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Die perfekte Nachbarin: Psychothriller
Die perfekte Nachbarin: Psychothriller
Die perfekte Nachbarin: Psychothriller
eBook337 Seiten4 Stunden

Die perfekte Nachbarin: Psychothriller

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Über dieses E-Book

Die perfekte Straße
Die perfekten Nachbarn
Das perfekte Geheimnis

Beth wünscht sich nichts sehnlicher, als sich in ihrem neuen Zuhause in einer ruhigen Straße in der Vorstadt endlich so richtig wohlzufühlen. Sich mit ihrer hübschen Nachbarin Oksana anzufreunden. Einen neuen Freundeskreis zu haben. Die Nachbarn zu sich einzuladen. Gemütliche Kaffeetreffen und gesellige Abendessen zu veranstalten.
Aber alles hier fühlt sich so verschlossen und abweisend an. Und als Beth eines Tages ihren entlaufenen Hund durch Oksanas Garten jagt, macht sie eine schockierende Entdeckung, die sie dazu veranlasst, sich zu fragen, was für Menschen ihre neuen Nachbarn in Wirklichkeit sind.
Ein Mädchen am Fenster.
Ein blasses, verzweifeltes Gesicht.
Ein behelfsmäßig zusammengebasteltes Schild, auf dem nur ein Wort steht:

Hilfe.

Wer ist das Mädchen? Was verheimlichen die Nachbarn?
Manchmal sind es ausgerechnet die Nachbarn, die uns am perfektesten erscheinen, die am meisten zu verbergen haben.

---
Was Leser:innen über Ihr stummer Schrei sagen:

»Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, ich musste einfach wissen, wie es ausgeht!« – Tracy Buchanan
»Fesselnd und nervenaufreibend … und führt zu einem elektrisierenden Höhepunkt!« – Kirsten Hesketh
»Trägt alle Merkmale eines großartigen Thrillers … Wer sich hier nicht mitreißen lässt, ist selbst schuld.« – Claire Dyer
»Präzise und fesselnd – eine beeindruckende Leistung.« – Shelley Weiner
»Ich habe Susannas gefühlvolles und nachdenklich stimmendes Buch sehr genossen – ein fesselndes Mysterium.«–- Sam Carrington
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ »Die Schreibweise zieht einen in ihren Bann und lässt einen bis zur letzten fesselnden Zeile nicht wieder los.« – Robyn B.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ »Gekonnt konstruiert und wunderschön geschrieben; das ist eine Geschichte, die mich so schnell nicht wieder loslassen wird. Sehr empfehlenswert und verdient mit Leichtigkeit seine Höchstbewertung.« – Rezension auf Goodreads
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ »Ich glaube, dies ist das beste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe! Aufgrund der Art und Weise, wie Susanna Beard schreibt, fühlte ich mich, als ob ich mich gemeinsam mit den Charakteren in den Szenen befinden würde. Ich habe alles an diesem Buch geliebt und kann es kaum erwarten, mehr von dieser Autorin zu lesen!« – Rezension auf Goodreads
SpracheDeutsch
HerausgeberJentas
Erscheinungsdatum3. Nov. 2023
ISBN9788742820469
Die perfekte Nachbarin: Psychothriller

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    Buchvorschau

    Die perfekte Nachbarin - Susanna Beard

    Die perfekte Nachbarin

    Die perfekte Nachbarin

    Die perfekte Nachbarin

    © Susanna Beard 2021

    © Deutsch: Jentas A/S 2023

    Titel: Die perfekte Nachbarin

    Originaltitel: The Perfect Neighbour

    Übersetzung: Kirsten Henrieke Evers, © Jentas A/S

    ISBN: 978-87-428-2046-9

    Published by arrangement with Joffe Books ltd. and Lorella Belli Literary Agency Limited

    ---

    Für alle Verlorenen, überall

    KAPITEL 1

    Sofia

    Die Haustür fällt ins Schloss. Dadurch klappert die Tür zu meinem Zimmer jedes Mal, obwohl sie abgeschlossen ist. Von draußen, wohlgemerkt, der Schlüssel abgezogen, wie jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe.

