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Siebenbrunn
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eBook146 Seiten2 Stunden

Siebenbrunn

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Über dieses E-Book

Welf ist weg. Und zwar endgültig. Jeanne bleibt zurück, allein im kalten Gutshaus und hilft sich jeden Tag von neuem selbst auf die Füße. Ein nachdenklicher Roman über Abschiede, Erinnerungen und den mutigen Trotz des Weiterlebens.
Das Schicksal hat Jeanne getroffen ohne vorher auch nur anzuklopfen. Welf ist tot. Nun ist sie allein in Siebenbrunn und lernt, um eine Leerstelle herum zu leben.
Der Wald, an dessen Rand sie in einem alten Gutshaus wohnt, ist frühlingsregennass, ihre staubige Arbeit im Stadtarchiv geht weiter. Dort trifft sie Antonia Weißdorn, rothaarig, goldbeschuht und mit robustem Humor ausgestattet, eine Künstlerin mit der Aufgabe, der Geschichte Siebenbrunns eine Form zu geben.
Es wird leichter und es wird wärmer. Doch als Welfs Eltern beschließen, das Haus zu verkaufen, strauchelt Jeanne erneut. Zur gleichen Zeit stellt eine junge Studentin auf der Suche nach dem Vater, den sie kaum gekannt hat, ihr Zelt in den nassen Wald und fotografiert: junge Blätter und verirrte Enten, zugewachsene Wege und das verlassene Schulhaus. Auch sie trifft auf Antonia, die sich dort selbstbewusst mit ihrem Praktikanten Josh vergnügt, seltsame Installationen anbringt und aller Welt demonstriert, wie leicht es ist, dem Leben das Glück buchstäblich abzutrotzen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. März 2014
ISBN9783803141521
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    Buchvorschau

    Siebenbrunn - Eva Roman

    Anmerkungen

    1

    Siebenbrunn, dieses vom Wald verschlungene Dorf, allein der schöne Weg dorthin, er führt über eine Wiese, in deren Mitte er sich gabelt – ein Teil des Weges verläuft ab dieser Stelle weiter geradeaus, der zweite, ursprüngliche aber beschreibt noch immer einen Bogen um den ehemaligen Garten eines längst abgerissenen Hauses, in dessen Beletage sich bis zuletzt eine Sammlung ausgestopfter Eulen befand. Hinter einer Baumgruppe aus Birken und Robinien treffen sich die beiden Wege wieder – führen weiter über eine kleine Brücke, unter der ein Bach fließt, ein klarer Bach mit weichen, grasbewachsenen Ufern und sandigem Untergrund, über den fette, fast neongrüne Pflanzen wuchern, von einer Strömung, gegen die Forellen stehen, leicht bewegt. Folgt man dem Bachlauf, so taucht rechter Hand nach einer Kurve zwischen den Bäumen ein großes Gebäude auf, ein imposanter Bau, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden, dessen beide Flügel in dunklem Rosa mit ihren Rücken zum Wald stehen. Es ist die alte Schule, die seit Jahrzehnten leersteht und die zusammen mit der Waldgaststätte und einigen Obstbäumen auf dem Grundstück der abgerissenen Bäckerei den verlassenen Ortskern von Siebenbrunn bildet. Auf dem Dach der Schule findet sich exakt in der Mitte ein kleiner Turm, auf dem Turm das Ziffernblatt einer Uhr und auf der Uhr die ewig gleiche Zeit, kurz nach eins – als wäre dem Ort nicht nur das Geräusch der trampelnden, lachenden, schreienden Kinder, sondern auch die Notwendigkeit der Zeitmessung abhanden gekommen –, die Zeiger stehen still, seitdem der Letzte das Gebäude verließ, nur die Wetterfahne, hoch oben auf der zwiebelförmigen Kuppel des kleinen Turmes, ändert bei kräftiger Windstärke, von einem metallischen Quietschen begleitet, ihre Richtung.

