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Libyens grüne Hügel: Drei Frauen im Jeep durch das Land Gaddafis
Libyens grüne Hügel: Drei Frauen im Jeep durch das Land Gaddafis
Libyens grüne Hügel: Drei Frauen im Jeep durch das Land Gaddafis
eBook421 Seiten5 Stunden

Libyens grüne Hügel: Drei Frauen im Jeep durch das Land Gaddafis

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Über dieses E-Book

Mit diesem Buch wird der Leser in ein unglaublich spannendes Reiseabenteuer entführt. Dabei zeichnen die Autorinnen ein facettenreiches Bild Libyens in den Jahren vor dem Umsturz und bieten neben ihren unterhaltsamen Erlebnissen im Land Gaddafis einen fundierten Einblick in die Infrastruktur, das politische Geschehen und das soziale Leben des zerrissenen Maghreb-Staates und seiner Bewohner. Zum Inhalt: Drei Journalistinnen haben sich in den Kopf gesetzt, in ihrem Jeep in Libyens Hauptstadt zu gelangen. Nicht nur ein gefährliches, sondern vor allem ein nervenaufreibendes Unterfangen. Alle Hürden der Bürokratie und der Frauenfeindlichkeit in diesem Land müssen überwunden werden. So nehmen es die mutigen Frauen u. A. durchaus in Kauf, tapfer 1500 abenteuerreiche Kilometer Umweg zu fahren, um endlich ans Ziel zu gelangen. Aber auch dort erwartet sie nichts als Misstrauen. Ihr selbstbewusstes Auftreten wird im Land Gaddafis nicht gerne gesehen. Sie stehen unter ständiger Beobachtung. Ihnen gelingt es allerdings, das Land und seine Bewohner so zu sehen, wie es wirklich ist. Im Genre Abenteuer und Reise muss man schon etwas Besonderes bieten, um sich einen festen Platz im Bücher-Dschungel zu erobern. Libyens grüne Hügel ist eines dieser Bücher, das man garantiert nicht aus der Hand legt, bis die letzte Seite umgeblättert ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Kern
Erscheinungsdatum27. Okt. 2011
ISBN9783939478690
Libyens grüne Hügel: Drei Frauen im Jeep durch das Land Gaddafis

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    Buchvorschau

    Libyens grüne Hügel - Marita Vihervuori

    Hermine Schreiberhuber

    Marita Vihervuori

    LIBYENS

    GRÜNE HÜGEL

    Drei Frauen im Jeep durch das Land Gaddafis

    Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    Impressum:

    © 2011 Verlag Kern

    © Inhaltliche Rechte bei den Autorinnen

    1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

    Autorinnen: Hermine Schreiberhuber, Marita Vihervuori

    Unter Mitarbeit von Mirja Kesävaara

    Herausgeber: Verlag Kern, Bayreuth

    Umschlagdesign und Satz: www.winkler-layout.de

    ISBN 9783939478690

    www.verlag-kern.de

    Titel der finnischen Originalausgabe Gaddafin vihreät kunnaat

    Übersetzung aus dem Finnischen: Mirja Kesävaara (unter Mitarbeit von Marita Vihervuori und Hermine Schreiberhuber)

    Inhalt

    Cover

    Titelseite

    Impressum

    Vorwort

    Wien, Dornbacher Straße 27

    Die Nachbarn zerstreiten sich

    Ben Ghardane und leere Sahara-Kilometer

    Ein Dorf namens Deb-Deb

    Ghadames, die schönste Oase Libyens

    Die Volksgewalt greift zu

    Auf den Spuren der Vergangenheit

    Im Schatten eines Stahlwerks

    Ein Stück offizielles Libyen

    Freizeit à la Libyen

    Das braune Kuvert

    Rückkehr nach Deb-Deb

    Amerikanische Bomben fallen an Libyens Küste - Marita 1986

    Vorsichtige Öffnung im Land des Dritten Weges - Hermine 1998

    Alle Welt hofiert Gaddafi - Hermine 2004

    Die Autorinnen

    Abbildungen

    Ebenfalls in diesem Verlag

    Vorwort

    Libyen war schon 1985 bei unserem ersten Besuch ein Absurdistan mit größenwahnsinnigen Projekten, leeren Industriehüllen, Personenkult und penibler Überwachung. In Westeuropa glorifizierte man jedoch noch immer die Revolutionen, sowohl die ältere in Libyen als auch die genau um zehn Jahre jüngere im Iran, obwohl Amerika längst den Bruch mit dem Iran vollzogen hatte und im Frühjahr 1986 Libyen mit Bombenangriffen ins Visier nahm.

    Also gefiel damals ein libyenkritisches Buch den Kritikern gar nicht. Es war nicht politisch korrekt, die bizarre grüne Revolution der Volksjamahiriya zu kritisieren. Wir schrieben auch ein kritisches Buch über den Iran. Es war das erste Iran-Buch, das nicht von Iranern geschrieben wurde, weil das Land Ausländern damals verschlossen war. Wir drei Frauen aber gelangten mit bestimmten Tricks sowohl in den Mullah-Staat als auch ins Gaddafi-Land.

