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LA TRIVIATA: Der Duft der Achtziger
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eBook395 Seiten2 Stunden

LA TRIVIATA: Der Duft der Achtziger

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Über dieses E-Book

Die vorliegenden Aufzeichnungen aus dem Jahre 1985 sind das Resultat einer großen Anstrengung, eines Überlebenskampfes, wenn man so will. Nachdem ich zuvor zwanzig Jahre in diversen Redaktionen gearbeitet hatte und feststellen musste, wie mein Traumberuf langsam aber stetig vom demokratischen Korrektiv zum Handlanger von Kapitalinteressen mutierte, war ich erstmals kühn genug, den Ausstieg zu wagen. Mein journalistischer Niedergang bis hin zum Verfassen von Trivialromanen für die Regenbogenpresse ist aber nur die eine Seite der Medaille. Um meinen inneren Kompass nicht gänzlich zu verlieren, machte ich es mir zur Pflicht, mich mit täglichen Fingerübungen "frisch" zu halten.

Das Manuskript ist 33 Jahre alt. Der Abstand zum Jahr 1985 ist aus zweierlei Gründen interessant: zum Einen wird klar, auf welch fatale Weise die Dinge fortgeschrieben wurden, von denen hier so häufig die Rede ist. Zum Anderen transportiert das Buch den Duft der Achtziger, ein Jahrzehnt, das dem Minimalismus in zu engen Anzügen huldigte und dem wir in Nostalgie verbunden sind. Bei der Überarbeitung des Textes habe ich mich wie auf einer Zeitreise gefühlt und ich hoffe, dass es dem einen oder anderen Leser ähnlich ergeht. "Es ist schade, dass alles nur Worte sind", hat Ingeborg Bachmann einmal gesagt, "ich wünschte mir einen richtigen Scheiterhaufen." 1985 ist ähnlich zu verstehen.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum16. Nov. 2018
ISBN9783957659255
LA TRIVIATA: Der Duft der Achtziger

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    Buchvorschau

    LA TRIVIATA - Dirk C. Fleck

    5

    Ermahnung

    Ich weine vor euch. Oh ja! Meine Augen werden sich mit Tränen füllen. Und wenn ihr vorbei gegangen seid, werden meine Tränen nicht aufhören, da ich weiß, zu welchen Schlünden ihr wandert! Ich kenne besser als jeder andere den, der euch beim Umweg auflauert.

    Max Jacob

    Vorwort

    Die vorliegenden Aufzeichnungen aus dem Jahre 1985 sind das Resultat einer großen Anstrengung, eines Überlebenskampfes, wenn man so will. Nachdem ich zuvor zwanzig Jahre in diversen Redaktionen gearbeitet hatte und feststellen musste, wie mein Traumberuf langsam, aber stetig vom demokratischen Korrektiv zum Handlanger von Kapitalinteressen mutierte, war ich erstmals kühn genug, den Ausstieg zu wagen. Ich wollte nicht länger auf »Maggies Farm« arbeiten, wie es Bob Dylan so treffend ausdrückte, ich tauschte finanzielle Sicherheit gegen Unabhängigkeit – in der guten Hoffnung, dass mir als freier Journalist, der zudem über einige Beziehungen verfügte, ein bescheidenes Einkommen beschieden sein würde. Dass mich die Marktlage, in der eine neue Kaste von Verlagsmanagern ihre Häuser inzwischen wie Schraubenfabriken führten, selbst wenn in ihnen an den Stellschrauben der Gesellschaft gedreht wurde, schneller in die Knie zwang als erwartet, war nicht vorauszusehen.

    Mein journalistischer Niedergang bis hin zum Verfassen von Trivialromanen für die Regenbogenpresse ist aber nur die eine Seite der Medaille. Um meinen inneren Kompass nicht gänzlich zu verlieren, machte ich es mir zur Pflicht, mich mit täglichen Fingerübungen »frisch« zu halten.

    Das Manuskript ist dreiunddreißig Jahre alt. Nachdem der Suhrkamp Verlag einer Veröffentlichung zunächst zugestimmt hatte, um dann doch wieder abzusagen, war für mich klar, dass ich es allenfalls ein paar Freunden anvertrauen würde. Ich selbst habe immer mal wieder darin geblättert und mit den Jahren wuchs die Freude über das Buch, dessen Qualitäten mir zunehmend deutlicher vor Augen traten. Einen entscheidenden Reiz bezieht die Lektüre zweifellos aus der Tatsache, dass sie einer anderen Zeit entstammt.