    Vom Vorplatz der Schule gehen vier Wege ab: Der erste führt die Treppen hinauf zum Portal des Gebäudes, der zweite verläuft in Richtung Norden durch den Wald auf die Stadt zu, der dritte, nach Osten hin, erstreckt sich bis zur ehemaligen Fabrik, von der nicht viel mehr als eine Kastanienallee zeugt, die im Unterholz endet. Weiter östlich gelangt man durch den Wald zum Fluss, der in seinem künstlichen Bett die Kraft all seiner verlorenen Wasseradern zu reißender Geschwindigkeit bündelt, in Form einer blaugrauen Versalie begrenzt er den Wald, ein strömendes S, dessen lärmende Gewalt an den Staustufen noch weit in den Wald hinein zu hören ist. Der vierte Weg führt vom Vorplatz der Schule nach Süden, die Distriktstraße entlang, zum schönsten von ehemals fünf Gutshäusern, zu einem großen Herrenhaus mit der Nummer 3, dessen schon leicht abgeblätterte Fassade in Pompejanisch-Rot weit über die Felder leuchtet. Hier in diesem Gut lebt Jeanne.

    2

    Sie versucht dieses Gefühl zu verdrängen, das einen nach langem Halbschlaf überkommen kann, dass man gar nicht geschlafen hat und dass der gesamte kommende Tag Opfer dieses fehlenden Schlafes wird. Sie trinkt den Kaffee aus, kontrolliert, ob der Herd ausgeschaltet ist, wäscht sich, zieht sich an und kontrolliert den Herd wieder, Jeanne kontrolliert jetzt ständig, nicht nur den Herd, auch den Hahn an der Waschmaschine, die Türen im Erdgeschoss, die Fenster, es gibt ihr ein Gefühl von Sicherheit, alles drei- oder viermal zu kontrollieren, bevor sie das Haus verlässt. Ihr Fahrrad steht in einem Schuppen im Garten, Jeanne überquert die nasse Wiese, noch immer blüht der Flieder nicht, sie schließt die Tür auf, weiter, das Fahrradschloss, der Geruch seiner Werkstatt, wie sehr er noch hier im Schuppen ist, hier bei seinen auseinandergebauten Fahrrädern auf den Unterlagen aus alten Umzugskartons. Es ist, als könne er jeden Moment zurückkommen, ein Schutzblech liegt auf seinem Arbeitstisch, daneben einige Schrauben, ein kleines Kästchen mit Gummibändern, Nägeln und Bleistiften, ein Plastikfläschchen mit Fahrradöl. Nicht, denkt Jeanne, nicht jetzt, vor der Arbeit, und nimmt doch das Hemd vom Stuhl. Sie steht so, Mund und Nase in den Stoff vergraben, die Augen geschlossen, sie legt die Wange in das Hemd, ob sie es waschen sollte, die gleiche Frage, jeden Tag, die gleichen Bewegungen, mit denen sie es über den Stuhl zurückhängt.