    Sir fährt los, was bedeuten muss, dass es ungefähr sechs Uhr morgens ist. Ich höre das Knirschen des Kieses, als sein Auto auf das hohe Tor zurollt. Ein Klicken, als es vollständig geöffnet ist, erneutes Knirschen, als das Auto hindurchfährt, dann das leise Summen und Knarren, als es sich hinter ihm schließt. Vom Haus aus kann man die Straße nicht sehen. Jedes Mal, wenn ich am Fenster auf dem Treppenabsatz vorbeikomme, schaue ich nach, ob das Tor geöffnet ist. Aber das ist es nie.

    Ich spüre, wie die Anspannung von meinem Körper Besitz ergreift. Gleich wird das Geräusch des Schlüssels im Schloss meiner Tür zu hören sein und Madam in ihrem lauten, harten Englisch sagen: „Los, aufstehen, an die Arbeit", oder so etwas in der Art. Ich habe nur wenige Minuten Zeit, um meine winzige Toilette aufzusuchen, mir mit einem Waschlappen übers Gesicht zu fahren und mich in Windeseile anzuziehen, bevor ich mit der Arbeit beginnen muss. Zwei Stunden lang kriege ich kein Frühstück, und selbst dann gibt es nur die kalten Reste. Durchweichter, gebutterter Toast, von Knusprigkeit schon längst keine Spur mehr. Mit viel Glück eine halbe Banane, die dort, wo er einen eiligen, letzten Bissen genommen hat, schon ganz braun ist.

    Ich habe mich längst an die Routine gewöhnt. Ich gehe eine Etage tiefer zum Schrank auf dem Treppenabsatz und hole den Staubsauger, ein Staubtuch und eine Dose Möbelpolitur heraus. Ich betrete ihr Zimmer. Hier ist alles altmodisch, im traditionellen, schweren russischen Stil gehalten: große Schränke und klobige Kommoden mit gemalten Motiven, ein riesiges Holzbett mit Schnitzereien. Die Möbel sehen alt und abgenutzt aus, vielleicht stammen sie noch aus dem Besitz von Madams Familie. Ich frage mich, wie viel es gekostet haben muss, sie quer durch Europa zu transportieren. Sie müssen ihr sehr viel bedeuten. Selbst die Vorhänge mit ihren aufwendigen Blumenmustern sind hier anders. Das Zimmer steht in starkem Kontrast zum Rest des Hauses: Überall sonst ist die Einrichtung modern, wie in den Zeitschriften, die sie kauft, mit verspiegelten Möbeln, blassen Farben und harten Kanten.

    Das Bett ist unordentlich, der seidene Bettbezug fließt auf den Teppich und wirft dort seine Falten, die Kissen sind zerknittert. Ich beuge mich hinüber und streiche das Laken glatt, ziehe es in Form und stecke es an den Seiten unter die Matratze. Ich befördere Bett – und Tagesdecke wieder an ihren angestammten Platz und bringe die Kissen mit einem routinierten Hieb in Form. Als ich sie aufrichte, geben sie ein ergebenes Seufzen von sich. Vom Sofa am Fenster nehme ich die riesigen Samtkissen und ordne sie fein säuberlich der Größe nach am Kopfende des Bettes an. Die Reihenfolge ist wichtig. Madam wird wütend, wenn sie nicht richtig liegen.

    Und wenn Madam wütend ist, schlägt sie mich.

    Im Badezimmer, das größer als mein gesamtes Schlafzimmer ist, öffne ich den Schrank unter dem Waschbecken und hole das Reinigungsmittel, einen Lappen und eine Toilettenbürste heraus. Leidenschaftlich fluchend mache ich mich an die Arbeit. Wenn Madam Bulgarisch verstünde, würde sie unter den Schwüren ihren eigenen Namen ausmachen können.

    Nachdem ich mit dem Staubwischen, Polieren und Staubsaugen fertig bin, schwenke ich das parfümierte Raumspray, das Madam immer bei Harrods bestellt. Es duftet nach süßen Rosen und erinnert mich an zu Hause. Leise schließe ich die Tür hinter mir.

