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Drei Lieben: Roman
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eBook146 Seiten2 Stunden

Drei Lieben: Roman

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Über dieses E-Book

VON DER MONDÄNEN ORIENTALISCHEN METROPOLE BAKU INS PARIS DER 1920ER
Sommer 1917: Hermann Opitz beschließt, sein altes Leben hinter sich zu lassen, sein Heimatdorf, seine Ehe - und meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst. Ein Jahr später strandet er in Baku, das in den Jahren des Ölbooms zur mondänen orientalischen Metropole geworden war, und begegnet dort Jale, der Tochter eines Ölbarons. Wenig später gerät das junge Liebespaar in die Wirren der Russischen Revolution und flieht nach Paris.

SPURENSUCHE IN DER FAMILIENGESCHICHTE UND DAS GLÜCK DER VERBUNDENHEIT
Zwei Generationen später begibt sich der Enkelsohn von Hermann Opitz auf eine Spurensuche in der Geschichte seiner Familie. Er erkundet das Leben seiner Großeltern, die ihm stets wie die modernen Erben von Philemon und Baucis in Erinnerung waren; er besucht das Heimatdorf seines Großvaters, wo ihm seine Tante Sophie von ihrem Leben und Lieben im Wien der Nazi-Jahre erzählt; und schließlich begegnet er Rita, an deren Seite er das Glück der Verbundenheit erlebt, das er einst in den Augen seiner Großeltern gesehen hat - und gleichzeitig zu ahnen beginnt, dass das private Glück untrennbar mit den Zeitläuften der Weltgeschichte verknüpft ist.

DREI LIEBESGESCHICHTEN VOR DEM PANORAMA DER WELTGESCHICHTE
Schlicht und unsentimental erzählt Walter Grond die Geschichten dreier Liebespaare, die auf rätselhafte Weise ineinander verwoben sind - und lässt zugleich die grenzenlose Kraft der Liebe spürbar werden, die unbeirrt von allen Schrecken der Geschichte des 20. Jahrhunderts wirkt.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum14. Feb. 2017
ISBN9783709937808
Drei Lieben: Roman

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    Buchvorschau

    Drei Lieben - Walter Grond

    Walter Grond

    Drei Lieben

    Roman

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Jale

    Sophie

    Rita

    Walter Grond

    Zum Autor

    Impressum

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    Sie hat ganz leise gesprochen, und Tonio spürt,

    dass sie ihn in eine neue Welt mitnehmen will,

    in eine Welt, die für ihn zu groß ist und auch zu

    ­geheimnisvoll, tiefer als das Meer, und dass er

    trotz allem Lust hat, ihr zu folgen.

    Hervé Le Tellier, „Neun Tage in Lissabon"

    Jale

    Sophie

    Rita

    Jale

    Ich erinnere mich an meinen Großvater als einen besonnenen Mann, der mich freundlich an der Hand führte und zum Markt mitnahm. Ungemein stattlich, wenn er samstags vor der Kirche Saint-Médard in der Rue Mouffetard mit alten Weggefährten über Gott und die Welt resümierte. Ich habe ihn nie verbittert, vielmehr stets gelassen und gütig erlebt. Seine Heiterkeit kam überraschend und doch nie beunruhigend.

    Vielleicht hatte er einst durch das Fegefeuer gehen müssen, um in einem für ihn so ungeahnt reichen Leben landen zu können. Zuerst in Baku, wohin es ihn in den Wirren des Ersten Weltkrieges verschlagen, und wo er meine Großmutter Jale kennengelernt hatte. Und dann, da die Russische Revolution auch Baku, die Öl-Metropole am Kaspischen Meer, erreichte, hier in Paris, wohin er mit seiner neuen Familie Anfang der 1920er Jahre geflüchtet war, und wo er ein langes und glückliches Leben führte.

    Unerklärlicherweise schien mein Großvater keine Verwandten oder alten Freunde zu haben. Ich wusste zwar, dass er einst mit einer anderen Frau in Österreich verheiratet gewesen war. Es galt aber als ungeschriebenes Gesetz, ihn nicht danach zu fragen, und für meine Großmutter Jale, die gerne einen Mantel aus Geheimnissen um ihn wob, begann sein wirkliches Leben erst im Ersten Weltkrieg, mit seiner Einberufung an die russische Front.

    Wann immer ich an meine Großmutter Jale denke, fällt mir sofort der Lehnstuhl ein, auf dem sie die meiste Zeit über saß und majestätisch Anweisungen gab. Sie konnte ausschweifend Geschichten über meinen Großvater erzählen, die mit jedem Mal märchenhafter, aber auch schauriger wurden. Flüchtete ich aus Angst vor diesen Geschichten in den Schoß meiner Mutter, beruhigte mich diese mit der Erklärung, Großmutter Jale sei außergewöhnlich einfühlsam. Vielleicht war es in ihrer besonderen Liebe zu meinem Großvater begründet oder aber Teil ihres besitzergreifenden Wesens, dass sie sich in seine Geschichte derart hineinlebte. Sie bezog alles auf sich, war fantasievoll, und eine gewisse Lust an Leid und Schmerz dürfte ihr nicht fremd gewesen sein.

