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Friesen Fetisch
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eBook373 Seiten2 Stunden

Friesen Fetisch

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Über dieses E-Book

Eine Boutiquebesitzerin wird tot am Strand aufgefunden, bekleidet mit nichts weiter als einem Nerzmantel. Ein neuer Fall für Kriminalhauptkommissarin Katharina Berg, der
sie in die Welt skrupelloser Geschäftemacher und engagierter Tierschützer führt. Der junge Polizeimeister Nils Hansen hingegen präsentiert Regenmode vor der Kamera – und gerät in allerlei erotische Verwicklungen. Mord, Erotik, Meer und mehr: heiße Szenen im kühlen Norden.
SpracheDeutsch
HerausgeberEmons Verlag
Erscheinungsdatum17. März 2016
ISBN9783863589721
Friesen Fetisch

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    Buchvorschau

    Friesen Fetisch - Bengt Thomas Jörnsson

    Bengt Thomas Jörnsson, geboren 1969 in Bremerhaven, ist Pädagoge, Germanist und promovierter Psychologe. Bevor er sich ganz dem Schreiben gewidmet hat, war er einige Jahre in der Wissenschaft tätig. Jörnsson ist verheiratet und lebt und arbeitet in Kiel.

    www.joernsson.de

    Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

    © 2016 Emons Verlag GmbH

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlagmotiv: Montage, fotolia.com/Gabriele Rohde,

    iStockphoto.com/bobbieo

    Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch

    Lektorat: Carlos Westerkamp

    eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

    ISBN 978-3-86358-972-1

    Erotischer Heimatkrimi

    Originalausgabe

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    Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

    1

    Die Atmosphäre war perfekt.

    Die große Schaufensterscheibe, die mit Brettern vernagelt war. Die schmalen Lichtstrahlen, die zwischen den Ritzen hindurchfielen. Und die chromglänzenden Stangen mit den schwarzen Pelzmänteln.

    Das Problem war das Model, das lasziv neben den Garderobenständern an der Wand lehnte. Oder, richtiger gesagt: lehnen sollte. Tatsächlich hatte das Mädchen die sinnliche Ausstrahlung einer Kleiderpuppe.

    Dorothea Nissen seufzte. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass sie hier gelandet war. Und dass ihr nichts anderes übrig blieb, als mit dieser drittklassigen Darstellerin an dem Projekt zu arbeiten, das ihr letzter Strohhalm war.

    Dabei war sie doch schon ganz oben gewesen. Das Ausnahmetalent. Die Jahrhundertbegabung. Das choreographische Genie.

    Und nun stand sie hier in Brittas winziger Boutique und versuchte, Vanessa Schultheis zur Hauptattraktion einer erotischen Fotostrecke zu machen.

    Dorothea betrachtete das Model mit den aberwitzig hohen Absätzen. Rein optisch war Vanessa mit ihren warmen braunen Augen, dem roten Schmollmund und den wohlgerundeten Brüsten die bestmögliche Besetzung. Aber ihr mangelndes schauspielerisches Talent verdarb die Aufnahmen. So wie jetzt.

    Dabei war Vanessas Aufgabe eigentlich ganz einfach: Sie sollte zeigen, wie sie sehnsüchtig dem Treffen mit einem feurigen Liebhaber entgegenfieberte. Vanessa probierte es, indem sie Mund und Augen weit aufriss und die Aufschläge ihres Mantels umklammerte. Was generell kein schlechter Ansatz war, aber bei Vanessa funktionierte es nicht. Sie sah aus wie ein Reh, das vom Scheinwerferlicht eines herannahenden Autos geblendet wurde.

    Dorothea Nissen wedelte ungeduldig mit den Händen.

