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In die Politik gehen: Tipps für den Nachwuchs
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eBook271 Seiten4 Stunden

In die Politik gehen: Tipps für den Nachwuchs

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Über dieses E-Book

Wie man in die Politik einsteigt und was man dafür können muss, lernt man weder an einer Uni noch auf YouTube. Wie findet man die richtige Partei? Wie kommt man zu öffentlichen Auftritten und meistert diese? Was braucht es für einen erfolgreichen Wahlkampf? Und müssen Politiker einen Velohelm tragen? Der Berufspolitiker Conradin Cramer gibt konkrete Antworten und bietet einen einzigartigen Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs. Er hat das Buch geschrieben, das er vor 20 Jahren selbst gerne gelesen hätte. In die Politik gehen ist voller Tipps und Tricks für alle, die sich für das Handwerk der Politik interessieren.
SpracheDeutsch
HerausgeberNZZ Libro
Erscheinungsdatum2. März 2021
ISBN9783907291276
In die Politik gehen: Tipps für den Nachwuchs

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    Buchvorschau

    In die Politik gehen - Conradin Cramer

    Wie man in die Politik einsteigt und was man dafür können muss, lernt man weder an einer Uni noch auf YouTube. Wie findet man die richtige Partei? Wie kommt man zu öffentlichen Auftritten und meistert diese? Was braucht es für einen erfolgreichen Wahlkampf? Und müssen Politiker einen Velohelm tragen?

    Der Berufspolitiker Conradin Cramer gibt konkrete Antworten und bietet einen einzigartigen Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs. Er hat das Buch geschrieben, das er vor 20 Jahren selbst gerne gelesen hätte. In die Politik gehen ist voller Tipps und Tricks für alle, die sich für das Handwerk der Politik interessieren.

    «Für alle, die wissen wollen, wie Politikerinnen ticken (sollten). Lustvoll, mit Selbstreflexion und Humor geschrieben.»

    Ruth Metzler, ehemalige Bundesrätin, 1999 im Alter von 34 Jahren gewählt

    «Du möchtest in die Politik, aber bist dir noch nicht ganz sicher, ob du diesen Schritt wirklich wagen willst? Mein Tipp: Probier es einfach. Und lies zuvor In die Politik gehen von Conradin Cramer. Es zeigt dir alle Möglichkeiten auf, und nach der Lektüre bist du mehr als vorbereitet für dein künftiges politisches Engagement.»

    Laura Zimmermann, Co-Präsidentin Operation Libero

    «Politik ist wie eine Expedition im Amazonas: anstrengend, faszinierend, zuweilen berauschend, manchmal aber auch gefährlich. Wer sich gut vorbereitet, geschickt navigiert und stetig lernt, kommt ans Ziel. Egal, auf welcher Stufe Sie mitwirken wollen: Dieser Ratgeber ist Gold wert. Er ist ehrlich, süffig geschrieben und gespickt mit Inputs.»

    Mark Balsiger, Politikberater, Kommunikationstrainer, Initiant Courage Civil

    «Nach vielen Jahren als zivilgesellschaftlicher Unternehmer habe ich den Sprung ins kalte Wasser der Politik gewagt – und bereue es nicht. Dieses praktische Buch von Conradin Cramer macht hoffentlich vielen weiteren Menschen aus der ganzen Breite der Gesellschaft Mut, ebenfalls in die Politik zu gehen und sich mit ihren Ideen einzubringen!»

    Nicola Förster, Mitgründer foraus, Co-Präsident Grünliberale Kanton Zürich

    «Der Ratgeber begleitet den politischen Nachwuchs auf dem Weg in die institutionelle Politik; gibt handfeste Anleitungen und praxisnahe Kniffe. Die kurzweilige Lektüre richtet sich auch an politisch Interessierte und zeigt, was das kompromisssuchende Spiel zwischen politischen Mehr- und Minderheiten von den politischen Akteuren selbst abverlangt.»

