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A: Auf der Suche nach Tibet. Ein Roman
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A: Auf der Suche nach Tibet. Ein Roman
eBook363 Seiten5 Stunden

A: Auf der Suche nach Tibet. Ein Roman

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Über dieses E-Book

Michaela Dörboom, Hamburger Juwelierstochter die mit Mann und Sohn in Südfrankreich lebt, entschließt sich ihre Tätigkeit als internationale Antiquitätenhändlerin und Expertin für Bronzefiguren wieder aufzunehmen. Als in Boston eine tibetische Statue aus einem Museum gestohlen wird, ergreift sie die Gelegenheit und will versuchen durch einen aufsehenerregenden Scoop auf dem internationalen Markt wieder ins Gespräch zu kommen. Ihr Vorhaben wird durch Benedikt Herrhaus bestärkt, ihren ältesten Freund, der in Kanada lebt, wo er die dortige Niederlassung des Import- und Exportgeschäftes seiner Familie leitet. Benedikt hatte sich nach einer Lebenskrise einem tibetischen Lama anvertraut und behauptet nun, dass auch sein Meditationslehrer unauffindbar sei. Gemeinsam beschließen sie dem rätselhaften Verschwinden des alten Lamas und der Statue nachzugehen. Die Suche zieht die beiden Freunde rasch in einen Sog unerwarteter Ereignisse.
Vor dem Hintergrund einer spannenden, über drei Kontinente gehenden Jagd nach der geraubten Statue und dem verschwundenen Lama erhält der Leser faszinierende Einblicke in den tibetischen Buddhismus, das aktuelle Leben der Tibeter und begegnet spannenden Personen in einer intensiven Atmosphäre, die ihn an außergewöhnliche Orte führt: von der Terrasse eines Toronter Hochhauses zum Naturpark von Grouse Mountain in Vancouver, von der tibetanischen Kolonie Neu Delhis Majninu Ka Tilla zum alten Handwerkerviertel in Kathmandu, vom Haus Alexandra David Neels in der Provence zum Boston Museum of Fine Arts, von den Faneuil Markthallen zum Pandara Road Market in New Dehli.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum23. Nov. 2015
ISBN9783739264295
A: Auf der Suche nach Tibet. Ein Roman
Autor

Bert d'Arragon

Bert d'Arragon, in Norddeutschland geboren, hat mittelalterliche Geschichte und Germanistik an studiert und lebt bei Florenz, wo er Archäologie und Religionsgeschichte studiert hat. Er arbeitete zunächst als Archäologe in Sardinien und kehrte dann in die Toskana zurück, von wo aus er internationale Projekte in Italien, Deutschland, Finnland, Portugal, Schottland und Frankreich geleitet hat. Von tibetischen Meistern hat er Meditation und Philosophie gelernt und seit 1999 unterrichtet er Yoga und tibetischen Buddhismus, unternahm aber auch ausgedehnte Reisen nach Amerika und Asien. Seit 2006 widmet er sich der Schriftstellerei und im Jahr 2008 gewann er den nach Tiziano Terzani benannten Literaturpreis "Florenz für eine Kultur des Friedens" mit seiner Erzählung "Ein Grashalm unter dem Zelt von gestern". In Italien hat er bereits drei Romane veröffentlicht, „A“ ist sein erster in Deutschland erschienener Roman.

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    Buchvorschau

    A - Bert d'Arragon

    Ein kleines „Geschenk" an alle meine deutschen Freunde die leider meine italienischen Romane nicht lesen können…. Und natürlich eine Liebeserklärung an alle wahrhaft Reisenden, sowohl auf den Straßen und Meeren dieser Erde als auch auf ein jeder auf seinem Lebensweg!

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog – 1934

    Erstes Kapitel: Verschwinden

    Zweites Kapitel: Auf der Suche

    Drittes Kapitel: Hafenstädte

    Viertes Kapitel: Fährtenlesen

    Fünftes Kapitel: Reisen

    Sechstes Kapitel: Das Land des Lächelns

    Siebtes Kapitel: Tibet

    Nachwort

    Prolog – 1934

    Durchsichtige Flammen tanzten in der dünnen Gebirgsluft und Rauchwolken stiegen gemächlich dem leuchtenden Sommerhimmel entgegen. Henry spielte mit seiner handlichen Leica, die er tief in der Tasche versteckt hielt und nach einem kurzen Moment des Zögerns drängte er sich rückwärts durch die Menge der andächtig betenden Mönche, bis er einen Ausblick auf die Szenerie hatte, die ihn befriedigte.