    »Nimm die Arme nach oben«, verlangte sie. »Stell dir vor, du stehst mit dem Rücken zum Meer auf einem Schiff und hältst dich an der Reling fest. Und denk daran: Du wartest gerade auf den wunderbarsten Moment deines Lebens. Nicht auf deinen Henker.«

    Vanessa nickte und streckte gehorsam die Hände aus. Ihr Nerzmantel klaffte auf und zeigte die Ansätze ihrer weißen Brüste, die einen schönen Kontrast zu dem schwarzen Pelz bildeten. Ihre braunen Locken hingen ihr ins Gesicht.

    Trotzdem blieb das Bild schief. So willig das Model auch war, ihm fehlte einfach diese gewisse Ausstrahlung.

    »Steh nicht so hölzern«, sagte Dorothea. »Du bist nicht das ›T‹ beim heiteren Buchstabenraten.«

    Vanessa kicherte und hob die Arme weiter nach oben.

    Dorothea verdrehte die Augen.

    »Du bist auch nicht das ›Y‹.« Entnervt ging sie in das Büro hinter dem Laden, um eine Flasche Sekt zu holen. Wenn sie mit den Aufnahmen heute noch fertig werden wollten, musste der Entspannungsprozess ein wenig beschleunigt werden.

    Vanessa kippte ein Glas Sekt hinunter und nahm dann ihre Position wieder ein. Es sah immer noch gestellt aus.

    Dorothea Nissen schüttelte den Kopf. Warum nur hatten sie von allen Models ihrer Agentur ausgerechnet Vanessa behalten? Aber die Antwort lag ja auf der Hand. Vanessa war die Einzige, die bereit gewesen war, ihre ehemaligen Agentinnen für ein Taschengeld bei ihrem Neustart zu begleiten.

    »Und Action!«, rief Dorothea.

    Das Model presste sich an die Wand, legte den Kopf in den Nacken und strich mit beiden Händen über den schwarzen Nerzmantel. Eigentlich eine sinnliche Pose, aber Vanessa trug zu dick auf. Mit ihren zum Schmollmund vorgewölbten Lippen sah sie aus wie eine drittklassige Prostituierte in einem Schaufenster auf der Reeperbahn.

    Britta Buddenberg, die neben Dorothea stand, stöhnte.

    Dorothea warf ihrer Halbschwester einen schnellen Blick zu. Mit ihrem weißen Hosenanzug und ihren streng zurückgekämmten weißblonden Haaren wirkte Britta so kühl wie ein Eisblock. Ihre gesamte Haltung, von den verschränkten Armen bis zu den zusammengepressten Lippen, drückte Verärgerung aus.

    »Zumindest haben wir ein wunderbares Setting«, sagte Dorothea und deutete auf die verbarrikadierte Schaufensterscheibe. Sie lachte, um die angespannte Stimmung aufzulockern. »Fast müsste man diesen Leuten von ›Free Nature‹ dankbar sein.«

    »Dankbar?« Britta rümpfte die Nase. Trotz des gedämpften Lichts konnte Dorothea das wütende Funkeln in ihren Augen sehen. Sie hob abwehrend die Hände.

    »Unter rein künstlerischen Gesichtspunkten natürlich«, versicherte sie eilig.

    Britta schnaubte.

    »Das ist ja wieder mal typisch. Wir sitzen hier eingemauert wie bei einer Belagerung. Unsere gesamte Existenz steht auf dem Spiel. Und was siehst du? Positionen, Lichteffekte und Arrangements. Als ob du noch immer nicht begriffen hättest, wohin uns deine künstlerischen Visionen gebracht haben.«

    Dorothea atmete scharf ein. Am liebsten hätte sie ihrer Halbschwester eine wütende Antwort vor den Latz geknallt. Aber das nützte ja nichts.

    »Schau doch hin«, sagte sie stattdessen. »Diese düstere Stimmung. Das hat einen besonderen Reiz. Das schöne reiche Fräulein, das sich heimlich mit dem Geliebten trifft, während draußen der Pöbel wütet. Und wenn die Fotos ein Erfolg werden, rennen dir die Leute die Bude ein.«

    Sie sah, wie es in Brittas Gesicht arbeitete. Schließlich nickte die Boutiquebesitzerin.

