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Konzerne unter Beobachtung: Was NGO-Kampagnen bewirken können
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eBook236 Seiten2 Stunden

Konzerne unter Beobachtung: Was NGO-Kampagnen bewirken können

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Über dieses E-Book

Die Macht der Konzerne wächst – in der Schweiz und weltweit. Der Einfluss der Schweizer Multis wie Nestlé, Novartis, UBS, CS, Glencore und anderer kennt keine Grenzen. Ihr Tun entscheidet über das Schicksal von Millionen, über die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen aller Art, darüber, wer profitiert und wer nicht. Doch mit der Macht der global tätigen Konzerne ist auch die Kritik an ihnen gewachsen. Nichtregierungsorganisationen decken auf, wie Multis Menschenrechte missachten, die Umwelt schädigen, Arbeitskräfte ausbeuten, Profite in Steueroasen verstecken. Die Konzerne reagieren mit neuen Strategien. Was ändert sich wirklich? Ist »soziale Unternehmensverantwortung« mehr als nur Imagepflege?
Das Buch analysiert, wie Konzerne unterschiedlich auf den Druck der Zivilgesellschaft reagieren, was sich in der Schweiz verändert hat und welche Rolle die Politik spielt. Es zieht eine Zwischenbilanz nach mehr als vierzig Jahren Auseinandersetzungen zwischen NGOs und Schweizer Konzernen. Und das Buch zeigt, dass die NGOs mit ihren Kampagnen einiges in Sachen Arbeitsbedingungen und Umweltschutz erreicht haben. Eine Erfolgsgeschichte.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotpunktverlag
Erscheinungsdatum21. Sept. 2016
ISBN9783858697226
Konzerne unter Beobachtung: Was NGO-Kampagnen bewirken können

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    Buchvorschau

    Konzerne unter Beobachtung - Markus Mugglin

    Unternehmensverantwortung

    Einstieg

    Konfrontation und Kooperation

    Im März 2010 startete Greenpeace eine internationale Kampagne gegen Nestlé. Der Nahrungsmittelkonzern müsse auf Palmöl aus Urwaldzerstörung in Indonesien verzichten. Ein Video auf Youtube wurde aufgeschaltet; in Anspielung auf den Werbeslogan für den Schokoriegel KitKat, »Have a Break« (Mach mal Pause), hieß er »Give the Orang Utans a Break!« Mehrere Millionen sollen sich das Video angeschaut und Hunderttausende die Kampagne mit Aktionen, Protestmails und Nachrichten auf sozialen Medien unterstützt haben.

    Die Aktion hatte großen Erfolg. Begünstigt durch die Reaktion des Konzerns, der den Rückzug des Videos mit Copyright-Argumenten durchsetzte. Damit war der Skandal perfekt. In den sozialen Medien folgte ein Shitstorm. Statt auf Youtube schaltete Greenpeace das Video auf der Internetplattform Vimeo auf.

    Höchste Zeit für Nestlé, die Strategie zu ändern. Der Konzern suchte das Gespräch mit Greenpeace, stoppte die Käufe von Palmöl beim indonesischen Unternehmen Sinar Mas, beteiligte sich am runden Tisch für nachhaltiges Palmöl und startete die Zusammenarbeit mit Forest Trust, einem auf die Zertifizierung nachhaltigen Palmöls spezialisierten Unternehmen.

    All das geschah in nur zwei Monaten. Für Robert Blood markieren sie die große Wende von Nestlé. Er ist Chef von SigWatch, einem Unternehmen, das die Kampagnen von weltweit 6000 Nichtregierungsorganisationen systematisch beobachtet und bewertet. Wird ein Unternehmen kritisiert oder findet es lobend Erwähnung in irgendeiner Aktion in Nordamerika, Europa, Lateinamerika oder im asiatisch-pazifischen Raum, verarbeitet Sig-Watch diese Informationen zu jährlich publizierten Rankings. Welche Unternehmen erhalten am meisten Lob und welche stehen am meisten in der Kritik der Nichtregierungsorganisationen? Für jedes Unternehmen werden die positiven und negativen Meldungen gegeneinander aufgerechnet. Bei den Top-Firmen überwiegen die positiven, bei den Flop-Firmen die negativen Meldungen.