    Vor ihm lag, unbeweglich wie eine Trutzburg, der große Haupttempel des Klosters hinter seinen hohen Mauern aber wegen der Vielzahl bunter Vorhänge, bemalter Fenster, flatternder Gebetsfahnen und goldener Skulpturen schien er dennoch leicht und wie aus gewichtloser Materie geformt. An der linken Seite ragte ein großes, weißes Stupa strahlend in die Höhe und schien den Gipfeln der Bergmassive Konkurrenz zu machen. In der Mitte, zwischen Tempel und Stupa, brannte ein großer Scheiterhaufen, um den sich mehrere tausend Mönche versammelt hatten, während sich die Bewohner der nahen Stadt in andächtiger Entfernung hielten. Henry drückte sich an die Wand eines Wirtschaftsgebäudes und zog vorsichtig den Fotoapparat aus der Tasche. Er hatte keine Ahnung wie die Leute reagieren würden, wenn sie ihn dabei entdeckten eine Zeremonie zu fotografieren, der vielleicht noch niemals zuvor ein Mensch aus dem Westen beigewohnt hatte. Er kannte alle Reiseberichte und Veröffentlichungen über Tibet, aber keiner seiner Vorgänger und Kollegen war jemals bei der Verbrennung der sterblichen Überreste eines der großen lebenden Buddhas dabei gewesen.

    Schon seit über zwanzig Jahren, seitdem 1913 der Dalai Lama auf das Dach der Welt zurückgekehrt war, hatte man Ausländern strengstens verboten, Tibet zu betreten. Einige Forscher und Abenteurer hatten es aber dennoch gewagt und waren in Europa und Amerika durch ihre Bücher und Vorträge berühmt geworden. Doch keinem von ihnen war es gelungen, solch einem Ereignis beizuwohnen, geschweige denn Fotos davon zu machen: erst durch die neueste deutsche Technologie war es möglich geworden, auf große Kisten, Stative und schwefeldampfende Blitzlichter zu verzichten.

    Als Henry sich bewusst wurde, dass niemand auf das leise Klicken seiner Leica achtete, verlor er alle Scheu. Der eingebaute Entfernungsmesser machte es möglich die Szene ohne große Umstände auf den Film zu bannen und wie im Taumel hielt er die Zeremonie für immer fest.

    In den Pausen zwischen einem Foto und dem nächsten, ließ er seinen Blick über die Menschenmassen schweifen und verfluchte stumm, dass es ihm niemals gelingen würde die Bilder so zu kolorieren, wie sie die Wirklichkeit darbot. Tausende von amarantroten Kutten leuchteten vor den weiß gekalkten Wänden des Tempels, im Hintergrund schimmerten die graugrünen Steilhänge der Berge mit ihren weißen Gipfeln und hoch über ihnen erfüllte der Himmel alles mit einem unwirklich strahlenden Blau. Aus den Flammen des Scheiterhaufens, der nun prasselnd loderte, stieg grauer Rauch auf, der in der Höhe seine dunkle Farbe verlor und sich mit den gemächlich dahinziehenden Morgenwolken vermischte.

    Nach einem Moment der zufriedenen Genugtuung wurde Henry wieder unruhig: sicherlich wäre es interessant, die Szene am Scheiterhaufen aus der Nähe zu beobachten. Er verfluchte sein Pech, denn die wichtigsten Lamas Tibets waren zusammengekommen, um ihren verstorbenen Lehrer auf dem Weg in eine neue Wiedergeburt zu begleiten... und ausgerechnet jetzt war Sörensen, sein schwedischer Reisegefährte, wegen des dummen Sturzes beim Überqueren eines Passes ausgefallen und sie konnten sich nicht wie sonst die Aufgaben teilen!

    Henry zog es vor, seine Leica wieder in der Tasche verschwinden zu lassen und drängte sich durch die Masse betender Mönche zum Feuer zurück. Einige Lamas in prächtigen Zeremonieroben waren damit beschäftigt, die auf einem Tisch ausgestellten Gegenstände des verstorbenen Heiligen in Tücher zu hüllen.