    »Du hast recht«, sagte sie. »Nutzen wir unsere Chance.«

    Dorothea verkniff sich ein zufriedenes Lächeln. Mit scheinbarem Gleichmut brachte sie das Stativ in Position und richtete ihre Kamera auf Vanessa, die noch immer in gestelzter Haltung vor den Pelzmänteln posierte. Dorothea hielt ihr die Flasche hin.

    »Trink noch ein Glas Sekt«, schlug sie vor und ignorierte die hochgezogenen Augenbrauen ihrer Halbschwester. Lieber ein betrunkenes Model als eines, das so steif wie ein Brett war.

    Vanessa schenkte sich ein, und Dorothea tippte ungeduldig mit dem Fuß, während das Model das Glas leerte.

    Im selben Moment hörte sie den Krawall. Das Lärmen von Rasseln und Trommeln, die rasch näher kamen. Es klang wie ein Spielmannszug, doch Dorothea und ihre Halbschwester wussten es besser.

    »Da hast du deinen Pöbel«, sagte Britta.

    Dorothea spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. Ein Szenario, das so echt war, war einfach ein Geschenk des Himmels. Aber das sagte sie lieber nicht, um Britta nicht noch weiter gegen sich aufzubringen. Stattdessen trat sie ans Fenster und spähte zwischen den Brettern der Verdunklung hindurch auf die Straße.

    Ein paar Dutzend Leute mit bunten selbst gemalten Spruchbändern und Plakaten marschierten auf die Boutique zu. Thorsten Klinke in seinem weiten Hemd mit den wehenden dunklen Haaren und dem üppigen Bart natürlich vorneweg, Susanne Moll, die dicke Wirtin der »Pension Moll«, und ihre Tochter Lina direkt dahinter. Die Frauen trugen Pappmasken mit aufgemalten Nerzgesichtern und kleinen, pelzigen Ohren, aber Dorothea erkannte sie trotzdem.

    Klinke, Mutter und Tochter Moll waren der harte Kern der Tierschutzorganisation »Free Nature«, die sich vehement gegen den Verkauf von Nerzmänteln in ihrem schönen St. Peter-Ording wehrte. Was insbesondere im Fall der jungen Lina ein Jammer war. Ohne ihr albernes Mitgefühl für diese bissigen kleinen Kreaturen wäre sie das perfekte Pelzmodel, mit ihrer knackigen Figur und den langen blonden Haaren, die ihr wie Seide über den Rücken fielen. Auch ihr Gesicht, das sie hinter der Maske verbarg, war ausgesprochen apart. Aber Lina hatte sich ja für die Gegenseite entschieden.

    Dorothea Nissen löste sich von der Schaufensterscheibe und sah zu Vanessa Schultheis, die noch immer nach der richtigen Haltung für ihre Rolle suchte. Dorothea gab es auf, auf den Erfolg ihrer Bemühungen zu warten. Vielleicht entwickelte sich ja alles im Miteinander.

    »Bleib so«, rief sie dem Model zu und winkte ihrer Halbschwester, in Aktion zu treten. In Ermangelung eines männlichen Darstellers spielte die Chefin selbst den ungestümen Liebhaber, auf den das Model angeblich so sehnsüchtig wartete. Das war natürlich nur eine Notlösung. Aber die Mittel von Dorotheas neuester Produktion waren eben begrenzt.

    Britta Buddenberg entledigte sich ihres Hosenanzugs und schlüpfte in einen schneeweißen Pelzmantel mit hohem Kragen. Der Effekt war verblüffend: Binnen Sekunden verwandelte sich die unterkühlte Geschäftsfrau in eine dämonische Königin, die es genoss, wenn ihre Untertanen vor ihr auf dem Boden krochen.

