Kuriosa
Von Maxim Berliner
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Buchvorschau
Kuriosa - Maxim Berliner
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Vorwort
Ähnlich wie auch bei meinem Erzählband „Gold", handelt es sich bei den hier versammelten Kurzgeschichten und Texten um Werke von früher. Sie spiegeln nicht mein momentanes Schreiben wider. Seit einigen Jahren arbeite ich nun an einem größer angelegten Romanprojekt, weshalb es kaum aktuelle Kurztexte von mir gibt. Weil ich es aber zu schade gefunden hätte, diese mitunter recht unterhaltsamen Kleinodien unter Verschluss zu halten, habe ich mich dazu entschieden, sie in dieser Form zu veröffentlichen. Ich hoffe, den Leserinnen und Lesern mag das eine oder andere gefallen.
Maxim Berliner
Unter dem Meer
Frank stand da in seiner blauen Badeshort. Es war eine sternklare Nacht, und der Mond blickte auf ihn herab. Er hatte ein wenig zuviel getrunken in der Hotelbar, war sentimental geworden und daraufhin, gefühlsduselig wie er war, hinunter zum Strand gegangen, um seine Traurigkeit auszukosten. Man muss nämlich über Frank wissen, dass er vor nicht allzu langer Zeit von seiner Freundin, die er wirklich sehr gern gehabt hatte, verlassen worden war. Und nun gefiel er sich darin, in seiner Einsamkeit und Melancholie zu baden.
Generell neigte Frank dazu, ständig einen imaginären Film seiner selbst vor seinem inneren Auge abspielen zu lassen, und am besten gefiel er sich einfach in der Rolle des schwer am Leben Leidenden, wenngleich er aber immer großen Wert darauf legte, dass bei dieser ganzen Vorstellung die Romantik nicht zu kurz kam. Daher zelebrierte er seine Gefühle und Sensibilität mit großer Verve und viel Sinn für Ambiente und brauchte dafür noch nicht einmal unbedingt Zuschauer, denn er war selbst sein größter Fan. Dies war übrigens einer der wesentlichen Gründe, weswegen ihn seine Freundin verlassen hatte.
So stand er also da, in seiner blauen Badehose. Er schaute eine Weile traurig auf das Meer hinaus; bis er seinen Entschluss fasste. Er tat die ersten Schritte, und das Meereswasser umspülte seine Knöchel. Dann weiter, bis es über seine Knie reichte, dann bis zu seiner Hüfte ging, und − an dieser Stelle halten wir einen Moment inne und lassen das Bild von Frank kurz einfrieren, wie er bereits mit völlig durchnässter blauer Badehose des Nachts im Wasser der See steht, unglücklich und angeduselt.
Die Frage, die uns in diesem entscheidenden Augenblick unwillkürlich in den Sinn kommt, ist, ob dieser Frank nun tatsächlich die Absicht haben kann, seinem Leben ein Ende zu setzen, nach dem, was wir bisher von ihm wissen. Kann die Vorstellung, die er von sich selber geschaffen hat und die − davon muss man ausgehen − seinem eigenen Ideal entspricht, stark genug sein, um ihn letzte Konsequenzen ziehen zu lassen? Oder noch präziser gefragt: Ist Franks Wunsch, vor seinen eigenen Augen − als seinem wichtigsten Zuschauer − dem Ideal des romantisch Leidenden, der sich aus unglücklicher Liebe schließlich das Leben nimmt, zu entsprechen, denn auch stark genug, damit er bis zum bitteren Schluss eine authentisch wirkende Vorstellung abgeben kann? − Viele große Persönlichkeiten der Weltgeschichte sind genau auf diese Weise, durch ein solches kompromissloses Verhalten den eigenen Idealen gegenüber und nichts anderem zu ihrem Ruhm und ihrer Unsterblichkeit gelangt, wenngleich diese Ideale selber möglicherweise völliger Quatsch waren. − Was könnte Frank mit dem Gang ins Wasser anderes bezwecken, als das ruhmreiche Nachleben im Kopf und Herzen der sicherlich schockierten Ex-Freundin und all jener, die davon erfahren würden? −
Um dies zu entdecken, lassen wir ihn wieder weiterlaufen, und schließlich war sein gesamter Körper bis zu den Schultern unter Wasser. Noch ein paar kleine Trippelschritte, und er war völlig untergetaucht im Meer, das jetzt, im Hochsommer, auch nachts noch angenehm warm war. Weiter hatte er jetzt eigentlich aber nicht mehr gehen wollen, denn es hätte ihm gereicht, sich selbst den Eindruck zu vermitteln, dass er es eventuell durchaus hätte tun können und er im Grunde genommen auch schon kurz davor gestanden hatte, aber durch einen Wink des Schicksals, vielleicht durch einen Delphin, der ihn − gegen seinen Willen − wieder an Land trug (wenngleich es Delphine vermutlich hier, am Ostsee-Strand, nicht in solchen rauen Mengen gab; na und − umso ungewöhnlicher und besser wäre die Rettung gewesen), vielleicht auch durch eine Sternschnuppe am Himmel als Zeichen seiner Auserwähltheit und damit der Notwendigkeit seines Fortlebens oder so etwas. Irgendetwas hätte sich schon ergeben. (Am liebsten allerdings noch durch ein mystisches Halbwesen, wie zum Beispiel eine barbusige Meerjungfrau, in die er sich zudem verlieben und mit der er erotische Abenteuer erleben und somit zwei oder drei Fliegen mit einer Klappe hätte schlagen können.)
Stattdessen aber glitt er aus, verlor festen Boden unter den Füßen, sein Kopf tauchte unter, und er rutschte einen Hang hinab, der hier unter Wasser verborgen gelegen hatte. Frank unternahm den verzweifelten Versuch, zurück zur Oberfläche zu schwimmen, um wieder aufzutauchen. Doch er war wahrscheinlich zu betrunken und schwamm in die falsche Richtung. In jedem Fall stand er schon bald wieder auf dem Grund des Meeres und fragte sich aber, warum ihm die Luft nicht knapp wurde. Er konnte unter Wasser atmen! Das fand Frank gut. Er wusste nicht, wie, aber es funktionierte, so dass die größte Gefahr zunächst gebannt war und unser Held in der blauen Badehose erst einmal verschnaufen konnte.
Geben wir ihm eine Minute, um den ersten Schrecken zu verarbeiten und sich auf seine neue Situation einzustellen. Auch wir müssen nachdenken. Was ist denn jetzt los? Es fing doch alles eigentlich relativ realistisch an. Und jetzt kann der unter Wasser atmen? Tja, was soll man sagen? − So war das nun mal in Franks Geschichte. Nehmen wir es hin, wie es zu sein scheint. Frank tat das schließlich auch. Um ihn herum waren Meerwürmer und Medusen. Er beschloss, einfach mal weiter hinab zu gehen, den Hang hinunter, bis er mit einem Male in eine Stadt aus primitiven Höhlenbehausungen kam (wovon freilich am Ostsee-Strand auch niemand etwas geahnt hatte, das es hier so etwas gab, nur ein paar hundert Meter weit vom Ufer entfernt, unter Wasser). Hier lebten Hunderte und Tausende von Trilobiten und bevölkerten den Grund. Komische, dreilappige Dinger waren das. Frank stolperte über einige von ihnen, die ihm offensichtlich während ihrer Nahrungssuche vor die Füße gelaufen waren. Sie schauten zu ihm auf und wunderten sich. So etwas Merkwürdiges wie Frank schien ihnen vollkommen fremd zu sein. Sie beratschlagten sich und trugen ihn schließlich auf ihren