    Eine wunderbar gearbeitete Bronzestatue wurde mit besonderem Respekt behandelt, wanderte von Hand zu Hand durch die Reihe der Lamas, von denen jeder die kostbare Figur ehrfürchtig an die Stirn führte, bevor er sie weiterreichte, bis sie schließlich von einem alten und gebeugten Mönch in ein goldbesticktes Brokattuch gewickelt wurde und dann in einer bemalten Holzschachtel verschwand. Der alte Mann legte das kleine Paket in einen prächtigen Seidenbeutel, den er sich umhängte bevor er sich mit einer tiefen Verbeugung von dem lodernden Scheiterhaufen abwandte. Die Masse der betenden Mönche teilte sich vor ihm wie das rote Meer und eine Gasse aus Männern mit ehrfürchtig zusammengelegten Händen tat sich vor ihm auf. Ohne sich noch umzuwenden ging der Alte mit gemessenen Schritten durch die Menge und verschwand schließlich auf einem steinigen Bergpfad, der sich den Westhang des nahen Felsmassivs hinauf schlängelte.

    Die Bestattungszeremonie folgte ihrem seit Jahrhunderten festgelegten Lauf, auch wenn es für die Mönche und neugierigen Zuschauer immer wieder willkommene Unterbrechungen durch freigiebig ausgeschenkten Buttertee und geröstetes Gerstenmehl gab. Die Stärkungen wurden von reichen Tibetern bezahlt, die sich auf diese Weise eine günstige Wiedergeburt zu sichern hofften - und niemand konnte die angebotenen Speisen und Getränke verweigern, ohne die Wut der Einheimischen auf sich zu ziehen. Erneut verfluchte Henry Sörensens Unfall: nur der Magen eines in Lappland abgehärteten Schweden konnte diesen salzigen und mit ranziger Butter versetzten Tee verdauen, aber Sörensen war in der britischen Handelsstation von Gyantse geblieben und statt des erfahrenen Ethnologen und Weltreisenden hatte er nun als Begleitung einen linkischen Offizier der Station bei sich. Der geradlinige Schwede war ihm aber tausendmal lieber als sein verschlagen aussehender Landsmann. Natürlich war er dem Agenten der kleinen Station trotzdem dankbar: ohne seine Unterstützung wäre er niemals bis hierher gekommen. Die Kaserne in Gyantse war die letzte Bastion der westlichen Welt in diesem harten und abweisenden Land – und Henry fragte sich, wie lange die Männer dort noch durchhalten würden. Seine Reise durch Indien war von Aufständen und Hassbekundungen gegen die Briten begleitet gewesen und niemand wusste, wie lange die englische Krone sich noch gegen Gandhi, diesen abgemagerten Pazifisten, durchsetzen konnte, der sich an die Spitze der indischen Freiheitsbewegung gestellt hatte und mit seiner Gewaltlosigkeit offenbar kräftiger zuschlagen konnte als die britischen Truppen.

    Erst am späten Nachmittag war der Scheiterhaufen heruntergebrannt, aber die Schaulustigen schienen noch immer auf etwas zu warten. Henry gelang es nicht, die fremdartigen Rituale zu verstehen und nun waren die Lamas damit beschäftigt die verbrannten Überresten des verstorbenen Buddhas aus der Asche zu holen. Manchmal fanden sie kleine Gegenstände, Kügelchen oder winzige weiße Muscheln und jedes Mal ging ein andächtiges Murmeln durch die Menge der Mönche. Die Sonne verschwand hinter dem Massiv des Himalaja und das Kloster lag bereits im kühlen Schatten der Berge. Henry hielt Ausschau nach seinem Begleiter, fand ihn aber nicht. Erst nach langer Suche entdeckte er ihn weit außerhalb des Klosters auf einem der Westhänge der nahen Gebirgszüge, wo Stunden zuvor der alte Mönch mit seiner kostbaren Fracht zwischen Höhlen und Felsvorsprüngen verschwunden war.

    Henry ging ihm entgegen und als sie sich eine gute halbe Stunde später trafen, fiel ihm im gefüllten Militärsack seines Begleiters die rechteckige Form einer kleinen Kiste ins Auge, die sich unter dem festen Segeltuch abzeichnete. Auf Henrys Fragen antwortete der Mann ausweichend und mit drohendem Unterton. Schließlich würde man hier Handel treiben, das sei so üblich.

    Gemeinsam gingen sie zu ihrem Zelt, das sie direkt neben dem Kloster aufgeschlagen hatten. Aber der Offizier meinte, durch die Zeremonie seien Banditen und Wegelagerer angelockt worden, es sei besser das letzte Tageslicht auszunutzen, um das Lager abzubrechen und auf ihren Ponys Richtung Gyantse zu reiten, das nächste Dorf sei nur zwei Stunden Weges entfernt. Henrys Versuche den Mann umzustimmen waren vergeblich und ohne ihn wäre er in dieser wilden Gegend verloren gewesen.