    Gegen Ende des Ersten Weltkrieges, erzählte sie jedenfalls, hatte das Schicksal meinen Großvater zu ihr nach Baku verschlagen. Sechs Monate davor war er – verheiratet mit einer gewissen Maria – aus einem kleinen Dorf im österreichischen Voralpenland nach Brzeżany, einer Stadt in Galizien, aufgebrochen. In jener Stunde des Abschieds von seinem österreichischen Dorf, so meine Großmutter Jale, war die Welt für ihn verdorrt, und etwas bedrohlich Lautloses hatte sich breitgemacht. Seine Gliedmaßen hatten sich wie vom Körper gelöst, und alles Feste in ihm war verdampft. Dann starb sogar die Erinnerung ab. Er sah sein Leben hinter dem Horizont verschwinden, und er dachte noch, dass es so ist, wenn ein Mensch vergeht.

    Meine Großmutter Jale erzählte von seiner Verzagtheit, vom ganzen Unglück an jenem Tag seines Abschieds vom Dorf im Frühsommer 1917, der für ihn das Ende des Lebens bedeutet haben mochte. Im Zug nach Brzeżany glich sein Schmerz in den Schläfen, der ihn schon seit Monaten plagte, der Landschaft, die im Fenster an ihm vorbeizog und doch stillstand, grau und eben und horizontlos. Nur manchmal blitzte das Grün von ein paar Sträuchern auf, oder riss ihn das Holpern des Waggons aus seiner Erstarrung. Menschen waren das Schlimmste. Räusperte sich einer der Soldaten im Abteil, glaubte er, unsäglicher Lärm hinter seiner Stirn erdrücke ihn. Die ganzen elf Tage über, die es bis Brzeżany dauerte, blieb er von der Frage gefangen, wie viel ein Mensch aushalten muss und wie viel er aushalten kann.

    Brzeżany gehörte damals zu Österreich. Da aber die Front gegen das Zarenreich weit im Osten verlief, hieß es im Dorf, Hermann Opitz, wie mein Großvater damals hieß, sei nach Russland gegangen. Im Frühsommer 1917 sprach niemand mehr von Kriegseuphorie. Die Menschen waren erschöpft und hatten ihre Lust auf das Morden verloren.

    Mein Großvater hätte nicht sagen können, durch welche Gegend der Zug fuhr. Die Bilder des Abschieds aus dem Dorf legten sich über die Landschaft. Vielleicht erschienen dann und wann ein Brunnen, eine Scheune, eine Bahnstation? Auf dem flachen Land kamen ihm schon die seltenen Verwerfungen wie Hügel vor. Alles erwies sich als weit und verloren, während das Tal seines Dorfes eng und begrenzt war.

    Damals im Zug nach Brzeżany, als er hinausfiel in ein weites Land, begann sich mein Großvater zu häuten, aber es fühlte sich an wie ein entsetzliches Würgen. Etwas wie Geografie konnte ja nicht beschreiben, wo hindurch der Zug seine Spur zog. Dieses Land verhielt sich, wie sich Menschen verhalten. Es gab nur ein Entweder-Oder. Entweder erhob sich aus einer Talsohle etwas Steiles und ragte in den Himmel, und es verhieß also das Bergland die ersehnte Heimkehr. Oder das Land war flach und verschluckte alles, auch das Sanft-sich-Erhebende, und verwandelte alle Lebewesen in Untote.

    Ob seine Frau Maria ahnte, dass er sich freiwillig an die Ostfront gemeldet hatte? Er ging in ein wüstes Land, dort wäre jeder für sich und allein. Gott war verschwunden. Die Aussicht im Krieg zu sterben, quälte meinen Großvater weniger, als ihn der Wunsch trieb, sich selbst ungeschehen zu machen. Es ging darum, in die eigene Hölle hinabzusteigen. Der Filz der Uniform, das Bajonett, die Stiefel sagten ihm das.

    Er konnte die Gegend, durch die der Zug fuhr, im Grunde gar nicht beschreiben. Es handelte sich um eine Leerstelle, in die sich die verlorenen Seelen verirren. Niemand könnte erfassen, was mit Menschen geschieht, die an diesen absurden Unort verfrachtet werden, und die mit den Gräueln des Krieges ihren eigenen Abgründen begegnen. Die zerfetzten Leiber, zwischen denen er sich hindurchwühlte, hielten die Zeit an. Oder war alle Zeit durcheinandergeraten? War die Anfahrt zur Schlacht von Brzeżany schon die Erinnerung an sie? Erlebte er die Gräuel bereits, als er noch gar keinen Fuß auf das Schlachtfeld gesetzt hatte? Und wenn er auch auf der Reise nach Brzeżany durch das Land der Donauschwaben, ein Land wie das seine, grün und überschaubar, gefahren sein musste, existierten in seiner Erinnerung nur flache Ebenen, Formloses. Das Endlose bestand aus lauter Übergängen.