    Dorothea richtete ihre Kamera aus und begann zu fotografieren, während ihre Halbschwester auf Vanessa Schultheis zutrat und das Model zu sich heranzog. Britta griff in Vanessas dichte Locken und zerrte ihren Kopf an den Haaren nach hinten. Dann biss sie spielerisch in Vanessas entblößten Hals.

    Dorothea zoomte näher heran. Dieses ausdrucksstarke Bild würde den Lesern des Erotikmagazins, für das die Aufnahmen bestimmt waren, sicher gefallen. Auch wenn man natürlich nicht ausschließen konnte, dass der eine oder andere ein Musterexemplar strotzender Manneskraft vermissen würde, mit dem er sich identifizieren konnte. Aber die meisten Betrachter waren vermutlich froh, wenn es keine Konkurrenz gab und sie sich vorstellen konnten, dass gleich zwei attraktive Frauen – die eine brünett im schwarzen, die andere hellblond im weißen Pelz – nur für sie allein da waren.

    Was sie zu sehen bekamen, war jedenfalls nicht zu verachten, denn Britta füllte ihre Rolle mit Leidenschaft. Sie trieb das Model zurück, bis es mit dem Rücken an der Wand stand. Ihre Hände strichen über Vanessas Nerzmantel und öffneten wie beiläufig die Knöpfe. Dann stahlen sie sich unter den Pelz. Vanessa begann leise zu stöhnen.

    Britta ließ ihre Finger wandern und genoss ganz offensichtlich die Macht, die sie ausübte. Sie berührte Vanessas Brüste, und das Model drängte sich ihr mit glänzenden Augen entgegen.

    2

    Peer Ruppert spielte nervös mit der kleinen Schachtel in seiner Hosentasche. Schon seit einer Woche wartete er auf eine passende Gelegenheit, Lina sein Geschenk zu geben. Aber er traf sie einfach nie alleine an.

    Peer drückte sich hinter die Telefonzelle auf dem Parkplatz vor dem »Bistro Schulz« und spähte zur Boutique »Venus« auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Thorsten Klinke hatte wirklich eine eindrucksvolle Menge von Demonstranten zusammengebracht. Fast alle Geschäftsleute, die ihre Läden in der Einkaufsstraße »Im Bad« hatten, waren dabei. Sogar Gert und Gesine Stöver von der »Segeltruhe«.

    Sie trugen natürlich weder Nerzmasken noch Transparente. Aber der Ausdruck ranziger Missbilligung auf Gesine Stövers Gesicht war ohnehin aussagekräftiger als jedes Plakat. Die beiden waren lebende Aushängeschilder ihres Geschäfts für Yachtsportbedarf, Segelkleidung und Andenken. Gerade so, als wäre das Wort »maritim« extra für sie erfunden worden. Sie kämpften seit der Geschäftseröffnung der »Venus« verbissen gegen den Laden. Im Gegensatz zu den Anhängern von »Free Nature« ging es ihnen allerdings nicht um das Schicksal der Nerze. Sie fürchteten um den guten Ruf der Einkaufsmeile. Weil es im Hinterzimmer der »Venus« noch ganz andere Dinge zu kaufen geben sollte als teure Pelzmäntel …

    Die Demonstranten begannen laut zu skandieren: »Wir wollen keinen Pelztiermord! Verschwindet hier aus unserem Ort!«

    Einige von ihnen hatten Plastiktüten mitgebracht, die sie jetzt öffneten. Sie warfen Farbbeutel, faule Tomaten und Eier gegen das verbarrikadierte Schaufenster.

    Peer wagte sich ein Stück aus seinem Versteck hervor, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu haben. Dabei stieß er gegen eine Mülltonne, die mit lautem Gepolter umfiel. Bioabfälle ergossen sich vor seine Füße.

    Einer der Demonstranten mit den Nerzmasken drehte sich zu ihm um. Es war Stefan Moll, der Besitzer der »Pension Moll«. Peer erkannte ihn an seiner bulligen Statur und dem lichten Haupthaar.

