glaube, das brauchst du auch nicht mehr.« – »Aber Robert, die lange Weile, das is des Problem!« – »Ihr habt jetzt auch ziemlich viel Angestellte?« Rudolf überlegte. »Na 15 schon.« – »Ich beneide dich um deine Frau.« – »Das glob ich. Du wirschder och bale mal ene zulegen müssa. Wie machste denn das überhaupt? Haste irgendwo a ale Wittwe?« – »Komm, lass uns über was Anderes reden.« – »Also nischt? Ich wer mich a mal für dich umhörn.« Robert dachte flüchtig an Lilly, die ihm das Wiederkommen anbot. Aber Berlin ist für diesen Spaß zu weit und wer weiß, ob es sie nach all den Jahren noch gibt.

    Während der Rückfahrt am Montag ließ er die Zeit seines schnellen Aufbaues wie einen Film an sich vorüberziehen.

    »Hoffentlich bringt die Giesela mal einen tüchtigen Bauern oder Stellmacher nach Hause. Sie ist jetzt meine einzige Hoffnung.«

    An Roberts Tisch sitzen zu den Mahlzeiten inzwischen zweiundzwanzig Personen. Sie alle sind glücklich. Einige haben Verhältnisse miteinander. Nur er und Giesela bleiben alleine. Eine neue Scheune wird gebaut und die Stallungen werden vergrößert. Der Viehbestand wächst. Pachtweiden und Acker werden hinzugenommen. Eine junge Frau tippt stundenweise Bestellungen, Briefe und Angebote auf einer alten Torpedo-Schreibmaschine.

    Am Freitag, den 8. April 1938, belädt Robert sein Motorrad. Er will zuerst zu einem seiner Holzlieferanten nach Endersdorf, dann zu seinem Schmied, der die Radreifen für ihn herstellt, und am gleichen Abend noch nach Reichenbach zu Freund Rudolf. Hier will er den Samstagvormittag verbringen, um am Nachmittag über die gut ausgebaute Reichsstraße 115 nach Schweidnitz zu fahren. Das Gefühl, seiner Tochter Annegret in schwerer Stunde beizustehen zu müssen, beherrscht ihn schon seit Tagen. Wie immer wird er bei Annegrets Schwiegereltern Carl und Klara Hofmeister übernachten. In ihrer großen Villa gibt es viel Platz für Gäste. Die Hofmeisters, obwohl selbst in einem höheren Bildungsstand, schätzen Robert, den robusten Landwirt und Stellmacher, sehr. Besonders Carl liebt es, sich stundenlang mit ihm zu unterhalten. Schließlich sind sie beide tüchtige mittelständische Unternehmer. Carl ist ein belesener ruhiger Mann, der erst das Für und Wider abwägt, bevor er handelt. Als junger Mann trat er nach dem Verlassen des Gymnasiums in den Dienst der Reichsbahn und schaffte es bis zum Reichsbahnobersekretär. Nebenher beschäftigte er sich mit der Telegraphie und Radiotechnik. Was schließlich dazu führte, dass er im fortgeschrittenen Alter von fünfzig Jahren zusammen mit dem begüterten und kaufmännisch gebildeten fünfzehn Jahre jüngeren Armin Rot eine kleine Radiofabrik eröffnete. Mit 10 Mitarbeitern stellten Sie unter dem Namen Hofrot-Block Baukästen zur Selbstanfertigung von Radiodetektoren her. Das Geschäft damit lief sehr gut. Es führte dazu, dass sie sich schnell um größere Räume und mehr Personal bemühen mussten. Nach zwei Jahren verließ das erste von Carl Hofmeister konstruierte Radio das Fließband. Später kommen größere Apparate und Grammophone hinzu. Zugpferd bleibt das kleine Radio Hofrotmicra. Es ist der Umsatzträger. Armin Rot, ein sehr versierter Verkäufer, schaffte es, das Gerät in andere europäische Länder zu exportieren. Carl musste die Produktion erheblich erweitern. Inzwischen stehen auch Luxusradios, die weniger preiswert und in Einzelanfertigung hergestellt werden, im Programm. Das Verhältnis beider Partner ist seit der Gründung ausgezeichnet. Armin Rot, jüdischen Glaubens, ist alleinstehend und wird in die Hofmeister-Familie wie ein Sohn aufgenommen. Er liebt das Reisen und wird ständig von hübschen jungen Frauen umgarnt. Er baut eine Händlerkette auf, die Österreich, die Schweiz und die skandinavischen Länder einschließt. Carl konzentriert sich ganz auf die Entwicklung und Verwaltung. Im fünften Jahr ihres Bestehens ziehen sie in ein neues einhundert Meter langes Produktionsgebäude um. Der Personalbestand pendelt zwischen siebzig und achtzig Mitarbeiter. Die Einzelteile für die Geräte kauft man von einschlägigen Herstellern zu. Carl arbeitet in seinem Entwicklungslabor, das er praktischerweise in seine Villa verlegte, zum Ärger der resoluten Klara gerne nachts darin. Bis zu einhundert Meter lange Drahtantennen, die er über das Grundstück spannt, ermöglichen ihm mühelos mit seinen Geräten ferne Sender wie Königsberg, Beromünster und London zu empfangen. Carl verfolgt so dank seiner Sprachbegabung das Weltgeschehen. Klara fordert mehr Privatleben ein und versucht ihren Sohn Richard für das mittelständische Unternehmen zu interessieren. Doch seine Prioritäten liegen woanders.