    * * *

    Ich warte unten in der Eingangshalle. Ich tue so, als würde ich die Bilder abstauben, den Spiegel, den Beistelltisch mit dem übertrieben ausladenden Blumenstrauß. Die Küche darf ich erst betreten, wenn Madam sie verlässt, aber vorher muss ich die Zimmer in der richtigen Reihenfolge putzen.

    Madam lässt sich Zeit, sie plappert auf Russisch ins Telefon. Im Hintergrund läuft Popmusik, sodass ich ihre Worte nicht verstehen kann. Obwohl ich Russisch gut lesen kann, muss ich mich immer konzentrieren, um der gesprochenen Sprache folgen zu können, besonders bei der Geschwindigkeit, mit der Madam spricht. Sie wissen nicht, dass ich Russisch spreche; es ist eines von vielen kleinen Geheimnissen, die ich hüte wie einen Goldschatz, in der Hoffnung, sie mir eines Tages zu Nutzen machen zu können. Ich behalte sie für mich und tröste mich an ihnen, wenn es mal wieder besonders schlimm ist.

    Meinen Arm kann ich nur ganz behutsam bewegen. Den Bluterguss, wo sie mich gestern zu fest gepackt hat, spüre ich noch immer bei jeder falschen Bewegung.

    Natürlich hatte ich nicht die Absicht, den Müll fallen zu lassen, als ich ihn aus dem Abfalleimer in einen Plastikbeutel umfüllte. Ich inspiziere zwar stets alles, was weggeworfen wird – schließlich kann ich nicht riskieren, mir etwas potenziell Nützliches entgehen zu lassen –, aber niemals zu offensichtlich. Normalerweise schaue ich nach, wenn sie nicht im Raum sind, damit sie nicht mitbekommen, wenn ich mir einen leeren Umschlag, einen Zettel oder eine ausgediente Heftklammer unters Hemd schiebe. Diesmal war ich unvorsichtig gewesen – ich hatte nicht gleich bemerkt, wie Madam hinter meinem Rücken wieder durch die Tür geschlüpft war, hatte mich erschrocken und den Müll fallen gelassen, sodass er statt in der Tüte auf dem Boden gelandet war.

    „Was machst du da, du dummes Mädchen?" Ihre kalte Stimme hatte mich wie ein Messer durchbohrt. Zitternd hatte ich mich zu ihr umgedreht.

    „Es tut mir leid, Madam, ich wollte nicht ..."

    Ihre grün und golden lackierten Nägel waren wie Drachenklauen gewesen, als sie sich in das weiche Fleisch meines Oberarms bohrten und so fest zupackten, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich hatte versucht, mich zu wehren, aber es war mir nicht gelungen, ihrem Griff zu entkommen.

    „Du machst das jetzt sauber – du bist ungeschicktes, faules Mädchen." Als sie mich endlich losließ, hinterließen ihre Krallen schmerzhafte Einkerbungen in meinem Arm. Ich konnte ihn nicht einmal reiben, um den Schmerz zu lindern – sie stand über mir wie ein Armeegeneral und wartete darauf, dass ich die Sauerei endlich aufräumte. Mit zitternden Fingern bückte ich mich, um den Müll aufzuheben. Darauf schien sie nur gewartet zu haben; sie schubste mich von hinten, sodass ich auf allen vieren landete und mir die Tränen der Demütigung in die Augen stiegen. Aber ich weigerte mich, vor ihr zu weinen. Die Genugtuung wollte ich ihr nicht geben.

    * * *

    In letzter Zeit habe ich festgestellt, dass sich bei mir kleine Gewohnheiten eingeschlichen haben. Wenn ich ein normales Leben führen würde, wäre das nicht so, aber ich kann nicht leugnen, dass sie mir helfen. Zum Beispiel das Fluchen, wenn ich das Bad putze. Das geschieht jetzt automatisch, und ich genieße diese kleinen Momente der Freiheit, in denen mir die Worte in boshaft bitteren Strömen über die Lippen purzeln wie Erbrochenes.

    So feiere ich jeden noch so kleinen Sieg gegen meine Arbeitgeber. Meine Kidnapper, sollte ich wohl eher sagen. Sie werden es vielleicht nie merken, aber die Siege existieren – oh ja, es gibt sie wirklich. Sie warten in dunklen Ecken, drücken sich unter ihren Füßen herum und hängen lauernd über ihren Köpfen.

