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Woher nehmen, wenn nicht stehlen?: Pia Winklers neue Erlebnisse
Woher nehmen, wenn nicht stehlen?: Pia Winklers neue Erlebnisse
Woher nehmen, wenn nicht stehlen?: Pia Winklers neue Erlebnisse
eBook359 Seiten4 Stunden

Woher nehmen, wenn nicht stehlen?: Pia Winklers neue Erlebnisse

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Über dieses E-Book

Fotografin und Lebenskünstlerin Pia Winkler hat ein ernsthaftes Problem: Ihre altgediente Kamera hat endgültig das Zeitliche gesegnet. Leider sind Pias letzte Kröten just zuvor für die Reparatur ihres Autos draufgegangen. Pleite. Was soll die junge Fotografin nun tun? Zum Glück leiht Pias beste Freundin Berit ihr eine Kamera, damit sie zumindest eingeschränkt arbeitsfähig bleibt. Doch wie beschafft man innerhalb kürzester Zeit 7.999,-- Euro für eine Neuanschaffung?

Von Albträumen geplagt bittet Pia schließlich ihre Freunde um Hilfe – und wird prompt in die aberwitzigsten Erlebnisse verwickelt, was ihren Freund Tim allerdings auf ganz falsche Gedanken bringt. Und dann hat sie plötzlich mehr als nur ein Problem.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Sept. 2016
ISBN9783946035091
Woher nehmen, wenn nicht stehlen?: Pia Winklers neue Erlebnisse

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    Buchvorschau

    Woher nehmen, wenn nicht stehlen? - Stefanie Mohr

    Einstein

    Konina Deutschland

    Reparaturservice

    Firma

    Fotostudio Pia Winkler

    90408 Nürnberg

    17. Juni 2014

    Ihr Reparaturauftrag

    Sehr geehrte Frau Winkler,

    wunschgemäß haben wir die von Ihnen am 10. Juni 2014 eingesandte Spiegelreflexkamera, Konina OSE 1 D X, auf Defekte geprüft.

    Unsere kostenpflichtige Serviceempfehlung:

    Rahmen samt Sensor erneuern, Elektronik erneuern, Verschluss erneuern, Blendensteuerung erneuern, AE-Justage, AF-Justage und Blitzjustage durchführen.

    Arbeitszeit: 1.485,90 Euro zzgl. MwSt.

    Material: 1.837,10 Euro zzgl. MwSt.

    Bitte beachten Sie, dass es sich um eine Kostenschätzung und keine Reparatur zum Festpreis handelt. Da die von Ihnen eingesandte defekte Kamera ein Modell aus dem Jahr 2009 ist und über 800.000 Auslösungen hat, raten wir dringend von einer Reparatur ab.

    In der Anlage finden Sie einen Flyer für unser aktuelles Modell, die Profikamera Konina OSE 1 D X3, das wir Ihnen derzeit zu einem Aktionspreis von 7.999,-- Euro anbieten können.

    Die Kosten für die vorgenommene Kostenschätzung betragen 30,-- Euro. Bitte lassen Sie uns Ihre Entscheidung wissen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Kai Stangl

    Reparaturservice Konina Deutschland

    Aktiva-Bank

    90331 Nürnberg

    ... weil wir für Sie da sind!

    Frau

    Pia Winkler

    90408 Nürnberg

    23. Juni 2014

    Ihre Kreditanfrage

    Sehr geehrte Frau Winkler,

    wir bedanken uns für Ihre Anfrage vom 19. Juni 2014 bezüglich eines Kredits über 7.999,-- Euro.

    Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass sich die in Ihrem Schreiben erwähnte Verbraucherkreditaktion nur an Kunden wendet, auf deren Gehaltskonto in den vergangenen zwölf Monaten jeweils ein Mindesteingang in Höhe von 2.000,-- Euro zu verzeichnen war.

    Als Freiberufler müssten Sie die um das 2,5-Fache übersteigende Summe des von Ihnen gewünschten Kreditbetrags durch Sicherheiten abdecken. Die von Ihnen durch den Kreditvertrag zu finanzierende Spiegelreflexkamera können wir hierfür leider nicht akzeptieren.