    Nach dem Besuch der Ingenieurschule in Thüringen, einem Zwischenstopp in Halle an der Saale arbeitet er als Konstrukteur und Gruppenleiter wieder bei seiner Lehrfirma S & D. Er findet sich selbst nicht reif genug für das Führen des inzwischen auf neunzig Mitarbeiter angewachsenen Unternehmens. Seine Liebe gehört der Fliegerei. Nach der Mitarbeit in verschiedenen Segelfliegerclubs meldete er sich als Reservist bei der langsam wieder erstarkenden deutschen Luftwaffe. Dank seiner Vorkenntnisse wird er gefördert und geht nach relativ kurzer Zeit als Leutnant der Reserve zurück in das Zivilleben. Durch Übungen, zu denen er immer wieder einberufen wird, gelingt ihm der Flugzeugführerschein. Die Luftwaffe führt ihn ohne sein Wissen bereits auf der Liste ihrer Jagdflieger. Richard hingegen denkt nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg an keinen weiteren und sieht das Ganze als eine sportliche Disziplin. Seine Schwester Christel arbeitet anfangs in dem Verkaufsbüro der Hofrot-Gesellschaft mit, verliebt sich nach kurzer Zeit in den sympathischen Kriminalkommissar Fritz Haber und zieht nach ihrer Heirat zu ihm nach Breslau. Carls Hoffnungen auf baldige Unterstützung zerschlagen sich. Klara sieht das anders: »Unsere Kinder sind noch nicht reif für diese Aufgabe und außerdem, Carl, bist du auch erst mit fünfzig selbstständig geworden.« In Absprache mit seinem Partner stellt er zu seiner Entlastung einen jungen Ingenieur ein, den er bei einer Konkurrenz in Berlin abwarb. Der junge Mann entwickelt sich schnell, verbessert den Ablauf des bestehenden Montagebandes und stellt mit Carls Genehmigung ein zusätzliches moderneres Band auf. Armin und Carl ernennen ihn nach kurzer Zeit zum Fertigungsleiter. Carl spürt jetzt die Entlastung deutlich und zieht sich ganz in die Verwaltung und Entwicklung zurück. Außerdem verbringt er mehr Zeit mit Klara und frischt alte Freundschaften wieder auf.

    Armin Rot gründet mit Carls Zustimmung eine neue Firma, die von Zürich aus den Verkauf nach Holland, Belgien, Frankreich und Italien anbahnt. Aufgrund der günstigen Entstehungskosten können die Hofrot-Apparate im internationalen Vergleich mithalten.

    Armin, ein exzellenter Verkäufer, liebt das süße Leben, umgibt sich mit vielen Verehrerinnen und fehlt bei keiner Feier. Nach kurzer Zeit errichtet er in Zürich ein Zentrallager, das die Händler der angrenzenden Länder schneller beliefern kann. Carl muss den Höhenflug leider bremsen. Seine Zulieferfirmen, die im Geheimen für die Rüstungsindustrie arbeiten, können ihn nicht mehr mit der gewohnten Schnelligkeit und benötigten Mengen beliefern. Während einer Geburtstagsfeier kürt Klara Armin zu einem Weiberhelden und achtet künftig darauf, dass Carl nicht zu oft mit ihm verreist. Klara, ein Vulkan an Lebensfreude, schätzt die ruhige Art Carls. In seinen Armen erholt sie sich nach anstrengenden Tagen. Auch Sohn und Tochter konsultieren gerne den Vater. Im Freundeskreis gilt er als »der Denker«. Seine Mitarbeiter verehren ihn, weil er gut bezahlt und immer hilfsbereit an ihrer Seite steht. Carl besitzt 60 Prozent der Firmenanteile, handelt aber nie ohne die Zustimmung seines Partners.

    Die Hofmeisters sind evangelisch und schätzen den sonntäglichen Kirchgang. Seit dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze (rechtlose Ausnahmebestimmung gegen Juden) im Oktober 1935 wird es für Armin Rot im Deutschen Reich schwierig. Anfang März 1936 erkennt der inzwischen 64-jährige Carl die Zeichen der Zeit. Er leert seinen Privattresor, packt eine Menge Geld in einen Rucksack und fährt mit dem Zug an die Schweizer Grenze. In dem Ort Grenzach findet er einen Führer, der ihn für eine stattliche Summe nachts über die Grenze bringt. In Basel trifft er Armin Rot.

    In Zürich überträgt Carl seine Anteile an der 1932 gegründeten Verkaufsgesellschaft Arika AG an Armin. Zusätzlich erhält er aus Carls Rucksack eine hohe Summe Reichsmark und einen Satz Konstruktionszeichnungen von drei Radiotypen. Im Gegenzug übergibt Armin notariell beglaubigt seine Anteile an der Hofrot AG an Carl. Der Abschied ist schmerzhaft. Carl versichert: »Du bleibst für immer mein zweiter Sohn.«

    Die zurückgegebenen Anteile erhalten, da bei Richard weiterhin kein Interesse vorhanden ist, Klara und Tochter Christel.

    Mit Wirkung vom 10 Juli 1936 wird der Firmenname in Hofmeister AG geändert. Sämtliche produzierten Geräte erhalten im Inland neue Bezeichnungen. Für den Export, der jetzt nur noch über die Schweiz abgewickelt wird, erhalten die Geräte in Zürich ihre alten Bezeichnungen. Armin stellt für die Arika AG zwei Verkaufsleiter ein und tritt selbst nach außen nicht mehr in Erscheinung. Er arbeitet an neuen Projekten und will künftig Schallplatten herstellen.

    Am 12. März 1938 wurde Österreich annektiert bzw. dem Deutschen Reich angeschlossen. Der inzwischen eingestellte neue Verkaufsleiter der Hofmeister AG Günter Weise reiste nach Wien und arrangierte dort den Verkauf für ganz Österreich. Günter Weise stammt aus Breslau und ist ein würdiger Nachfolger für Armin Rot im Verkauf.