    Die Küche ist jetzt leer. Die Reste des Frühstücks warten darauf, aufgeräumt oder gegessen zu werden, wenn sie nicht bereits zu ungenießbar sind.

    In der Kanne wird der Kaffee kalt, aber ich darf ihn nicht aufwärmen, und kalt schmeckt er mir zu bitter. Als ich gerade angekommen war, nahm ich mir, was ich konnte, weil ich nicht wusste, wann und woher meine nächste Mahlzeit kommen würde, aber inzwischen weiß ich, wie es läuft. Ich nehme stets nur kleine Mengen, sorge dafür, leise zu sein und mich nur zu bedienen, wenn Madam auf dem Heimtrainer sitzt oder fernsieht, damit sie das Klicken der Kühlschranktür oder das Klappern des Brotkastens nicht hört. Sie bietet mir nie Essen an, obwohl sie weiß, dass ich es mir aus der Küche nehme. Es ist ihr egal, ob ich esse oder nicht, solange ich mich ruhig verhalte, ihr aus dem Weg gehe und meine Arbeit erledige.

    In der Küche muss ich jeden Tag wischen und putzen, spülen und schrubben, bis alles glänzt. Sie wird meine Arbeit später kontrollieren, und es ist eindeutig am besten, wenn ich es von vornherein richtig mache. Sonst gibt es zur Strafe Ohrfeigen oder blaue Flecken auf dem Arm.

    Eines Tages hatte ich einen kleinen Fleck auf einer Schranktür übersehen. Er war winzig, wirklich nicht der Rede wert – jeder andere hätte ihn mit Sicherheit übersehen. Aber nicht sie. Sie bekam einen fürchterlichen Wutanfall und schrie und brüllte, sodass mir ein Schauer winziger Speicheltropfen ins Gesicht prasselte, während ich verängstigt vor ihr kauerte.

    „Dummes, dummes Mädchen, schrie sie auf Russisch und beschimpfte mich auf die übelste Art und Weise. „Du dreckige bulgarische Hure, du taugst zu nichts! Du schrecklicher, schleimiger kleiner Wurm – ich sollte dich mit dem Absatz meines Schuhs zerquetschen, wie du es verdienst!

    Mit einer Hand packte sie meinen Arm und ließ die Nägel so fest zubeißen wie immer. Mit der anderen griff sie nach meinem kleinen Finger und lächelte boshaft, während sie ihn drehte, bis sie das ekelhafte Knacken und meinen Schmerzensschrei hörte.

    Der Finger ist immer noch gekrümmt, wo er eigentlich gerade sein sollte.

    Ich finde kleine Mittel und Wege, um mich an ihnen zu rächen. Ich spucke auf den Lappen, wenn ich die Arbeitsplatte in der Küche abwische. Ich entferne die Spinnweben, aber die größten Spinnen lasse ich da, damit Madam sie findet. Dann lache ich lautlos und schadenfroh in die vorgehaltene Hand, wenn ich sie schreien höre. Ich mache das nicht allzu oft, denn ich werde dafür bestraft, dass ich die Kreatur nicht gefunden und entsorgt habe, aber manchmal ist es mir das wert.

    Der Wi-Fi-Router funktioniert nicht mehr so gut. Also hat man mir gesagt, ich solle die Steckdose nie benutzen. Natürlich tue ich es jetzt erst recht. Dinge verschwinden – kleine Dinge, für die ich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Frische Schnittblumen welken schnell, obwohl sie reichlich Wasser haben und erst am Vortag angekommen sind. Die Kante eines Teppichs löst sich und bringt Sir zum Stolpern, wenn er die Treppe hinaufsteigt. Einmal hatte seine frisch gewaschene Unterwäsche einen seltsamen Geruch, der sich in der Kommode in seinem Schlafzimmer ausbreitete, bis alles andere darin genau so komisch roch.