    In der Dunkelheit der Nacht schlugen sie endlich, in der Nähe eines kleinen Dorfes mit niedrigen Häusern aus ungebrannten Lehmmauern und flachen Dächern, ihr Zelt auf. Ein unangenehm gespanntes Schweigen hatte sich zwischen die beiden Männer gelegt und Henry dachte erneut an seinen schwedischen Gefährten, den er seinem Landsmann bei weitem vorzog. Als er sich in seine Decke einrollte, ertappte er sich dabei, nun nicht mehr den Fotoapparat in seiner Tasche zu liebkosen, sondern den kleinen Revolver, den er stets bei sich trug.

    die tibetische Silbe A

    Erstes Kapitel: Verschwinden

    Salon de Provence, Frankreich

    Im vorigen Sommer

    Michaela stand am offenen Fenster und atmete tief die nach Heu, Lavendel und Mittelmeer duftende Nachtluft ein, während sie die in der Herbstnacht leuchtenden Sterne betrachtete. Dann wanderte ihr Blick über die sanfte Linie der im Dunkeln liegenden provenzalischen Hügel und die Lichter der verstreut um das Landhaus liegenden Dörfer, aber ein auf der Strasse fahrendes Motorrad führte ihre Gedanken zur Diskussion mit ihrem heranwachsenden Sohn während des Abendessens zurück. Sie schloss die Fensterläden und betrachtete kritisch die abblätternde Farbe auf dem spröden Holz. `Wenn ich mich nicht um alles kümmere, wäre das Haus schon längst eine Ruine, trotz zweier Männer, die ja eigentlich auch mal was tun könnten!´, fluchte sie innerlich.

    Sie zog sich aus und glitt unter das Moskitonetz. Selbst für das dünne Laken war es zu warm und sie hätte wegen der Hitze vermutlich ohnehin keinen Schlaf gefunden. Sie blieb für einen Moment bewegungslos liegen und wartete auf eine kühle Brise vom Meer, aber kein Hauch regte sich.

    Morgen würde sie mit Romano nach Hamburg fliegen, weil er dort eine Möbelsendung aus Estland in Empfang nehmen musste. Irgendwie beneidete sie ihren Mann um seinen Erfolg im Berufsleben. In der letzten Zeit kam sie sich manchmal beinahe nutzlos vor: sie hätte nicht gedacht, daß die Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg ins Berufsleben sie so sehr belasten würden. Aber andererseits konnte ihr Leben ja nun wirklich nicht nur darin bestehen, die Fensterläden mit etwas grünem Lack auf Vordermann zu bringen!

    Allmählich wurde sie müde und spürte, wie der Schlaf von ihr Besitz nahm, obwohl der Gedanke an ihren noch mit einem letzten Glas Wein auf der sternenbedachten Terrasse sitzenden Mann nicht völlig aus ihrem Bewusstsein verschwand.

    Das Klingeln des Telefons riss sie aus dem Schlummer und ließ sie in die Höhe schrecken.

    „Oui?" fragte sie atemlos, nachdem es ihr gelungen war, den Arm durch das Moskitonetz zu stecken und das Telefon zu ertasten.

    „Michaela? Ich bin’s, Benedikt."

    Im ersten Moment war sie erleichtert keine Hiobsbotschaft über ihren mit Freunden in der Sommernacht herumstromernden Sohn zu hören, dem vielleicht irgend etwas zugestoßen war, sondern die Stimme ihres in Kanada lebenden besten Freundes, der sie mindestens einmal in der Woche anrief. Dann überwog wieder die Schläfrigkeit und als sie mit zusammengekniffenen Augen eine Mücke durch die Öffnung ins Moskitonetz fliegen sah, hatte sie Mühe, ihren Sandkastengefährten nicht schroff anzufahren. Aber sie brachte es nicht übers Herz: schon seit ihrer gemeinsamen Zeit im anthroposophischen Kindergarten von Blankenese waren die beiden Einzelkinder wie Bruder und Schwester - und daran hatte sich in den letzten vierzig Jahren nie etwas geändert.

    „Ich habe schon geschlafen" sagte sie gähnend.

    „Oh – tut mir leid. Wie spät ist es denn?"

    „Hier ist es kurz nach Mitternacht."

