Über dieses E-Book
Die Heldin Djavidan Hanum fordert dazu heraus, die Grenzen zwischen historischen Fakten und romanesker Fiktion zu verwischen und wirft so die Frage nach der Wahrhaftigkeit einer Biographie auf. Verstand sie es doch als kühne Vorläuferin unseres Medienzeitalters, sich selbst zu inszenieren und verkaufte ihre Lebensgeschichte an verschiedene Boulevardblätter.
Wie in seinen Romanen Old Danube House und Almasy erzählt Grond Geschichten zwischen Orient und Okzident, Tradition und Moderne, Vergangenheit und Zukunft. Ausgehend von digitalen Kulturformen wie dem Internet und seiner Komplexität findet er in vielschichtiger Interpretation einen neuartigen Ansatz des Erzählens. Daß dies nie als Bruch, sondern im Bewußtsein einer Fortschreibung zu verstehen ist, spiegelt sich schon im Titel. Drei Männer entstand aus der Beschäftigung mit Robert Musils Drei Frauen.
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Buchvorschau
Drei Männer - Walter Grond
Ismail
Er war der Schatten des Khediven und Djavidan Hanums guter Geist. Seine Haut war dunkel, und er war ein Page. An seine Kindheit erinnerte sich Ismail nur verschwommen. Er mochte von einem Hirten stammen, aus den Bergen, aus einer Oase. Vielleicht, sagte er sich, bedeutete das Verschnittenwerden vor allem dies: ein Mensch ohne Vergangenheit zu sein.
Seine Herrin schwieg über ihr früheres Leben. Dem Khediven zuliebe war sie Muslimin geworden, sie lebte aus freien Stücken im Harem. Dass der Khedive sie Djavidan Hanum nannte, störte sie nicht. Für den glücklichsten Zustand hielt sie es ohnehin, die Namen zu verlieren. Sie sprach von einem märchenhaften Leben, zugleich von einem Schmerz, der allem Außergewöhnlichen innewohnt.
Während sie am schwarzen Flügel saß, einem Bechstein, der einst von Wien nach Kairo transportiert worden war, wachte Ismail vor ihrer Tür. Er wusste, dass sie unentwegt an ihn dachte, sie nannte ihn nur den Khediven. Durch die vergitterten Fenster sah sie auf die Orangenbäume im Garten; auf die Korbsessel drüben bei den Bienenhäusern, wo sie am Abend gern mit dem Khediven scherzte; auf die zwei Pfade, in die sich der Weg gleich hinter dem Brunnen teilte. Alles bedeutete etwas in ihrem Leben mit ihm.
Sie war diesem orientalischen König in Wien begegnet und hatte so Betörendes in seinen Augen gelesen, dass ihr die Rosen eines Verehrers aus der Hand glitten. Für sie schien nichts vergangen zu sein. In ihren Erzählungen lebte jener Augenblick weiter, da der Khedive lächelte und den Saum ihres Kleides berührte. Da er flüsterte, In Ägypten sind die Rosen noch schöner, und sie nach Kairo einlud. Da sie in seinen Augen eine Prinzessin aufblitzen sah, die sich auf dem Diwan räkelt und sich im Bad mit Duftwässern übergießt; eine Sklavin, die vor ihren Richtern entkleidet wird; eine beduinische Bauchtänzerin, die sich schmückt; das gefährliche Luxusgeschöpf Salome.
Obwohl damals noch Thronfolger, war der Khedive im Wien der Jahrhundertwende ein legendärer Mann. Er wurde am Theresianum katholisch erzogen, hatte der Schule zwei pharaonische Mumien geschenkt und bewohnte, um den Koran nicht zu vergessen, mit seinem Scheich einen eigenen Trakt. Seine Leidenschaft für Dampfmaschinen, Sparvereine, Pferde und Hunde bekräftigte seinen Ruf, ein außergewöhnlicher Zeitgenosse zu sein.