    * * *

    Es gibt noch andere kleine Angewohnheiten. Früher, als ich noch frei war, habe ich meinen Kopf hoch gehalten und den Leuten immer in die Augen geschaut. Jetzt habe ich gelernt, das Kinn zu senken und zur Seite zu schauen. Das mache ich inzwischen sogar, wenn ich allein bin. Es ist Normalität geworden, sich zu unterwerfen, jeglichen Blickkontakt zu meiden. Meine Nägel, einst kräftig und lang, sind bis aufs Nagelbett abgeknabbert, die Fingerspitzen platt und hässlich. Wenn ich hier rauskomme, werde ich mir diese Angewohnheiten umgehend abgewöhnen – das Fluchen, den hängenden Kopf, das Nägelkauen. Aber im Moment sind sie nützlich. Sie dienen einem Zweck.

    Ich arbeite von morgens früh bis irgendwann spät abends, oft zwölf Stunden oder mehr. Jeden Tag putze ich jede Ecke und jeden Winkel des Hauses. Jeden Tag wasche ich die Wäsche, ganz egal, wie klein der Haufen im Korb ist. Ich trockne, bügle und lege alles ordentlich zusammen. Und am Ende eines jeden Tages schließen sie mich in mein Zimmer ein. Sie verstecken mich auch, wenn andere Leute zu Besuch kommen. Sie sind schlau. Sie machen keine Fehler. Für mich gibt es keine freien Tage, keinen Lohn, keinen Dank. Ich bin ein Niemand.

    Wenn ich allein in meinem Zimmer bin, mich sicher fühle, breite ich meine Schätze vor mir aus und genieße den Anblick meiner Sammlung. Ein kleiner Stapel Briefumschläge, die meisten weiß, aber ein paar davon auch von der größeren, braunen Sorte. Einige Quittungen, die nur auf einer Seite bedruckt sind: die leere Seite ist das, was für mich interessant ist. Eine einzelne, unfrankierte Briefmarke, die ich mit akribischer Sorgfalt von einem zerknitterten Umschlag abgezogen habe. Die letzten zwei Zentimeter eines Bleistifts. Ich brauche einen besseren – einen, der lange hält –, aber ich muss Geduld haben. Eine Tube Feuchtigkeitscreme und eine Tube Handcreme, jeweils mit einem winzigen Rest am Ende der Tube, den man nur mit großem Aufwand herausgedrückt bekommt. Ich werde sie aufrollen, bis ich auch noch den letzten Tropfen Creme herausgequetscht habe. Wenn ich eine Schere hätte, würde ich die Tuben durchschneiden, um mit den Fingerspitzen jeden Tropfen herausfischen zu können. Aber ich habe noch keine Möglichkeit gefunden, eine Schere oder ein Messer zu stehlen, ohne dass es bemerkt worden wäre. Eines Tages werde ich Glück haben, aber dann werde ich sie ganz sicher nicht benutzen, um Cremetuben zu halbieren.

    In meiner Sammlung befindet sich auch ein kleiner funkelnder Stein, der aus einem von Madams Hausschuhen gefallen ist. Ich liebe es, ihn mir vors Auge zu halten, das andere zugekniffen, durch ihn hindurch auf das leuchtende Dreieck des Fensters zu starren und das Licht in seinen geschliffenen Winkeln tanzen zu sehen. Ich tue so, als sei er ein kostbarer Diamant, der wahnsinnig viel Geld wert ist. Ich hoffe, sie vermisst ihn. Eine alte Strumpfhose, die ich aus der Mülltonne gerettet habe, könnte eines Tages einmal nützlich sein; sie hat ein kleines Loch, aber man sieht es kaum, und es ist sowieso egal, weil niemand sie jemals zu sehen bekommen wird. Im Winter ist mein Zimmer eisig, und die Strumpfhose hilft zumindest ein bisschen gegen die Kälte. Ich besitze ein paar kaum benutzte Zahnbürsten. Ich habe sie mehrmals gründlich gespült, um auch die letzten Spuren ihrer Vorbesitzer zu entfernen. Meine Sammlung von weggeworfenen Zahnpastatuben ist inzwischen recht ansehnlich. Ich habe immer gut auf meine Zähne geachtet.