    Mit den Fingern prüft Jeanne den Luftdruck ihrer Fahrradreifen, als habe sie vor, etwas anzufangen mit dem Ergebnis ihrer Prüfung, es ist wenig Luft, aber es wird gehen. Sie schiebt das Rad am Flieder vorbei auf die Straße, konzentriert sich darauf, die Tränen zurückzuhalten, was genau hat sie sich für heute im Archiv vorgenommen, sie steigt auf das Rad, tritt in die Pedale, atmet tief den frühlingshaften Geruch der Luft, die sich kühler anfühlt, als Jeanne wenig später den Wald erreicht und Tempo aus ihrer Fahrt nimmt. Es ist gut, sich vom Haus zu entfernen, links von ihr plätschert der Bach, wiegt die fetten grünen Blätter der Wasserpflanzen über den sandigen Grund, der ein Muster aus Forellenschatten trägt, alte Kopfweiden stehen am Ufer, dahinter eine Wiese, über die ein Weg führt, der sich etwa in der Mitte gabelt. Es ist hier so schön, aber in jedes lichte Gelb, in jedes neue Grün mischt sich in diesem Jahr ein Tropfen dunkler Farbe, und wenn er vorher irgendwo als ein Fleck auftauchte, der vielleicht zu übersehen war, so hat er sich in diesem Jahr eingemischt, nimmt Einfluss auf sämtliche Nuancen. Es ist nicht lange her, Welf auf dem Bett im Krankenhaus, der Blick aus dem Fenster auf ein Dach mit Hubschrauberlandeplatz, der letzte, verzweifelte Versuch, warum soll es sie nicht geben, die Möglichkeit eines Wunders – etwas könnte jetzt noch geschehen, sich der Krankheit, dieser Ungerechtigkeit entgegenstellen, jetzt ist die allerletzte Möglichkeit, aber nichts –, vor dem Fenster nur die dünne Schneedecke über den Feldern, die die braunen Ackerschollen durchschimmern lässt, und drinnen die ablaufende Zeit. Welf stirbt, und Jeanne bleibt alleine, alleine in dem riesigen Haus. Und wie gut sie diesen Gedankengang schon kennt, und doch kehrt er wieder und wieder, und sie will ihn nicht länger denken müssen, sie hört die Gedanken laut werden, sie blickt sich um, niemand ist hinter ihr, der sie gehört haben könnte. Heute wird viel los sein im Archiv, sie braucht ihre Kraft, und sie muss sich auf das Fahrradfahren konzentrieren, darauf, ob sie die Fenster im Erdgeschoss geschlossen hat, den Herd ausgeschaltet, und –

    Jeanne!

    Sebastians Stimme und mit ihr der Montagmorgen, die ersten Ampeln, die Autos, die Stadt.

    Du schläfst aber auch noch halb, Sebastian lacht. Ich war mir heute gar nicht sicher, ob ich das Rad nehmen soll, nachts hat es so stark geregnet, dass ich aufgewacht bin.

    Jeanne kommt zurück, kommt wieder, sagt: Ja, hat sich aber doch gelohnt, es zu wagen, im Wald riecht es unglaublich gut, wenn alles nass vom Regen ist. Sie blickt halb an Sebastian vorbei, denkt, während sie spricht, es war nur ein Wochenende völlig allein, nicht mein erstes, nicht mein letztes.

    Diese neue Anstrengung, auch nur ein einzelnes Gespräch zu führen, einen Austausch von Belanglosigkeiten, und wie wenig belanglos, wenn dieser Austausch über Tage fehlt, seinen Platz der Feststellung räumt, alleine zu sein, und wie viele solche Wochenenden, solche Feststellungen könnten folgen.

    Noch immer blüht der Flieder nicht, Jeanne sagt es unvermittelt, sie sieht auf ihre Armbanduhr, bis Sebastian leicht irritiert antwortet, wir sollten los.

    Die beiden fahren hintereinander her, Jeannes Blick auf Sebastians Rücken, warum lebt er, warum lebt sie, warum Welf nicht, warum stirbt einer, warum er, und was soll jetzt werden, sie folgt Sebastian, er hätte auch abzweigen können, irgendwohin, doch er fährt wie immer, wie sie seit Jahren fahren, an der Freilichtbühne vorbei, den Eserwall entlang, rechts in die Konrad-Adenauer-Allee, weiter durch den dichten Verkehr am Königsplatz bis zum Stadtmarkt. Vor dem Stadtarchiv, einem großen gelb gestrichenen Gebäude, schließen sie die Räder an.