    „Ach so, entschuldige bitte. Ich sitze noch im Büro, bin gerade mit der Arbeit fertig und fahre gleich nach Hause. Tut mir leid, dich geweckt zu haben. Aber ich brauche Deinen Rat."

    „Meinen Rat? Für was? Willst Du vielleicht neben deinem Lebensmittelexport jetzt auch noch mit Kunstwerken handeln?"

    „Natürlich nicht! Von Kunst verstehe ich nun wirklich nichts, das ist dein Ressort. Es geht um meinen Lama."

    Im ersten Moment wollte Michaela antworten, es hieße das Lama und ob er jetzt auf exotische Haustiere stehen würde. Aber dann erinnerte sie sich, dass ihr alter Freund nach seiner Scheidung in eine böse Existenzkrise gerutscht war, von der er sich erst in den letzten Monaten etwas erholt hatte und zwar nachdem er sich einem steinalten tibetischen Guru anvertraut hatte.

    „Was ist denn mit ihm?" fragte sie besorgt und befürchtete der vermeintlich heilige Mann habe ihn vielleicht um ein Vermögen betrogen und auf seine Rechnung irgendwo eine übergroße Buddhastatue aus massivem Gold aufstellen lassen, was Benedikt sicher endgültig aus der Bahn werfen würde.

    „Er ist weg."

    „Weg? Hat er deine Firmenkontos ausgeräumt oder Wertpapiere mitgehen lassen?"

    „Unsinn, natürlich nicht! widersprach Benedikt heftig, „Er ist einfach verschwunden, unauffindbar. Ich hinterlasse ihm Nachrichten auf dem Anrufbeantworter und er meldet sich nicht, sein Handy ist ausgeschaltet und auf meine E-Mails schreibt er auch nicht zurück.

    „Benedikt! Es ist August. Er ist wahrscheinlich in Urlaub gefahren, liegt am Strand und will einfach mal zwei Wochen lang keine spirituellen Ratschläge verteilen müssen!" versuchte sie ihn zu beruhigen.

    „Michaela, mach dich doch nicht immer über alles lustig! Lamas liegen nicht am Strand. Er ist ein Mönch und hat sein ganzes Dasein dem Wohl der anderen gewidmet..."

    „Na eben, da hat er sich doch mal ein paar Wochen Urlaub verdient!" konterte Michaela und bemerkte besorgt wie ernst Benedikt das Verschwinden des alten Mannes nahm.

    „Nein, so denken Lamas nicht! Außerdem geht im ganzen buddistischen Zentrum keiner ans Telefon. Null Reaktion, schon seit über einer Woche, das ist noch nie passiert. Ich mache mir echte Sorgen."

    „Aber was soll denn passiert sein? Im schlimmsten Fall liegt er im Krankenhaus. Ruf’ doch mal jemanden aus eurer Gruppe an." lenkte sie nun ein.

    „Ja, aber die wissen auch nichts. Ich habe mit den Freunden in Vancouver gesprochen und die sitzen genauso im Dunkeln wie ich. Danny ist sogar zum Zentrum gefahren und hat alles verriegelt und verrammelt vorgefunden, ohne dass irgendeine Information an die Mitglieder herausgeschickt worden wäre. Findest du das nicht komisch?"

    „Nein, ehrlich gesagt nicht. Wahrscheinlich haben die meisten Leute das Interesse an New Age und Spiritualität verloren und darum rentiert sich das Zentrum nicht mehr. Und da haben sie’s geschlossen. Das ist doch völlig normal. Diese Tibeter sind eben gute Geschäftsleute" spielte Michaela seine Befürchtungen herunter, in der Hoffnung er würde sich wieder beruhigen und nun nicht in eine noch schlimmere Krise stürzen.

    „Du bist unmöglich. Denen geht es nicht um Geschäfte, sondern um eine Lebensphilosophie, eine Religion, eine Kultur, ein ganzes Volk. Der ist nicht in Urlaub gefahren. Und wenn Rimpoche nicht am Strand liegt, wo ist er dann? Warum hat uns niemand von der Schließung des Zentrums informiert? Was ist passiert, ist er krank? Tod? Entführt oder ermordet?"

    „Benedikt... du gehst zu oft ins Kino. Das ist doch Kinderkram! Dein Rimpo wird schon wieder auftauchen, mach’ Dir keine überflüssigen Sorgen." versuchte Michaela ihren alten Freund zu beruhigen, der sich offensichtlich in eine fixe Idee hineinzusteigern schien.

    „Rimpoche. Das ist die Anrede für einen ehrwürdigen Lama. Aber ich mache mir wirklich Sorgen."