    Wie Sie wissen, lautet unser Motto: »... weil wir für Sie da sind!« Daher sind wir sehr gerne bereit, mit Ihnen einen auf Ihre Verhältnisse abgestimmten Ansparplan zu erstellen, damit Sie sich den Traum von einer eigenen Kamera alsbald erfüllen können. Vereinbaren Sie noch heute einen Termin mit Ihrer Kundenberaterin.

    Mit freundlichen Grüßen

    Petra Frenklein

    Kundenberatung Kredit

    1. Kapitel: Haben Sie schon mal eine Bank überfallen?

    Ich war nicht die einzige Kundin in dem Geldinstitut. Vor der Angestellten am Kassenschalter stand ein junger Kerl, der mir schon öfter wegen seines knackigen Hinterns beim Einkaufen im Supermarkt aufgefallen war. Fast hätte ich den Fehler gemacht, ihm zuzunicken.

    Außerdem saßen noch zwei Kundenberater an ihren Schreibtischen. Ein Mann Anfang fünfzig und eine Frau mit blondierten Haaren. Alle vier hielten die Hände, die mindestens genauso zitterten wie meine, in die Luft. Allerdings hatte ich einen Vorteil: Ich konnte mit meiner Waffe herumwedeln, um die Unsicherheit zu überspielen.

    Jetzt musste es schnell gehen. Mit einem eindringlichen Blick legte ich den Zettel, auf den ich die geforderte Summe geschrieben hatte, vor der Kassiererin auf den Tresen. 7.999,-- Euro. Keinen Cent mehr und keinen weniger. Dann schob ich ihr die Jutetasche hin, die ich in meinem Fundus entdeckt hatte. Bezeichnenderweise trug sie den roten Werbeaufdruck des Kreditinstituts, das ich gerade überfiel. Zögerlich begann die Angestellte, hier und dort ein paar Geldscheine zu nehmen und sie in die Tasche zu packen.

    Ja, glaubte die, ich hatte alle Zeit der Welt, um ihre Filiale auszurauben? Zum Glück war ich auf die Situation vorbereitet und hatte zu Hause einen weiteren Zettel geschrieben. Ich nestelte ihn aus meiner Jacke und hielt ihn ihr entgegen: SCHNELLER!!!

    Sie schien mich jedoch nicht zu beachten, sondern drehte sich mal nach links, mal nach rechts, um einzelne Banknoten aus ihren Fächern zu holen. Mir brach der Schweiß aus. Je länger ich ihr zusah, desto nervöser wurde ich. Meine Hand mit der Pistole zuckte immer hektischer zwischen der Frau, dem Kunden und den anderen Mitarbeitern hin und her.

    Als die Kassiererin endlich fertig war, wickelte sie den Beutel zusammen und versuchte, ihn durch den schmalen Schlitz der Durchreiche zu schieben. Zu dick. Keine Chance. Ich griff mit der freien Hand danach und zerrte am Stoff, aber so ging es auch nicht. Ich brauchte beide Hände. Rasch blickte ich mich um. Alle Geiseln standen mehrere Meter von mir entfernt. Ich konnte es wagen. Etwas schwungvoller als beabsichtigt legte ich die Pistole auf den Tresen.

    Im nächsten Moment erfüllte ein ohrenbetäubender Knall den Raum. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich, dass sich die cremefarbene Bluse der Frau vor mir blutrot verfärbte ...

    »Sie haben Post!«

    »Jaa-aa.«

    »Sie haben Post!«

    »Jaaaa-haaaaaa!«

    »Sie haben Post!«

    »Ja, verdammt noch mal!«

    Schreiend fuhr ich hoch. Schweiß klebte mir am ganzen Körper. Mein Herz raste und meine Zähne klapperten. Aber: Ich lag in meinem Bett, in meinem Schlafzimmer. Mich überkam eine grenzenlose Erleichterung. Zitternd krampften sich meine Finger um mein geliebtes Handy, das mich aus diesem Albtraum gerissen hatte. Ich sank in die Kissen zurück, atmete tief ein und aus und versuchte, ruhiger zu werden.