Ohne zu zögern war sie seiner Einladung gefolgt und schilderte nun schon seit zwölf Jahren jedem europäischen Gast den Khediven als einen modernen muslimischen Geist, mit dem sie auf Französisch Konversation trieb. Sprach von den Privatyachten und Autos, die ihr zur Verfügung standen. Betonte, dass sie in ihren Privaträumen musizieren und Bücher lesen durfte. Erklärte, die Regeln einer orientalischen Ehe nur zum Schein wahren zu müssen. Erwähnte zwar die Sommeraufenthalte in Konstantinopel, im Palast der Khediven-Mutter, die ihretwegen Kairo verlassen hatte; verschwieg jedoch, dass sie nur heimlich nach Europa reisen durfte, um die Metropolen und Badeorte zu besuchen; dass sie nur mit List neben dem Khediven in der Öffentlichkeit auftreten konnte; und schließlich verlor sie kein Wort über die Vielweiberei, die Eunuchen und Sklavinnen, all die Haremsdespotie, die nur in den Augen der Europäer überwunden war.
Indes er, Ismail, und nicht der Khedive verbrachte die Tage mit ihr. Nach seiner Entmannung war er zum Doppelgänger seines Herrn erzogen worden. Er hatte in der Pagenschule gelernt, dessen Stimme zu kopieren, dessen Wortwahl, Vorlieben und Abneigungen. Wie der Khedive kleidete er sich mit seidengefütterten Gehröcken und Lackschuhen, und seinen Kopf zierte ein roter Tarbusch. Sein Ross war ein Schimmel, und wie der Khedive trug er einen Schnurrbart.
Ismail besorgte den Balsam aus der Wüste, der Djavidan Hanums Finger geschmeidig machte; er begleitete sie bei ihren Einkäufen, handelte und bezahlte für sie; er bestellte die Fahrkarten, organisierte den Transport des Gepäcks und beruhigte die anderen Frauen des Khediven, die schreiend zusammenbrachen, wenn Djavidan Hanum den Harem für Stunden verließ.
Die Frauengemächer lagen weit vom Khediven-Palast entfernt. Nur Ismail bewohnte beide Welten. Djavidan Hanum wollte eine besondere Energie in Eunuchen entdecken, erwähnte die Eroberer und Feldherren unter ihnen, wurde nicht müde, von Eunuchen zu erzählen, die Prinzessinnen beglückten und einen eigenen Harem hielten.
Obwohl Djavidan Hanum keine gewöhnliche Haremsdame war, legte sie doch Wert darauf, perfekt wie eine auszusehen. Geschickt zupfte sie die Brauen zu feinen Linien, formte sie zu Ornamenten, die ihre Augen betonten. Sie schminkte die Wimpern, um ihre Pupillen noch größer erscheinen zu lassen. Unverschleiert wirkte ihr langes Gesicht überaus jung und knabenhaft; die gerade Nase und die Grübchen im Mundwinkel; der wohl proportionierte Mund und die Ohren mit den fleischigen Läppchen. Ihre Haut war von dunklem Teint und doch blass.
Meistens sprach sie sehr gewählt, und war sie sanft aufgelegt, lispelte sie leicht. Bei Misslaune wurde ihre Stimme tief und laut, bei Zorn wiederum verfiel sie in einen Wiener Dialekt, klang gewöhnlich. Sie rauchte fast pausenlos, der Rauch, so ihre Idee, war mit dem weiblichen Schleier verwandt. Um ganz in sich zu ruhen, zündete sie eine Zigarette an und versuchte sich dabei selbst dort wieder aufzugreifen, wo sie sich bei der letzten zurückgelassen hatte.
Sie hielt Vorträge über die Leere, die sie in der Nähe von Nichtrauchern empfand. Und obwohl ihr ein Kuss ohne den Geschmack von Rauch nicht schmeckte, küsste sie leidenschaftlich den Khediven, der ein Nichtraucher war. Noch verwirrender schien Ismail ihr Verhältnis zum Schmerz. Auch wenn sie litt, ließ sie erahnen, dass alles in ihr nach Genuss strebte. Manchmal verlangte sie nach Bestrafung und genoss auch die Qual, die sie anderen zufügte. Bei offener Tür ließ sie ihr Seidennachthemd fallen, und wenn ihr dann der Khedive ins Gesicht schlug, weil sie sich einem anderen aufreizend gezeigt hatte, warf sie Ismail einen triumphierenden Blick zu. War sie jedoch zufrieden, spürte er ihre Sehnsucht nach mehr, das Unstillbare in allem.
Sie hatte so viele Gesichter, wie ein Geschöpf ihrer Bücher, die in Stapeln auf dem Boden lagen, fast sorglos.