    „Das verstehe ich wohl, aber was kannst du tun? Wenn keiner ans Telefon geht, dann musst du eben nach Vancouver fliegen und selbst nachsehen. Du fliegst ja beruflich auch andauernd an die Westküste, da wirst du schon Zeit finden beim Lama vorbeizufahren. Hier aus Europa weiß ich leider keinen anderen Rat."

    „Du meinst also, ich sollte nach Vancouver fliegen? Das habe ich mir nämlich auch schon überlegt, aber ich dachte das wäre vielleicht übertrieben. Ach, ich weiss auch nicht… hier habe ich jedenfalls keine Ruhe, auch wenn es nichts weiter als ein ungutes Gefühl ist. Ich muss wissen, was da los ist."

    „Gut, du kannst mich ja anrufen, wenn du genaueres weisst. Übrigens bin ich ab morgen in Hamburg. Sollte also irgendwas sein, ruf’ mich auf dem Handy an oder schreib mir eine Mail. Und jetzt muss ich aber wirklich schlafen!"

    „In Ordnung… und gute Nacht."

    Michaela legte auf und blieb schweigend liegen. Benedikt setzte für einen greisen Mönch, der ihm aus der Depression nach seiner Scheidung heraus half, Himmel und Hölle in Bewegung, während sie selbst schon wochenlang untätig herumsaß ohne die Energie zu finden in ihr Berufsleben zurückzukehren. Sicher, für eine Mutter war es wohl niemals leicht sich an die Idee zu gewöhnen, dass ihre Kinder sie nicht mehr brauchten wie früher, weil sie allmählich erwachsen wurden. Außerdem hatte sie sich in Wirklichkeit nur halbherzig daran gemacht ihre Aktivitäten als internationale Kunsthändlerin und Expertin für antike Metallskulpturen wieder aufzunehmen. Aber um sich auf diesem Gebiet nach so vielen Jahren erneut nach vorne zu boxen und ihren Namen ins Gespräch zu bringen, brauchte sie einfach irgendeinen Trumpf, etwas Außergewöhnliches, das sie bei Gelegenheit ausspielen konnte. Nur hatte sie leider kein einziges Ass auf der Hand, mit dem sie einen Neuanfang ihrer Karriere beschleunigen konnte!

    Seufzend stand sie auf, nahm sich ein leeres Glas und setzte sich zu ihrem Mann auf die Terrasse: ihr provenzalischer Hauswein und die Schultern Romanos waren noch immer das beste Mittel gegen schwere Gedanken.

    Vancouver, British Columbia, Kanada.

    zwei Tage später

    Mit der Sonne im Heck glitt das Flugzeug über den Küsterand hinaus und Benedikt betrachtete das Glitzern des Morgenlichts auf der glatten Oberfläche des Pazifischen Ozeans. Langsam legte sich die Maschine auf die Seite und wandte sich wieder dem Festland zu, als sei sie nur aus Neugierde über den Rand des Kontinents hinweg dem Orient entgegen geflogen. Als Europäer fiel es ihm schwer sich daran zu gewöhnen, dass in Kanada der Orient im Westen lag und es war ein beruhigendes Gefühl, als die Nase des Airbusses wieder nach Osten zeigte. Lächelnd suchte er die flache, grasbewachsene Oberfläche von Sea Island ab, bis er unter sich die Piste des Internationalen Flughafens von Vancouver entdeckte, auf die der Pilot nun zusteuerte. Ein klarer Sommermorgen mit wolkenlosem Himmel erwartete ihn; der Erdboden lag heiß und trocken in der Sonne und die Vegetation zeigte bereits einen herbstlich gelben Schimmer.

    Benedikt streckte sich gähnend, um die Müdigkeit aus den Gliedern zu drücken, bevor die Maschine zur Landung ansetzte.

    Der Check-out war rasch erledigt und so stieg er wenig später mit seinem Coffee-to-go in der Hand in ein Taxi. Das tibetische Zentrum seines Lamas lag nicht weit vom Flughafen entfernt am Stadtrand von Richmond, südlich von Vancouvers Downtown, und er hatte entschieden keine Zeit zu verlieren und sich sofort auf die Suche zu machen. Benedikt wusste, dass der Lama normalerweise bereits am frühen Morgen im Zentrum anzutreffen war, weil er die Nachbarn seines Privathauses nicht schon vor Sonnenaufgang durch seine von Gesang, Trommeln und Glockenklang begleiteten religiösen Praktiken aus dem Bett scheuchen wollte.