    Carl kommt am 8. April von einer Geschäftsreise zurück und übergibt Klara sein Reisegepäck. Sohn Richard meldet sich telefonisch zurück. Klara ist der Auffassung: »Es ist knapp, aber gerade noch rechtzeitig.« Man rechnet jetzt täglich mit Annegrets Niederkunft.

    Es dunkelt schon als Robert Weidner sein Motorrad vor der Bäckerei des Freundes Rudolf anhält. Der Walterklan erwartet ihn bereits, dieses Mal verstärkt durch Rudolfs Schwägerin und deren Freundin, einer Dänin, die in Breslau lebt. Robert bekommt wie immer das kleine Gästezimmer. Er schält sich aus seinem Kleppermantel, der ihn während der Fahrt vor Wind und Regen schützt, wäscht sich und schaut anschließend in den Spiegel über dem Waschbecken. Es blickt ihm ein jünger aussehender gestählter Mittfünfziger mit leuchtend blauen Augen und sonnengebräunter Haut entgegen. So weit alles in Ordnung, nur der Haarwuchs macht ihm Kummer. Er wurde mit den Jahren schwächer. Ansonsten vermittelt er den Eindruck eines zufriedenen Draufgängers. Bis auf einen Punkt fühlt er sich auch so. Ihm fehlt eine Partnerin für sein Herz. Natürlich auch um die Tochter zu entlasten. Jedes Mal, wenn er an sie denkt, bekommt er ein schlechtes Gewissen. »Ich stehle dem Mädel die Jugend und die Chancen auf eine eigene Familie.«

    Nachts hörte er sie oft durch die dünne Wand zwischen ihren Zimmern weinen. Sie hat kein Glück mit jungen Männern, die sie gelegentlich kennenlernt. Für die meisten ist sie zu selbstständig und fordernd. Aufgrund der wenigen Freizeit, die ihr bleibt, ergreift sie jeweils die Initiative, um schnell ans Ziel zu gelangen. Nur Wenige wünschen sich eine selbstsichere und starke Frau an ihrer Seite. Den Vater, ihr großes Vorbild, liebt sie abgöttisch. Seine Aufbauleistungen und die Dynamik, die er an den Tag legt, sind für sie bewundernswert.

    Ein Klopfen an der Tür unterbricht seine Gedanken. Rudolf holt ihn zum Abendbrot. Robert wird an dem langen Tisch zwischen Rudolfs Schwägerin Eva und deren Freundin Ola platziert. Eva ist seit dem Tode von Rudolfs Bruder alleinstehend. Da die Ehe kinderlos blieb, verpachtete sie den gemeinsam betriebenen Bauernhof und lebt nun von den nicht unerheblichen Einnahmen. Mit 46 Jahren eine respektable und gut aussehende Person. Ihre Freundin Ola Henrikson ist vier Jahre jünger, stammt aus Dänemark und ist mit ihrem hellblonden Haar und den strahlend blauen Augen eine nordische Schönheit. Sie lebt zurzeit in Breslau und arbeitet im Einkauf bei Kaufhaus Wild. Im Gegensatz zu Eva, die Robert pausenlos mit Fragen bombardiert, ist sie ruhig und zurückhalten. Nur ihre Augen verraten Interesse an Robert. Ihre Blicke kreuzen sich. Robert bekommt Herzklopfen. Er überlegt, wie er die aufdringliche Eva abwehren kann, findet aber keine Lösung. Rudolf, der Freund, kommt ihm zu Hilfe. »Nu lass den Robert doch a mal in Ruhe assa!« Eva zügelt ihre Erregung. Von ihrem inneren Ziel, der Mann hat etwas und ich will ihn haben, lässt sie nicht ab. Robert und Rudolf essen betont langsam. Rudolf schenkt ihr ständig Wein nach und hofft so ihr offenkundiges Interesse an Robert zu dämpfen. Robert gelingt es, ein paar Worte mit Ola zu wechseln. Ein Blick aus ihren großen blauen Augen sagt ihm: Auch ich würde dich gerne näher kennenlernen. Der Wein zeigt bei Eva erste Wirkungen. Sie überdreht. Rudolf zieht sich anschließend mit seinem Freund in das Raucherzimmer zurück. »Meine Fresse, Robert. Die Eva ist ja von dir angetan. Ich habe es mir doch gleich gedacht.« – »Erstaunlich, Rudolf, wie du auf einmal Hochdeutsch sprichst.« – »Du, die Eva ist eine herzensgute Frau. Sie war mit meinem Bruder glücklich, bis er halt so schnell starb.« – »Wie lange ist das jetzt her?« – »Drei Jahre und ich glaube, sie hat in der Zwischenzeit keinen Anderen gehabt.« – »Also wieder jungfräulich!« – »Ha, das Rad kannste nimmer mehr zurückdrehen.«

    Robert stellte für sich fest, dass Ola bis auf das blonde Haar sehr viel Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau hat, sagte aber nichts.

    »Du Robert?« – »Ja.« – »Die Dänin, das ist schon was Besonderes. Aber keene Bäuerin. Sie macht wohl in Breslau irgend so nen Schreibkram.«

    Robert ließ sich nicht aus der Reserve locken und quittierte das soeben Gehörte nur mit einem »Hm!« – »Aber weeßte, deine Gertrud kann keene ersetzen. Sie war schön, hat dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, vier Kinder geboren und deinen Hof über den Krieg weggebracht. Sie hat sich einfach zu Tode geschuftet.« Robert bekommt wässrige Augen und antwortete nicht mehr.

    »Du sagst nischt? Biste immer noch nich drüber weg?« – »Nein und das werde ich auch nie sein. Selbst wenn es eines Tages eine neue Frau in meinem Leben gibt.« Die Frage an seinen Herrgott: »Warum sie?«, blieb wie viele andere gleichfalls unbeantwortet.