    Zum Bruch des Westens mit Revolutionsführer Muammar Gaddafi kam es mit dem Lockerbie-Attentat 1988. Hier fing der westliche Zick-Zack-Kurs an. Gaddafi war ein Outlaw, über Libyen wurde ein Flugverbot verhängt. Dann wurde der libysche Machthaber plötzlich hoffähig. Er hatte auf Nuklearwaffen verzichtet und Geiseln aus Indonesien freigekauft. Unter Führung von Romano Prodi und Tony Blair ging der Westen 2004 vor Gaddafi in die Knie.

    Der Bruch des Westens mit dem Iran erfolgte mit den Mykonos-Urteilen von 1997. Die Ermordung Abdul Rahman Ghassemlous und anderer iranischer Oppositionspolitiker 1989 hatte dafür noch nicht ausgereicht. Der klerikal beherrschte Iran blieb seit der Mykonos-Affäre im Abseits, seine atomaren Ambitionen vertieften die Isolation.

    Indessen wurde Gaddafi mit seinem Ölreichtum vom Westen hofiert, bis der skurrile Potentat endgültig in Ungnade fiel und zuletzt steckbrieflich gesucht wurde. Die westliche Welt braucht Erdöl. Die arabischen Revolutionen in Tunesien und in Ägypten signalisierten, dass es sich auch im benachbarten Libyen lohnen könnte, auf die Rebellen zu setzen und nicht mehr auf den alten Machthaber.

    Die Einmischung der NATO 2011 in Libyen wurde offiziell mit dem Schutz der Zivilbevölkerung begründet. In Slowenien und Kroatien gab es kein Erdöl. Auf Brioni wurde 1991 ein Moratorium für deren Selbständigkeit verhängt, was grünes Licht für Slobodan Milosevic bedeutete, die Separatisten zurückzuholen. Dort hatte es wohl keinen Bedarf gegeben, die Zivilbevölkerung zu schützen.

    1985 bedeutete eine Reise auf dem Landweg nach Libyen pures Abenteuer. Noch dazu waren wir „drei Frauen im Jeep". Wir wollten die Volksjamahiriya mit Gaddafis obskurer Ideologie näher ergründen. Neun Monate dauerte es, bis die Visa auf dem Tisch des Volksbüros in Wien lagen. Dort beteuerten wir, uns vor allem für die römischen Ruinen Libyens zu interessieren. Als es endlich losging, war die tunesisch-libysche Grenze wegen eines Streits zwischen den Nachbarn geschlossen.

    Für uns begann eine Odyssee durch den Maghreb, ohne Wüstenausrüstung, Schutzhaft in Militärcamps inbegriffen. Nach tausenden Umweg-Kilometern fanden wir in Algerien ein Loch, schlüpften am südlichen Sahara-Tor bei Ghadames nach Libyen. Der von der Welt abgeschottete grüne Überwachungsstaat nahm uns unter seine Fittiche. Wir waren wechselnden Begleitern und Aufpassern ausgeliefert, die danach trachteten, unsere Solidarität zu sprengen. Offiziell wurden uns antike Ruinen, Mädchenschulen, leere Museen vorgeführt. Daneben begaben wir uns in Tripolis auf riskante Extratouren.

    All diese Erlebnisse zu einer Zeit, als der Wüstensohn sich in seiner Machtfülle sonnte, schildern wir „drei im Jeep" im vorliegenden Buch. Unseren späteren Kurzreisen sind eigene Kapitel gewidmet. 1986 wurden Auslandsjournalisten die Zerstörungen der US-Bombenangriffe auf Gaddafis Hauptquartier vorgeführt. 1998 litt Libyen unter dem Flugverbot. 2004 erlebte Gaddafi auf dem Gipfel in Syrte seinen größten Triumph, er wurde von der EU als Star gefeiert. Sieben Jahre später war der grüne Traum ausgeträumt.

    Der erbitterte Kampf der neuen Revolutionäre gegen den Gaddafi-Clan währte acht Monate. Im heimatlichen Syrte, der einstigen Stätte seiner Triumphe, fand Gaddafi ein ruhmloses Ende. Er starb nicht wie ein Held, auch nicht in einem Prunkzelt. Er starb als vogelfreier Gejagter, aufgespürt wie eine Ratte im Versteck. Mit ihm starben die zwei streitbarsten aus der Schar seiner Söhne. Gaddafis Ende erinnert an den irakischen Diktator Saddam Hussein, der ebenfalls seine zwei Söhne mit in den Tod riss.

    Was bleibt für die Nachwelt von dieser schillernden Figur, die sich vom Terrorpaten zum Busenfreund der Mächtigen wandelte? Ein Ruhmesblatt im Buch der Geschichte wird ihm sicher nicht zuteil. Im 42. Jahr seiner Herrschaft wurde der Mann, der sich selbst als Revolutionsführer auf Lebenszeit definierte, „durch die Hände der Revolution getötet", verkündeten die neuen Machthaber. Die Zukunft Libyens steht noch in den Sternen der Sahara. Revolutionen haben schon oft ihre Kinder gefressen.