    Nestlé ist der große Aufsteiger der letzten zwei Jahre im Sig-Watch-Ranking. Bis 2010 sei das Ansehen des Nahrungsmittelmultis als »undiskutabel« abgetan worden, meinte Robert Blood rückblickend.¹ Die nicht verstummenden Kontroversen um Babynahrung und die KitKat-Affäre hätten dem Ansehen geschadet. Doch das ist Vergangenheit. 2014 hätten die Nichtregierungsorganisationen keinem anderen Unternehmen der Welt so viel Lob gespendet wie Nestlé. 2015 wiederholte sich die Erfolgsstory. Im Ranking »Corporations that NGOs Loved and Hated«² erhielt der Nahrungsmittelmulti erneut die Bestnote vor der britischen Ladenkette Marks & Spencer und – ebenfalls überraschend – McDonald’s auf dritter Position. Der Fast-Food-Gigant erhielt positive Feedbacks wegen höheren Löhnen in der Wertschöpfungskette, einem Engagement im Bereich Tierschutz, Maßnahmen gegen Antibiotika in der Nahrung und Kennzeichnungen zu angebotenen Speisen.

    Nestlé erhielt Lob von Nichtregierungsorganisationen für die Bemühungen um Transparenz in der Lieferkette: Unter welchen Bedingungen werden die vom Konzern benötigten Rohstoffe Kakao, Kaffee oder Palmöl produziert? Auch die Engagements in den Bereichen Klimawandel und Wasser würden oft gewürdigt.

    Das heißt allerdings nicht, dass es keine Kritik mehr an Nestlé gibt. Die Differenz zu früher liegt darin, dass im Falle des Nahrungsmittelkonzerns positive und negative Nachrichten fast ausgeglichen sind. Es gibt nach wie vor Kritik. Selbst Klagen vor Gerichten gibt es weiterhin. Anfang 2016 wurde in den USA eine Klage von ehemaligen Kinderarbeitern auf Kakaofeldern in der Elfenbeinküste zugelassen.

    Nestlé ist ein Beispiel unter vielen global tätigen Unternehmen. Sie befassen sich mit »Corporate Social Responsibility«, Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Menschenrechten. In den letzten Jahren wurden Dutzende von Standards für die Verantwortung der Unternehmen entwickelt, Hunderte von Industrie-Initiativen ergriffen, Tausende von Unternehmen haben spezifische Verhaltenskodizes mit sozialen und ökologischen Zielen verabschiedet. Dazu kommen die international vereinbarten Leitsätze: die vor vierzig Jahren verabschiedeten Grundsätze der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die ebenfalls in den 1970er-Jahren verabschiedete Tripartite-Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über Prinzipien für multinationale Unternehmen, der 1999 am WEF in Davos lancierte UN Global Compact sowie die 2011 gutgeheißenen UNO-Leitsätze über Wirtschaft und Menschenrechte. Es gibt eine nicht mehr überschaubare Vielfalt an Vorgaben und Versprechen. Dazu kommt die beim UNO-Menschenrechtsrat lancierte Diskussion über eine verbindliche internationale Konvention zur Einhaltung der Menschenrechte durch multinationale Unternehmen.

    Viele Unternehmen ergreifen soziale und ökologische Initiativen. Zum Beispiel viele Banken und andere Finanzinstitute. Nachhaltig angelegte Gelder nehmen seit Jahren zwei- oder gar dreistellig zu und wachsen allmählich aus einer kleinen Anlagenische heraus. Aufs ganze Bankengeschäft machen sie vorerst aber noch immer nur einen vergleichsweise geringen Teil aus.³

    Selbst die heftig umstrittenen Rohstoffunternehmen von Glencore über Trafigura, Vale bis zu den Verarbeitern des Edelmetalls Gold bekennen sich in neu formulierten Verhaltenskodizes zu Menschenrechten. Das überrascht insofern nicht, als sie in den letzten Jahren ebenfalls Ziel von Kampagnen geworden sind. Der Schweizer Ableger des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale wegen den Steueroptimierungspraktiken seiner Niederlassung in St-Prex, Trafigura wegen seiner engen Bande zu Personen im Umfeld der angolanischen Regierung, Glencore wegen des Verdachts der systematischen Steuervermeidung in Sambia und der Umweltschäden des Kohleabbaus in Kolumbien, Louis Dreyfuss wegen der Kinderarbeit im Baumwollanbau in Usbekistan.