    Ich, Pia Winkler, freiberufliche Fotografin und Übersetzerin, ledig, jedoch nicht mehr Single – ich war inzwischen seit sieben Monaten mit Kriminaloberkommissar Tim Herbst liiert –, hatte in meinem vierunddreißigjährigen Leben schon viel Mist geträumt. Doch warum um Himmels willen dachte sich mein Gehirn gerade jetzt eine derart schräge Szene aus, wo ich tatsächlich vorübergehend in einer monetären Klemme saß? Wollte es mir eine Alternative aufzeigen, wie ich an das Geld für eine neue Kamera kam, nachdem mir die Bank die Bitte um einen Kredit mit Hinweis auf meinen Status als Freiberuflerin abgeschlagen hatte?

    »Quatsch!«, zischte ein empörtes Stimmchen in meinem Kopf. Voller Entrüstung hatte Engelchen seine zu Fäusten geballten Hände in die Hüften gestemmt. »Ich wollte dir genau das Gegenteil vor Augen führen: Du hast doch selbst gesehen, was du angerichtet hast. Im nächsten Moment wäre die Polizei gekommen und dann: Aus! Essig! Tot!«

    »Es heißt: Schluss! Aus! Essig!«, hielt Teufelchen in der anderen Hälfte meines Gehirns dagegen. »Und außerdem: Die Geisel war ein lecker Schnittchen! Bestes Material für Aktfotos. Spitze Knackarsch.«

    »Es gibt keinen neuen Aktkalender für Maya«, murmelte ich. »Du weißt, dass ich Tim versprechen musste, nie mehr nackte Jungs zu knipsen. Und wenn ich nicht schnell 7.999,-- Euro zusammenbekomme, bin ich sowieso bald arbeitslos.«

    »Wovon sollen wir dann leben?«, zeterte Teufelchen.

    Bevor meine beiden ständigen Begleiter die Problematik eingehender diskutieren konnten, warum meine Kamera kaputtgegangen war und ich nicht rechtzeitig daran gedacht hatte, Rücklagen zu bilden, tastete ich nach meinem Handy. Die SMS stammte von Berit, meiner besten Freundin.

    07:04 Uhr: Bist du schon wach?

    Ungläubig starrte ich auf das Display. War es wirklich noch so früh? Unleidlich verzog ich das Gesicht. Dann erinnerte ich mich, dass mich Berits Nachricht davor bewahrt hatte, in wenigen Minuten von der Polizei verhaftet zu werden. Zum Glück, sonst hätte ich ihr diese nächtliche Ruhestörung nicht so leicht verziehen. Bekanntlich ist mir mein Schönheitsschlaf heilig. Es musste also einen wichtigen Grund geben, wenn sie sich um diese Zeit bei mir meldete. Ganz offensichtlich wurde meine Hilfe benötigt. Ohne lange zu fackeln, rief ich sie an.

    »Was ist los?«

    »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, aber ich weiß gerade nicht weiter.« Berits Stimme klang, als habe sie einen Kloß im Hals.

    »Was ist passiert?«, formulierte ich meine Frage ein wenig um.

    »Ich sitze auf der Straße.«

    »Im übertragenen oder im wörtlichen Sinn?«

    »Beides.« Berit holte tief Luft. »Als ich vom Nachtdienst in der Klinik nach Hause gekommen bin, standen zwei gepackte Koffer mit einem großen Zettel vor meiner Wohnungstür. Mein Mann hat mich rausgeschmissen.«

    »Nicht dein Ernst?! Wo bist du jetzt?«

    »Wenn du aus dem Fenster guckst, siehst du mich.«

    Barfuß und nur mit meinem alten zartrosafarbenen Nachthemd bekleidet, auf dem viele kleine Mickey Mäuse herumtanzten, rannte ich durchs Treppenhaus, um Berit hereinzulassen und mit dem Gepäck zu helfen. Zu spät fiel mir ein, dass mich in dem Aufzug besser keine Menschenseele zu Gesicht bekommen sollte.

    »Dein Mann tickt doch wohl nicht ganz richtig!«, schimpfte ich, während ich keuchend einen der Koffer zu mir in den zweieinhalbten Stock hinaufschleppte. Dem Gewicht nach zu urteilen, hatte Marco eine Tonne Pflastersteine eingepackt.