    Wien, Dornbacher Straße 27

    Ein seltsamer Kasten mit einem Schreibtisch, einem Telefon und einigen unbequemen Stahlrohrsitzen sowie ein Araber mit düsterer Miene repräsentierten den Eingang zum Libyschen Volksbüro. Wir, Mirja und ich, brachten dem streng schweigenden Zerberus unser Anliegen vor. Dieser griff ohne ein Wort zum Telefon, rief einige arabische Sätze hinein und drückte uns dann den Hörer in die Hand.

    Am anderen Ende meldete sich eine Frauenstimme, die sich unsere Angelegenheit höflich anhörte und dem Ohr des Türwächters die Weisung erteilte, das Tor zu öffnen. Zuvor aber forderte der Vorzimmerherr unsere Namen und rekonstruierte sie nach Gehör auf einem schäbigen Papierstreifen, der als Passierschein diente. Der Türknopf öffnete das seitliche Gittertor, und wir betraten das Hoheitsgebiet des Libyschen Reiches.

    Die in ein Volksbüro umgewandelte Vertretung war eine alte Nobelvilla. Wir stiegen die Haupttreppen hinauf, um sofort wieder hinausgeworfen zu werden. Der Wächter in der gläsernen Kabine winkte uns um die Ecke. Wir betraten die Konsularabteilung durch eine Seitentür. Es war ein sorgfältig geschütztes Büro, die Angestellten saßen hinter einer dicken Glasscheibe. Die Gespräche mussten schreiend geführt und in ein winziges Loch geleitet werden, das sich auf der Höhe eines Zwergenmundes befand.

    Eine Polstermöbelgarnitur, worauf niemand saß, aus kuhbraunem Kunstleder. Die Wand war mit einem großformatigen Plakat bedeckt. Es stellte Leptis Magna dar, obwohl die libysche Regierung nicht im Geringsten an der Vergangenheit interessiert war, die Römer waren keine Araber, aber es gehört sich, auf Plakaten den alten Kram herzuzeigen. Ein kleines Regal, auf dem Reiseprospekte lagen, obwohl Libyen keine Touristen empfing. Gaddafi, mit einem breiten Lächeln auf seinem Gesicht, an der Wand gegenüber Leptis Magna.

    Die Sekretärin mit blondem Haar gönnte uns ihre Aufmerksamkeit. Wir hielten einen wohltrainierten Vortrag über unsere Aufgabe, die Überreste der Vergangenheit für eine Diaserie zu Unterrichtszwecken zu fotografieren und über die erstrangige Bedeutung Libyens in der Geschichte der Antike. Eine Handbewegung gen Leptis Magna unterstrich unsere Worte.

    Die Sekretärin setzte eine unsichere Miene auf und berief sich auf ein Einladungstelex. Wir erklärten, es sei uns bekannt, dass die Einreise nach Libyen ohne Einladung nicht möglich sei. Gerade um eine solche zu organisieren, waren wir gekommen. Die Unterstützung unseres Kulturprogramms fiel doch unter die Kompetenz der Universität oder des Unterrichtsministeriums. Vielleicht würde eine von beiden geruhen, uns das erforderliche Telex zu schicken.

    „Im Prinzip sollte das möglich sein, lenkte die Sekretärin ein und betrachtete unsere Empfehlungen, die wir durch das kleine Loch eingefädelt hatten. „Ich werde fragen, fügte sie hinzu, drehte sich auf ihren breiten Absätzen um und verschwand ins Hinterzimmer.

    Hinter dem Schalter erschien eine weitere Sekretärin, ebenfalls eine Österreicherin, etwas älter, kleinwüchsiger, dunkler und fetthaariger. Sie wog unsere Empfehlungen ab, verzog den Mund und hob ihren Blick, um uns zu mustern.

    „Auf dieser Grundlage ließe sich eine Einladung schon regeln", schloss sie und versuchte zu lächeln. Ich segnete das finnische Verlagshaus und den italienischen Diktator. Wir hatten funkelnagelneue Empfehlungen bekommen, obwohl die Serie über die Antike schon in Druck gegangen war. Benito Mussolini wiederum hatte in seinem römerfreundlichen Größenwahn die im Sand begrabenen Ruinen entblößt. Ohne ihn wäre die Vergangenheit Libyens in der Sahara verborgen, nur den Kamelen zur Freude.

    „Wann würden Sie reisen?", unterbrach die wichtigere Sekretärin meine Gedanken.

    „Im Mai", antwortete ich.

    Der Zeitraum von mehr als drei Monaten trug einen billigenden Seufzer auf ihre Lippen. Die Zeit würde für den Papierkrieg reichen. Ob es möglich wäre, die Reisepässe und Empfehlungen im Volksbüro zu lassen, natürlich nur für einen Tag. Die Sekretärinnen versprachen, ihre Vorgesetzten zu befragen.