    Zurück im Wohnzimmer setzt Eva ihr Trommelfeuer fort. Um ihrer Hektik zu entgehen, richtet Robert sein Wort an Traudl und Klaus Walter, die schweigend dem Ganzen zuhörten. Traudl, hoch schwanger, wartet darauf, den Walters einen Thronfolger zu gebären.

    »Wann wird es denn so weit sein?« Sie meint: »Die Hebamme ist ziemlich sicher, dass es der 9. oder 10. April wird.« Klaus ergänzt: »Genau weiß man das ja nie, denn die Natur lässt sich nun mal nicht ins Handwerk pfuschen.«

    Robert erzählt dann von seiner Tochter Annegret und stellt dabei fest, dass es so ziemlich der gleiche Termin sein wird.

    Man geht spät zu Bett. Eva und Ola müsen am nächsten Morgen schon früh nach Breslau fahren. Robert hat mehrfach versucht, mit Ola alleine zu sprechen. Doch Eva verhindert es. Sie erkennt die Konkurrenz und legt ein unsichtbares Netz über ihre Freundin. Robert liegt bereits eine Weile im Bett. An Schlaf ist nicht zu denken. Er überlegt angestrengt, wie er Ola doch noch eine Nachricht zukommen lassen kann. Dass sie ihn mag, steht außer Zweifel. Endlich siegt die Müdigkeit.

    Am nächsten Morgen erwacht er spät und findet einen Zettel, der offenbar in großer Eile unter seiner Tür hindurchgeschoben wurde. Es ist eine Nachricht von Ola. »Bitte ruf mich an!« Danach folgt die Nummer eines Telefonanschlusses in Breslau. Erleichtert schaut er wieder in den Spiegel über der Waschkommode und sieht darin ein vor Glück strahlendes Gesicht. Rudolf, der mit dem Frühstück auf ihn gewartet hat, übergibt ihm eine Nachricht von Eva. »Bitte melde dich, wenn du in Schweidnitz bist. Wir könnten zusammen etwas unternehmen.« Erst keine, dann zwei? Es läuft gut für ihn!

    Die Walterfrauen öffnen gerade ihr Kaffee. Heute müssen zwei Aushilfen ran. Traudel braucht Schonung. Um sich zusätzlich etwas abzulenken, liest sie Reisebeschreibungen über das Rheinland. Ihr Traum: ein Mal an den Rhein. Rudolf beugt sich zu Robert herüber: »Das mit der Eva war schon verrückt. Sie ist sonst eine nette liebenswerte Frau, aber gestern war sie total überdreht. Meinem Bruder war sie stets eine gute Frau und eine geschäftstüchtige Bäuerin. Liebe war es wohl nicht, aber im Bett soll sie eine Granate sein. Leider bekam sie keine Kinder. Seit dem Tode meines Bruders hat sie sich alleine durchschlagen müssen und ist dabei selbstsicherer geworden. Sie mag dich, Robert! Und du brauchst eine starke Frau. Die Giesela kannst du nicht für immer an dich binden. Du musst sie eines Tages ziehen lassen.« – »Du alter Kuppler!«

    Robert muss zugeben, dass er Eva trotz des gestrigen Theaters sympathisch findet. Wenn er an ihre hübsche leicht barocke Figur denkt, erzeugt das Sehnsüchte und Spannungen in seinen Lenden. Plötzlich schiebt sich ein anderes liebevoll drein blickendes Frauengesicht über Evas. Zwei große blaue Augen sehen ihn fragend an. Sie signalisieren: »Nimm mich, denn ich liebe dich!« Ein leichter Stich in seinem Herzen sagt ihm: »Sie ist die Richtige, es ist Liebe auf den ersten Blick.« Dann kommt die Erkenntnis: »Aber ich brauche eine Frau, die zupacken kann. Sie muss zumindest Giselas Verwaltungskram übernehmen.« In seiner Brust ringen plötzlich Liebe und Verstand miteinander. Rudolf errät seine Gedanken: »Diese Ola ist schon eine tolle Frau!« – »Weißt du mehr über sie?« – »Leider nur so viel, sie ist eine Austauschverkaufsleiterin aus Dänemark und arbeitet nur für kurze Zeit in Breslau.« – »Also muss ich schnell sein!«

    Sie sprechen noch über vieles und kommen dann zu dem politischen Teil. Sie werden sich einig, dass es mit Deutschland wieder aufwärtsgehen muss, aber ob Hitler dafür der richtige Mann ist, bleibt fraglich. Für Robert ist er zu schneidig und radikal. Rudolf mag das Geschrei in seinen Reden nicht. »Leider gibt es auf weiter Flur keine Alternativen. Die Sozialdemokraten haben versagt.« Rudolf ergänzt: »Der Druck seitens meiner Bäckerinnung auf mich, in die Partei einzutreten, wird immer größer.« Robert bestätigt, dass man ihn auch immer öfter dazu nötige. Gegen 12 Uhr will Robert nach Schweidnitz aufbrechen. Rudolf überredet ihn, noch bis zum Mittagessen zu bleiben. Seine Schwiegertochter Traudel hat für sie das schlesische Feiertagsessen gekocht. Es gibt Räucherrippchen mit Backobsttunke und Klößen. »Das schlesische Himmelreich.« Als Nachtisch folgen Mohnkließla QMohnklöße). Anschließend rauchen sie ihren Feiertagsstumpen und philosophieren über ihr schönes und friedliches Schlesien. Robert, der aufgrund seiner Wagenlieferungen schon in den verschiedenen Teilen des Deutschen Reiches war, sagt, er könne nie in einer anderen Gegend leben. Der Schlesier sei schon etwas Besonderes. Das Land mit seinen Städten, Orten, Gebirgen, Flüssen und Auen ist in seiner Schönheit durch nichts zu überbieten. Angetörnt von einigen Gläsern Stonsdorfer nicken sie ein und schnarchen kräftig vor sich hin.