    »Ich wusste gar nicht, dass du nachts so schicke Sachen anziehst«, kicherte Berit und quälte sich die letzten Stufen hinauf. »Das ist also das Geheimnis deines Erfolgs bei Tim.«

    »Lenk nicht vom Thema ab.«

    »Lass mir doch die kleine Freude, ich habe sonst gerade nichts zum Lachen.« Mit einem Mal hatte sie Tränen in den Augen. »Kann ich ein paar Tage bei dir unterkommen? Ich weiß im Moment wirklich nicht weiter.«

    Ich ließ den Koffer zu Boden sinken und drückte Berit fest an mich. »Natürlich kannst du bei mir wohnen.«

    »Ich zahl dir auch Miete.«

    »Das wäre ja noch schöner.«

    »Aber du brauchst Geld für die Reparatur deiner Kamera.«

    »Berit, du hast mir eine etwaige Miete schon auf Monate hinaus im Voraus bezahlt, indem du mir deine Kamera ausgeliehen hast. Ohne die wäre ich absolut aufgeschmissen. Womit sollte ich denn sonst derzeit arbeiten?«

    »Schade, dass Marco den Schließzylinder von unserer Wohnung ausgewechselt hat. Andernfalls könnte ich –«

    »Er hat was?«, unterbrach ich sie entgeistert.

    Berit senkte den Blick. »Gestern Abend hatten wir Krach, bevor ich in die Arbeit gegangen bin. Ich war so wütend, dass ich seinen Laptop genommen und ihn mit aller Kraft auf den Boden geschmettert habe.« Sie biss sich auf die Unterlippe und sah mich schuldbewusst an. »Normalerweise neige ich nicht zu Gewaltausbrüchen, aber ... es kam einfach so über mich.«

    »Wenn Tim sich solche Eskapaden leisten würde wie dein Göttergatte, würde ich ihm seinen Computer auf den Kopf knallen und nicht nur auf den Fußboden!«

    »Vielleicht solltest du mal ein Antiaggressionstraining besuchen?«, schlug Engelchen tief in meinem Gehirn vor. »Erst erschießt du die Bankangestellte und nun willst du den Mann deines Lebens mit seinem Laptop erschlagen.«

    Ich ignorierte das leise Stimmchen. Stattdessen schob ich Berit ins Studio, wo mein bequemes Sofa stand. »Mach’s dir schon mal gemütlich. Ich koche uns schnell eine Kanne Tee, und dann erzählst du mir die ganze Geschichte.«

    »Kann ich eine Tasse Kakao haben? Ich brauche was Süßes, um all das Adrenalin zu bändigen.«

    Ich nickte und ging in die Küche. Nachdem ich Milch aufgesetzt hatte, prüfte ich, was der Kühlschrank an Essbarem hergab: einen Kanten fünf Tage altes Körnerbrot, ein halbes Glas Erdbeermarmelade, ein Ei und eine letzte, an den Rändern bereits etwas ausgetrocknete Scheibe Käse. Ein Festmahl sah anders aus. Ich verzog das Gesicht.

    Als mein Blick auf die Rührschüssel fiel, kam mir eine Idee. In Windeseile mischte ich Mehl, Backpulver, Zucker und eine Prise Salz, verklepperte das letzte Ei mit Milch und geschmolzener Butter in einer Tasse, kippte es über die trockenen Zutaten und verrührte alles zu einem dickflüssigen Teig. Die Pfanne war schnell aufgeheizt und keine fünf Minuten später duftete es in meiner Wohnung nach amerikanischen Pancakes.

    »Boah, die Dinger saugen den Ahornsirup ja förmlich auf!« Berit grinste über das ganze Gesicht und träufelte noch etwas mehr von dem eingedickten Saft auf ihren Stapel.

    »Warum ist der Streit mit deinem Mann so eskaliert?«, kam ich auf unser eigentliches Thema zurück. Abrupt stellte Berit die Flasche auf den Tisch und senkte den Kopf.