    Der Taxifahrer fuhr über die Morray Bridge und bog vor dem Highway Richtung Cambie Road ab. Schließlich sah Benedikt die gigantische Betonkonstruktion der hoch über den Häusern laufenden Autobahn vor sich aufragen und wenig später fuhr das Taxi auf der Suche nach der genannten Hausnummer langsamer. Als schließlich der vertraute Garten mit dem flachen Bungalow vor ihm auftauchte, beruhigte er sich. In der Sommerbrise flatterten träge Gebetsfahnen in den fünf Farben der Elemente – blau für den Raum, weiß für Wasser, grün für Luft, rot für Feuer und gelb für Erde – und alles war wie immer. Es konnte nichts Böses geschehen sein. Einen Moment lang überlegte er, ob es besser sei das Taxi warten zu lassen, aber dann entschied er, dass alles normal und friedlich wirkte und er vielleicht sogar Rimpoche selbst antreffen würde.

    Nachdem er gezahlt hatte und das Taxi in Richtung des nahen Einkaufszentrums verschwunden war, ging er, seinen kleinen Trolley hinter sich herziehend, auf das Grundstück zu. Das Gartentor war geschlossen, öffnete sich aber wie gewohnt, als er dagegen drückte. Mit wenigen Schritten erreichte er die Außentreppe und stieg bis zur Eingangstür hinauf. Dann klingelte er.

    Nichts geschah. Er meinte, ein Geräusch im Inneren gehört zu haben, aber der Türöffner summte nicht und keine Schritte im Korridor waren zu hören. Benedikt klingelte erneut und etwas länger als zuvor. Wieder gab es keine Reaktion. Er wartete und schellte ein drittes Mal. So angestrengt er auch lauschte, hörte er nun auch im Inneren des Hauses keine Geräusche mehr.

    Er ließ den Trolley vor der Tür stehen, stieg die wenigen Stufen wieder hinab und sah sich im Garten um. Alles schien wie immer, allerdings waren die Fenster geschlossen und niemand war zu sehen. Er ging um das Haus herum. Aus dem weißen, Sangkangh genannten tibetischen Ofen zum Verbrennen von Weihrauch und aromatischen Pflanzen quoll kein Rauch, wie sonst am Vormittag üblich, und einer spontanen Eingebung folgend näherte er sich der kleinen Konstruktion, dessen offener Mund im birnenförmigen Körper von Ruß geschwärzt war. Als er davor stand, konnte er noch deutlich den typischen Duft der dort verbrannten Zweige der Himalajapinie wahrnehmen. Er legte seine Hände an den Ofen und spürte, dass er trotz der angenehmen Kühle im Schatten der Bäume und des Highways noch immer warm war, als wäre er in der Nacht für die Rauchopfer einer geheimen Puja benutzt worden.

    Im gleichen Moment zuckte Benedikt, durch schrilles Rufen aufgeschreckt, zusammen.

    „Was machen Sie da?" rief ihm eine unbekannte, chinesisch wirkende Frau zu, die plötzlich auf der Terrasse stand und ihn misstrauisch beäugte. Sie hatte schwarze, auf dem Kopf zu einer Schnecke zusammengebundene Zöpfe, eine breite Stirn, schmale Augen und einen kleinen Mund, trug abgenutzte Jeans, lederne Stiefeletten und eine Seidenbluse mit Blumenmuster.

    „Tashi Delek!" grüßte Benedikt auf tibetisch und legte die Hände zum Gruß der Orientalen vor seiner Brust zusammen.

    Die Frau antwortete nur mit einem Grunzen.

    „Sie haben da nichts zu suchen. Was sie wollen?" fuhr sie ihn mit einem starkem Akzent an, wie er in Richmond oft zu hören war.

    Zorn stieg in Benedikt auf, er fühlte sich in diesem Zentrum zu Hause und hatte hier wichtige Erfahrungen gemacht, während er diese unsympathische Frau hier noch nie gesehen hatte.

    „Ich bin Benedikt Herrhaus und suche Lama Gyatsen Rimpoche" erklärte er.

    „Den kenne ich nicht" antwortete die Frau, angestrengt nach Worten suchend.

    „Er ist der Lama, der dieses Dharma-Zentrum gegründet hat, sie müssen ihn doch kennen."

    „Dharma-Zentrum? Kenne kein Dharma-Zentrum."