    Madams Müll ist eine echte Goldgrube. Ich habe Schmirgelpapier zum Nägelfeilen und Wattestäbchen mit je einem unbenutzten Ende. Ich habe Seife und ein wenig Shampoo und Spülung für meine Haare, die jetzt, wo ich keine Gelegenheit mehr zum Haareschneiden habe, richtig lang geworden sind. Mit einem Gummiband binde ich sie mir zu einem Pferdeschwanz zusammen. Am Anfang habe ich noch Tampons aus Madams Badezimmerschrank gestohlen und mich bemüht, sie immer so lange wie möglich zu nutzen, damit sie möglichst lange halten. Aber jetzt, wo ich so abgemagert bin, dass meine Periode ausbleibt, brauche ich sie nicht mehr. Dafür bin ich sehr dankbar.

    Was ich wirklich gut gebrauchen könnte, wäre ein Rasierer für meine Achseln und meine Beine. Die sehen aus wie ein Urwald. Und obwohl ich weiß, dass es keine Rolle spielt, da mich sowieso niemand sieht, finde ich die Haare hässlich und unhygienisch. Aber in Madams Müll findet sich nie auch nur die Spur eines Einwegrasierers. Sir benutzt einen elektrischen Rasierapparat, und Madam hat das dazu passende Modell für Damen, was mir rein gar nichts nützt.

    Ich habe auch eine Schachtel für Lebensmittel. Ich muss vorsichtig sein, was ich mir aus der Küche stibitze. Manchmal bekommt Madam Besuch von Freunden und kauft abgepacktes Gebäck, verlockend aussehende Kekspackungen und Pralinenschachteln. Aber wenn ich es wagen würde, so etwas zu öffnen, würde sie das ganz bestimmt bemerken, und so wage ich mich nur an die Alltagssachen und muss warten, bis sie alt und fast abgelaufen sind und ganz hinten im Schrank vergessen werden. Viel kann ich in meinem Zimmer sowieso nicht aufbewahren, also lebe ich mehr oder weniger von der Hand in den Mund. Aber wenn es mir ausnahmsweise gelingt, ein Stück Schokolade oder eine Scheibe Käse zu ergattern, nehme ich meinen Schatz mit nach oben und genieße dann den ganzen Tag die Vorfreude darauf.

    * * *

    Heute will sie, dass ich die Fenster von innen putze. Ich hoffe, wider Erwarten ein offenes Fenster zu finden. Natürlich habe ich das schon oft versucht, aber jedes Fenster hat ein starkes Schloss. Wann immer sie ein Fenster öffnet, achtet sie immer darauf, es danach sorgfältig zu verschließen. Und außer in ihrer Hand habe ich noch nie einen Schlüssel gesehen.

    Ich fange ganz oben an. Natürlich nicht in meinem Zimmer. Mein Zimmer ist vom täglichen Reinigungsplan ausgenommen und wird nie geputzt. Zumindest soweit sie weiß.

    Es gibt sechs Schlafzimmer und fünf Bäder. Das Hauptschlafzimmer hat vier Fenster, die in viele kleine Glasquadrate aufgeteilt sind. Die anderen haben jeweils ein Fenster, außer das zweite Schlafzimmer, das hat zwei. Jedes Badezimmer hat ein Fenster. Insgesamt gibt es also allein im ersten Stock fünfzehn Fenster. Auf dem Treppenabsatz gibt es ein großes Fenster, wo die Treppe zum Flur hinunterführt, und dann sind da noch all die bodentiefen Fenster im Erdgeschoss. Es ist eine Heidenarbeit, und sie möchte unbedingt, dass alles heute erledigt wird – neben der normalen Reinigung natürlich. Sie bekommt morgen Besuch und gibt gern die perfekte Hausfrau. Ich weiß jetzt schon, dass ich bis zum späten Abend mit meiner Arbeit beschäftigt sein werde.

    Es mir leicht machen kann ich auch nicht so recht, denn sie kontrolliert die geputzten Fenster hinterher, indem sie sie aus jedem Blickwinkel genau betrachtet und nach Fingerabdrücken und Flecken sucht, als würde sie einen Tatort inspizieren. Nur in den Gästezimmern reicht ein schnelles Überwischen mit dem Lappen aus. Diese Räume werden nicht so oft benutzt, und die Fenster sind vom letzten Mal Putzen noch sauber. Das bedeutet allerdings, dass ich ein paar Augenblicke länger warten muss, bevor ich von einem Raum in den nächsten gehe, damit sie denkt, ich hätte gründlich gearbeitet.