    Der Abstand zum Jahr 1985 ist aus zweierlei Gründen interessant: Zum einen wird klar, auf welch fatale Weise die Dinge fortgeschrieben wurden, von denen hier so häufig die Rede ist. Zum anderen transportiert das Buch den Duft der Achtziger, eines Jahrzehnts, das dem Minimalismus in zu engen Anzügen huldigte und dem wir in Nostalgie verbunden sind. Bei der Überarbeitung des Textes habe ich mich wie auf einer Zeitreise gefühlt und ich hoffe, dass es dem einen oder anderem Leser ähnlich ergeht.

    »Es ist schade, dass alles nur Worte sind«, hat Ingeborg Bachmann einmal gesagt, »ich wünschte mir einen richtigen Scheiterhaufen.« 1985 ist ähnlich zu verstehen.

    Dirk C. Fleck,

    im Juni 2018

    Postscriptum: Ein Wort zum Cover dieses Buches, weil sich doch viele fragen werden, welchen Bezug das Motiv zum Inhalt hat. Einen übergeordneten, würde ich sagen. Genauso wie der Untertitel »Der Duft der Achtziger«. Mit beiden, Untertitel wie Cover, kann man unmöglich stimmig auf die unterschiedlichsten hier versammelten zweihundertachtundfünfzig Gedanken eingehen. Man kann allenfalls den Grundtenor herausfiltern. Das könnte beispielsweise der Begriff Melancholie sein. Ich habe mich allerdings für etwas anderes entschieden, weil mir bei der Digitalisierung des Textes aufgefallen ist, das ich bereits damals, acht Jahre vor meinem Roman »GO! – Die Ökodiktatur«, immer wieder auf die verhängnisvollen Entwicklungen hingewiesen habe, die so grandios ignoriert wurden und werden. Während wir seit Jahrzehnten sehenden Auges auf eine ökologische Katastrophe zusteuern, haben wir uns zu totalüberwachten, manipulierten Claqueuren entwickelt, deren Gier, Ignoranz und Gleichgültigkeit das Desaster erst möglich macht, weswegen uns die Chose demnächst zurecht um die Ohren fliegen wird. Klatsch, klatsch …

    Kopf-los

    Der Dichter Blaise Cendrars (1887–1961) erzählt in seinen Erinnerungen von einem achtzehnbändigen Abenteuerroman, den er geschrieben und auf dem Weg zum Verleger nach einer amourösen Begegnung in einem Pariser Stundenhotel liegen gelassen hatte, wo es vom eintreffenden Reinigungspersonal sofort der frühen Müllabfuhr übergeben wurde. Das Manuskript umfasste tausendachthundert Seiten. Der achte Band trug den Titel: EUROPA OHNE KOPF. In ihm ging es darum, dass die jungen Pariser Maler (Picasso, Braque, Léger), die Musiker (Satie, Strawinsky, Ravel) und die Dichter (Apollinaire, Max Jacob und Cendrars selber), die alle noch unbekannt waren, jedoch sehr bald berühmt werden sollten, von einer Verbrecherbande im Auftrag des Staates ermordet werden. Cendrars: »Es ging um die Frage, ob man die geistige Zukunft Europas und damit der Welt, der Vormundschaft der Journalisten, Politiker und Pseudokünstler überlassen darf.«

    Es war 1985, als ich von Cendrars Missgeschick erfuhr. Die Geschichte rund um das verschollene Stück Weltliteratur faszinierte mich. Das Thema sowieso. Also beschloss ich, es neu in Angriff zu nehmen, mit Protagonisten, die der Öffentlichkeit heute ebenfalls noch nicht bekannt sind. Um die Arbeit finanzieren zu können, bewarb ich mich mit der Idee bei der Hamburger Literaturförderung um ein Stipendium. Mein Begehren wurde abgelehnt. Hier ist der Brief, den ich der Kulturbehörde anschließend schrieb:

    An die

    Freie und Hansestadt Hamburg

    Kulturbehörde

    Lieber Herr Dr. Geist (er hieß wirklich so),

    vor acht (!) Monaten hatte ich Ihnen per Einschreiben mein Exposé »Europa ohne Kopf« zugeschickt, mit dem ich mich um eine »individuelle Autorenförderung« bewarb. Heute nun erfahre ich auf telefonische Anfrage von Ihrer Sekretärin, dass sich die Jury nicht entschließen konnte, Stipendien zu vergeben, da die eingereichten Ideen den Ansprüchen nicht genügten und man nicht gewillt sei, »irgendwelchen Hobbyschreibern« Geld zukommen zu lassen.