    Gegen 16 Uhr schreckt Robert hoch, wirft einen langen Blick auf seinen noch schnarchenden Freund, verabschiedet sich von den jungen Walters und knattert mit seinem Motorrad davon.

    Gegen 19 Uhr kommt er bei Klara und Carl Hofmeister an. Man hatte sich lange nicht gesehen und tauscht viele Neuigkeiten aus. Hauptthema ist natürlich die bevorstehende Geburt des ersten Enkels. Robert ist es ziemlich gleich, ob Junge oder Mädchen. Klara will unbedingt einen Jungen und begründet das nach Königsart mit der gesicherten Nachfolge für die Firma. Carl Hofmeister lacht. »Bis dahin läuft noch viel Wasser die Weistritz hinunter.« Er erzählt Robert, dass er so halb gezwungen einen Auftrag über die Herstellung von Teilen für Funkgeräte der Wehrmacht übernehmen musste. Sein neues großes Radio Hofstern kann er nun leider erst im nächsten Jahr herausbringen. »Das ist schade, denn seine Verkäufer haben dafür schon kräftig Werbung gemacht. Das neue Kofferradio gespeist durch Trockenbatterien leidet ebenfalls darunter. Der Batteriehersteller kann bedingt durch Rüstungsaufträge nicht liefern. Na ja, das Deutsche Reich rüstet eben auf.« – »Aber Carl, wo soll das hinführen? Schleichen wir uns in den nächsten Krieg?« – »Ich glaube noch nicht. Erst wenn die Wehrmacht stark genug ist, wird unser großer Führer losschlagen.« Klara ruft zum Abendessen. Die beiden Dienstmädchen haben einen Tisch mit allerlei Köstlichkeiten gedeckt. Über das Radio, ein Versuchsmodell des Hofsterns, hören sie dazu leichte Musik vom Sender Breslau.

    Nach dem Abendessen telefonieren sie gemeinsam mit Annegret und Richard. Es ist der 9. April. Annegret geht es glänzend. Noch keinerlei Anzeichen für eine bevorstehende Geburt. Die Hebamme, ebenfalls in der Zobtener Straße wohnend, besuchte sie am Nachmittag und versprach, dass sie jederzeit bereit sei. Alle sind zufrieden. Nun kann eigentlich nichts mehr schief gehen.

    Wie versprochen traf Richard am 8. April nachmittags zu Hause ein. Annegret empfing ihn erleichtert. Richard streichelte ihren großen Bauch und war erstaunt, dass sich seine Frau damit noch behände bewegt. Sie tranken Kaffe. Es gab Richards Lieblingsmohntorte mit Streusel und Zuckerguss. Insgeheim bewundert er Annegret. Sie wirkt ausgeglichen, ja, geradezu fröhlich. Das Kinderzimmer ist eingeräumt, die hellen Wände mit Märchenfiguren dekoriert. Lediglich der Seitenbehang des korbähnlichen Bettchens und die Bettwäsche fehlen. Sie liegen tief im Schrank verstaut und sind in Rosa und Blau vorhanden. Der Abend verlief heiter. Sie hörten erst Radio und dann zwei Schallplatten, die Richard für Annegret aus Breslau mitbrachte. Gegen 23 Uhr gingen sie zu Bett. Annegret schlief sofort ein. Richard lag noch lange wach und überdachte sein Abenteuer in Breslau. »Wie hatte es nur dazu kommen können?« Er bezeichnete sich nicht unbedingt als Frauentyp. In Eroberungen war er eher mittelmäßig. Offenbar war es der Rausch des Erfolges und der Alkohol. Gegen zwei Uhr schlief er endlich ein.

    Samstag, der 9. April, ist ein absoluter Strahletag. Die Sonne gibt ihr Bestes. Gegen Mittag klettert das Thermometer auf frühlingshafte 16 Grad. Richard setzt die Batterie in seinen BMW-Dixi ein und fährt aus der Garage. Annegret steht schon am Tor bereit und ab geht es durch die Stadt zu Richards Eltern. Annegret freut sich über diesen Besuch. Sie hat ihre Schwiegereltern gerne. Später gehen sie zusammen mit Carls Foxterriern in den Anlagen spazieren. Carl ist ebenfalls erstaunt, wie leichtfüßig Annegret dabei ausschreitet und über das Tempo, welches sie dabei vorlegt. Lediglich ihr großer Bauch weist auf die bevorstehende Niederkunft hin. Da sich bei ihr keinerlei Beschwerden einstellten, unkte man schon, dass sich Arzt und Hebamme in der Zeit verrechneten.

    Später trinken sie mit Klara und Carl Kaffee und rauschen anschließend mit Richards rotem Dixi davon. Sie verfehlen Robert, Annegrets Vater, in der Zobtener Straße nur um wenige Minuten.