    Die Liste der Top-Unternehmen, wie sie jährlich die Handels­ zeitung zusammenstellt, erweist sich als eine Art Topliste der von Nichtregierungsorganisationen publik gemachten Skandalstories. Und weil sie alle ausgesprochen global tätig sind, machen sie nicht nur in der Schweiz von sich reden. Die Kampagnen und die dahinter stehenden Akteure sind selber globalisiert. Greenpeace, WWF, Amnesty International, OXFAM, Friends of the Earth agieren international und haben – spiegelbildlich zu den Großkonzernen – ihre nationalen Ableger mit zusätzlich nationalen Kampagnen. Aber auch kleinere, nationale Nichtregierungsorganisationen agieren international koordiniert in grenzüberschreitenden Allianzen: Die Clean Clothes Campaign für faire Bedingungen im Textilsektor, das Tax Justice Network gegen Steuervermeidungspraktiken, die um die niederländischen Spezialisten von »Banktrack« gruppierten Organisationen für Aktionen über die weltweit führenden Großbanken.

    Auch in den Kommunikationsstrategien und -methoden stehen sie ihren Kontrahenten nicht nach. Sie schlagen die Unternehmen zuweilen mit deren eigenen Waffen.

    Die Kampagnen der Nichtregierungsorganisationen richten sich am häufigsten gegen konsumnahe Industrien und Unternehmen des Finanzsektors. Weniger im Fokus stehen andere Industriebranchen und der Rohstoffsektor. Zumindest bisher war dem so. Mit dem Klimawandel scheint sich das zu ändern. Erste Anzeichen gab es im Umfeld des UNO-Klimagipfels von Paris von Ende 2015. Die Erdöl- und Kohlemultis rücken allmählich ins Zentrum der Kritik. Der gemessen am Börsenwert weltweit größte Erdölkonzern Exxon Mobil und der zweitgrößte US-amerikanische Erdölkonzern Chevron haben es an ihren Generalversammlungen im Frühjahr 2016 erfahren. Starke Minderheiten von knapp unter beziehungsweise knapp über 40 Prozent forderten Transparenz und Rechenschaft über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Geschäftsrisiken der beiden Konzerne.

    Im Ranking von SigWatch gibt es schon Hinweise, dass die Rohstoffkonzerne vermehrt in den Fokus von Kampagnen rücken. Shell führte in den letzten zwei Jahren die Liste der am schärfsten kritisierten Unternehmen an. Mit Trans Canada, Exxon Mobil und BP schafften es drei weitere im Erdölgeschäft tätige Unternehmen unter die zehn, die 2015 am meisten in der Kritik standen. Auf den Rängen zwischen dem elften und dem 20. Rang folgten mit Enbridge (betreibt Rohöl- und Flüssigkeiten-Pipe-line-Systeme), Chevron und Total drei weitere Unternehmen aus diesem Sektor. Stark in der Kritik stehen regelmäßig auch der Gentech-Multi Monsanto und die Weltbank.

    Dass sich die Kampagnen vor allem gegen die Großen richten, lässt sich einfach erklären, meinen die NGO-Beobachter von SigWatch. Denn mit Kampagnen gegen große und bekannte Marken lasse sich am meisten erreichen. Sie erregen medial mehr Aufsehen als Kampagnen gegen wenig bekannte Unternehmen. Gehen große Unternehmen auf Kritik ein und ändern ihre Geschäftspraktiken, kommt das mehr Menschen zugute, als wenn ein kleines Unternehmen seine Praktiken ändert. Ändern große Unternehmen ihr Verhalten, »färbt« es auch auf mittlere und kleinere Unternehmen der gleichen Branche »ab«. Umgekehrt ist das kaum der Fall.

    Vieles bewegt und ändert sich. Unternehmen, vor allem große mit globaler Wirkung, haben ihre Verhaltenskodizes. Doch vollziehen sich die Änderungen genügend schnell, sind sie ernsthaft, reichen sie weit genug, wird das Kerngeschäft tangiert oder ist es so, wie SigWatch beobachtet, dass die Unternehmen jeweils nur korrigieren, was gerade in der Kritik steht? Geschieht also nur »Greenwashing«, »Bluewashing« oder Imagepolitur, wie Konzernkritiker angeblich gewieften Konzernchefs vorhalten?

    Was hat sich verändert und wie stark? Wo stehen die Auseinandersetzungen zwischen den Konzernwelten und ihren Kritikern? Wie unterschiedlich wurden Veränderungen vollzogen – bei Nestlé, Novartis, den beiden Großbanken UBS und CS, bei Glencore, bei den Goldraffinerien, im Detailhandel? Wie beurteilt Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck-Letmathe die Veränderungen in den Beziehungen zwischen Konzernen und Zivilgesellschaft? Was hat sich aus Sicht von Danièle Gosteli Hauser von der Schweizer Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International getan?