    Rahel Freiburghaus, Politologin Universität Bern

    «In die Politik gehen ist die muntere Einsteiger-Fibel für Politik-Interessierte, ein Ratgeber irgendwo zwischen Machiavelli und Betty Bossi. ‹Der Cramer› ist der Tiptopf für alle, die sich mit den ganz grundsätzlichen Rezepten der Parteipolitik vertraut machen wollen.»

    Gabriel Vetter, Satiriker

    In die Politik gehen

    Tipps für den Nachwuchs

    Conradin Cramer

    NZZ Libro

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2021 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel. Der Text des E-Books basiert auf der gedruckten 1. Auflage 2021 (ISBN 978-3-907291-26-9)

    Lektorat: Jens Stahlkopf, Berlin

    Umschlag: Janet Levrel, Chemnitz; Kathrin Strohschnieder, Oldenburg

    Coverfoto: zVg; Porträtfoto Über den Autor: Lucia Hunziker, Basel

    E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

    ISBN E-Book 978-3-907291-27-6

    ISBN gedruckte Ausgabe 978-3-907291-26-9

    www.nzz-libro.ch

    NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

    I. Das ist ein Ratgeber

    Meine Mutter hat mich immer vor der Politik gewarnt. Politik sei ein «Drecksgeschäft». Das ist, bei allem Respekt vor meiner Mutter, Unsinn. Klar, es kann heftig zugehen in der Politik, weil es immer um viel geht: um allgemeingültige Regeln. Politik ist Denken in Alternativen im Hinblick auf Ergebnisse, die für alle verbindlich sind. Das macht Politik intensiv, fordernd und manchmal hart. Aber in ihrer Vielfalt, inhaltlich und menschlich, ist Politik eine der schönsten Neben- oder Hauptbeschäftigungen für neugierige Menschen.

    Dieses Buch ist ein Ratgeber. Geschrieben für alle, die Politik machen wollen und ein paar Tipps dafür brauchen könnten. Es ist das Buch, das ich vor 20 Jahren gerne gelesen hätte. Es enthält praktische Überlegungen eines Praktikers, nicht mehr und nicht weniger.

    Ich bin in die Politik hineingerutscht und bis heute nicht mehr herausgekommen. Seit gut vier Jahren ist Politik mein Beruf. Mit 36 Jahren wurde ich Regierungsrat im Kanton Basel-Stadt.¹ Vorher sass ich 16 Jahre lang in Parlamenten, zuerst in der Gemeinde Riehen,² dann im Grossen Rat von Basel-Stadt.³ Ich mache Politik, seit ich 17 bin.

    Über das Handwerk der Politik zu schreiben, ist bereits politisch. Dieses Buch ist denn auch nicht politisch neutral. Ich sehe mich als bürgerlich-liberal und bin seit 24 Jahren Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) des Kantons Basel-Stadt, die zur Freisinnig-Demokratischen Partei der Schweiz (FDP) gehört.⁴ Wäre ich Deutscher in Deutschland und würde trotzdem Politik machen, wäre ich wohl in der FDP, vielleicht auch in der CDU. Was ich in Österreich täte, weiss ich wie viele Österreicher nicht. Das Buch ist von der schweizerischen politischen Kultur geprägt und ich verhehle meine Überzeugungen nicht. Widerspruch ist willkommen.⁵

    Dieses Buch ist nicht auf Distanz und Diplomatie ausgelegt. Ich will dich direkt ansprechen und duze dich deshalb ungefragt. Ich habe es so geschrieben, dass du entweder alles in einem Zug lesen kannst oder nur Kapitel, die dich interessieren. Wenn du nur die reinen Ratgeberteile lesen willst, informiere dich vor allem über die Grundkompetenzen (III.) und das Wahlkämpfen (V.). Die Kapitel zur Fairness (VI.) und zu den Werten (VII.) gehen mehr ins Grundsätzliche.