    Er befindet sich inzwischen auf dem Weg zu Klara und Carl. Während der Heimfahrt überlegt Richard laut: »Den geliebten Dixi werde ich wohl gegen einen etwas geräumigeren Wagen eintauschen müssen, damit wir den Kinderkorb oder Wagen transportieren können.« Annegret weiß, wie sehr er sein rotes mit Speichenrädern ausgestattetes Gefährt liebt. »Du musst ihn ja nicht verkaufen. Unsere Garage ist groß genug, leg ihn doch einfach still.«

    Zu Hause erwischen sie gerade noch die 18-Uhr-Nachrichten und die anschließende Rede des Führers, in der er die Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich fordert. Dann kommt Göbbels, der Reichspropagandaminister, zu Wort. Er schimpft, wie in seinen meisten Reden, auf das Judentum. Richard sieht Annegret an. »Das hört sich nicht gut an. Dass Hitler für das Volk eine Menge tut, ist unbestritten, aber das ständige Beschimpfen der jüdischen Mitbürger ist unverzeihlich. Zwei Kameraden von meiner Fliegergruppe mussten sich auf Druck von oben bereits von ihren jüdischen Frauen trennen. In Breslau habe ich demolierte Geschäfte von jüdischen Besitzern gesehen. Während meines Breslau-Aufenthaltes besuchte ich meinen alten Schneider, den Herrn Rech. Der erzählte mir, dass in der vergangenen Woche mehrere SA-Leute mit Gejohle die Wohnung seiner jüdischen Nachbarin stürmten. Sie traten einfach die Tür ein, entkleideten die sich heftig Wehrende, zerrten sie in das Treppenhaus, banden sie dort an dem Treppengeländer fest und vergewaltigten sie Reihe um. Anschließend schlugen sie mit Knüppeln ihr Gesäß blutig. Die von Herrn Rech herbeigerufene Polizei griff nicht ein, konnte aber durch beruhigendes Zureden das Schlimmste verhindern. Festnehmen durfte sie die SA-Schläger nicht. Die zogen schließlich mit Siegergejohle davon. Der Polizeioffizier, der das Überfallkommando befehligte, drückte Herrn Rech stumm die Hand und gab dann den Befehl zum Abrücken. Friedrich Rech mit seinen 78 Jahren und gehbehindert entfesselte die unter Schock stehende junge Frau und schleppte sie in seine Wohnung. Sie hieß Hildegard Dornenbusch und blutete aus unzähligen Wunden. Er verarztete sie so gut er konnte. Inzwischen überwand die junge Frau ihren Schock und spürte starke Schmerzen in ihrem Bauch. Trotz später Stunde gelang es Herrn Rech, einen Arzt zu finden, der ihr eine schmerzstillende Spritze gab. Die junge Frau arbeitete früher als Modell in einem Bekleidungssalon. Als Jüdin ist ihr das nicht mehr erlaubt. Die 23-jährige Alleinstehende ist jetzt Freiwild. Herr Rech will sie künftig verstecken, bringt sich aber damit selbst in größte Gefahr.« Annegret hört still zu und ist fassungslos. »Mir ist Derartiges bisher kaum aufgefallen, da ich in letzter Zeit wenig in die Stadt kam, keine Zeitungen las und auch im Rundfunk nur Angenehmes hörte. Ich konzentrierte mich ausschließlich auf das Mutter werden.« Richard bemerkte, dass ihr seine Erzählungen nicht gut taten. Um sie abzulenken, legt er schnell eine Schallplatte auf den Teller des Grammophons. Dann lauschen sie dem stimmgewaltigsten deutschen Tenor.

    Gegen 23 Uhr fragt die Hebamme nach Annegrets Befinden.

    »Keine Probleme, alles gut.« – »Na schön, sollte es losgehen, ich bin erreichbar!« Daraufhin gehen sie zu Bett. Richard liegt bereits im Tiefschlaf, als bei Annegret die ersten Wehen einsetzen. Annegret hat das bestimmte Gefühl: Jetzt geht es los. Richard ist sofort hellwach. Die alarmierte Hebamme kommt gerade noch rechtzeitig, um dem kleinen Menschlein auf die Welt zu helfen. Über den Namen wird man sich sofort einig. Es ist ein Junge und Peter soll er heißen. Geboren am 10. April 1938, Sonntag, um 2 Uhr früh. Die Hebamme gratuliert lächelnd:

    »Ein Sonntagsjunge, ein Glückskind. Sonntagskinder bekommen einen besonderen Schutzengel.« – »Na hoffentlich behalten sie recht«, meldet sich die erschöpfte Annegret. Sie bekommt ihren Glücksjungen in den Arm gelegt. Richard ist ganz außer sich, da es nun doch ein Sohn ist. Die Hebamme legt dem kleinen Peter ein Armbändchen mit einem silbernen Kleeblatt an und meint: »Das erhöht die Glückschancen um das Doppelte.« Annegret schläft erschöpft ein. Richard kann nicht mehr schlafen. Er bewacht mit der Hebamme zusammen seinen kleinen Sohn, der mit großen blauen Augen und ganz hellblonden, fast weißen Haaren in seinem Schlafkörbchen vor sich hin gluckst. Am Sonntagvormittag werden alle telefonisch erreichbaren Verwandten und Bekannten über die schnelle und glückliche Geburt des Hofmeister-Stammhalters unterrichtet. Robert, der gerade mit Klara und Carl am Frühstückstisch sitzt, erhält gleich zwei freudige Nachrichten. Gegen 9 Uhr von Richard, der stolz seinen Sohn Peter meldet, und gegen 10 Uhr von Freund Rudolf, der überschwänglich die Geburt seines Enkels Werner bekannt gibt. »Stell dir vor, der kleine Werner wurde heute früh um 1 Uhr geboren. Ein Sonntagsjunge, ein Glückskind. Unser Bäckereiunternehmen ist nun für alle Zeit gesichert.« Robert stimmt der Zusatz mit dem gesicherten Bäckerunternehmen traurig. Sein Enkel wird mit Sicherheit nie Landwirt oder Stellmacher werden. Die Hofmeisters werden ihn ganz für sich beanspruchen und er wird wohl immer nur für kurze Augenblicke der Opa vom Lande sein. Robert fällt auf: »Die beiden sind ja nur eine Stunde auseinander!«

    »Ja, Robert, die beeden müß mer später unbedingt zusamma bringa. Unsere Sonntagsbrüder!«

    Carl und Robert kaufen den Blumenstand am Bahnhof leer und überraschen Annegret damit. Einen großen Strauß schicken sie mit einem Kurier nach Reichenbach. Robert hat darauf geachtet, dass für Annegret ein Strauß aus weißen Rosen dabei ist. Ihre Lieblingsblumen.