    „Kommen Sie morgen, gleich nach zwölf", riet die blonde Sekretärin und umschlang die Pässe und Empfehlungen mit einem sauberen Gummiband. Unsere Audienz war beendet. Ein junger, gut angezogener Libyer, der im Hintergrund gelauscht hatte, verschwand mit einer dicken Mappe unter dem Arm ins Nebenzimmer.

    Ich las vom Tisch eine Zeitung des Gastgeberlandes auf, obwohl ich die arabischen Kritzeleien nicht beherrsche. Die Bilder konnte man anschauen. Davon gab es viele und sie alle stellten Gaddafi dar. Offensichtlich war er in der Öffentlichkeit aufgetreten. Die Titelzeilen waren grün gedruckt. Wir bemühten uns, in ein grünes Reich zu gelangen.

    Am nächsten Tag lehnte ein anderer Araber an der Empfangstheke im Zerberuskasten, auch er war jung und düster. Mit einem faulen Knurren versuchte er, uns auf die Straße hinauszujagen, denn der Zeitpunkt war falsch. Der Schalter der Visumsbewerber wurde zu Mittag geschlossen. Es gelang uns dennoch, seine Hand von der Wange zum Hörer zu bewegen und das Telefongespräch bewirkte, dass unsere Präsenz geduldet wurde. Ein Passierschein, diesmal in lateinischer Schrift und nur mit Vornamen, der Türknopf und hinein in die Konsularabteilung, die außer der normalen Tür noch mit einer robusten Gittertür versehen war.

    Die blonde Sekretärin begrüßte uns mit einem freundlichen Lächeln und grub die Pässe aus der Schublade aus. Sie hatte keinen kompetenten Entscheidungsträger getroffen, dem sie unser Problem hätte anvertrauen können. Vielleicht könnten wir Fotokopien von den Reisepässen und Empfehlungen liefern. Sie würde versuchen, unser Anliegen vorzutragen.

    „Wir dürfen keine Reisepässe fotokopieren, erklärte sie beinahe entschuldigend. „Die Libyer fordern alle Papiere auf Arabisch. Vor der Reise müssen Sie diese übersetzen lassen, fügte sie hinzu.

    Wir wussten Bescheid. Seit der im Jahre 1973 angefangenen Kulturrevolution brauchten die Libyer keine lateinischen Buchstaben zu beherrschen. Jedenfalls nicht offiziell. Hilfsbereit schrieb die blonde Sekretärin ihren Namen und die direkte Nummer auf einen Zettel, nahm eine Visitenkarte vom Tisch, die sich als die eines von den Libyern anerkannten Übersetzers erwies und schob sie uns durch das Loch zu.

    Das Gelingen unserer Reise lag in den Händen von Fräulein L., las ich auf dem Zettel. Dr. Abdul Aldahir wiederum garantierte, dass der Übersetzer auch in libyschen Augen Übersetzer war. Keine große Beute, aber der erste Schritt war getan.

    Die Araber besitzen kein Zeitgefühl. Die Libyer zählen sich zu den Arabern. Diese Tatsachen konkretisierten sich für uns im Laufe des Winters. Sogar eine Schnecke ist schneller, jedenfalls zielbewusster. Montags war das Anrufen nutzlos, niemand war zu erreichen. Der Freitag war dem Beten vorbehalten. Fräulein L. erhielt keine Antworten, obwohl sie sich ernsthaft bemühte. Von einem Dienstag zum anderen die Bitte, am Samstag anzurufen und umgekehrt. Die Herren widmeten uns keine Aufmerksamkeit.

    Die Realisierung unserer Reise gründete sich auf Vermutungen zweier österreichischer Sekretärinnen. Diese wurden weder bestätigt noch widerrufen.

    Wir, Mirja und ich, mussten aus Mitteleuropa weg. Die Sache blieb in Hermines Obhut.

    ˜

    Wie oft war ich schon in dieser Wachhütte an der Pforte des Volksbüros gesessen? Umgeben von libyschen Studenten, welche die Tage mit belanglosen Gesprächen totzuschlagen schienen und österreichischen Visumsbewerbern, in der Regel Geschäftsleuten oder Technikern, die nervös auf die Uhr blickten oder resigniert der Dinge harrten, die da kommen sollten?

    Das Telefon schrillte. Der schweigsame Türhüter deutete schroff auf das seitliche Gittertor, das auf Knopfdruck aufsprang und mir Einlass in die diplomatische Vertretung Libyens gewährte. Im Vorraum der altherrschaftlichen Villa stand ich wiederum vor einer Wand. Das Ganze erinnerte an den stark gesicherten Kassenschalter einer Bank. Die blonde Sekretärin hinter der Glaswand forderte mich mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Ich ließ mich in den Fauteuil fallen. Der gesteigerte Komfort, den die Sitzgarnitur ausstrahlte, im Gegensatz zu den unbequemen Rohrstühlen im Wartehäuschen, vermittelte immerhin den Eindruck, einen Schritt weitergekommen zu sein.

