Hör bloß auf mit Liebe
Von T.A. Wegberg
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Über dieses E-Book
Fünfzehn Short Storys, die sich mit Beziehungen beschäftigen – mit vergangenen, zukünftigen, ersehnten, zum Scheitern verurteilten, rätselhaften, untrennbaren, unerwünschten, skandalösen und manchmal sogar mit glücklichen.
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Buchvorschau
Hör bloß auf mit Liebe - T.A. Wegberg
T.A. Wegberg
Hör bloß auf mit Liebe
Impressum
© tensual publishing, Mettingen 2016
tensual publishing ist ein Imprint des dead soft verlag
http://www.tensual.de
http://www.deadsoft.de
© the author
http://www.tawegberg.de
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode./com
Bildrechte
© mcklui – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-946408-04-8
ISBN 978-3-946408-05-5 (epub)
Wie ich aufhörte, meine Frau zu lieben
Es war ein Dienstag im April, gegen elf Uhr abends, als ich aufhörte, meine Frau zu lieben. Wir hatten gerade Sex, und plötzlich war mir, als verließe ich meinen Körper und sähe uns beiden von einer etwas erhöht gelegenen Position bei der üblichen Routine zu. Ich bemerkte erstmals, dass meine Frau in drei verschiedenen Höhenlagen stöhnte, die sich immer abwechselten, und dass ich voraussagen konnte, welche davon als Nächstes kommen würde. Ich kannte im Voraus jede ihrer Bewegungen und deren exakte Geschwindigkeit. Jetzt würde sie gleich die Beine anziehen, die rechte Hand in meine Haare krallen, mit den Fingernägeln der linken über meinen Rücken schaben. Und dann wäre es auch schon vorüber.
Bis zu diesem Dienstag im April hatte ich die Liebe zu meiner Frau nie infrage gestellt. Wir kannten uns seit acht Jahren und waren seit fünf Jahren verheiratet. Keiner von uns war jemals fremdgegangen. Unser Sohn war vier, unsere Tochter zweieinhalb, beide Kinder waren gesund und entwickelten sich gut. Wir hatten ein eigenes Haus, zwei Autos und eine Putzhilfe, die immer donnerstags kam. Meine Frau und ich hatten anspruchsvolle Berufe, wir kochten gern gemeinsam, besuchten eine Tanzsportgruppe und glaubten nicht an Gott.
Jetzt, als meine Frau aus dem Bad zurückkehrte und sich an mich kuschelte – wie immer legte sie dabei den rechten Arm über meine Brust und den Kopf an meine Schulter –, fragte ich mich zum ersten Mal, ob diese Gemeinsamkeiten genügten, um einen Menschen zu lieben. Nein, das ist gelogen. Ich wusste, dass sie nicht genügten. Ich empfand keinerlei Liebe mehr. Vor ein paar Stunden, beim gemeinsamen Fernsehen, hatte ich meine Frau noch geliebt. Jetzt war meine Liebe verschwunden.
Und doch ging das Leben weiter wie gewohnt. Mit meiner Frau sprach ich nicht über meine Gefühle, oder besser gesagt: über deren Fehlen. Wozu sollte ich sie beunruhigen? Vielleicht war ich nur überarbeitet, und bald würde alles wieder werden wie früher. Bis dahin konnte ich mich zusammenreißen und dafür sorgen, dass man mir nichts anmerkte.
Allerdings konnte ich nicht verhindern, dass ich meine Frau mit anderen Augen sah. Mir fiel auf, dass ich an ihrer Stimmlage erkennen konnte, mit wem sie gerade telefonierte. In neunzig Prozent der Fälle wusste ich sogar, was sie gleich sagen würde. Ich fragte mich, warum das keinem anderen auffiel, also beispielsweise ihrer Mutter, die offenbar fast täglich dasselbe Gespräch mit ihr führte.
Wenn wir uns mit Freunden trafen, stellte ich an meiner Frau Verhaltensweisen fest, die mich bisher nie gestört hätten. Nun begann ich, mich dafür zu schämen. Ich fand es peinlich, dass sie über unsere Kinder sprach, als wären sie fehlerlose kleine Genies, oder wie sie Gitte und Rainer mit in die Luft gehauchten Wangenküsschen begrüßte.
Ständig sprangen mir neue Eigenschaften und Gewohnheiten meiner Frau ins Auge. Es war, als hätte ich nach jahrelanger Fehlsichtigkeit eine Brille aufgesetzt und sähe die Dinge nun mit vervielfachter Klarheit, und das war keine angenehme Erfahrung. Beim Tanzen ließ sich meine Frau nicht führen, kam aber häufig aus dem Takt und gab mir dann die Schuld. Auf der Autobahn wartete sie viel zu lange mit dem Überholen. An Tassen und Gläsern hinterließ sie Lippenstiftspuren und im Waschbecken lange, gekräuselte Haare.