    Abgesehen davon, dass auch »Hobbyschreiber« eine Antwort erwarten dürfen, vermag ich nicht einzusehen, warum »Europa ohne Kopf« dem Expertenkreis keine Mark wert sein soll. Schließlich beschäftigt sich das Projekt gerade mit jenen Zuständen am Markt, die Qualität zu verhindern suchen. Der Beweis scheint ein weiteres Mal erbracht.

    Sei es drum, Sie werden das Buch zu lesen bekommen, und wenn ich mich weitere drei Monate im Journalismus suhlen muss, um es finanzieren zu können. Die Not ist mein Hobby, Sie verstehen …

    Mit freundlichen Grüßen

    Dirk C. Fleck

    So gut wird ‘85:

    Frieden, Wohlstand und Fußball …!

    BILD-Headline

    1

    Ein Orkan beißt in die Stadt. Dachziegel heben ab, Fensterscheiben bersten, die geschundenen Straßenbäume halten ihre Äste fest, Plastikfetzen kleben knatternd in den Hecken, eine Flasche trudelt über den Asphalt. Mit offenen Mündern stemmen wir uns gegen den Sturm, der uns die Haut von den Knochen reißen möchte. Die Weide am Weiher pendelt die himmlischen Peitschenhiebe elastisch aus, während die Bogenlampe mit dem Neongebiss klappert, als beklagte sie das Ende alles Statischen. Die kleine Reinigung tut gut, ich wünschte sie mir allerdings gründlicher. Auf einer Brücke begegnet mir ein Zug weiß geschminkter Gestalten, sie tragen einen schwarzen Sarg auf ihren Schultern. DIE LEBENDEN SIND DIE TOTEN! steht drauf.

    2

    Novembertage sind wie Ertrinkende: Kaum dass sie sich ans Licht erheben, versagen ihre Kräfte. Sie tauchen aus Nacht und Dämmerung, tropfend, besudelt und klamm. Sie legen sich auf die Gesichter der Menschen. Bespuckte Gesichter, aufgedunsen, verzerrt. Stumpfe Masken in gezähmter Hysterie, brandsalbengetrübt und nicht gefeit gegen Fäulnis. Sie schlurfen durch den Gestank, den der Nebel bindet. Man muss in die Offensive gehen, um ihre schreckliche Macht zu brechen, von der sie keine Ahnung haben. Jemand nach der Uhrzeit fragen zum Beispiel …

    3

    Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das faschistische Potenzial in unserer Gesellschaft so angeschwollen ist, dass es aufbricht, um seine historische Mission in orgastischer Weise zu erfüllen. Für uns, die wir den Homo sapiens aufgrund einiger Zeugnisse aus dem Bereich der Kunst gerne anders als ein Krebsgeschwür gesehen hätten, wird es Zeit, sich der Wahrheit zu stellen.

    4

    Der Talmud sagt, dass die Juden wie eine Olive ihr Bestes geben, wenn sie zermalmt werden. Trifft das nicht auf uns alle zu? Zumindest auf diejenigen unter uns, die nicht leugnen wollen, dass sie eine materielle Leihgabe sind und dorthin zurückfließen werden, woher sie gekommen sind.

    5

    Mein Leben kommt mir vor wie eine letzte Sünde, die ich mir gestatte. Der Nikotinentzug hat meinen Kopf mit sprühenden Fäden durchwoben, über der Stirn liegt ein kaltes (heißes?) Band, die Ohren dröhnen. Wie zickig dieser kleine Dämon doch wird, sobald er die ernste Absicht spürt. Er trampelt gegen die Netzhaut und verregnet meine Bilder. Abwechselnd zerrt er mich aus bleierner Müdigkeit in die flirrende Wachheit des Augenblicks. Nichts zu machen, Kleiner, ich genieße meine Genesungsschmerzen …

    Die heiligen Kühe

    Ein Gedicht

    Kalb Nr. 4576 (03.02.85): Dauer 67 Minuten. Tod wegen technischer Störung.