    Ich vertiefte mich in die Lektüre der Jamahiriya Mail, die ich unter den Argusaugen des Zerberus eingesteckt hatte. „To be Arab, or not at all, stellte der Revolutionsführer in grünen Lettern auf der Titelseite fest. Mein Horoskop auf Seite elf warnte mich: „Gehen Sie Menschen aus dem Weg, die Sie irritieren. Halten Sie Ihren Mund, wenn Streit ausbricht. Glückbringende Farbe Grün, Glückbringende Zahl sieben.

    Hinter der Glaswand herrschte geschäftiges Treiben. Verschiedene Herren marschierten durch und warfen neugierige Blicke auf die Wartenden jenseits der Barriere. Unser Mann war wohl auch darunter. Endlich öffnete sich der Durchgang einen Spalt, ein freundlich lächelnder Araber mit schwarzer Haarkrause und goldumrandeter Brille winkte mich zu sich. Herr Shaban führte mich in ein geräumiges Büro im Erdgeschoß. Neben einem massigen Schreibtisch und einer schwarzen Sitzgarnitur aus Leder bildeten ein riesiges Transistorradio und ein militärisches Gaddafi-Portrait die auffallendsten Einrichtungsgegenstände.

    Herr Shaban, seines Zeichens Presseattaché, war rundlich, freundlich und verbindlich, bestellte einen Tee für mich und hörte sich mein Anliegen an. Die Atmosphäre war entspannt. Oh ja, auch die griechischen Ruinen in der Cyrenaika wären hochinteressant, teilte er meine Begeisterung. Und den Stahlkomplex von Misurata sollten wir unbedingt besichtigen. Und ein landwirtschaftliches Projekt auch. Und selbstverständlich eine Schule. Man werde uns verständigen, sobald eine Antwort aus Tripolis eingelangt sei. Meine erste Audienz hinter den Mauern des Libyschen Volksbüros in Wien war beendet.

    ˜

    Das Libyen-Projekt stand still. Hermine hatte bei ihrem Besuch Formulare für den Visumsantrag bekommen, beziehungsweise gekauft. Diese allerdings nur für sich. Sonst herrschte Mäusestille. Mirja und ich hatten versucht, eine Empfehlung vom Freundschaftsverein der Arabischen Völker zu besorgen, aber die Herren hielten ihr Versprechen nicht. Eine prinzipielle Genehmigung und sogar Begeisterung führten zu keinen praktischen Aktivitäten. Eine sehr arabische Einstellung.

    Unsere einzige Errungenschaft blieb, die befürwortenden Zeilen des Verlegers in arabische Schnörkel umsetzen zu lassen. Eine Frau, die einen Palästinenser zum Ehegatten auserwählt hatte, erledigte die Aufgabe sogar gratis. Mehr war am Horizont von Helsinki nicht zu erreichen. Es gab auch kein Volksbüro mehr. Die finnischen Angelegenheiten liefen über Stockholm. Am Telefon wurde Italienisch gestammelt, Briefe blieben unbeantwortet.

    Dr. Abdul Aldahir empfing uns auf der Stelle. Er war neugierig und effizient. Er gab an, zwei Stunden für die Übersetzung von zwei Reisepässen und zwei langen Empfehlungsbriefen zu benötigen und diese Zeittabelle hielt er auch ein.

    „Die Araber sind paranoid, erklärte Abdul Aldahir lachend. „Am meisten beäugen sie einander. Sie müssen genau sein. Auf keinen Fall dürfen Sie Ihre Beziehungen zu den Palästinensern erwähnen, diese werden von niemandem geduldet. Beantragen Sie das ägyptische Visum als letztes. Am gescheitesten wäre es, mit Syrien anzufangen. Danach liefern Sie die Kopien der Reisepässe nach Libyen und die Sache läuft. Falls das ägyptische Visum im Reisepass steht, wenn Sie das libysche abholen, macht das nichts mehr aus. Wichtig ist, dass man die Prozedur mit sauberen Papieren anfängt, belehrte er uns.

    Ich dachte an die arabische Solidarität, als ich dem Vortrag von Abdul Aldahir lauschte; welche Brudernationen einander leiden konnten und welche nicht. Algerien und Marokko hatten höchstens mit Tricks im gleichen Reisepass Platz. Alle traten für die Palästinenser ein, nur wollte sie niemand haben. In diesem Sandkasten spielten nicht alle mit allen. Es ist der größte Sandkasten der Welt.

    „Diese Empfehlungen sind ausgezeichnet. Sie sollen diese überall vorlegen. Die Araber lieben offizielle Papiere, fuhr Abdul Aldahir fort. Er jedenfalls hatte seine Aufgabe erfüllt, es gab sowohl Stempel als auch Siegel. Natürlich in grüner Farbe. „Ich weiß, was die Araber gerne mögen. Ich habe die Papiere etwas nach ihrem Geschmack verschönert.

    Unser libyscher Kontaktmann, der Presseattache Shaban, genoss das Vertrauen von Dr. Abdul Aldahir nicht. Der Mann war in seinen Augen nicht wichtig genug. Er verzog seinen Mund, griff nach dem Stift und kritzelte die Rückseite seiner Visitenkarte auf Arabisch voll.