    Ich sprühe und wische und poliere und schwitze, bis mir die Schultern schmerzen. In einem der Gästezimmer auf der Rückseite des Hauses, wo die Fensterscheiben makellos sind, halte ich kurz inne und schaue in den Garten. Ein breiter, gestreifter Rasen erstreckt sich bis zu einem kleinen Waldstück am anderen Ende, wo das Gras länger ist und zwischen den hohen Kastanien und Buchen Wildblumen wachsen. Auf beiden Seiten des Rasens befinden sich Beete mit Sträuchern und Blumen. Ein stabiler Holzzaun, der großflächig mit Efeu bewachsen ist, zieht sich um den gesamten Garten. Es gibt keine Lücke zwischen Zaunlatten und Rasen, und ein Tor gibt es hier auch nicht. Der Vorgarten unterscheidet sich vom hinteren Teil, denn vor dem Haus befindet sich statt Rasen ein breiter Kiesstreifen. Aber auch dort verdeckt ein hoher Zaun den Blick von außen auf den Garten.

    Ich habe schon oft versucht zu sehen, was hinter dem Zaun liegt, aber es will mir einfach nicht gelingen, egal wie sehr ich den Hals recke. Es muss ein verschlossenes Tor sein. Dass meine Arbeitgeber irgendetwas dem Zufall überlassen würden, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

    Während ich noch in den Garten starre und mich dieses nur allzu bekannte Gefühl der Hilflosigkeit überkommt, das mich jeden Tag heimsucht, tritt Matt, der Gärtner, in mein Blickfeld und schiebt eine Schubkarre auf die Mitte des linken Beetes zu. Er schaut zu mir hoch. Hastig mache ich einen Schritt vom Fenster weg und ziehe mich in den Schatten zurück, außer Sichtweite.

    KAPITEL 2

    Beth

    Das Auspacken dauert eine halbe Ewigkeit.

    Beth seufzt und fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Wie konnte alles so staubig werden? Schon jetzt sind ihre Hände trocken und grau vor Schmutz, ihre Fingernägel abgesplittert und kaputt, und sie hat gerade mal drei der Kisten für die Küche ausgepackt. Sie hätten für das Auspacken jemanden engagieren können, aber ihr Mann in seiner unendlichen Weisheit hatte es für besser gehalten, das Geld zu sparen. Schließlich würde Beth nicht arbeiten, und sie seien neu in der Gegend. Seiner Meinung nach würde sie in den ersten Wochen also sowieso nicht viel anderes zu tun haben. Sie hätte widersprechen können, aber im Grunde hatte er ja recht. Es ist zwar nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung, aber erledigt werden muss es schließlich, und es ist ihr wichtig, sich nützlich zu fühlen.

    Sie umkreist den riesigen Stapel von Umzugskartons in der Mitte des Fußbodens, sammelt das zerknüllte Papier ein, das im Raum verstreut ist, und wirft es in einen bereits leeren Karton, um es später zu recyceln. Es wird Wochen dauern, bis sie den Berg an Verpackungsmüll losgeworden sind, und die Mülltonnen werden nur alle zwei Wochen geleert.

    Gott sei Dank war sie so klug gewesen, den Wasserkocher, den Tee und die Tassen im selben Karton zu verstauen und diesen entsprechend zu beschriften. Auf dem Weg durch die Stadt hat sie im Supermarkt eine große Flasche Milch mitgenommen, sodass sie wenigstens eine richtige Tasse Tee trinken kann. Jetzt muss sie nur noch das Radio oder den Fernseher finden, damit sie beim Arbeiten ein wenig Ablenkung hat.

    Sie nimmt ihre dampfende Tasse mit zum Fenster und starrt hinaus in den Garten mit seinen langen Rasenflächen und breiten Blumenbeeten. Viel lieber würde sie sofort damit anfangen, den Garten hübsch zu machen, anstatt sich durch diese endlose Enthüllung von Geschirr, Küchengeräten, Büchern und Bildern zu quälen.