    II. Beginne am richtigen Ort

    Inneres Feuer

    Als die Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum die Schweiz spaltete, war ich noch nicht ganz 13 Jahre alt.⁶ Schon damals glaubte ich (sicher auch beeinflusst von meinem Umfeld), dass die Schweiz nicht von Europa bedroht war, sondern vom Alleingang. Ich erinnere mich genau an diesen 6. Dezember 1992. Statt mich auf Mandarinen und Schokolade zu konzentrieren, starrte ich auf Politikergesichter im Fernsehen. Die europafreundlichen Kräfte verloren.⁷ Ich fühlte mich ganz bei diesen Verlierern. Ich wollte mithelfen, dass die Schweiz nach dieser Niederlage nicht zum eingezäunten Kleingarten Europas wird. So begann mein inneres Feuer für die Politik zu brennen.

    Das ist die PR-Version. In Wahrheit war es nicht so eindeutig. Ich habe mich schon als Kind für Politik interessiert, zunächst nicht für die Inhalte, sondern für Wahlplakate und Wahldiagramme. Mit 17 Jahren fing ich bei den Jungliberalen an. Die waren für Europa, ich kannte dort Leute, fühlte mich willkommen und auch etwas wichtig. Die politischen Inhalte überzeugten, das Soziale vielleicht noch etwas mehr. So ging es anderen auch. Die ehrlichen Antworten auf die Frage «Warum hast du mit Politik angefangen?» gleichen sich durch die politischen Lager und sind unspektakulär. Junge Menschen in der Politik wollen durchaus etwas bewegen, aber der Spass, die Prägung durch die Familie oder die Faszination für Wahltage spielen bei fast allen eine ebenso grosse Rolle.⁸ Doch alle, die länger dabei bleiben, haben inhaltliche Anliegen. Sie wollen etwas anders und hoffentlich besser machen als die etablierten Politiker. Sie brennen für etwas. Wer kein inneres Feuer hat, hört früher oder später wieder auf, weil die Verpackung der Politik ohne Inhalt auf Dauer doch nicht so spannend ist. Wenn du dich nur für die Mechanismen interessierst oder gerne so oft fotografiert werden willst wie Christian Lindner, wirst du die langen Durststrecken, während derer dich keiner fotografieren will, nicht durchstehen. Es gibt einige altgediente Politisierende, deren Feuer auf dem langen Fackelmarsch erloschen ist. Möglicherweise sind einige von ihnen gute Technokraten. Aber sind die zufrieden und können etwas Gutes bewirken? Ich bezweifle es. Wenn du Politik nur als Handwerk verstehst oder nur als eine mögliche Karriere, wirst du damit nicht glücklich.

    Auch wenn die Motive für den Einstieg in die Politik vielfältig sind, lohnt sich die grundsätzliche Frage nach dem Warum. Was antwortest du, wenn dich der fiktive Unbekannte im Lift fragt: «Du bist doch in der Politik, warum?» Kannst du ihm einen «elevator pitch»⁹ entgegenschleudern, der dich selbst überzeugt? Meine Antwort lautete mit 20 etwa so: «Ich möchte mich für eine weltoffene Schweiz einsetzen, die sich als Teil Europas versteht, für eine Welt, in der das Völkerrecht über der Macht des stärkeren Landes steht. Jeder Mensch soll möglichst viel Freiheit und Verantwortung für sich haben. Der Staat soll unterstützen, wo es für ein menschenwürdiges Leben nötig ist, aber möglichst wenig eingreifen. Ich möchte global denken und lokal handeln. Dafür brauche ich ein politisches Mandat. Bitte wählen Sie mich.» Das war hochtrabend, vieles ausblendend und etwas pathetisch – gerade richtig, wenn man 20 Jahre alt ist. Heute ist meine Antwort auf die Frage nach dem Warum eine andere (S. 75).