    „Geben Sie das Dr. Hamid. Er übt großen Einfluss aus", befahl Dr. Abdul Aldahir. Geputzt und gestriegelt, die Pässe übersetzt, neue und alte Empfehlungen offiziell gestempelt und mit dem Fürwort von Dr. Abdul Aldahir als Reiseproviant stiefelten wir alle drei in das Volksbüro. Der April war schon weit fortgeschritten, die Sonne schien und die Abfahrzeit näherte sich bedrohlich.

    In dem vertrauten Kasten saß ein alter Araber, weniger streng als seine Vorgänger. Es gab ein großes Heer von Kunden, die ihre Hinterteile hin- und her wetzten und mit den Füßen scharrten. Eine Frau hatte einen umfangreichen Stapel von Reisepässen. Eine Gruppenreise oder ein Bauprojekt, dachte ich.

    Fräulein L. erschien an der Seite des abwartenden Pöbels. Sie schenkte uns keine Aufmerksamkeit. Der mysteriöse, in der Visitenkarte erwähnte, Dr. Hamid erschien persönlich, um seine Gäste abzuholen. Ein grauhaariger Gentleman mit dicker Brillenfassung. Jedenfalls war er im Hause. Hoffentlich dauerte die Audienz nicht allzu lang.

    Wir kamen nicht an die Reihe. Auch niemand anderer. Hermine sprang einige Male auf, aber der alte Araber verwies sie auf ihren Stuhl zurück. Ich las Jamahiriya Mail. Das Blatt war einige Monate alt. Anscheinend erschien diese Publikation, die in manchen Quellen als zweite Tageszeitung des Landes eingestuft wird, nur dann, wenn die Libyer ein inneres Bedürfnis zur Kommunikation hegten. Das traf nicht oft zu.

    Die Zeit kroch dahin. Der kritische Mittag näherte sich. Nichts geschah. Das Telefon schellte nicht, der Torhüter rief nicht an. Die Zeiger der Uhr deuteten schon auf die Nachmittagsstunden hin, als es der alte Araber endlich satt hatte, die Kundenherde aufzuhalten. Er drückte den Knopf für die Seitentür und schickte die ganze Gruppe zur Konsularabteilung. Wir füllten die Sitzecke und starrten auf die Glaswand. Dahinter blätterte Fräulein L. in einem Papierstapel.

    Die Reiseleiterin entpuppte sich als Büroangestellte eines großen staatlichen Unternehmens, deren Aufgabenbereich darin bestand, den Papierkrieg für das reisende Personal zu führen. Es gab viele Schlachtfelder. Sie hätte mehrere Konsulate abklappern müssen, aber Libyen nahm die ganze Zeit in Anspruch. Die ausländischen Vertretungen arbeiten nachmittags nicht. Als Stammkundin wurde sie bevorzugt. Eines der Einladungstelexe fehlte jedoch. Wegen des libyschen Versäumnisses musste sie nochmals kommen. Die effizienten Absätze hämmerten bei ihrem Abtreten auf den Fußboden. Wir wetzten auf der Plastikcouch.

    Fräulein L. vergönnte uns ihren Blick. Wir übergaben die übersetzten Empfehlungen und die bekritze1te Visitenkarte. Das Ausfüllen der Visumsanträge klärte sich vorzeitig. Von Tripolis war noch kein Einladungstelex eingegangen. Im Volksbüro war noch nicht einmal prinzipiell entschieden worden, ob ein solches für uns beantragt werden solle. Wir standen am gleichen Punkt wie vor drei Monaten. Die Abfahrt sollte in zwei Wochen stattfinden und Libyen war in die Ferne gerückt wie nie zuvor. Weder Zu- noch Absage. Alles hing in der Luft. Es gelang uns weder Dr. Hamid, noch einen anderen Libyer zu erblicken. Es gab nur unser Brieftäubchen, Fräulein L.

    Dr. Abdul Aldahir stammte aus dem Irak. Der von ihm als wichtig gepriesene Dr. Hamid war auch ein gebürtiger Iraker, ein nun im Dienste Libyens stehender, abgesprungener Kommunist. Er arbeitete als Dolmetscher des Volksbüros. Seine Stellung deutete also nicht auf die von Dr. Abdul Aldahir unterstrichene Bedeutsamkeit. Eine graue Eminenz? Oder betonte Dr. Aldahir den Einfluss seines Kollegen zu stark?

    Die Sache war auf Eis gelegt. Es gab einen Mordanschlag gegen Gaddafi. Wir wussten, dass das libysche Visum nicht rechtzeitig kommen könnte. An und für sich hatte das keine Bedeutung. Die Grenze zwischen Ägypten und Libyen war fest zugenagelt, schon seit Jahren. Wir wären auf keinen Fall durchgekommen. Aber unsere Unternehmung lebte weiter. Libyen wollten wir nicht aufgeben. Wir mussten Hintertüren ausprobieren. Obwohl der Freundschaftsverein der Arabischen Völker in Helsinki uns nicht half, konnte uns doch die Freundschaftsgesellschaft in Wien etwas nützen.