    Der kleine Peter brüllt los, als die vielen Gesichter in sein Bettchen schauen. Robert denkt, ohne es auszusprechen: »Er hat die gleichen Hellen Haare und blauen Augen wie meine Kinder, als sie geboren wurden.« Ein schwacher Trost, denn Klara stellt an Peter schon Ähnlichkeiten mit Vater Richard her. Christel und Fritz Haber kommen mit einer Spieluhr aus Breslau. Christel kann sich an dem kleinen Kerl nicht sattsehen. Auch sie will einmal Kinder haben. Möglichst eine ganze Schar. Sie fragt Annegret: »Darf ich den kleinen Kerl mal auf den Arm nehmen?« – »Ja, aber du musst sein Köpfchen dabei abstützen.« Christel nimmt den kleinen Kerl auf den Arm und redet leise mit ihm. Peter scheint das zu gefallen. Er schaut sie mit großen Augen an, als wolle er sich ihr Gesicht einprägen, und gibt keinen Ton von sich. Nur zurück in sein Bett will er nicht. »Er mag dich!«, sagt Annegret. »Willst du seine Taufpatin werden?« – »Natürlich, gerne!«

    Robert kommt endlich zu Wort: »Ihr kennt ja die Walters. Unserer und deren Junge sind nur eine Stunde auseinander. Wie wäre es, wenn wir sie zusammen taufen lassen? Hier in der Friedenskirche?« Richard wollte nicht so recht, wurde aber haushoch überstimmt. Robert ist glücklich. »Die Bürschchen werden später mal gute Freunde. Dafür sorgen Rudolf und ich.« – »Ich helfe euch dabei!«, lässt Carl hören. »Schließlich müssen doch wir Großväter zusammenhalten.« – »Feiern tun wir bei dir, Carl, und ich gebe später in Groß Wierau ein großes Fest.« – »Was wird der Rudolf dazu sagen?« – »Der liegt ganz auf meiner Linie.«

    Roberts Feste sind bei Verwandten und Bekannten sehr beliebt. Klara denkt schon praktisch: »Während der Taufe muss ja die Waltertruppe nach Schweidnitz kommen. Wir nehmen sie alle in unsere Villa auf. Dann kommt endlich mal wieder Leben in unser Haus.«

    Giesela erfährt die gute Nachricht durch Roberts Anruf. Sie ist einsilbig und traurig. Die jüngere Schwester bekommt schon ein Kind und sie selbst hat noch nicht einmal einen Mann.

    Am späten Nachmittag fährt Robert nach Groß Wierau zurück. Er hat es schon während seines Anrufs bemerkt. Giesela braucht tröstende Worte. Robert begrüßt den während seiner Abwesenheit eingetroffenen Hans, der bereits Giesela tröstet. Robert geht in seiner Hochstimmung ein dummer Satz über die Lippen: »Jetzt seid ihr beiden dran!« Er bemerkt zu spät, dass er Öl in ein bereits loderndes Feuer gießt. Hans gibt ihm die entsprechende Antwort: »Wie soll das gehen? Giesela sperrst du hier ein und mich hat die Wehrmacht im Würgegriff. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die Hofmeisters zulassen werden, dass ihr Peter einmal Bauer oder Stellmacher wird. Wenn du Glück hast, siehst du ihn später einmal im Jahr. Richard wird nie zulassen, dass er länger hier ist!« – »Abwarten! Noch ist er dafür viel zu klein.« – »Und Vater: Dann stellt sich wieder die Frage: Für wen baust du das hier alles auf?« – »Na ja, wenn Giesela später mal!« – »Das kannst du vergessen. Sie hat das Landleben bis heute genossen und wird froh sein, es einmal hinter sich zu lassen.« Robert schaut auf Giesela:

    »Madel ist das so?« – »Lange genug habe ich das Landleben hier geführt. Es wird Zeit, dass es einmal zu Ende geht. Ich will nicht als Bauernpumpel enden.«

    Robert will sich nicht aufregen und verschwindet in sein Arbeitszimmer. Nach einer Weile kommt er zurück. »Junge, wie sieht es denn bei deinem Verein aus?« – »Nicht anders als bisher. Wir fahren mit unseren Panzern durch die Gegend und üben statt Verteidigung den Angriff.« – »Du meinst Hitler plant?« – »Irgendwann schon. Weshalb rüstet er sonst wie verrückt auf?« – »Na, Junge, das hört sich nicht gut an.« – »Außerdem wird meine Einheit in den nächsten Wochen nach Oberschlesien verlegt. Angeblich gibt es dort bessere Gelände, um zu üben.« – »Du meinst Polen? Das glaube ich nicht.«

    Hans hatte sich für das neue und technisch moderne Heer interessiert, aber dabei nicht an Krieg gedacht. Robert gibt seinem Sohn den Zündschlüssel. »Fahr nach Tampadel. Dort ist heute Tanz und morgen sieht die Welt wieder entspannter aus.« Ein gut gemeinter Schups befördert den noch Unentschlossenen aus der Tür. Er sieht das Motorrad, steigt auf und fährt nach Tampadel.