    »Feind auf neun Uhr, Leute«, rief Moll. Mutter und Tochter Moll folgten seinem Blick und schauten zu Peer.

    »Du Sau!«, brüllte Stefan Moll und feuerte einen Farbbeutel in Peers Richtung.

    Peer duckte sich, um dem Geschoss auszuweichen. Er sah Lina bittend an, doch die schüttelte nur stumm den Kopf. Ihren Gesichtsausdruck konnte er hinter der Maske nicht erkennen.

    Linas Mutter fuchtelte mit ihrem Plakat mit dem sinnigen Slogan »Ein Herz für Nerz« in seine Richtung.

    »Hau bloß ab«, schrie sie, und Peer konnte trotz der Maskerade sehen, wie rot ihr Gesicht war. »Dein Vater und du, ihr seid ja noch schlimmer als die Buddenberg!«

    Stefan Moll holte neue Munition aus seinem Plastikbeutel und zielte.

    Peer nahm die Beine in die Hand und floh. Das Geschoss traf ihn trotzdem.

    * * *

    Dorothea Nissen betätigte die Kamera wie im Rausch, und das rasende Klicken des Objektivs untermalte das Szenario wie ein Trommelwirbel, der seinem Höhepunkt entgegenstrebte. Die aufgeheizte Stimmung vor dem Laden übertrug sich auf die beiden Akteurinnen, die sich immer mehr in ihre Rollen hineinsteigerten. Rasch arrangierte die Fotografin ein neues Tableau.

    Vanessa Schultheis streckte sich rücklings auf dem Verkaufstresen aus. Ihr Nerzmantel fiel zu beiden Seiten auseinander und entblößte nicht nur ihre vollen Brüste, sondern ihren gesamten Körper. Britta Buddenberg mit ihrem weißen Pelz stand auf ihren hochhackigen Schuhen vor ihr und ließ eine Nerzboa langsam über Vanessas empfindliche Partien streichen. Vanessa legte den Kopf nach hinten. Ihre langen Haare hingen wie ein Vorhang vom Tresen herunter. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und sie stöhnte.

    Britta Buddenberg lächelte. Dorothea Nissen drückte auf den Auslöser.

    »Und jetzt stell dir vor, dass dich jeder sieht«, sagte sie. »Dass die Leute da draußen die Bretter wegreißen und dir zuschauen.«

    Vanessa wand sich. Ihr Gesicht nahm einen entrückten Ausdruck an, und ihr Stöhnen verstärkte sich.

    Britta kniete sich über ihre junge Gespielin und ließ die Nerzboa zwischen ihren Beinen auf und ab gleiten.

    Draußen vor der Boutique zog Thorsten Klinke einen Hammer aus seinem Gürtel. Er hakte ihn hinter eines der Bretter und zerrte daran, als hätte er die Regieanweisung der Fotografin vernommen und arbeitete nun daran, sie umzusetzen.

    Das Holz splitterte, und der Balken löste sich aus der Verrammelung.

    Helles Licht flutete in den Laden und auf die im Liebesspiel verschlungenen Frauen.

    Durch die Menge der Demonstranten ging ein Aufschrei der Empörung. Auch Vanessa Schultheis schrie. Allerdings aus einem ganz anderen Grund.

    3

    Britta Buddenberg stakste am Flutsaum entlang wie ein Storch im Salat. Etwas anderes war mit den klobigen pelzbesetzten Stiefeln auch kaum möglich.

    Die Protestkundgebung am Nachmittag war beendet worden, als einer der Demonstranten einen Stein in die Schaufensterscheibe geworfen hatte. Das gesamte Polizeiaufgebot von St. Peter-Ording war angerückt und hatte die Störenfriede auseinandergetrieben. Sogar für einen Glaser, der das zerbrochene Schaufenster umgehend ersetzte, hatten die Beamten gesorgt. Auf die Staatsgewalt war eben Verlass. Und »Free Nature« hatte zunächst einmal andere Sorgen, als sich über die Pelzboutique zu echauffieren.

