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Taghelle Gegend
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eBook168 Seiten2 Stunden

Taghelle Gegend

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Über dieses E-Book

Das Porträt einer jungen Frau auf dem Weg ins Erwachsenwerden: Maria, frei und ungebunden, probiert ihr Leben an wie die Kleider, die sie näht.
Ziellos lässt sie sich durch die Stadt treiben auf der Suche nach einem festen Platz in diesem Geflecht aus vorübergehenden Lieben und Jobs, aus familiären Spuren, flüchtigen Begegnungen und einer eigenen, selbstbestimmten Zukunft.

"Ein Roman der leisen Nuancen:exzellent!"
Die Presse, Michael Stavaric
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum11. Dez. 2013
ISBN9783709974933
Taghelle Gegend
Autor

Angelika Reitzer

geboren 1971 in Graz, studierte Germanistik in Salzburg und Berlin und lebt heute als Schriftstellerin in Wien.Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Hermann-Lenz-Stipendium 2007, Reinhard-Priessnitz-Preis 2008, Literaturpreis des Landes Steiermark 2014, Outstanding Artist Award für Literatur 2016.

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    Buchvorschau

    Taghelle Gegend - Angelika Reitzer

    Gegend

    die Linden im Innenhof haben sich verausgabt, der Jahreszeit gemäß haben die Bäume aufgehört zu blühen, sie sind alt und schmal, werden aber weiterhin spärlich Blätter tragen/können nicht anders. Unter einem der Bäume steht ein Sandkasten, darin Spielzeug, das wird regelmäßig benutzt und bleibt draußen über Nacht. Fahrräder lehnen an den Hausmauern, an der hinteren rostet ein Haufen aus Speichen, verbogenen Reifen, abgeblätterten Fahrradrahmen. Plastik- und Blechtraktoren und Lkws parken auf dem dunklen, grasfreien Erdboden und Stühle auf dünnen Füßen, Müllcontainer stehen Spalier, davor eine umgekippte Tonne. Ein paar Monate wird man noch die Einschüsse in den Wänden der Seitenflügel sehen können und die ausgebrochenen Mauerteile/Mäuler, die sie an vielen Stellen im abbröckelnden Verputz hinterlassen haben.

    der Lichtstrahl lässt sich viel Zeit, leuchtet so leicht zwischen den Stämmen hindurch. Als hätte er es gar nicht eilig und : würde keine einzige Wolke ihn je hindern an diesem Weg, niemals wieder die Sonne untergehen; als würde die Sonne für sich ganz alleine/einfach so und immer wieder (ohne auf etwas zu warten) scheinen. Das Licht ist in die Breite gegangen, streift lodernd die Bäume am Waldrand. Baumstammschatten werden auf die Wiese fallen. Lang und dürr werden die Schatten über dem schmalen Weg in der Wiese liegen, quer; viel länger als die Bäume hoch sind ihre Schatten lang. Da sind einzelne Äste in einer Krakelschrift mit regelmäßigen Ober- und Unterlängen auf die Wiese gekritzelt von einem riesengroßen Bleistift. Das Licht zeichnet die Schatten scharf. Aber viel schneller, als das Licht hier angekommen ist, wird sich eine Wolke zwischen Sonne und Bäume drängeln. Den Bäumen das Licht und mir den Schatten stehlen. Langsam wandert das große Schaf mit dem Namen Wolke W. oben am Himmel herum, zerstreut sich in Kleingruppen und findet wieder zusammen. Ich bemühe mich, einmal den Moment, in dem aus vielem eins wird, nicht zu verpassen. Und auf einmal ist das Licht wieder weg. Bevor all das Licht dahingeht/bevor das Licht sich ausschaltet mit Wolken, Linden, Sonnenschalter; bevor alles verweht : gehe ich selber. Nehme Anlauf und fliege irgendwohin.