    »Mir wäre lieber, wenn wir jetzt nicht darüber sprechen würden. Es ist alles noch zu frisch.«

    »Ja, klar. Kein Problem«, antwortete ich schnell. Insgeheim war ich jedoch verwundert, da ihr Redebedürfnis bislang immer ziemlich ausgeprägt gewesen war, wenn sie sich mit Marco gestritten hatte. War das ein Zeichen dafür, dass die Lage diesmal wirklich ernst war? Verzweifelt suchte ich nach einem anderen Gesprächsthema. Wie es in solchen Situationen ständig vorkommt, fiel mir allerdings nichts ein, das nicht entweder profan (das Wetter), unpassend (die Hochzeit, die ich am Wochenende fotografieren würde) oder mir selbst unangenehm (wo sollte ich 7.999,-- Euro für eine neue Kamera herbekommen) war.

    Berit legte den Kopf schief. »Erzähl mir etwas Lustiges.«

    »Puh.«

    »Bitteee.«

    Ich grübelte. Leider hatte ich in letzter Zeit weder einen seltsamen Kunden gehabt noch war mir irgendein Missgeschick unterlaufen – zumindest, wenn man davon absah, dass ich heute Nacht im Traum versehentlich eine Bankmitarbeiterin erschossen hatte.

    »Erinnerst du dich, als wir vergangenen Sommer am Brombachsee zelten wollten, um den Sonnenaufgang zu fotografieren?«, fragte Berit plötzlich. »Dann ist dir die Spinne über das Gesicht gekrabbelt, und wir haben uns nicht mehr ins Zelt getraut.«

    »Das war das Horrorerlebnis des Jahrhunderts!«, stöhnte ich. Ich war schreiend hinausgerannt und hatte mir in Sekundenbruchteilen sämtliche Kleider vom Körper gerissen, weil mir die Spinne – meiner Meinung nach – in den Ausschnitt geklettert war. Warum fanden meine Freunde Dinge witzig, über die ich so gar nicht lachen konnte?

    Endlich fiel mir eine Anekdote ein, die während einer gemeinsamen Urlaubsreise passiert war: Berit hatte verzweifelt den Autoschlüssel gesucht, den ich zu guter Letzt im Kühlschrank entdeckte. Noch heute schwor sie Stein und Bein, dass sie ihn nicht dorthin gelegt hatte.

    Eine Erinnerung führte zur nächsten, und bald lachten wir über längst vergessen geglaubte Schusseligkeiten. Schließlich war das die beste Medizin gegen Kummer.

    »Ach Pia, du bist ein Schatz. Das habe ich wirklich gebraucht.« Berit schob ihren leer gegessenen Teller von sich, lehnte sich zurück und unterdrückte ein Gähnen. »Wenn du jetzt noch ein Plätzchen für mich findest, wo ich ein paar Stunden schlafen kann, bin ich so glücklich, wie es gerade nur geht.«

    »Dann lass uns dein Bett beziehen.« Ich stand auf. »Wie wollen wir es machen? Soll ich dir eine Matratze ins Ankleidezimmer legen oder ist es dir lieber, wenn ich dir die freie Hälfte meines Betts anbiete?«

    »Was ist mit Tim?«

    »Er ist für eine Weile als Taktikausbilder zur Bereitschaftspolizei nach Eichstätt abgeordnet. Hab ich dir doch erzählt. Zurzeit kommt er allenfalls am Wochenende nach Nürnberg – und da kann ich bei ihm übernachten.«

    »Also, wenn es dich wirklich nicht stört, können wir gerne Bettsharing machen, solange ich Nachtdienst habe. Und danach ...«

    »... sehen wir weiter«, fiel ich ihr ins Wort. »Lass uns noch schnell deine Koffer auspacken. Viel Platz ist zwar nicht im Schrank, aber wenn ich meine Kleider umräume, finden wir schon ein bisschen Stauraum für deine Sachen.«

    Eine Viertelstunde nachdem sich Berit hingelegt hatte, ließ ich mich frisch geduscht auf meinen Schreibtischstuhl plumpsen und griff wieder zum Handy. Seit meine Schwester vor drei Monaten beschlossen hatte, ihr ziemlich neues iPhone durch ein noch aktuelleres Modell zu ersetzen, war ich in die Riege der stolzen Smartphone-Besitzerinnen aufgestiegen. Seither konnte auch ich Fotos und Sprachnachrichten in den gängigen Messengern empfangen und versenden.