    Die zähe telefonische Bombardierung auf offiziellen und inoffiziellen Umwegen stimmte die im Volksbüro versteckten Herren gnädiger. Sie beabsichtigten, gleich ans Werk zu gehen, aber zuerst war ein genauer Programmvorschlag vonnöten. Unser arabisierter Papierstapel hatte Wunder gewirkt, jetzt musste man schnell handeln. Zwar war schon der Monat Mai ins Land gezogen und unser Abfahrtermin war angebrochen. Die Koffer lagen bereits im Wagen und die Jacken auf den Schultern, Ziel war der Nahe Osten.

    Wir saßen in den hellen Morgenstunden, die für die Fahrt reserviert waren, da, priesen die libysche Vergangenheit, verschwendeten Worte für die islamische Tradition, da wir glaubten, damit der jetzigen Führung zu gefallen, sprachen über die Errungenschaften der Revolution, zählten Ortsnamen auf und führten wichtige Moscheen an.

    Umschlag zu und Reiseplan zur Post. Fräulein L. würde ihn auf den richtigen Tisch weiterleiten. Wir zogen mit dreistündiger Verspätung in Richtung arabische Staaten des östlichen Mittelmeers los. Wegen der Libyer. Diese hatten wir freiwillig in schönster Eintracht auf den Herbst verschoben. Um das Mittelmeer konnte man nicht herumfahren. Der Grund dafür lag in der Freundschaft der arabischen Völker.

    ˜

    „Vor einigen Tagen hat jemand vom libyschen Volksbüro angerufen und nach dir gefragt", empfing mich ein Kollege im Büro, als ich von meiner Nahost-Reise zurückkehrte. Ach ja, unser Libyen-Projekt. Ich hatte meine angeregte Teestunde mit Mister Shaban schon fast vergessen. Aus dem Grünen Reich Gaddafis kam also wieder ein Lebenszeichen, anscheinend hatte der Mordversuch den Revolutionsführer nicht aus dem Gleichgewicht geworfen. Er hatte allmählich Routine.

    Ich hängte mich ans Telefon. Beim dritten Anlauf hatte ich Glück und bekam Herrn Shaban an den Apparat. Die Behörden in Tripolis hätten unsere Reise prinzipiell genehmigt, teilte er mir mit. Wie es nun wohl konkret weitergehe, fragte ich zurück. Ein Kollege aus dem Volksbüro werde im August nach Tripolis reisen und dort an Ort und Stelle alles besprechen, auf dass unser Aufenthalt reibungslos ablaufe, lautete die Antwort des Presseattachés. Vorsichtshalber hatten wir in unserem schriftlichen Ansuchen vom Mai den September als Wunschmonat für die Libyen-Tour angegeben, obwohl wir in Wirklichkeit mit Oktober rechneten. Nach bisherigen Erfahrungen würde die Realisierung unseres Projekts noch etliche Monate in Anspruch nehmen.

    „Wenn es so weit ist, werden wir Sie in Tripolis auf dem Flughafen abholen und uns vom Anfang bis zum Ende um Sie kümmern, stellte der Presseattaché der Jamahiriya in Aussicht. „Wir möchten aber per Auto einreisen, warf ich ein. Funkstille. Am anderen Ende der Leitung wurde meine Bemerkung als Protest oder zumindest als unangenehme Komplikation aufgefasst. „Mit dem Flugzeug wäre es einfacher", tönte es dann durch den Draht.

    Wir hätten schon etliche Länder des Orients bereist, immer im eigenen Vehikel, ließen uns von Schwierigkeiten nicht abschrecken, verfügten über einen reichen Erfahrungsschatz, und vertrauten im Übrigen wie anderswo auf die Liebenswürdigkeit des Volkes, versuchte ich ihn zu überzeugen. Herr Shaban schien fürs erste beschwichtigt. Eins zu null für uns, dachte ich, als ich den Telefonhörer auf die Gabel drückte.

    Tripolis hatte grünes Licht gegeben. Nun war es an der Zeit, einen Schlachtplan für den Tag X zu entwerfen. Mirja und Marita streiften noch im Orient herum, es hieß also abwarten. Aber es war erst Juni.

    ˜

    Revolutionsführer Gaddafi führt, waffenschwingend wie Erzengel Michael, eine Panzerkolonne siegesgewiss in die Schlacht. Revolutionsführer Gaddafi schwebt, verheißungsvoll wie Erzengel Gabriel, über den ergrünenden Ebenen der Wüste. Impressionen aus einer revolutionsgläubigen Gemäldegalerie. Die vorherrschende Kolorierung, Grüntöne aller Schattierungen, militärische Tarnung oder das Erblühen der Wüste suggerierend, mischte sich nahtlos mit den grünen Buchrücken der „Dritten Universaltheorie", die gut verdaulich portioniert zur freien Entnahme auflag.

    Die libysche Kolonie in Wien feierte den 16. Jahrestag der Revolution von Bruder Muammar. Tout Vienne diplomatique hatte sich im Palais Pallavicini versammelt, um der großen Al Fatah-Revolution vom 1. September 1969 zu gedenken.