    auch nach der Renovierung bleiben : die vier Stockwerke, im Hinterhaus mit französischen Fenstern. Auf die Wand des linken Seitenflügels sind Blumen und Bäume mit Vögeln, Ball spielende Kinder und ein Schwarm über-dimensionaler Schmetterlinge gemalt. Darüber steht was haben wir gelacht damals hinterm mond mit drei Rufzeichen, und über dem Durchgang im Vorderhaus hat jemand in roten Buchstaben und ähnlicher Schrift nicht zu Ende gebracht : Vivian ich liebe dich immer n. Die Büsche sind hoch und verwirrt sind sie, als wären sie plötzlich gealtert, verwahrlost schauen sie aus, verkommen. Es ist nicht genau zu erkennen, wie viel sie miteinander zu tun haben. Eine Frau (lange dunkelbraune Rastalocken) in Arbeitshose und groben Schuhen, die zu spät dran ist/den Wecker nicht gehört, vielleicht vergessen ihn einzuschalten, geht über den Innenhof. Ein Dienstagmorgen im Juni. Sie beeilt sich, bleibt einmal stehen, verlässt das Haus.

    wir haben nach wenigen Versuchen die Stützräder abmontiert, weil du damit viel unsicherer unterwegs warst als ohne. (Die Straße ist abschüssig, asphaltiert wurde erst später.) Ich bin bloßfüßig unterwegs, muss hin und wieder spitzen Steinen ausweichen/Springindieluft. Das Rad sieht zaghaft aus in seiner Unförmigkeit oder unbeholfen : weil es ein dickes Gestell hat und dabei noch so klein ist. Knallgelb leuchtet es vor sich hin, passt zu deinen rot leuchtenden Wangen. Der Schweiß klebt das hellblonde Haar fest an den Kopf, nur ein paar Strähnen stehen über die Ohren; das gleißende Sonnenlicht bestrahlt durch den Haarkranz deine roten Ohren, als wären die was Besonderes. Im Wohnzimmer von Dagmar und Rudi trinken wir Saft und du hast dein Glas noch nicht halb ausgetrunken, da fällt dein kleiner Kopf auf die Schulter, dein Körper knickt in der Mitte ein und wirft ein paar Falten, dir sind die Augen zugefallen, bist eingeschlafen. Im Wohnzimmer von Dagmar und Rudi ist es kühl, vor dem großen Fenster stehen große grüne Pflanzen. Das Braun des Fauteuils und das Braun deiner Badehose sind kaum voneinander zu unterscheiden. Über der Badehose schlängelt sich ein Faden weißer Haut um deinen Körper, deinen schmalen Bauch. Sonnengelbe Badehosenstreifen und orange Borten der Sitzgarnitur ganz ruhig schlafend, sind alle erschöpft, ich sehne mich nach der Temperatur dieses Tages. Dagmar macht eine Tür im Wohnzimmerschrank auf; kleine Lampen beleuchten den Spiegel hinter den bunten Flaschen, die jetzt funkeln. Lässt es flirren, holt Eis und einen Fotoapparat. Fotografiert meinen kleinen schlafenden Bruder. Ich stelle mich hinter den Fauteuil, in dem du noch kleiner und zarter bist als sonst. Streiche dir das Haar aus der nassen Stirn. Sie drückt noch einmal ab. Die Sonne in ihrem Rücken lässt mich blinzeln, muss die Augen schließen. Orange und gelbe Farbfäden, die unter den Lidern brennen. Leise unterhalten wir uns über deine Fortschritte auf dem Fahrrad. Ich trinke den Saft in kleinen Schlucken. Dagmar füllt immer wieder Eiswürfel nach, die sie ausdauernd lutscht, dann nimmt sie einen kleinen (spitzen) Schluck; die kleine Zange befördert auch ein paar Würfel in mein Saftglas, leise gleiten sie in die orange Flüssigkeit, ich denke : lautlos langsam/ich denke, es ist ein Filter über das Wohnzimmer von Dagmar und Rudi gelegt, damit du immer weiter schlafen kannst.