    Wie erhofft, hatte mir Tim in der Zwischenzeit seine übliche Guten-Morgen-Nachricht geschickt. Etwas, worauf ich mich jeden Tag aufs Neue freute. Heute war es ein Foto seines Frühstücks und ein kleiner Berg Kuss-Smileys, der mich durch den Vormittag begleiten sollte. Glücklich sandte ich ihm einige Küsse zurück, und dann fuhr ich den Computer hoch.

    »Sie haben Post!«

    Zeitgleich mit der ausdruckslosen Frauenstimme poppte das kleine Vorschaufenster meines E-Mail-Clients auf. Werner, einen Polizeibeamten in Führungsposition, der unermüdlich seiner Pensionierung in knapp sieben Jahren entgegenfieberte, hatte ich vor langer Zeit kennengelernt. Als mir das Polizeipräsidium mein bei einem Dolmetschereinsatz sauer verdientes Honorar wochenlang nicht bezahlte, erbarmte er sich meines Problems. Meinen stetig steigenden Frustlevel bekämpfte er mit täglichen Gute-Laune-Mails – und die erhielt ich auch jetzt noch fast jeden Morgen.

    Heute ging es mal wieder um etwas Berufliches – zumindest im weitesten Sinn. Er hatte mir einen Cartoon gesandt. Zu sehen war ein Mann, der mit vorgehaltener Pistole den Kassierer einer Bank bedrohte. Déjà-vu! Ich schnitt eine Grimasse. Hinter ihm vollführte eine Komplizin wilde Bocksprünge, sodass ihr sogar ihre Waffe aus der Hand fiel. Die ganze Zeit kreischte sie: »Eine Laufmasche ... Ich habe eine Laufmasche!« Werners Kommentar lautete: Darum sollten Frauen keine Bankräuber werden.

    Sollte das etwa lustig sein? Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich Engelchen unterstellt, dass es sich mit Werner abgesprochen hatte. Voller Entrüstung schickte ich ihm ob der sexistischen Darstellung eine »Not amused«-Antwort und rief anschließend meinen Terminkalender auf.

    Darin herrschte für den heutigen Tag gähnende Leere. Angesichts meiner finanziellen Verhältnisse empfand ich das als ziemlich besorgniserregend, denn die 7.999,-- Euro würden wohl kaum vom Himmel fallen.

    Ohne sonderlichen Enthusiasmus kontrollierte ich meinen Kontostand. Er war mit 523,31 Euro im Plus. Rechnete man den mir gewährten Dispo in Höhe von 2.000,-- Euro dazu, hatte ich schon fast ein Drittel der neuen Kamera zusammen. Vor anderthalb Monaten hätte alles noch viel besser ausgesehen. Aber dann beschloss die Kupplung meines geliebten, alten Autos, den Geist aufzugeben, und die Reparatur riss ein enormes Loch in meine Finanzen.

    Missmutig blätterte ich meinen Terminkalender durch, um grob zu überschlagen, mit welchen Einkünften ich in den nächsten Wochen rechnen konnte. Wenn alles gutging, verdiente ich knapp 2.000,-- Euro; inklusive der Verkäufe aus den Bildagenturen. Leider standen dem rund 1.200,-- Euro Fixkosten gegenüber.

    Mir entwich ein theatralischer Seufzer. So konnte es nicht weitergehen. Ich brauchte mehr Geld. Ein Plan musste her. Und zwar am besten einer, in dem kein Banküberfall vorkam.

    2. Kapitel: Werbung – der Weg zum Erfolg

    »Aufträge« lautete das Zauberwort. Ich brauchte viele neue Aufträge. Am lukrativsten waren natürlich Geschäftskunden, die individuell angefertigte Fotografien für ihre Werbekampagne bestellten.

    Leider war der Kreis meiner Firmenkunden ziemlich überschaubar. Und da heutzutage die meisten Grafiker alles möglichst billig wollten, kauften sie das benötigte Material bei Bildagenturen ein. Dort war ich schon mit Tausenden von Aufnahmen vertreten. Das war also eine Sackgasse.