    Beim Dorf Wirt angelangt trifft er auf eine Menge Freunde aus seiner Schulzeit. Einige tragen Uniform wie er. Sie grüßen zu ihm herüber. Hans, früher immer der Mittelpunkt auf den Tanzböden der Umgebung, wird nach langer Abwesenheit gefeiert. Es gibt viel Bier. Er tanzt den ganzen Abend über wie ein Besessener, um sein Tief und die Angst vor einem neuen bis jetzt nur eingebildeten Krieg zu überwinden. In dem Getümmel der Tanzfläche steht plötzlich eine wunderschöne junge Frau vor ihm, mit herrlichen Brüsten, runden Hüften und atemberaubenden Beinen. Sie schaut ihn mit ihren braunen Augen lächelnd an. Er glaubt sie zu kennen, ist sich aber nicht sicher. Erst als sie ihn mit sanfter Stimme anredet, erkennt er sie. Es ist Annemarie, die Tochter des reichsten Bauern aus dem Ort. Ein Einzelkind. Während ihrer gemeinsamen Schulzeit trafen sie sich oft in den Pausen. Hans, der damals zwei Klassen höher war, half ihr immer beim Auswendiglernen von Gedichten. Später tollten sie gemeinsam in den Heuschobern herum, befühlten, streichelten und küssten sich. Damals als Kinder versprachen sie sich ewige Treue. Zu dem Äußersten war es nie gekommen. Annemarie wurde später von ihren Eltern gedrängt, möglichst bald einen tüchtigen Bauern zu heiraten, um den Fortbestand ihres Gutes zu sichern. Hans erkannte damals, dass es sinnlos war, eine festere Verbindung mit ihr einzugehen. Sie verabschiedeten sich unter Tränen als Heinz nach Schweidnitz ging, in Abendkursen die mittlere Reife nachholte und dann in die Wehrmacht eintrat. Oft bereute er, sie verlassen zu haben. Aber es gab einfach keinen besseren Weg, um dem Druck ihrer Eltern auszuweichen. Nun steht er als Soldat und inzwischen erfahrener Liebhaber vor ihr. In seinem Standort machten es ihm die Mädchen leicht. Er genoss es in vollen Zügen. In der ersten Zeit war es ihm oft passiert, wenn er mit einem Mädchen zum Höhepunkt kam, dass er plötzlich Annemaries Gesicht sah. Um von ihr loszukommen, wechselte er immer schneller seine Partnerinnen, bis das Gesicht langsam verschwand. Nun stand ein neues, reiferes und noch viel schöneres vor ihm. Hans bekommt einen trockenen Hals und weiß plötzlich nicht mehr weiter. Er starrt sie ergriffen an. Das schönste Antlitz, das er je sah. Annemarie fasst ihn sanft am Arm. »Wollen wir tanzen?« Hans erwacht aus seinem vermeintlichen Traum, umfasst das schöne Mädchen und gleitet mit ihr über die Tanzfläche. Es kommt kein Wort über ihre Lippen. Eng umschlungen fühlen sie ihre Körper, bis Annemarie zuckt und Hans merkte, dass sie weint. Er bricht den Tanz ab und führt sie unbemerkt aus dem Saal in das angrenzende Scheunengebäude, legt seinen Uniformmantel ins Stroh und Annemarie darauf, schiebt ihr Kleid nach oben und ihr Höschen nach unten. Bereitwillig spreizt sie ihre Beine. Hans sorgt als verantwortungsbewusster Liebhaber für einen Schutz und schiebt sich dann vorsichtig in die noch jungfräuliche Annemarie hinein, verweilt einen Moment, um sie dann zu Höhen zu führen, die sie noch nie erlebte. Danach bricht sie als Erste das Schweigen. Sie gesteht ihm, dass sie nie aufhörte, ihn zu lieben, sich aber mit dem ursprünglichen Wunsch ihrer Eltern sehr schwer getan habe. Plötzlich merken beide, dass sie fürchterlich frieren. Es ist der 10. April und die Abendtemperaturen liegen erst bei ganzen 10 Grad plus. Den damals auf ihr lastenden Druck, einen Bauern zu heiraten, beseitigten ihre Eltern zwischenzeitlich, indem sie ihren Hof verkauften und sich in einer hübschen kleinen Villa zur Ruhe setzten. Annemarie arbeitet inzwischen als Kreissekretärin und lebt weiterhin bei ihnen Eltern. Zusätzlich gibt sie in ihrer Freizeit schwachen Schülern Nachhilfeunterricht. Hans stellt fest, dass er sie noch mehr liebt als vorher. Er hüllt sie in seinen Mantel und bringt sie nach Hause. Es kommt zu einem ersten Gespräch mit ihren Eltern, dem später weitere folgen sollen.

    Vollkommen durchgefroren trifft er zu Hause ein und berichtete dem etwas beunruhigt wartenden Vater von seinem Glück. Doch die Angst vor einem eventuellen Krieg kann und will er auch jetzt nicht verbergen. Robert Weidner wird nachdenklich:

    »Junge, du siehst zu schwarz, wir haben uns doch von dem vergangenen Krieg noch nicht erholt. Da kann es doch nicht schon wieder losgehen.« – »Ich glaube, du irrst dich. Ich habe auf der Panzertruppenschule mehrere Fahnenjunker und Leutnante kennengelernt, deren Einheiten alle schon an die Ostgrenze des Reiches verlegt wurden. Meine Einheit ist da keine Ausnahme.« Robert beruhigt ihn. »Noch ist es nicht so weit. Schließlich müsste man dann schon täglich mehr davon merken.« Hans schläft in dieser Nacht schlecht.

    An den folgenden Tagen trifft er immer wieder mit Annemarie zusammen. Er zieht zu diesen Treffen, obwohl nicht erlaubt, Zivilkleidung an. Einfach nicht auffallen, ist seine Devise. Mit ihren Eltern entwickelt sich im Gegensatz zu früher ein harmonisches Verhältnis. Am 13. April fahren sie gemeinsam nach Schweidnitz. Hans bestellt in einer verschwiegenen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1