    auf den Betonplatten im Durchgang liegt eine dicke Staubschicht, langsam fällt die grüne Haustür ins Schloss ohne einzurasten. Folgen ein Mann und eine Frau in Anzug und Kostüm, deren Sohn im dritten Stock des Vorderhauses schläft : in der Küche stehen für ihn Butter und Marmelade bereit, Brot liegt im Korb, wenn er frühstücken will, muss er nur noch Wasser für den Tee warm machen, bevor er in ein Seminar oder eine Vorlesung an der Technischen Universität geht. Einer mit aufgekrempelten Jeans und gestreiftem Hemd sperrt ein Fahrrad auf, in Holzpantoffeln geht eine Frau an ihm vorbei Richtung Hinterhaus, sie trägt eine Papiertasche. (Ralf Rajemann, der gute Bäcker in der Nähe, denkt der Radfahrer, kurz darauf kann er nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob er sie gerade gesehen hat, nur mehr die Papiertasche ist echt, den Bäcker sieht er, wenn er vor dem Haus über die Straße fährt.) Mit einem Mann (Pferdeschwanzfrisur und alte Ledertasche), einer pfeifenden Frau mit zwei Hunden an der Leine, einer auffällig großen Frau mit Kind (das sich Zeit lässt/eine grau getigerte Katze streichelt), vergehen im Hof fast zwei Stunden.

    wie lange hat es geschneit und geschneit/immer mehr Schnee ist gefallen und man hat gar nichts mehr gesehen, auch die einzelnen Flocken nicht. Alles ein dichtes festes Grau. Der Schneepflug hat uns vergessen. Ich will in den Schnee, aber ich will auch nicht verpassen, wie du heimkommst. Nach einigen Schneetagen ist die Lust am Schnee weg, bleibt nur noch ein endloses, dumpfes Knirschen des Schnees, der alles abdichtet, es hört nicht auf zu schneien. Tagelang schimpft die Mutter mit ihrem Bauch, der immer größer und noch größer wird : fast hätte ich dich schon gesehen, dich erkennen können. Dann hält sie es gar nicht mehr aus. Geht aus dem Haus. In Gummistiefeln. Als sie die Haustür aufmacht, reißt die Großmutter im Nebenhaus ein Fenster auf. Ruft nach ihr und dass sie noch ein bisschen Geduld haben soll bei dem Wetter. Ich stehe auf der Stiege in der offenen Haustür und sehe die Mutter davonstapfen. Nach wenigen Minuten liegt eine feine Schneeschicht auf dem Steinboden im Vorraum. Mitten durch den Schnee, der überall ist, über ihr, neben ihr, darunter sowieso/marschiert sie die Straße hinunter in den Gummistiefeln. Sie wäre wahrscheinlich gerannt, wenn sie schneller vorangekommen wäre. Die Großmutter schickt mich zum Vater; als wir zurückkommen, dringt durch den Schnee das Schellen des Telefons zu uns auf den Hof. Tage später erst hört es auf zu schneien. Ganz früh ist der Schneepflug da gewesen : ich höre ihn im Schlaf. Der Pflug dreht vor dem Haus Schleifen wie Pirouetten, bleibt stehen und wendet, um auch den Weg vor dem Haus der Großmutter vom Schnee zu befreien. Dann bleibt er noch einmal stehen, eine Tür öffnet sich und die Mutter springt in ihren Gummistiefeln auf den frisch geräumten Hof, der jetzt ganz glatt ist und eben und glänzend. Der Schneepflugfahrer reicht ihr ein kleines Bündel nach unten und die Mutter weckt uns. Als ich aufwache, ist es ganz still und alles ist nur mehr so eine Pracht. Beim Blick aus dem Fenster macht sich in mir feierliche Stimmung breit/festlich und ergreifend : die riesigen Schneeberge neben dem Weg. Allein das Gefühl, in ihrem riesigen Schatten zu stehen. Der kleine Hof vor dem Haus ist eine glitzernde Arena. Drumherum steigen die Tribünenplätze schneeweiß und steil an/sind vom grellen Sonnenlicht beschienen. Die Fenster sind mit Kristallen geschmückte Logen. Wenige Stunden später landet unser Lieferwagen punktgenau in der Mitte und die Mutter steigt aus. Zuerst sind nur ihre Gummistiefel zu sehen, sie streckt sie zur Beifahrertür heraus, der Vater hilft ihr aus dem Wagen. (Der ist nicht so hoch wie ein Schneepflug, die Mutter tut aber so, als würde sie aus einer großen Höhe nach unten steigen.) Zuvor nimmt er ein Bündel entgegen, man sieht von weitem : das ist ganz leicht. Du. Winzig, kaum zu erkennen zwischen den Decken und Tüchern, die nicht ganz so weiß sind wie all der Schnee.