    Als König Idris damals vom „Bund Freier Offiziere" gestürzt wurde, herrschte tagelang Ungewissheit über die neuen Machthaber. Das Fotografieren der Putschisten war bei Todesstrafe verboten; die Kamera sollte fortan im schwer bewaffneten Libyen eine unerwünschte Waffe bleiben.

    Erst am 13. September ratterte der Name einer bis dahin unbekannten Größe über die Fernschreiber der Weltagenturen: Kassafi, Leutnant, 27 Jahre, der neue starke Mann Libyens, meldeten die Schlagzeilen. Später einigte sich die Weltpresse auf Gaddafi, Khadafi oder Qathafi; seine Untertanen ziehen es bis heute vor, den Namen ungenannt zu lassen und schlicht vom Bruder oder vom Führer zu sprechen. Muammar, geboren im Sommer 1942 in einem Beduinenzelt der Syrte, während der „Wüstenfuchs" Rommel sich mit seinem Afrikakorps in der Cyrenaika gegen die 8. Armee der Alliierten schlug, hat sich seither 16 Jahre lang bemüht, seinem Namen, der Erbauer bedeutet, gerecht zu werden und eine Jamahiriya im Zeichen der Volksherrschaft zu schaffen.

    Wahrlich ein Grund zum Feiern. Wenn auch nicht so sehr für das zwangsbeglückte Volk, als vielmehr für die Repräsentanten der neuen Herrschaftsform. Im altehrwürdigen Gemäuer des post-maria-theresianischen Palais empfing der Stellvertreter des Revolutionsführers in Wien seine Gäste. Ihm zur Seite seine Gattin, im blauen, goldgesäumten Gewand, Herren im Nadelstreif defilierten vorbei, machten dem Sekretär des Volksbüros ihre Aufwartung. Ich war froh, mich im letzten Moment für mein dezentes, stahlblaues Kostüm entschieden zu haben. Die revolutionären Bilder an der Wand versuchten verzweifelt, den monarchistischen Rahmen zu sprengen.

    Drinnen im Saal, gedämpftes Gemurmel im Lichterglanz der Kristallluster. Das Buffet war ebenso prächtig ausgestattet wie der traditionsträchtige Prunksaal. Ein Augen- und Gaumenschmaus. Ich wählte einen intimen Vierertisch und gesellte mich zu drei Vertrauen erweckenden Herren. Der feine ältere Herr, Honorarkonsul von Panama, machte sich erbötig, meinen Teller mit Köstlichkeiten vom Buffet aufzufüllen. Dazu wurden Orangen und Apfelsaft gereicht. Mein Tischnachbar zur Linken kristallisierte sich im Gespräch als Universitätsprofessor mit eher rechten Ansichten heraus. Seine Beziehung zur libyschen Jamahiriya blieb mir bis zuletzt ein Rätsel. Mein Gegenüber, das ich ob seiner vornehm teuren Eleganz als Konservativen eingestuft hatte, entpuppte sich als Chef einer von Libyen unterstützten progressiven Organisation.

    Der Chef des Volksbüros hatte seine Begrüßungstour mittlerweile beendet und unterhielt sich unweit meines Tisches mit diversen Gästen. Ich nützte eine Lücke zwischen zwei Gesprächspartnern, um ihm unseren Wunsch nach einem Libyen-Besuch persönlich vorzutragen. Herr Wadi nickte gnädig.

    Für mich neigte sich der Revolutionstag dem Ende zu. Anstatt mir am Buffet einen Nachtisch zu genehmigen, bediente ich mich im Vorzimmer am grünen Gabentisch. Die soziale Basis der „Dritten Universaltheorie", der dritte Teil des Grünen Buches, fehlte noch in meiner privaten Libyen-Bibliothek. Mit dieser Lektüre würde ich den Abend ausklingen lassen.

    Als ich die Stufen des Palais Pallavicini hinunter schritt, an den zahlreichen Sicherheitsleuten vorbei, fiel mir der Besuch Gaddafis im Jahre 1982 in Wien ein. Ja, für Überraschungen ist der kapriziöse Wüstenrevolutionär allemal gut. Davon konnten die österreichischen Offiziellen ein Lied singen, als Bruder Muammar vom damaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky die einmalige Chance erhielt, im Westen mit allen Ehren eines Staatschefs empfangen zu werden.

    Der hohe Gast ließ das Protokoll einfach auf dem vorbereiteten Programm sitzen, verschmähte die Spanische Hofreitschule und Werksbesuche, igelte sich in seiner imperialen Residenz ein und empfing dort jene, die ihm passten. Die österreichischen Sicherheitsbeamten hatten das Nachsehen; sie erfuhren von ihren libyschen Kollegen nicht einmal, wer dort ein- und ausging.

    ˜

    Eine sichere Antwort aus Libyen war nicht zu bekommen. Der von Mister Shaban für August versprochene Reiseorganisator gab kein Lebenszeichen. Dagegen waren Gerüchte über Personaländerungen im Umlauf. Hermine war es gelungen, unter die Nase

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