    Wenn du dich motiviert fühlst, Politik zu machen, ist das grossartig. Jetzt stehst du vor dem entscheidenden Schritt: Du brauchst eine Partei.

    Die richtige Partei

    Einer Partei beitreten ist nicht wie heiraten. Einer Partei beitreten ist endgültig. Eine Ehe kann man scheiden. Die Geschiedenen können wieder glücklich werden und jemand anderen heiraten. Nach der Scheidung von deiner Partei gibt es meist kein politisches Glück mehr. Parteiwechsler gelten nicht nur als Windfahnen, sondern als Fahnenflüchtige. Parteiwechsler bleiben ungeliebt in der zurückgelassenen Partei, sie bleiben Fremde in der neuen Partei und sie stossen bei den Wählerinnen und Wählern auf bleibendes Misstrauen. Es gibt Ausnahmen, aber nur wenige.¹⁰ Die meisten, die ihre Partei verlassen, verschwinden aus dem politischen Theater. Kaum jemand versucht eine zweite Karriere in einer zweiten Partei – man ist sich bewusst, dass ein zweiter Versuch in neuem Kleid fast immer scheitert. Die Wahl der Partei ist der wichtigste, nicht reversible Karriereentscheid für eine Politikerin oder einen Politiker. Du hast nur einen Schuss und der muss sitzen. Was tun?

    Wenn du systematisch vorgehen willst, schaue dir zuerst deine Optionen an, also alle Parteien, die in deinem weiteren Wohn- oder Wirkungsumfeld existieren. Scheide die Extremen aus, also die Rechts- und Linksradikalen, die weiteren Spinnerparteien und die faktischen Einpersonenparteien.¹¹ Es dürften zwischen vier und zehn einigermassen ernst zu nehmende politische Parteien übrig bleiben.

    Jetzt schaue dir die Wahlresultate dieser Parteien an. Streiche alle Parteien, die in den letzten Wahlen nicht angetreten sind oder weniger als 2 Prozent der Stimmen geholt haben. Das sind Kleinstparteien oder auch Spinnerparteien, die dir auf den ersten Blick seriös vorkamen. Solche Kleinstparteien bringen Unglück.

    Nun stellt sich die erste Gretchenfrage: Bist du bereit, auch die Kleinparteien, also Parteien, die bei den letzten Wahlen zwischen 2 und 6 Prozent Wahlanteile hatten, von deiner Liste zu streichen? Mein Ratschlag ist: streichen. Das muss ich allerdings begründen, zumal Kleinparteien oft mit sympathischen Profilen daherkommen. Sie verbinden dir wichtige Dinge zu einer schönen Parteibezeichnungssynthese, wie etwa grün und liberal, und sind nicht so Establishment. Möglicherweise kennst du zwei der wichtigsten drei Parteiexponenten, die schon die halbe Parteielite ausmachen. Dir gefallen der Start-up-Groove, die nicht ausgetretenen Pfade, das frische Erscheinungsbild. Die Versuchung, sich einer aufstrebenden sympathischen Kleinpartei anzuschliessen, kann gross sein. Widerstehe ihr. Lass dich nicht bezirzen. Kleinparteien verschwinden oft wieder oder kämpfen stetig am Abgrund, statt wie angekündigt durchzustarten, zum Beispiel die Piratenpartei in Deutschland oder in der Schweiz jüngst die BDP.