    Der Zar hatte eine letzte Offensive gegen das Heer aus Deutschen, Österreichern und Türken angeordnet. Ob er aus der Stadt Brzeżany einen Eindruck vom Ringplatz mit seinen habsburgischen Häusern mitnahm, die bei seiner Ankunft noch existiert hatten? Von der Kirche, vor der Frauen in ruthenischen Trachten posierten, oder vom Leben im jüdischen Viertel? Oder blieb ihm Brzeżany, das bald nach dieser Schlacht zur neu gegründeten Ukraine gehören würde, nur als Inferno aus zerbombten Häusern, verätzten und verstümmelten Leichen, die auf den Straßen lagen, in Erinnerung?

    Mein Großvater ließ kaum ein Wort über den Krieg fallen. Er sprach nicht über die Schreie der Männer, die im Artilleriefeuer, durch Gasgranaten oder Bajonette fielen. Nicht über die Kälte, den Hunger und die Angst. Er erwähnte nur, dass zu Kriegsende kein Österreicher, der in den Schützengräben vor Brzeżany verschanzt war, zu sagen wusste, aus welchem Grund sich die russischen Soldaten von einem Tag auf den anderen zurückzuziehen begannen. Dann sei von einem Umsturz die Rede gewesen. Aber als sich die Deutschen und Österreicher zum Rückzug aufmachten, verlor die Truppe meines Großvaters den Anschluss, und erst nach Wochen wurde ihm klar, dass er mit einem Haufen Verlorengegangener nicht in Richtung Westen, sondern durch das südöstliche russische Reich geirrt war.

    In den Ebenen schien es keine Himmelsrichtungen zu geben. Er verstand nicht, ob man in dem Land, in das es ihn verschlagen hatte, gerade die Waffen niederlegte oder wer gegen wen und aus welchem Grund sie erhob. Bedeutete ihm jemand mit Händen und Füßen oder mit ein paar deutschen Worten etwas von Revolution, die das Land erfasst habe, dachte er an Allerseelen. Es gab die Liebe und es gab die Hoffnung der armen Seelen, nach überstandenem Leid im Paradies zu landen.

    Das Schänden und Quälen und Töten ging weiter. Mein Großvater taugte nicht mehr zum Feind, war überflüssig geworden, jemand, der nicht auffiel. Die Jagd auf die Klassenfeinde hatte das Blickfeld derart verengt. Ihm schien, niemand habe mehr Zeit dafür, ihn zu ermorden. Er sah viele dahinsterben. Nur der Tod machte alle gleich.

    Es mochte ihn von einem ins andere Inferno verschlagen haben, aber er überlebte sie alle, meinte meine Großmutter Jale. Wie ein Kater, der sich duckt, zugleich zusammenzieht und abstößt, Pirouetten schlägt und schließlich mit den Pfoten auf dem Boden landet. Stets auf den Pfoten, aus welcher Höhe immer er auch fällt.

    Irgendwann war er nur mehr allein, ging weiter, und gelangte schließlich an die Kaspische See, im heutigen Aserbaidschan. Das Meer, das ferne, das unendliche, von dem die Bücher erzählt hatten, und das er nun mit eigenem Auge sah. Die Wege dorthin zwar beschwerlich, tiefer Sand im Licht einer Sonne, die über seinem Kopf zu verglühen schien, greller als alles, was er bisher für hell gehalten hatte. Vom Hochplateau aus gesehen, von dem er kam, ging das Wasser zugleich in den Himmel über und brach am Horizont ab oder fiel gar ins Leere. Am weißen Strand aber schimmerte es wie ein Spiegel, der den Himmel in sich aufnahm, und kräuselte sich merkwürdig.

    Was er dort sah, auf den einstigen Wegen des Marco Polo, überwältigte ihn. Es glich den kühnsten Träumen in den Büchern der Bibliothek, die er einmal besessen hatte. Er wusste nicht, wo er sich befand, aber alles erinnerte ihn an die Erzählungen des venezianischen Kaufmanns – die orientalischen Männer, die jener einst beobachtet hatte, wie sie Öl aus kleinen Lachen schöpfen, die Fontänen, die aus der Erde schießen, die mit Öl gefüllten Sickergruben, die Schlammvulkane und die ewigen Feuer von Abşeron, wie die Zarathustra-­Menschen die brennenden Hänge genannt hatten.

    Dann stand er vor Baku. Vor dem satten Leben einer Stadt, deren Reichtum sich aus eben jenen Erdölquellen nährte, die Marco Polo vor siebenhundert Jahren beschrieben hatte. Als mein Großvater sie betrat, verirrte sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. Und genau in jenem Augenblick, so meine Großmutter Jale, machte sich ein flaues Gefühl in ihrem Bauch und ein leichtes Ziehen in ihrer Brust breit, und legte sich ein Rumi-Liedchen auf ihre Lippen: Ich sah sie ungesehen, und Schöneres sah ich noch nie; ich sah des Mondes Aufgang in ihrem Angesicht.

    Wie unwirklich ihm Baku vorkam! Wie er staunte über die Palais und Boulevards, die er in Paris oder Madrid erwartet hätte. Über die Villen und modernen Geschäfte zwischen der mittelalterlichen

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