    „Was ist denn dieses Haus sonst?" antwortete Benedikt mit ausladender Geste.

    „Gar nichts. Ein Haus. Mann von dem sie reden, kenne ich nicht. Sie kenne ich auch nicht. Gehen jetzt sie."

    Benedikt blickte sich um.

    „Und was bedeuten diese Fahnen hier? Und der Sangkangh?"

    Die Frau schwieg einen Moment.

    „Sangkangh? Kenne keinen Sangkangh. Was soll das sein? fragte sie. „Da wir haben gegrillt, Kinderparty; darum Fahnen, wir machen Fest, das ist alles.

    Benedikt blickte auf die Lung-ta, die von Tibetern liebevoll ‘Windpferde’ genannten, ausgefransten bunten Fahnen, die jedes Jahr zum Losar, dem tibetischen Neujahrsfest, gewechselt werden. Er selbst war im letzten Februar dabei gewesen, als Lama Gyatsen die mit Mantras und Götterfiguren bedruckten Lung-ta geweiht hatte und seine Schüler sie rund um das ganze Haus aufgespannt hatten, um negative Einflüsse fernzuhalten. Aber scheinbar hatte diese schützende Magie nicht gewirkt – oder die bösen Mächte waren einfach stärker gewesen.

    „Sagen sie mir doch bitte wenigstens, wo ich Lama Gyatsen Rimpoche finden kann!"

    „Kenne keinen Lama. Verschwinden sie, sonst rufe ich Polizei. Sie dürfen nicht in Garten herumlaufen!"

    Er blieb noch eine kurze Zeit unschlüssig stehen, dann ging er zurück zum Hauseingang, um seinen Trolley zu holen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass das Schild mit dem Namen des Zentrums und den Öffnungszeiten abgeschraubt worden war, aber man sah noch immer den hellen Fleck, wo es sich bis vor kurzem befunden hatte. Anfangs wollte er versuchen, weiter auf die Frau einzudringen, aber offensichtlich war es zwecklos, sie wiederholte in ihrem holprigen Englisch immer nur die gleiche Leier: hier gab es kein Zentrum und sie kannte keinen Lama.

    Wie vor den Kopf gestoßen, stapfte Benedikt mit seinem Trolley die breite Straße entlang. Plötzlich hatte er das Gefühl schon viel zu lange sinnlos im Kreis zu laufen: vor wenigen Jahren war sein Vater gestorben und hatte in ihm das bittere Gefühl zurückgelassen der jahrelange Kampf um Anerkennung sei völlig sinnlos gewesen. Dann hatte Sabrina ihn von einem Moment auf den anderen verlassen um sich ihrer politischen Karriere zu widmen – ohne ihm auch nur die Chance zu geben sich einen Platz in ihrem neuen Leben erkämpfen zu können und bereits wenige Tage nach ihrer Trennung war sie zu einem Parteigefährten gezogen mit dem sie Seite an Seite auf jeder Demonstration anzutreffen war. Und nun war auch noch Lama Gyatsen verschwunden der ihm in den letzten Monaten geholfen hatte allmählich wieder einen Sinn in seinem Dasein zu finden.

    Er hatte das unangenehme Gefühl die unbekannte Frau, die das Zentrum in Beschlag genommen hatte, würde ihn noch immer mit ihren abschätzenden Blicken verfolgen und er wollte so schnell wie möglich von diesem Ort verschwinden, aber nirgendwo war ein Taxi zu sehen und so steuerte er auf das nahe Einkaufszentrum zu. Vor der Einfahrt zum Parkplatz, auf dem nur wenige Autos im Schatten spärlicher Bäume standen, fand er eine Bushaltestelle und setzte sich hinter Plexiglaswänden auf eine heiße Plastikbank, während die schon am Morgen unerbittlich brennende Augustsonne ihm das Atmen schwer machte. Aber er nahm seine Umwelt kaum wahr, sondern versuchte zu verstehen, was mit seinem Guru geschehen sein konnte. Es schien ihm unmöglich, dass er einfach das Zentrum verkauft haben könnte, ohne irgend jemandem ein Wort davon gesagt zu haben. Es war aus Spendengeldern finanziert worden, auch er selbst hatte immer wieder mit größeren Summen beigetragen und niemals würde sein Lama das Geld anderer Menschen veruntreuen. Was war also passiert?

    Schließlich kroch ein langer Bus auf dem heißen Asphalt näher und Benedikt stieg ein. Er hatte Glück: diese Linie fuhr die Oakstreet hinauf und brachte

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