    In der Politik gibt es kaum je erfolgreiche Start-ups, zumal der Markt nicht wächst und vor allem keine neuen Marktnischen erschlossen werden können. Ausserhalb von Kriegs- und Krisenzeiten ist fast keine Partei gross geworden. Ausnahmen sind der nachhaltige Aufstieg der Grünen in Deutschland und in geringerem Mass auch in der Schweiz vor bald 40 Jahren,¹² der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) auch vor rund 65 Jahren in einem faktischen Zweiparteiensystem¹³ sowie jüngst der Alternative für Deutschland (AfD).¹⁴ Die Schweizerische Volkspartei (SVP), zunächst als Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei gegründet, war bereits vor 100 Jahren eine grössere Partei, die über die Jahrzehnte weiter gewachsen ist.¹⁵ Die Grünliberale Partei wuchs bei den Nationalratswahlen 2019 erstmals aus der Kleinparteien-Rolle hinaus.¹⁶ Ob sie sich langfristig halten kann, ist offen. Sonst gibt es keine Neu- und Kleinpartei, die seit dem Zweiten Weltkrieg auf Bundesebene gross wurde. Auf Kantons- bzw. Landesebene kann die Situation anders sein. Einzelne nationale Parteien sind in gewissen Landeswinkeln kaum vorhanden¹⁷ und es gibt starke regionale Parteien,¹⁸ die allerdings keine Karriereoptionen auf Bundesebene bieten können. Es gibt stärkere Ausreisser, aber auch da kaum je nachhaltige.

    Die Wahlstatistik zeigt es unerbittlich. Wer in der Politik Karriere machen will, sollte vorsichtig sein mit neuen politischen Produktträgern. Es gibt weitere Argumente gegen Kleinparteien: In Kleinparteien ist das Gerangel um die wenigen Ämter grösser. Wo es weniger zu verteilen gibt, ist Grosszügigkeit ein seltenes Gut. In Kleinparteien kannst du den Leuten, die du nicht so magst, kaum aus dem Weg gehen. Kleinparteien besetzen politische Nischen und brauchen dafür klare politische Aussagen. Sie können sich weniger inhaltliche Breite leisten und weniger Platz für abweichende Meinungen. Zugegeben, Kleinparteien sind für Einsteiger attraktiv, weil die Wege kürzer sind, die Hierarchien flacher, der Umgang informeller. Aber sie bieten selten Möglichkeiten, politische Verantwortung zu übernehmen. Kleinparteien bleiben fast immer Opposition, sind im besten Fall Zünglein an der Waage, aber nicht diejenigen, die gestalten können. Damit wirst du, vermute ich, langfristig nicht zufrieden sein. Mein Tipp für deine Karriere und gleichzeitig mein Appell zur Systemerneuerung: Gehe in eine grosse Partei und ziehe mit an den Seilen, um diese Partei in deine Richtung zu ziehen.

    Es bleiben, nach meinen Kriterien, die Parteien mit Wahlanteilen von über rund 6 Prozent in mindestens drei zurückliegenden Wahlen. Das sind meist zwischen drei und fünf etablierte, seit Jahrzehnten existierende Parteien. In diesen Parteien findest du dein politisches Glück am ehesten. Es ist mir sehr ernst mit diesem konservativen Ratschlag. Grosse Parteien haben eine gewisse Wählerbasis, die nicht ausschliesslich von kurzlebigen Launen abhängig ist.¹⁹ Grossparteien verändern sich von innen. Einfach zu verschwinden, ist keine Option für sie.²⁰ Grossparteien haben auch fast immer Jungparteien, die einen niederschwelligen Einstieg bieten.

    Also, nun hast du diese Liste vor dir, mit drei bis sechs Parteien. Wenn du im Kanton Zürich wohnst, sind das SVP, SP, FDP, Grüne und Grünliberale, wenn du im Kanton St. Gallen wohnst zusätzlich Die Mitte (also die ehemalige CVP). Erst jetzt bist du an dem Punkt angelangt, wo deine Ideale und Ideen für die Auswahl eine Rolle spielen. Vielleicht spürst du, wo dein politisches Herz hingehört. Und gleichzeitig weisst du, dass deine Wahl rational für dich stimmt. Wunderbar. Dann trete deiner Partei bei. Deine Chancen stehen gut, dass du glücklich mit ihr leben wirst.