Dabei lag es nicht an meiner Frau, dass ich sie nicht mehr liebte. Sie hatte sich nicht verändert. Sie war immer noch attraktiv, klug, lebhaft, kontaktfreudig und eine patente Mutter. Die fünf oder sechs Kilo, die sie jetzt mehr auf ihren Hüften hatte als bei unserem Kennenlernen, hatte sie sich mit mir gemeinsam angefuttert, und die Haut unter ihren Augen erschlaffte nicht schneller als bei anderen Frauen ihres Alters. In unserem ersten Jahr hatte ich es bezaubernd und sogar ein bisschen erregend gefunden, dass sie ganz unbekümmert die Tür offen ließ, wenn sie pinkeln ging; jetzt erregte das Plätschern ihres Urins nur noch meinen Abscheu.
Es war meine Schuld, ich hatte mich verändert, etwas war mit mir geschehen, und zwar über Nacht. Aus Liebe war kritische Distanz geworden, mit einer wachsenden Tendenz zur Abneigung. Ich litt, denn die Liebe zu meiner Frau war eine Konstante in meinem Leben gewesen, ein Halt und eine Zuflucht, und der Verlust fügte mir Schaden zu und gab mir das Gefühl, auf einem Seil über eine Schlucht zu balancieren. Nichts wäre mir lieber gewesen, als wieder in den Zustand der sorglosen Blindheit zurückzukehren.
Mein Gewissen quälte mich. Nach wie vor hatte ich Respekt und Achtung vor meiner Frau. Sie war die Mutter meiner Kinder, sie organisierte unseren Familienalltag, sie war beruflich erfolgreich und pflegte unseren Freundeskreis. Es war nicht ihr Fehler, dass meine Liebe abhandengekommen war, und ich hatte Schuldgefühle deswegen. Manchmal dachte ich darüber nach, mich jemandem anzuvertrauen, möglicherweise sogar einem Therapeuten. Aber dann redete ich mir immer wieder ein, dass dies nur eine vorübergehende Phase sei.
Doch in Abwesenheit von Liebe können andere, unerwünschte Empfindungen unkontrolliert wachsen und sich vermehren. Ohne Liebe wird ein Guten-Morgen-Kuss zum Ekel vor dem Mundgeruch des anderen. Ohne Liebe werden zehn Minuten Verspätung zur Ursache eines unangemessenen Wutausbruchs. Ohne Liebe wird ein verregneter Urlaubstag in der Ferienwohnung zu einer klaustrophobischen Grenzerfahrung.
Mein Leben hatte seine Wurzeln verloren. Ich arbeitete länger und länger, um meiner Frau aus dem Weg zu gehen, übernahm freiwillig Dienstreisen und hätte mich sogar ins Ausland versetzen lassen, wenn das möglich gewesen wäre. Sobald ich allein in einer fremden Umgebung war, fiel die Anspannung von mir ab. Nichts war tröstlicher als ein anonymes, nüchternes Hotelzimmer in irgendeiner fremden Stadt weit weg von zu Hause, in dem ich die halbe Nacht am Laptop arbeiten und die Whiskyfläschchen der Minibar leeren konnte, ohne ein Bedürfnis nach Zweisamkeit heucheln zu müssen.
Zwei, drei Mal fragte meine Frau mich – und es klang fast ein bisschen scherzhaft –, ob ich eine Geliebte hätte. Jedes Mal reagierte ich fassungslos. Nein, nichts lag mir ferner, als sie durch eine andere zu ersetzen. Ich nahm andere Frauen durchaus wahr, einige fand ich auch attraktiv, aber sie alle würden ihre Eigenheiten haben – im Bett rauchen, beim Italiener „Gnotschi" bestellen, sich mit meinem Rasierer die Beine enthaaren. Ich glaubte nicht, so etwas ertragen zu können. Mein Vertrauen in meine eigene Duldsamkeit war zutiefst erschüttert.
Mir war klar, dass ich handeln musste. Undenkbar, noch jahrzehntelang so weiterzuleben, leer und innerlich erstarrt, wie ein Schauspieler, der mein eigenes Leben spielte. Aber was sollte ich tun? Sollte ich meiner Frau, die keinerlei Schuld an dieser Entwicklung traf, und meinen ebenso unschuldigen Kindern den traumatischen Schmerz einer Trennung zumuten?
Seit ich die Liebe verloren hatte, litt ich auch unter Schlafstörungen. Ich lag wach und grübelte und fand keine Lösung, keinen Ausweg. Das leise Schnarchen meiner Frau, mit dem ich sie früher liebevoll geneckt hatte, löste in mir solche Aggressionen aus, dass ich mit meinem Bettzeug aufs Sofa umzog, wo ich ebenso wenig zur Ruhe fand. Ich wollte mit ihr reden, ihr alles erklären, aber ich begriff es ja selbst nicht, und vor allem wollte ich ihr nicht wehtun.
Zwei Tage vor Silvester saßen wir abends mit einem Glas Wein am