Murti - der Flüchtlingsjunge: Eine wahre Lebensgeschichte
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Buchvorschau
Murti - der Flüchtlingsjunge - Doris Smonig-Klauser
DORIS SMONIG-KLAUSER
MURTI –
der Flüchtlingsjunge
Eine wahre Lebensgeschichte
Verlag Netzwerk Schweiz
Dieses Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Quellen:
Bibelzitate stammen aus «Hoffnung für alle»
Die Bibel, 1. Auflage der revidierten Fassung, Brunnen Verlag Basel, 2002
© Copyright:
Netzwerk Schweiz, CH-5000 Aarau
Oktober 2014
Verlag und Herausgeber:
Netzwerk Schweiz
Frey-Herosé-Strasse 25
CH-5000 Aarau
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Auslieferung Buchhandel:
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San Pietro Tel: ++41 (0) 91 630 29 28
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Autorin: Doris Smonig-Klauser
Gestaltung, Satz: fortissimo : think visual, 8820 Wädenswil
Druck: Jordi AG, CH-3123 Belp
Printed in Switzerland
ISBN: 978-3-90913-130-3
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die Flucht
Alevitische Kurden
Abschied und Wiedersehen
Neues Daheim in Entlebuch
Die Geister und der liebe Gott
Die Ausweisung
Jugendjahre
Ein Autounfall und ein guter Einfall
Zukunftsangst
Der Traum
Augen wie Jesus
Ein neues Leben
Ich kann nicht schweigen
Ausgebrannt
Heilungsprozess
Ein neuer Auftrag
Das BarNabas
Ein Ort zum Leben
Epilog
Nachwort
Lass dich nicht vom Bösen besiegen,
sondern besiege das Böse durch das Gute.
Römerbrief 12,21
Vorwort
Diese Wärme im Blick, fährt es mir durch den Kopf, als mich Murti bei unserem ersten Treffen in seinem Kebablokal begrüsst. Er spricht mit viel Respekt und Liebe. Er erzählt sorgfältig, bedächtig, mit Ehrfurcht vor seiner Familie und grosser Dankbarkeit gegenüber der Schweiz, die ihm ein neues Leben ermöglicht hat.
Es wird spannend. Seine Geschichte beginnt bei den Schafen im kargen Hügelland der Türkei. Sie führt uns durch den kalten Rhein in die Geborgenheit des Entlebuchs. Immer wieder steigen Tränen in diese schwarzen Augen. Murti ist ein Mann mit viel Herz.
Um ihn und seine Liebsten zu schützen, haben wir gewisse Namen geändert. Es geht nicht darum, wer genau was gesagt oder getan hat. Es geht nur darum, dass wir sehen, mit wie viel Phantasie Gott es immer wieder schafft, den Menschen zu begegnen.
Murtis Geschichte hat mich beeindruckt. Möge sie auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, tief im Herzen berühren.
Doris Smonig-Klauser, Autorin
KAPITEL 1
Die Flucht
In der Ferne bellte ein Hund. Das Wasser schloss sich eisig um meine Füsse, durchtränkte den Saum meiner Hosen, stieg dann weiter und weiter empor. Schritt für Schritt kämpfte ich mich vorwärts. Mit meinen elf Jahren hatte ich zwar schon Vieles erlebt und gesehen. Aber der Rhein, den wir in jener Novembernacht im 1989 zu Fuss durchquerten, war unbarmherzig zu uns Kindern. Neben mir spürte ich Sanna, meine Schwester, ich hörte ihr Keuchen und merkte, wie ihre Hand nach mir suchte. Wir klammerten uns aneinander, als das Wasser bis zu unserer Hüfte hochstieg und uns schier den Atem raubte. Anin, der Kleinste, war verstummt. Eben noch hatte er gewimmert in den Armen meiner Mutter, die hinter uns durchs Wasser watete. Onkel Onur trug meinen zweiten Bruder, Haydar, auf dem Rücken. Haydars Gesicht schimmerte weiss hinter dem breiten Rücken des Onkels hervor und die schwarzen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Gespenstische Stille um uns. Nur das Plätschern des Wassers und die schwarzen Gestalten um uns her, die sich mit uns vorwärtskämpften, verzweifelt versuchten, Halt zu finden in den Steinen des Flussbetts in der Tiefe.
Wir waren auf der Flucht. Und wir wussten, dass dies unsere einzige Chance war. Der einzige Weg ins gelobte Land. Und wir Kinder hatten verstanden, dass es auch auf uns ankam. Dass das kleinste Geräusch uns bei diesem letzten illegalen Grenzübertritt verraten konnte.
Onkel Onur gab uns das vereinbarte Zeichen, stehen zu bleiben. Das Wasser riss an unseren Kleidern, doch gemeinsam hielten wir der Strömung entgegen. Die Männer, die unsere Gruppe begleiteten, Schlepper nannte man sie, hatten uns am Vorabend die letzte Etappe erklärt.
«Wer kann schwimmen?»
Mein Onkel und ein gutes Dutzend anderer Männer hatten schweigend eine Hand erhoben.
«Jeder von euch nimmt drei oder vier Kinder mit. Die letzten paar Meter des Flusses sind tief. Da müsst ihr die Kinder tragen.» Angst hatte mich gepackt wie mit unsichtbaren Krallen.
Ich schlotterte am ganzen Körper, als Onkel Onur endlich aus der Dunkelheit vor uns auftauchte. Ich kam als zweiter dran und liess mich auf seinen Rücken hieven. Den Plastiksack mit meiner Ersatzhose und dem Pullover hob ich weit über meinen Kopf. Wenige Augenblicke später fand ich mich auf der Böschung wieder, neben Haydar, der bereits im Gras kauerte und leise weinte. Ich drückte mich an ihn und spürte, wie er ebenfalls am ganzen Körper zitterte. Da fiel mir ein, was die Männer uns eingetrichtert hatten. Die trockenen Kleider in den Säcken! Mit klammen Fingern begannen wir uns umzuziehen.
Mein Pullover roch noch immer nach Schaf und unvermittelt überfiel mich eine Welle von Heimweh. Wie war es möglich, dass plötzlich nichts mehr so war wie früher? Wo mochten meine Schafe in der Zwischenzeit sein? Vor meinen inneren Augen tauchte die Herde auf, die zotteligen Mutterschafe mit den prall gefüllten Eutern. Die Lämmer, noch wackelig auf den Beinen, die zu zweit, zu dritt trotz flimmernder Hitze um ihre Mütter herum tollten. Ganz besonders die kleine Berma, mein Lieblingsschaf! Ich hatte sie kurz vor unserer Flucht von den Weiden nach Hause getragen. Wie immer, wenn die Sonne sich hinter den Bäumen versteckte, hatten wir unsere Hirtenstäbe genommen und die Schafe heimwärts getrieben. Tahir, mein Freund, lief zuvorderst, dicht gefolgt vom Leitschaf. Haydar rannte