    Vielleicht geht es dir aber nicht so. Du findest alle Parteien irgendwie komisch und bist auch in deinen Überzeugungen nicht so gefestigt. Du glaubst, es gebe keine Partei, die richtig zu dir passt. Wenn du etwas weniger selbstbezogen bist, glaubst du, dass du zu keiner Partei richtig passt. Dieser Glaube ist kein Irrglaube. Ein Individuum und eine Partei passen nicht zusammen. Sonst wäre die Partei deine Ich-Partei. Und für deine Ich-Partei würde sich neben dir und deinem engsten Freundeskreis niemand interessieren.²¹ Eine Partei ist ein Kompromiss. Suche bei der Parteiwahl nicht die Perfektion, sondern suche das Optimum für dich.

    Mache den Inhalts-Check. Du kannst dazu – mindestens vor nationalen Wahlen – Smartvote benützen oder in Deutschland den Wahl-O-Mat.²² Dort werden dir Fragen gestellt, wie «Sind Sie dafür, dass homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen?» oder «Soll die Videoüberwachung auf öffentlichen Strassen und Plätzen ausgeweitet werden?» Du musst nicht zwingend mit Ja oder Nein antworten, auch eher Ja und eher Nein sind möglich, und eine Frage auszulassen geht auch. Nach rund 40 Fragen bekommst du eine Auswertung, welche Parteien und welche Kandidierenden deinen Antworten wie nahe stehen. Die Schnittmengen der übereinstimmenden Antworten mit der am besten zu dir passenden Partei dürften zwischen knapp 60 und höchstens 80 Prozent liegen. Nicht das Maximum, sondern das Optimum. Und möglicherweise erlebst du satte Überraschungen. Denn, reden wir nicht darum herum, es gibt bekanntlich auch heute noch eine politische Trennung anhand der Kriterien links und rechts. Viele politisch denkende Menschen glauben ungefähr zu wissen, wo sie auf dieser Links-rechts-Skala stehen. Ein kurzer Positionsabgleich über die Onlinebefragung kann dieses Links-rechts-Denken als Trugschluss entlarven. Wundere dich nicht, dass deine Antworten nicht in das Links-rechts-Schema passen und sei ein bisschen stolz darauf. Fühle dich nicht betrogen, wenn dir auf einmal eine bürgerliche Partei näher steht als die Sozialdemokraten, obwohl du dich immer als mitte-links gesehen hast, was immer eine allgemeingültige Definition von mitte-links oder mitte-rechts sein könnte.

    Du wirst auch feststellen, dass die Streuung der politischen Meinungen in einzelnen Parteien grösser ist als in anderen.²³ Vor allem die Parteien in der Mitte wie FDP oder Grünliberale fransen in alle Richtungen aus, während die sich als links oder rechts verstehenden Parteien, also SP, Grüne und SVP, ein weniger breites Meinungsspektrum vertreten. Ob dir mehr Geschlossenheit oder mehr Vielfalt besser gefällt, ist eine Frage des Geschmacks und deines Temperaments. Eine Partei mit einheitlicher Positionierung hat den Vorteil, dass du klarer weisst, woran du bist. Eine Partei mit Meinungsvielfalt gibt dir mehr Beweglichkeit und zeugt oft von einer guten Diskussions- und Streitkultur.

    Die Parteien, die für dich obenaus schwingen, kannst du einer vertieften Inspektion unterziehen. Schau dir das Parteiprogramm an oder mindestens den Auftritt der Partei im Netz und die Positionen, die sie dort hervorhebt. Gibt es darin etwas, was für dich gar nicht geht und was du nicht ändern kannst? Nach dieser Prüfung bleiben wohl noch zwei bis drei Parteien übrig, die infrage kommen. Und jetzt kommt der richtig schwierige Teil.²⁴

    Wie sollst du zwischen den verbleibenden wenigen Varianten entscheiden? Du musst

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