    Damit war das eine Problem gelöst.

    Das andere würde Britta jetzt aus der Welt schaffen. Und dann konnten sie morgen Abend ganz ungestört ihre Aufnahmen am Strand machen. Die Scheinwerfer hatten sie bereits aufgestellt. Zum Glück, denn vielleicht würde sie sie schon heute Nacht brauchen.

    Ganz in der Nähe, auf Höhe des Leuchtturms St. Peter-Böhl, sah sie ein Lagerfeuer am Strand. Obwohl das verboten war, ließen sich einige der jungen Leute aus dem Ort nicht davon abbringen. Vielleicht waren es auch Touristen.

    Aber jetzt war nicht der rechte Moment, um die Polizei zu rufen. Vielleicht erhöhte die Gefahr, beobachtet zu werden, sogar noch den Reiz ihrer Verabredung.

    Britta Buddenberg erreichte die Stelle, die Dorothea für die Aufnahmen ausgewählt hatte. Am Horizont war ein letzter Schimmer des Lichts zu sehen, das sich langsam zurückzog, ein hellblauer Streifen über dem Meer, darüber das Schwarz der hereinbrechenden Nacht, darunter die dunkle See. Glitzerndes Mondlicht brach sich auf den Wellen.

    Britta nickte zufrieden und fuhr mit der Hand über eines der stabilen Stative, auf denen vier mannshoch angebrachte Scheinwerfer thronten. Mit der anderen strich sie über den schwarzen Nerzmantel, den am Morgen noch ihr Model Vanessa getragen hatte. Er war ihr bestes Stück, und er hatte unzweifelhaft eine aphrodisierende Wirkung. Dorotheas gelungene Aufnahmen bewiesen das. Und Britta hatte den Mantel genau deshalb gewählt.

    Auch wenn es – zumindest von ihrer Seite aus – ein geschäftliches Treffen war, wollte sie doch etwas davon haben.

    Sie zog einen Schlüssel aus der Manteltasche und setzte den Generator in Gang, der die vier Scheinwerfer antrieb. Die Lampen begannen zu glühen, erst schwach, wie Glühwürmchen, die langsam Leuchtstoffe durch ihren Körper pumpten, dann strahlend hell. Der Effekt war dramatisch: Der helle Sand und das anrollende Meer mit den weißen Schaumkronen hoben sich wie eine Filmprojektion aus der Dunkelheit über dem Wasser.

    Britta schaltete die Scheinwerfer wieder aus und wandte dem Meer den Rücken zu. Ihr Blick wanderte von der dunklen Silhouette des Leuchtturms über den Deich zu den Lichtern, die von der »Arche Noah« am Ende der Seebrücke aus zu sehen waren.

    Trotz der Schwierigkeiten mit den Pelzgegnern war es eine gute Entscheidung gewesen, den Neuanfang in St. Peter-Ording zu wagen. Der Ort hatte einfach ein besonderes Flair. Und der Widerstand gegen ihre Unternehmungen würde früher oder später nachlassen. Und dann …

    An der Stelle, an der das Lagerfeuer brannte, leuchtete etwas Rotes auf und schoss wie ein Blitz auf sie zu. Instinktiv drehte Britta sich weg und versuchte, sich zu ducken, aber sie war zu langsam.

    Ein harter Schlag traf sie in den Rücken, und plötzlich züngelten heiße Flammen auf dem kostbaren Pelz.

    Britta Buddenberg schrie auf. Dann lief sie ins Wasser.