    Meine zweite Zielgruppe waren Privatleute, die sich Bilder zu besonderen Anlässen wünschten: Aktfotos für den Freund zu Weihnachten, Porträts für Omis runden Geburtstag und natürlich Hochzeiten. Letztere bedeuteten zwar eine Heidenarbeit, machten aber viel Spaß, weil man ausschließlich mit glücklichen Menschen arbeitete – und der Aufwand wurde angemessen honoriert. Oft inklusive kostenlosem Futtern am Buffet.

    Könnte ich ein Dutzend zusätzliche Trauungen knipsen, hätte ich das benötigte Geld ruckzuck beisammen. Und falls ich noch ein paar andere Aufträge erhielt und ordentlich sparte, ging es womöglich noch schneller.

    Wie kam ich kurzfristig an heiratswillige Paare, die ihre Hochzeitsfotografin nicht wie üblich ein Jahr im Voraus gebucht hatten? Normalerweise lief bei mir alles über Mund-zu-Mund-Propaganda. Zufriedene Kunden empfehlen gerne weiter. Konnte ich ein bisschen nachhelfen, indem ich die Information streute, dass ich in nächster Zeit noch freie Kapazitäten hatte?

    Von meinen Überlegungen beflügelt, verfasste ich eine Rundmail und schickte sie nach einer Millisekunde Bedenkzeit an meinen gesamten Verteiler. Wenn schon, denn schon. Nun erfuhren so gut wie alle Menschen, mit denen ich jemals zu tun gehabt hatte, dass ich derzeit ungeheuren Tatendrang verspürte und Zeit für zusätzliche Shootings hatte.

    Da es sicher eine Weile dauern würde, bis Anfragen eintrudelten, beschloss ich, einkaufen zu gehen. Nach dem Pancake-Frühstück herrschte gähnende Leere im Kühlschrank.

    Im Auto kam mir plötzlich eine Idee, an die ich bislang noch gar nicht gedacht hatte. Wer sagte denn, dass ich die neue Kamera direkt beim Hersteller kaufen musste? Natürlich erhielt ich nur dort die für die Kostenschätzung fälligen 30,-- Euro auf den Kaufpreis angerechnet. Aber wenn der Händler vor Ort Ratenzahlung akzeptierte und mir die Kamera sofort überließ, wäre ich gerettet. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, schlug ich den Weg zum Fotoladen meines Vertrauens ein.

    Obwohl sich das Fachgeschäft in der Südstadt befand, ergatterte ich ausnahmsweise auf Anhieb einen Parkplatz. Ein Omen! Die Shoppinggötter waren mir offenbar gewogen. Ein Lächeln schlich sich in mein Gesicht. Wäre doch gelacht, wenn ich mein Problem nicht gelöst kriegte. Mit langen Schritten stürmte ich auf den Eingang zu. Mein Arm schwang vor, die Finger schlossen sich um den Stangengriff. Im nächsten Augenblick knallte ich schwungvoll gegen das Glas. Shit! Die Tür gab keinen Millimeter nach. Shit! Shit! Shit!

    Natürlich: Da stand »ziehen«. Lesen bildet! Verstohlen blickte ich mich um. Mein Malheur war zum Glück unbemerkt geblieben. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf, trat zurück und zog am Griff. Auch jetzt rührte sich die Tür nicht. Schließlich rüttelte ich wie eine Besessene. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Da wähnte ich mich auf der Zielgeraden zu meiner neuen Kamera und dann hatte der Laden ... geschlossen.

    Als hätte ich mir die Finger daran verbrannt, ließ ich den Griff augenblicklich los; womöglich schrillte gleich die Alarmglocke los und die Polizei nahm mich als Einbrecherin fest. Eine Peinlichkeit, die ich mir gerne ersparen wollte.

    Hatten sich die Öffnungszeiten geändert? Meine Augen scannten die Tür nach einem Aufkleber mit den entsprechenden Angaben. Nichts. Als Nächstes presste ich meine Nase gegen das Glas. Drinnen rührte sich nichts. Licht war auch keins eingeschaltet. Aber das hatte an einem hellen, sonnigen Tag Mitte Juni nichts zu sagen.

    »Frau Ettel?«, rief eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum. Ein gut aussehender Mann, der trotz der sommerlichen Temperaturen Jackett und Krawatte trug, kam auf mich zu. »Entschuldigen Sie meine Verspätung. Ich bin Frank Fischer. Wir haben telefoniert.«

    Bevor ich ihm erklären konnte, dass ich Pia Winkler und nicht Frau Ettel war, ergriff er meine Hand und schüttelte sie enthusiastisch.