    In ihrem neuen Zuhause scheint alles fehl am Platz zu sein. Das ist auch nicht verwunderlich, denn schließlich haben sie ein gemütliches viktorianisches Reihenhaus in einem Londoner Vorort gegen dieses fast neue Haus am Stadtrand von Reading ausgetauscht, das wie eine einsame Insel mitten in einem großen, überwucherten Garten steht. Beth ist der Meinung, dass Häuser ihren ganz eigenen Charakter haben, und obwohl sie bei ihrem ersten – und einzigen – Besuch das Gefühl hatte, dass dieses Haus freundlich und ruhig wirkt, ist es noch immer ein Fremder, der sie eher höflich als herzlich empfängt und sich in ihrer Gegenwart noch nicht ganz wohl fühlt. Im Vergleich dazu fühlte sich ihr Haus in Kingston an wie ein alter Pantoffel. Solide, vertraut, gemütlich ausgelatscht und auf ihre wechselnden Bedürfnisse eingehend wie ein alter Freund.

    Aber für den Umzug gab es gute Gründe. Adams Firma war von London nach Reading umgezogen, und er konnte das Pendeln einfach nicht mehr ertragen. Das nimmt sie ihm nicht übel – selbst würde sie es sich auch nicht zumuten wollen. Dazu kommt die Tatsache, dass sein Job so viel mehr Geld einbringt als ihrer. Dagegen hatte sie einfach keine guten Argumente vorbringen können. In Kingston war sie glücklich gewesen. Sie hatte ihren Job in der Buchhandlung gehabt, ihre engsten Freunde und die offensichtlichen Vorzüge, dass London nur einen Katzensprung entfernt war. Im Vergleich dazu wirkt Reading schäbig und verschlafen, eine Ansammlung ungepflegter Gebäude, die sich an hohe Bürokästen schmiegen, Schicht um Schicht verspiegelter Fenster, die nichts preisgeben, wie uniformierte Wächter, die mit ausdruckslosen Gesichtern den Pöbel beaufsichtigen. Und obwohl das Haus außerhalb der Stadt liegt, in einer vergleichsweise angenehmen Gegend, in der die verstreuten Überreste der Vorstadt den grünen Ausläufern des eher landwirtschaftlichen Berkshire weichen, fühlt sich hier alles fremd und falsch an.

    Sie wendet sich dem unüberwindbar scheinenden Berg von Umzugskartons zu, stellt ihren Becher ab und macht sich wieder an die Arbeit.

    * * *

    Bis zum Abendessen ist es ihr zu ihrer Erleichterung gelungen, sich durch den Großteil der Kartons zu graben. Die Küche könnte schon beinahe als zivilisiert durchgehen. Die meisten leeren Kartons und Verpackungsmaterialien sind weggeräumt, das Geschirr und die Gläser stehen in den Wandschränken, und auch Töpfe und Pfannen sind verstaut. Im Vorratsschrank stehen bereits ein paar Konserven und Päckchen mit diversen Lebensmitteln, und die Tiefkühlkost ist in den Gefrierschrank geräumt worden. Zum Abendessen gibt es Pizza – für mehr ist sie zu erschöpft. Die Kinder wird es freuen.

    Beide sind gerade von ihrem dritten Tag an der neuen Schule nach Hause gekommen. „Mum!, ruft Abigail vom oberen Ende der Treppe. „Im Schrank ist nicht genug Platz für meine ganzen Sachen! Ich brauche noch eine Kommode ... Mum!

    Abigail ist zwölf Jahre alt und entwickelt sich schnell von einem kleinen Mädchen, das gerne tanzt, zu einer Teenagerin, die mit Stimmungsschwankungen, klobigen Stiefeln und Make-up experimentiert. Und sie hat die bewundernswerte Gabe, sich zu allem, wirklich allem, eine – manchmal etwas militante – Meinung zu bilden. Ihre Lieblingsthemen derzeit sind Gleichberechtigung und Umwelt. Seit sie hier angekommen ist, hat sie ihre Zeit damit verbracht, ihr neues Zimmer, das ein ganzes Stück

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