    4

    Gert Stöver marschierte über den Deich in Richtung Süden. Neben ihm ragte der alte Leuchtturm St. Peter-Böhl auf. Alle fünfzehn Sekunden flammte in der Kuppel das Licht auf, erst weiß, dann rot, das den Schiffen draußen auf der Nordsee als Quermarkenfeuer diente. In einiger Entfernung glaubte Stöver die Lichter der »Seekiste« zu erkennen.

    Seine Füße in den Gummistiefeln klatschten auf das Pflaster. Die Arme und Beine seiner Regenkleidung scheuerten und gaben bei jedem Schritt ein leises Quietschen von sich. Stövers Herz hämmerte, doch das lag nicht an der Anstrengung.

    Heute Nacht würde er die unsichtbare Grenze überschreiten. Er würde das Tabu brechen. Aber es ging nicht anders. Und vielleicht würde es ja niemals jemand herausfinden.

    Stöver bewegte die Finger in den gelben Gummihandschuhen, und ein Gefühl freudiger Erregung durchströmte ihn.

    Er rannte fast den langen Weg vom Deich zum Strand entlang. Am Flutsaum leuchteten plötzlich Scheinwerfer auf wie bei einem Fußballspiel. Stövers Herz setzte einen Schlag aus. Was, wenn man ihn beobachtete? Erst jetzt wurde ihm bewusst, in welche Gefahr er sich begab.

    Die Scheinwerfer erloschen wieder, und Stöver atmete erleichtert auf. Eine Windbö fuhr unter seine Jacke, und er schauderte. Er war schon jetzt schweißgebadet.

    Stöver erreichte den Parkplatz vor der »Seekiste« und ging eilig an dem Pfahlbau vorbei, auf dem sich das Restaurant befand. Hinter den Scheiben der Glasterrasse sah er die Gäste, die dort beim Essen saßen. Wenn sie nach draußen schauten, würden sie vor allem ihr eigenes Spiegelbild in der Scheibe sehen, das wusste er aus Erfahrung. Und selbst, wenn sie ihn entdeckten, sahen sie lediglich eine Gestalt in gelber Regenkleidung. Niemand würde wissen, dass er es war.

    Stöver passierte den Übergang zum Strand und stiefelte zur Wasserkante. Dann lief er wieder in Richtung Norden.

    In einiger Entfernung konnte er ein Lagerfeuer sehen. Noch mehr mögliche Zeugen. Doch das Risiko musste er eingehen. Eine Gelegenheit wie diese würde sich nicht so schnell wieder ergeben.

    Plötzlich blieb Stövers Fuß an irgendetwas hängen, und er stürzte der Länge nach in den nassen Sand. Seine Brille flog ihm von der Nase.

    Er richtete sich ächzend wieder auf und zog die Gummihandschuhe von den Fingern. Er tastete im Sand nach der Sehhilfe, berührte aber stattdessen das Ding, über das er gestolpert war. Es war groß und unförmig und hatte einen dichten, nassen Pelz.

    War er etwa über einen ausgewachsenen Seehund gefallen?

    Endlich fand Stöver seine Brille. Er wischte die feuchten Sandkörner von den Gläsern und setzte sie auf. Dann zog er seine Taschenlampe hervor und schaltete sie ein.

    Das Licht flammte auf, und Stöver sah sofort, dass er sich getäuscht hatte. Es war kein Seehund. Es war eine Frau. Sie hatte kurze weißblonde Haare und ein wachsbleiches Gesicht. Ihr Mund und ihre Nase waren voller Sand. Ihre Augen waren geöffnet und starrten blicklos in den Sternenhimmel.

    Für einen Moment verspürte er so etwas wie Erleichterung. Er würde die Grenze nicht überschreiten. Aber dann fiel ihm ein, dass er jetzt erst recht in Schwierigkeiten steckte.

