Black Vodka: Zehn Kurzgeschichten
Von Deborah Levy
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Über dieses E-Book
Inmitten eines unaufgeregten und oft witzigen Geplänkels tut sich stets unmerklich ein Graben auf, über den der Leser jedoch leicht hinüberhüpfen kann, denn die entscheidenden Informationen stehen bei Deborah Levy immer wohldosiert zwischen den Zeilen. Es liegt an uns, sie zu entziffern.
Das Schalkhafte, das Melancholische und ganz besonders das Elegante in Levys Sprache hat die Übersetzerin Barbara Schaden genau eingefangen.
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Buchvorschau
Black Vodka - Deborah Levy
2012
Black Vodka
Als ich Lisa zum ersten Mal sah, wusste ich, dass sie mir helfen würde, ein ganz anderer Mensch zu werden. Dieses Wissen fühlte sich an wie ein Sommerurlaub. Es entspannte mich, obwohl ich normalerweise ziemlich verkrampft bin. Eines müssen Sie nämlich über mich wissen: Ich habe einen kleinen Höcker, eine Art Buckel zwischen den Schulterblättern. Wenn ich nur ein Hemd trage, ohne Sakko, merkt man, dass mehr an mir dran ist, als es zuerst den Anschein hat. Ist es nicht seltsam, wie fasziniert der Mensch von Prominenz und Missgestalt bei der eigenen Spezies ist? Die Leute starren meinen Höcker etwa sechs Sekunden länger an, als der Anstand erlaubt, und versuchen den Unterschied zwischen ihnen und mir zu ermessen. Meine Mitschüler nannten mich »Ali«, weil so, fanden sie, Kamele heißen. Ali Ali Ali. Ali hat einen Höcker. Das Wort »Pausenhof« vermittelt nur eine unzulängliche Vorstellung von der Art ethnischer Säuberung, die hinter den angeblich zu unserer Sicherheit gedachten Toren vor sich ging. Von sehr jungen Jahren an wurde ich in der Kunst der Ausgrenzung unterwiesen. Deformiert. Anders. Fremd. Geh dahin zurück, wo du herkommst, Ali. Zwar war ich, wie auch die anderen Jungs, in Southend-on-Sea geboren, lebte aber in der arabischen Wüste im Exil, und ich durfte nicht mit ihnen hinter den Muschelbuden rauchen.
Noch was müssen Sie über mich wissen. Ich texte für eine führende Werbeagentur. Ich verdiene einen Haufen Kohle, und meine Kollegen respektieren mich wohl oder übel, weil sie vermuten, es gehe mir weniger gut als ihnen. Die Einsicht, dass niemand rotbackiges Glück respektiert, ist Teil meines beruflichen Aufgabenbereichs.
Zum ersten Mal erblickte ich Lisa bei der Präsentation zur Namens- und Markeneinführung eines neuen Wodkas. Meine Agentur hatte den Zuschlag für die Werbekampagne erhalten, und ich stand auf einem kleinen Podium, um das Bild eines nächtlichen Sternenhimmels zu zeigen. Ich schaltete mein Ansteckmikro ein und fing an.
»Black Vodka …«, sagte ich mit leicht düsterem Unterton, »Vodka Noir spricht jene an, die ein Bedürfnis nach stylisher Existenzangst verspüren. Wie Victor Hugo gesagt hätte: Wir sind allein und unbehaust, und die Nacht bricht über uns herein; Black Vodka trinken heißt, um unser Leben trauern.«
Wodka, erklärte ich, würde zumeist mit den kommunistischen Ländern des ehemaligen Ostblocks in Verbindung gebracht, wo die Auslotung abstrakter, subjektiver und konzeptueller Ideen bekanntlich der ultimative Widerstand des Individuums gegen das Regime gewesen sei. Auf dieses nostalgische Trittbrett springe Black Vodka auf und werde als messerscharfe Alternative für den Kultivierten und Anspruchsvollen angeboten.