    Auch die Veränderungen in der NGO-Szene werden beleuchtet: Wie sich die globalisierungskritischen Bewegungen selber globalisieren, welche Strategien sie verfolgen, welche Erfolge sie erzielen. Schließlich die Politik der Schweiz: Strebt sie bezüglich Menschenrechten und Wirtschaft, Corporate Social Responsibility nach ganz oben, wie im jährlich publizierten Ranking des World Economic Forum (WEF) zur Wettbewerbsfähigkeit oder in internationalen Vergleichen über die Innovationskraft der Länder? Oder gibt sich die Schweiz damit zufrieden, möglichst unauffällig »hinterherzutraben«? Geht es nach der Methode des Nachvollzugs, also zuwarten, bis andere Länder vorangehen, um sie dann zu kopieren, wenn es nicht mehr anders geht? Oder versucht die Schweiz bewusst weniger zu tun als andere, weil Regulierungen angeblich der Wettbewerbskraft des Landes Schaden zufügen?

    Die Schweiz und ihre Unternehmen sind Global Player par excellence. Sie erwirtschaften den weitaus größten Teil ihrer Umsätze im Ausland. Die Rohstoffhändler sowieso. Ihre Ware erreicht gar nie Schweizer Boden. Auch die traditionellen Schweizer Multis von Nestlé über Novartis bis Roche, ABB oder Holcim sind mehr international als national präsent. Deren Produktionsstätten und Arbeitsplätze befinden sich zum größten Teil im Ausland.

    Die Schweizer Wirtschaft und ihre größten Unternehmen sind seit langem international ausgerichtet. Sie haben sich aber in den letzten Jahrzehnten noch viel stärker globalisiert. Der Kapitalbestand schweizerischer Direktinvestitionen im Ausland hat sich seit 1990 weit mehr als nur verzehnfacht. Damals betrug er 85 Milliarden Franken. 2014 stieg er auf mehr als 1000 Milliarden und übertrifft damit bei weitem das jährlich in der Schweiz erwirtschaftete Bruttonationalprodukt. Die Expansion im Ausland drückt sich auch in den Beschäftigtenzahlen aus. In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre zählten Schweizer Niederlassungen im Ausland 1,3 Millionen Beschäftigte. 2014 waren es fast zwei Millionen. Viele Schweizer Unternehmen gehören auch zu den Großen ihrer Branchen. Nestlé übertrifft alle anderen Nahrungsmittelunternehmen. Novartis und Roche gehören im Pharmasektor zur Spitzengruppe, Syngenta im Agrarsektor, Holcim nach dem Zusammengehen mit Lafarge sowieso und auch die Rohstoffhändler – sei es im Geschäft mit Öl oder mit verschiedenen Mineralien und Metallen oder auch mit Agrarprodukten. Die Schweiz ist die globale Drehscheibe im Handel vieler Rohstoffe.

    Es ist deshalb geradezu selbstverständlich: Schweizer Konzerne stehen unter scharfer Beobachtung der Zivilgesellschaft. In der Schweiz, aber auch in vielen anderen Ländern. Wie reagieren sie darauf? Verändern sie sich? Und falls ja, warum? Wie haben sich die Auseinandersetzungen zwischen NGOs und Großkonzernen verändert und mit welcher Wirkung? Darauf will das Buch Antworten geben.

    Nestlé

    Kritik und auch Lob

    Nestlé sei »ein wahrer Champion«. Solche Aussagen kommen für den Nahrungsmittelkonzern nicht überraschend, ist er doch weltweit Spitze. Kein Branchenkonkurrent kann ihn übertrumpfen, gemessen am weltweit erzielten Umsatz. Und dennoch dürfte das im Sommer 2014 geäußerte Lob selbst die Nestlé-Chefs überrascht haben. Denn ausgesprochen hat es nicht ein Finanzanalyst oder professioneller Marktbeobachter. Die Kampagnenmanagerin der Entwicklungsorganisation Oxfam, Monique van Zijl, stellte dem ansonsten oft kritisierten Multi das höchste Lob aus.¹ Die Vertreterin einer Organisation, die multinationale Konzerne regelmäßig ins Visier nimmt, immer gut dokumentiert ist und erschreckende Geschäftspraktiken der Mächtigen bloßstellt. In Deutschland beispielsweise zählt Oxfam zu den vehementesten Kritikern der Nahrungsmittelspekulanten.