    »Großartig, dass Sie so kurzfristig Zeit für eine Besichtigung gefunden haben. Dem Konkursverwalter wäre es natürlich am liebsten, wenn wir dem Eigentümer schnellstmöglich einen Nachmieter präsentieren könnten. Dadurch würde die Konkursmasse geschont.« Er fischte einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, ging neben mir in die Hocke und machte sich am Schloss zu schaffen.

    »Konkursverwalter?«, echote ich perplex.

    »Keine Sorge! Dass der Fotoladen pleitegegangen ist, lag nicht an der Lage. Die ist wirklich ganz fantastisch.« Noch immer mühte er sich, aus den diversen Schlüsseln an seinem Bund den passenden zu finden.

    »Sie meinen, den Kamerahändler gibt’s nicht mehr?«, stammelte ich.

    Nun sah er mit gerunzelter Stirn zu mir hoch.

    »Natürlich nicht. Sonst stünde das Geschäft ja nicht zur Vermietung. Ich hab’s gleich.« Wieder steckte er einen anderen Schlüssel ins Schloss.

    »Lassen Sie mal«, murmelte ich. »Ich bin eigentlich wegen eines neuen Fotoapparats hier und nicht, um den Laden zu mieten.« Damit drehte ich mich um und hastete zu meinem Wagen zurück.

    Das Kamerageschäft meines Vertrauens existierte nicht mehr. War das zu fassen? Wo sollte ich in Zukunft den ganzen Krimskrams kaufen, den ich ab und zu brauchte? Wo den Fachsimpeleien der Verkäufer lauschen, die jede Kamera aus dem Effeff kannten? Wo Objektive ausleihen, die ich nur äußerst selten benötigte und deren Anschaffung sich daher nicht lohnte?

    Benommen kämpfte ich mich durch Nürnbergs baustellenbedingte Staus. Im Auto wurde es immer drückender. Die morgendliche Wärme war einer schwülen Hitze gewichen. Da im Stop-and-go-Verkehr kein Fahrtwind aufkam, boten die heruntergelassenen Fenster wenig Erleichterung. Nachdem ich eine gefühlte Viertelstunde an ein und derselben Stelle gestanden hatte, bog ich bei nächster Gelegenheit in eine Seitenstraße ab. Leider kannte ich mich in der Gegend kaum aus, also fuhr ich einen konstanten Zickzackkurs. Das war allemal besser, als auf der Hauptstraße festzustecken.

    Diverse Straßenzüge später kam plötzlich ein großes rotes Gebäude in Sicht. Mit einem Mal wusste ich wieder, wo ich mich befand. Wie zur Bestätigung entdeckte ich Hannes’ Mercedes am Straßenrand. Unmittelbar davor rangierte gerade ein Lastwagen aus einer Haltebucht. Wie oft war ich hier schon im Kreis gefahren, um meine alte Klapperkiste schlussendlich fünf Häuserblocks entfernt in eine viel zu kleine Lücke zu quetschen? Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ich setzte den Blinker und schnappte mir den frei gewordenen Parkplatz.

    Seit mehreren Jahren knipste ich für Hannes’ vierzehntäglich erscheinendes, regionales Hochglanzmagazin alle möglichen Veranstaltungen. Er war ein Choleriker erster Güte, der die Leute in seinem Umfeld ständig anblaffte, als hätten sie ihn persönlich beleidigt. Dass es sich dabei um seinen normalen Umgangston handelte, war mir erst mit der Zeit klar geworden. Tief in seinem Herzen war er jedoch ein durchaus liebenswürdiger Mensch, der sich um das Wohlergehen seiner Freunde und Kollegen sorgte. Vielleicht hatte er ja ein paar zusätzliche Jobs für mich?

    Der Schreibtisch der Empfangsdame im vierten Stock lag verlassen da. Ich grinste still in mich hinein. Wahrscheinlich war mal wieder der Kaffee ausgegangen, und Hannes hatte wortgewaltig dargelegt, unter diesen Bedingungen nicht arbeiten zu

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