    Kalb Nr. 4582 (13.02.85): Dauer 47 Minuten. Tod wegen technischer Störung.

    Kalb Nr. 4583 (20.02.85): Dauer 50 Minuten. Tod wegen technischer Störung.

    Kalb Nr. 4584 (24.02.85): Dauer 12,5 Stunden. Einige Reflexe. Zerreißung der Pumpmembrane. Nierenversagen.

    Kalb Nr. 4587 (17.03.85): Dauer 8,25 Stunden. Nierenversagen. Sauerstoffausfall in den Geweben trotz reiner Sauerstoffbeatmung.

    Kalb Nr. 4596 (20.03.85): Dauer 44 Stunden. Keine Reflexbewegungen. Keine Urinausscheidung. Künstliche Beatmung.

    Indien will 260.000 Schlachtkühe kaufen, um sie vor dem Tod zu retten.

    Süddeutsche Zeitung vom 30.12.1984

    6

    Dort steht eine Frau: nur mit einem Hemd bekleidet, die Augen ziellos geradeaus gerichtet, das Haar zerzaust, die Arme schlaff am Körper. Männer nähern sich ihr, Männer in dunklen Anzügen, glatt gescheitelte Männer, Männer mit Brillen und Aktenkoffern. Sie zupfen an der Frau herum, kneifen ihr in die Wangen, klopfen auf ihre Stirn, streicheln ihren Bauch, tasten nach ihrem Busen. Sie singen: »FRÜHLING UND SONNENSCHEIN, SOLL FÜR MICH MEINE LIEBE SEIN, WAS ICH ZU TRÄUMEN NIE GEWAGT, DAS HAT DEIN KUSS MIR GESAGT …« Die Frau bricht in die Knie. Die Männer heben sie auf. Wie eine Stoffpuppe hängt sie in ihren Armen. Jemand knabbert an ihren Fingern, ein anderer spielt mit ihrer Nase, ein dritter zieht an ihrem Haar. Die Frau versinkt in der begehrlichen Meute, liegt auf dem Rücken, weint. Die Männer versuchen sie aufzurichten, einer greift ihr in den Mund, Männerhände kraulen ihr Kinn, massieren ihre Schultern, kitzeln sie unter den Achseln, ordnen ihr Haar, lassen von ihr ab. Die Frau sucht ihren Schuh, findet ihn, humpelt davon. Die Männer zupfen an ihren Ohrläppchen und lassen sich von einer aufreizend gekleideten Lady ins Schlepptau nehmen. »GNÄDIGE FRAU, ICH BIN JA NICHT BLIND, ICH SEH, WIE SIE MIR GEFÄHRLICH SIND, DENN IN IHREN BLAUEN AUGEN STEHT GESCHRIEBEN, WENN MAN SIE EINMAL SIEHT, MUSS MAN SIE LIEBEN …« Die Musik verstummt. Übrig bleibt nur der Klang der Schritte. Einszwei, einszwei, einszwei …

    7

    Eine Frau schreit: »I WANT PEOPLE!« Dann kommen sie herbei in unendlichen Kolonnen. Die Frau torkelt in der Menge wie ein Korken auf See.

    8

    Männer und Frauen stehen aufgereiht da wie zu einem Familienfoto. Sie klatschen synchron in die Hände, um sich kurz darauf die imaginären Tränen aus den Augen zu wischen. Dieses Wechselspiel dauert solange an, wie die alte Volksweise dauert, der wir lauschen.

    9

    Inszenierte Gemälde, das ist es wohl, was Pina Bausch im Sinn hatte. Bei ihr aber kommt Leben ins Bild, die Porträtierten sind es nämlich leid, auf alle Zeiten in einem Gestus festgehalten zu werden. Ohne die Absicht des Malers zu verfälschen, beginnen sie miteinander zu kommunizieren. Sie flüstern, sie lächeln, sie neigen andeutungsweise den Kopf. Atmende Kunst …

    10

    Ein Mann reißt einen anderen um, nimmt die Faust des Gestürzten und trommelt mit ihr auf den Boden. Er nimmt auch dessen Arme und breitet sie andächtig gen Himmel …

    11

    »ICH BIN TÄNZER GEWORDEN, WEIL ICH EINEN UNFALL HATTE UND WEIL ICH NICHT SOLDAT WERDEN WOLLTE.«

    12

    »Pina, wie siehst du deine

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