    Und nun dieses Lob. Nestlé sei ein wahrer Champion für die Landrechte der Kleinbauern, habe er doch Nulltoleranz gegenüber Landraub verkündet. Auch im regelmäßig von Oxfam publizierten Report »Behind the Brands« holt sich Nestlé nach dem niederländisch-britischen Konzern Unilever die besten Noten unter den weltweit zehn größten Nahrungsmittel- und Getränkekonzernen. Die beiden schneiden bezüglich Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit deutlich besser ab als die nächstplatzierten Coca Cola, Kellogg’s, Mars und Pepsico. Nestlé erhält vor allem in den Bereichen Klimawandel und Respektierung von Landrechten Bestnoten.²

    Doch nicht nur NGOs machen plötzlich durch ungewohnt wohlwollende Urteile von sich reden. Auch in umgekehrter Richtung sind überraschende Töne zu vernehmen. Der oberste Nestlé-Mann höchstpersönlich, Peter Brabeck-Letmathe, gab sich ausgerechnet gegenüber dem vielleicht schärfsten und bekanntesten Multi-Kritiker, Jean Ziegler, außergewöhnlich konziliant: Er bekannte sich in einer Fernsehdebatte zu achtzig Prozent einig mit den Positionen und Analysen, wie sie der umstrittene Soziologe in seinem Bestseller Wir lassen sie verhungern ausgebreitet hat.³ Gutheißen könne er natürlich nicht die Kraftausdrücke wie Gauner und Halunken, mit denen Ziegler seine Kontrahenten zu beschimpfen pflegt. Aber auch er geisselt die Produktion von Lebensmitteln, die statt Menschen zu ernähren als sogenannter Biosprit die Fahrzeugmotoren antreiben. Auch die Spekulation mit Nahrungsmitteln kritisierte Brabeck-Letmathe bei seinem gemeinsamen Auftritt mit Ziegler, wodurch das Rauf und Runter auf den Märkten verstärkt werde. Auch zu dieser Kritik meinte der Nestlé-Chef: »Das ist vollkommen richtig.«⁴

    Werden da neuerdings gemeinsam Friedenspfeifen geraucht? Sind die alten Zeiten der Konfrontation Vergangenheit, als die Berner Arbeitsgruppe Dritte Welt den Nahrungsmittelriesen mit der Publikation Nestlé tötet Babies krimineller Taten beschuldigte und die Erklärung von Bern kurz danach die Multis der Unterwanderung des UNO-Systems bezichtigten? Oder der Multi-Schreck Jean Ziegler Peter Brabeck-Letmathe zu den gefürchtetsten »Kosmokraten« gezählt hat: Er »bekämpft gnadenlos jede Gewerkschaft [...], erobert Märkte mit der Brutalität eines Dschingis Khan und hält in Vevey einen Hofstaat von unterwürfigen Schranzen.«

    Um es vorwegzunehmen, nein, es herrscht nicht »Friede, Freude, Eierkuchen« zwischen den Kontrahenten. Es gibt weiterhin Gegensätze und Auseinandersetzungen, Polemiken, Anschuldigungen und auch gegenseitiges Misstrauen. Aber der Fall Nestlé ist exemplarisch für eine neue Qualität des Streits. Zu ihm gehören Konfrontation und Anklagen ebenso wie Dialog. Gleichzeitig und auch abwechselnd prägen sie das Verhältnis zwischen Konzernen und ihren Kritikern. Oder wie es Peter Brabeck-Letmathe ausdrückt: Am Vormittag sind sie als Kollegen bei uns im Büro, am Nachmittag sind sie draußen als Protester (vgl. Interview mit Peter Brabeck-Letmathe, Seite 37).

    Bittersüße Kakaobohnen – USA machen Druck

    Die Auseinandersetzungen um Schokolade und Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen scheinen geradezu exemplarisch für die vielfältigsten Formen von Kritik, Sanktionsdrohungen, Gerichtsklagen, Versprechen, schönen Plänen und wirklichen Veränderungen.

    Es begann 2001 mit dem »Harkin-Engel-Protokoll«. Harkin steht für einen US-amerikanischen Senator mit dem Vornamen Tom und Engel für das damalige Kongressmitglied Elliott

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