    In der Reprographiestation geht Jeanne zum Fenster, kurbelt den schwarzen Lichtschutz nach oben und sieht auf den Stadtmarkt. Landfrauen mit Kopftuch und Kittelschürze haben ihre Stände im Eingangsbereich aufgebaut, stapeln noch Kisten mit Obst und Gemüse, schleppen Eimer mit Blumensträußen. Dahinter die festen Marktbuden, deren Rollläden bereits hochgezogen sind, die ersten Besucher mit Einkaufskörben und Taschen. Jeanne nimmt einen Plan aus der Ablage, ein großformatiges, sperriges Werk, Ende des neunzehnten Jahrhunderts entstanden. Es zeigt die Auen um den Lech nach dem Bau des Wasserwerkes am Hochablass. Sie hält sich eine Zeitlang damit auf, den Standort ihres Hauses zu suchen, gibt aber bald auf, es führt kein Weg daran vorbei, den Plan abschnittsweise einzuscannen und am Computer zusammenzusetzen. Es ist nicht besonders schwer, sich bei dieser Arbeit ständig zu verlieren, Jeannes Kollege Greiner, der zweimal pro Woche das Büro mit ihr teilt, ist zur Zeit in die Arbeit an einer Veröffentlichung zur reichsstädtischen Münzgeschichte eingebunden, er soll das entsprechende Material aus dem Archiv aufbereiten, eine Arbeit, die ihn derart langweilt, dass er sich freiwillig zur Überwachung der mit dem Brotkäfer befallenen Archivalien gemeldet hat. Diese Tätigkeit scheint ihn so sehr zu amüsieren, dass er meint, unablässig davon sprechen zu müssen. Jeanne kann förmlich hören, wie er sich auf dem Schreibtischstuhl dreht, mittlerweile glaubt sie seinen Blick in ihrem Rücken spüren zu können, begierig lauert er darauf, dass sie sich umdreht, um ihr einmal mehr endlos sein neues Wissen vortragen zu können, über die biologischen Gegenspieler des Brotkäfers, den Lochfraß oder den Einsatz der Kälteklimaanlage, die seinen Atemwegen zu schaffen macht. Heute ist Greiner oben im Magazin, und Jeanne ist froh, mit sich alleine zu sein. Sie arbeitet sich durch die Ablage mit den Scanaufträgen bis kurz nach zwölf, das Glockenspiel am Perlachturm ist kaum verstummt, als Sebastian wieder im Türrahmen steht.

    Kommst du mit?

    Ja, wenn du einen Moment warten kannst.

    Jeanne speichert das Dokument, sucht Portemonnaie und Jacke. Sie gehen gemeinsam die Treppe hinunter, nehmen den Hinterausgang für Mitarbeiter, der direkt auf den Marktplatz führt, zielstrebig steuert Sebastian auf die Hallen zu; wenn die Türen offenstehen, mischen sich dort die verschiedensten Gerüche auf unerträgliche Art, wie um eine schnelle Entscheidung zu fordern, es riecht nach Käse, nach Wurst, nach Fisch und nach Bratfett aus den Imbissbuden.

    Worauf hast du heute Lust?

    Kartoffelpuffer, antwortet Jeanne.

    Schon wieder? Weißt du, wie oft wir in letzter Zeit an diesem fetttriefenden Stand waren? Gesund kann das nicht sein.

    Ich weiß, aber Kartoffelpuffer trösten mich.

    Sebastian versucht ein Lächeln, dann bis gleich, sagt er, bevor er in Richtung des Asia-Imbisses verschwindet.

    In der Schlange vor dem Kartoffelpufferstand steht Jeanne hinter einer Frau, die einen großen Korb Rhabarber im Arm trägt. Nur ein paar Gedanken noch, Welf, damals auf der Reise nach – wie er sich freuen konnte über –, Welf im Garten, ja genau, Welf am Grill, Blätter an den Bäumen, Welfs Stimme, fröhlich, Welf am Tisch, eine Kartoffel aus der Alufolie wickelnd mit diesem Gesichtsausdruck zwischen Vorfreude und Konzentration, und darüber mit einemmal eine Verletzung, als sie ins Auto steigen wollten, und sie hatte nichts zu trinken dabei, du wirst es schon einmal ohne

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