    es geht auf neun zu; der Morgen lässt sich Zeit. Die Katze sonnt sich auf einem Erdhaufen, obwohl keine Sonne auf sie scheint. Aus einer Wohnung im Hinterhaus schrammen Beats, ohne dass sich jemand aufregt, keine Stöße mit dem Besen von unten/oben an Decken oder Fußböden, nichts mischt sich da unter die Schläge, die den Innenhof und die Wohnungen bis in den späten Vormittag hinein beschallen.

    wie liege ich/herunten; kenne mich nicht aus, kenne meinen Körper nicht, mit diesem geknickten Kreuz, die Arme baumeln oder schaben auf dem Beton, sie bewegen sich langsam, immer gleichzeitig in verschiedene Richtungen; zum Körper hin, vom Körper weg. Sind das Flügelschläge im Liegen, bei gebrochenem Hals. Woran ist jetzt zu denken. Ich muss die Flügel vom Beton hochbekommen. Muss nur einfach abheben. Langsam, gleichmäßig, keine Panik. Kein Körper ist mehr da. Ist das Stoff zwischen meinen Armen oder Papier, das so flattert im Luftzug. Die Beine sind liegen geblieben, gehören mir nicht mehr. Ich vermute sie oben. Sie gehören nicht mehr zu mir. Beide Beine sind aber irgendwo neben mir, unter dem Stofffetzen/Fähnchenkörper. In meiner Nähe. Neben mir fängt wieder das Loch an. Aus dem dringen dumpfe Musikschläge, denke ich oder spüre ich : das schlägt und schlägt. Neben meinem Ohr geht es Richtung Erdmittelpunkt. Zieht eisigkalter Wind von dort nach oben, zu mir her. Welche Jahreszeit haben wir. Welches Jahr haben wir. Eisig, Schnee bis über die Knie, die Eltern kommen Arm in Arm und mit dir in so einer Trage, die man auf Räder stellen kann, auf das Haus zu. Haben dich endlich nach Hause gebracht, dafür bin ich ihnen ja dankbar. Ich muss ihnen noch erklären, dass ich mich um dich kümmern kann. Doch. Wie soll ich dich bei diesen Schneemassen spazieren fahren. Wie kann ich dich füttern, wenn die Hände nicht mehr zu mir gehören. Ich will dich ja hüten, ich will deinen Schlaf überwachen, damit du nicht zu atmen aufhörst, mit dir sein und hinter dir her, du willst ans Wasser, wir mögen das Wasser beide so gern, wie soll ich dir nach, wenn meine Beine nicht mir gehören. Die Eltern schauen auf meine verkümmerten Beine, sie sagen : wir können dir leider nicht die Verantwortung übergeben, du hast schon einmal nicht aufgepasst/hast du vergessen. Mein Stammeln hilft da wenig (ich bin doch groß genug und ich wollte ihm ja nach). Sie treten angewidert zur Seite, durch das Loch über mir gelangt jetzt wieder viel Licht, ich denke : also doch ein Ausweg, ein Krater/vielleicht eine Schlucht; hör nicht mehr das Flüstern der Eltern, die Sirene setzt ein, heult und heult, das ist nur, weil jetzt Samstagmittag ist, schrei ich gegen den Lärm an, sie hört aber nicht auf, Samstag zwölf Uhr Mittag bleibt. Der Boden um mich herum glüht, von unten erreicht mich die Kälte in Schichten, ganz kompakt, vielleicht geht sie von mir selber aus, bin ein Eisblock, ein frostiges Feld.

    die Menschen, die ein und aus gehen, haben nur ihr eigenes Schauen, um ein Durcheinander in ihrer Welt zu erkennen, wissen aber um die Mauern um sie herum. (Wissen sie es. Die Menschen, die in diesem Haus leben,

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