    5

    Nils Hansen schreckte hoch, als das Telefon auf dem Tisch neben ihm zu läuten begann. Einen Moment lang wusste er nicht, wo er war. Dann erkannte er die blank polierten Buchenmöbel und den großen Tisch. Er lag in der guten Stube seiner Eltern auf der Couch. Als das Telefon erneut klingelte, wusste er auch, weshalb. Ein stechender Schmerz schoss durch seinen Kopf. Sie hatten am Abend den frisch aufgesetzten Apfelmost seines Vaters verköstigt. Der mochte zwar biologisch einwandfrei sein, hatte es aber nichtsdestoweniger in sich.

    Eilig riss Hansen das Mobilteil aus der Station.

    »Hallo?«

    »POK Becker von der Polizeistation SPO. Spreche ich mit PM Hansen?«

    Nils Hansen rappelte sich auf dem Sofa auf. Was wollte die Polizei St. Peter-Ording mitten in der Nacht von ihm? Und dann noch in Gestalt des neuen Dienststellenleiters, der, wie er gehört hatte, ein scharfer Hund sein sollte?

    »Am Apparat«, sagte er.

    »Können Sie herkommen? Wir haben einen Leichenfund.«

    Nils Hansen raufte sich die Haare. Er konnte einfach nicht folgen. Seine Dienststelle war die Polizeistation Garding. Mit St. Peter-Ording hatte er nichts zu tun.

    Der Polizeioberkommissar am anderen Ende begriff offenbar seinen Zwiespalt, ohne dass er ihn aussprechen musste.

    »Ich weiß, Sie sind nicht zuständig. Aber wir sind voll ausgelastet mit dem Spiel morgen.«

    »Hm.«

    Langsam kamen die Denkprozesse in Hansens Kopf wieder in Gang. Er hatte beim Abendessen mit seinen Eltern darüber gesprochen. Es war das Ereignis des Jahres. Der TSV St. Peter-Ording hatte es geschafft, den FC Schalke 04 einzuladen.

    »Der Knaller gegen Schalke«, sagte er. »Da springe ich gern ein.«

    »Nee«, erwiderte sein Kollege. »Das könnte Ihnen so passen. Aber daraus wird nix. Sie glauben doch nicht, wir erledigen den öden Papierkram wegen der Wasserleiche, während Sie sich beim Fußball amüsieren?«

    Nils wollte protestieren, aber der Kollege aus St. Peter-Ording kam ihm zuvor.

    »Das ist alles schon abgesprochen«, erklärte er. »Keine Chance. Und außerdem …«, er machte eine Kunstpause, »… hat man Sie angefordert.«

    Nils Hansen kniff die Augen zusammen. Er stammte aus Poppenrade, einem kleinen Dorf zwischen Garding und Westerhever. Er hatte eine Menge Bekannte auf Eiderstedt. Den Kollegen von der Polizei in St. Peter-Ording allerdings war er in seinem ersten Dienstjahr in Garding eher selten begegnet. Und er konnte sich kaum vorstellen, dass er dabei einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.

    »Wer?«, fragte er. »Wer hat mich angefordert?«

    »Oh«, sagte Becker, und Hansen glaubte zu sehen, wie er grinste. »Eine sehr energische Kommissarin von der Polizeidirektion Husum. Ihr Name ist Katharina Berg.«

    * * *

    Nils Hansen war plötzlich hellwach. Er stopfte das Mobilteil zurück in die Ladestation und stürzte ins Bad. Eilig putzte er sich die Zähne und glättete die verstrubbelten Haare mit reichlich Wasser und Gel.

    Zum Glück hing bei seinen Eltern eine Reserveuniform im Kleiderschrank. Er zog sie über, strich die Jacke glatt und setzte die Dienstmütze auf. Dann begutachtete er sein Erscheinungsbild im Spiegel. Noch immer erfüllte ihn der Anblick mit Stolz, genauso wie die beiden hellblauen Sterne auf seinen Schulterklappen, die ihn als Polizeimeister auswiesen.

    Nun gut. Noch besser hätte es ihm gefallen, wenn es mittlerweile drei Sterne wären. Polizeiobermeister. Das war

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