Meine Kollegen nippten an ihrem Latte (der Praktikant war zu Starbucks geschickt worden) und hörten sich aufmerksam meine Ausführungen an. Als ich dann noch behauptete, Vodka Noir habe hohe Wangenknochen, lachten ein paar von ihnen peinlich berührt. In der Agentur nennt man mich den verkrüppelten Dichter. In dem Moment fiel mir im Publikum eine Frau auf; sie hatte langes braunes Haar (hellblond an den Spitzen) und gehörte nicht zu uns. Sie hatte die Arme über ihrem grauen Kaschmirpulli verschränkt und ein Notizbuch auf dem Schoß. Von Zeit zu Zeit griff sie danach und kritzelte mit Bleistift etwas hinein. Meine scharfen Augen (weitsichtig) bestätigten mir, dass mich diese Außenseiterin in unserer kleinen Gemeinde mit ziemlich klinischem Blick musterte.
Nach der Präsentation stellte mich mein Kollege Richard der Notizbuchdame vor. Er sagte zwar nichts in der Richtung, aber ich ging davon aus, dass sie seine neue Freundin war. Richard ist berüchtigt dafür, dass er seinen Fußballerkörper allmorgendlich mit einem betörenden Duftwasser übergießt. »West Indian Limes«. Auf mich hat es eine Wirkung, die anregend und verzweifelt melancholisch zugleich ist. Natürlich könnte ich mir morgen fünf Flaschen von diesem Verführungszeug kaufen, aber diese Art des Aufmerksamkeitsheischens hebt den Unterschied zwischen meinem missgebildeten Körper und Richards nur umso stärker hervor. Jedenfalls war es ein ziemlicher Schock, ihn mit der Frau zu sehen, deren klinischer Blick aus irgendeinem mysteriösen Grund genau die Art von nihilistischer Begierde in mir geweckt hatte, die ich mit meiner Vodka-Noir-Kampagne anzuheizen versuchte.
Richard lächelte mich herzlich an und amüsierte sich anscheinend über irgendwas, woran er uns aber nicht teilhaben lassen wollte.
»Lisa ist Archäologin. Ich dachte, deine Präsentation könnte sie interessieren.«
Ihre Augen waren blassblau.
»Würdest du schwarzen Wodka kaufen, Lisa?«
Ja, sagte sie, sie würde ihn schon mal probieren, und dann kreischte sie los, weil sich Richard von hinten an sie herangepirscht hatte und mit beiden Händen ihre schmale Taille umklammerte wie eine Handschelle.
Während ich meinen Laptop verstaute, wallte plötzlich ein unangenehmer, heftiger Zorn in mir auf. Ich glaube, in dem Moment wünschte ich mir mehr als alles andere, ein Mann ohne Last auf dem Rücken zu sein. Nach Präsentationen gibt es bei uns meistens Sekt, und die Praktikanten müssen Snacks bestellen. Aber beim Anblick sonnengetrockneter Tomaten auf winzigen pestogefüllten Teigtaschen überkam mich das Bedürfnis, das ganze Tablett umzukippen.
An dem Tag ging ich früh. Ich fragte nicht mal meinen Chef, wie er meine Präsentation fand. Tom Mines ist der Fiesling der Agentur (er selber würde seine Gemeinheit allerdings »Durchblick« nennen) und leidet an einem dunkelvioletten Ausschlag an den Handgelenken und Händen. Seitdem ich ihn kenne, trägt er nur Jacketts mit überlangen Ärmeln. Wie man sich leicht denken kann, interessiert es mich immer brennend, wie andere Leute mit ihren körperlichen Gebrechen umgehen.
Ich murmelte etwas von einem Notfall, der meine Anwesenheit erfordere, und machte mich schnell aus dem Staub, ehe Tom sagen konnte, der Notfall sei ja wohl ich. Aber bevor ich ging, marschierte ich schnurstracks zu Lisa, obwohl ich wusste, dass mich Tom Mines beobachtete und dabei wie immer seine dünnen grauen Finger um die Ärmelaufschläge schraubte. Was ich dann tat, mag sich komisch anhören: Ich gab Richards Freundin meine Karte. Angesichts dessen, was ich inzwischen wusste, wirkte die Überraschung, die sie mit ihren Gesichtsmuskeln, gehobenen Brauen und ihren spöttischen, leicht geöffneten Lippen mimte, auf mich nicht