Vom Hörensagen
Von Jan Weidner
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Über dieses E-Book
Jan Weidner
Jan Weidner, geboren 1982 in Tauberbischofsheim, lebt seit 2002 als Schriftsteller in Berlin. 2016 gewann er mit seinem Text "Fragmente" den Literaturpreis Prenzlauer Berg. www.wababbel.de/ekelundekstase
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Buchvorschau
Vom Hörensagen - Jan Weidner
Inhaltsverzeichnis
Prolog
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
Ihre Geschichte beginnt am Ende, mit dem letzten Satz Sommerreifen, der den Kontakt zum Asphalt verliert und für den Bruchteil einer Sekunde frei über der Böschung steht.
Unten wird man noch Tage später die frische Narbe der beiden Fahrrillen sehen können, schnurgerade, gezogen vom Fuß der Böschung hin zu einem windschiefen Geräteschuppen, der sich, von der Straße aus gesehen, am Wiesenrand hinter den Stamm einer Birke duckt.
Die Frage, weshalb das Automobil die Straße verlassen hatte und ausgerechnet hier zu seinem abrupten Halt gekommen war, wird sie später zugunsten irrelevanter Details unbeantwortet lassen: Frühnebel, gereizte, aufgescheuchte Vogelstimmen. Qualm, der dem Motorraum entweicht. Tropfen von Tauwasser rinnen die Birkenblätter entlang und schlagen mit hellem Klang in die Pfütze am Boden einer Regentonne. Hinter einem Stück Wellblech ragt das metallene Schlangennest einer Rolle Stacheldraht hervor – anhand der Fotografien, die man später anfertigen und ihr vorzeigen wird, wird sie lediglich zu Protokoll geben, sich am Stacheldraht die Hosenbeine aufgerissen zu haben, als sie ihr Bündel hinterm Schuppen deponiert habe, zwischen morschen Holzlatten und rostigen, von Luftgewehrschüssen durchsiebten Blechdosen. Alles Andere, wird sie später sagen, sei ihr entfallen.
Als es getan ist, setzt sie sich wieder ans Steuer und schließt ihre zitternden Finger um die störrische Lenkvorrichtung. Die Nässe von Fahrersitz und Hosenboden verliert sich in der Taubheit ihres Unterleibs. Der Rückspiegel wirft ihr einen kritischen Blick zu, wirft ihr den kritischen Augenblick zurück, den sie damals, vor Jahrzehnten, in die Kameralinse gerichtet hatte:
Blumen im Haar, ausgezupfte, handverlesene Blütenblätter im Mund wie gestrandete Schiffe auf einer frech herausgestreckten Landzunge … die Mädchenbeine in ihrem ersten Paar Gummistiefel, rosafarben, ein Geschenk der Großeltern, die Zeit ihres Lebens praktisch veranlagte Menschen gewesen waren … aus akkurat angelegten Schützengräben kratzt der Weizen die Erde unter ihren Stiefelsohlen auf, mit spröden, tastenden Fingern … Sonnenflecken im Polaroidpapier, die ihr Vater, am Stubentisch sitzend, mit einem glimmenden Zigarettenstummel ins Fotoalbum brennt … schwarze Pupillen wie Einschusslöcher vom Luftgewehr … – Der hausgeborene, lumpengepackte Säugling, die Haare nach der Geburt so dunkel, dass ihr Vater außer sich gerät, aus der Stube stürmt – „Des is‘ net meins" – der von der Großmutter im Wiegeschritt besungene Arme Teufel, der Täufling, in den Armen des Taufpaten, vom Regen in die Taufe kommend …
Es wird für die spätere Auswertung irrelevant sein, wann und ob überhaupt sie die Sonnenblende herunterklappt und das Papierfach leert, in dem sich zu diesem Zeitpunkt ein, zwei Dokumente, das Bildnis des Heiligen Christopher und die später von ihr erwähnte Fotografie aus der Guten Zeit befinden – die Momente, die soeben verstreichen, werden sich später, aus der lückenhaften Erinnerung heraus, mit der Betrachtung dieser Fotografie aus der Guten Zeit oder mit der Betrachtung ihrer eigenen Reflexion im Rückspiegel füllen lassen, mit flüchtigen Gedanken, die in keinem Gutachten Platz finden und sich mangels Relevanz in Rauch auflösen oder in den Rauch mischen werden, der weiterhin dem Motorraum entweicht.
Nach einigen Minuten, die sich in der späteren Schilderung zu einer leeren, aber sorgfältig bemessenen Zeitspanne addiert haben werden, löst sie ihre Hände wieder vom Lenkrad und tippt den Hilferuf einer schlussendlich verworfenen SMS in ihr Mobiltelefon.
EINS
Am Morgen hatte man sie abgeholt.
Stabat Mater dolorosa – Christi Mutter stand mit Schmerzen, denke ich mir, könnte ich später in mein Notizbuch eintragen und damit meine Schilderung des heutigen Morgens beginnen, an dem wir beide – sie: am Stubenfenster stehend, und ich: auf der Eckbank sitzend – das Auftauchen des Automobils an der Biegung der Dorfstraße erwarten.
Gleich zu Beginn hattest du ihr versprechen müssen, keine Geschichte draus zu machen.
Den Blick unbeirrt aus dem Fenster und somit auf die Biegung der Dorfstraße gerichtet, erwähnt sie zum wiederholten Mal am heutigen Morgen die Weihwasserschale, die in den, wie sie es ausdrückt, tönernen Armen einer Jungfrau Maria an der Stubentür gehangen habe. Genauer gesagt sei diese Muttergottes