PROPAGANDA-MUTANTEN: Ein dystopischer Science-Fiction-Roman
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Über dieses E-Book
Und eines Tages werden auch Sie wieder in einem Bierzelt oder einem Kneipensaal inmitten einer Menge wogender Leiber stehen, sich eine Zigarette anzünden, Berührungen fühlen, nervös vor Spannung an der Zigarette saugen, zu dem Rednerpult hinaufstarren, und warten. Um Sie herum wird das Geflüster zahlloser Stimmen zu einem Lärm anschwellen, zu einer Woge, zu einem Meer, in dem Sie sich treiben lassen können, benommen, begeistert, verbissen. Mit der Menge werden Sie auf den Führer warten. Sie werden den Schweiß riechen, den abgestandenen Dunst des Bieres, denn viele werden Gläser in den Händen halten, in hastigen Zügen trinken und sich dann den Schaum von den Lippen wischen. Sie alle werden Woge sein, aber gewiß niemals Kamm der Woge. Und dann wird einer auf die Bühne treten, mit geschmeidiger Bewegung hinter dem Vorhang hervorkommen, ein Manuskript in der Hand. Ein Lakai wird ein Glas Wasser auf das Rednerpult stellen, und der Führer wird zu sprechen beginnen...
Der dystopische Roman Propaganda-Mutanten von Karl-Ulrich Burgdorf erscheint als deutsche Erstveröffentlichung im Apex-Verlag.
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Buchvorschau
PROPAGANDA-MUTANTEN - Karl-Ulrich Burgdorf
Das Buch
Und eines Tages werden auch Sie wieder in einem Bierzelt oder einem Kneipensaal inmitten einer Menge wogender Leiber stehen, sich eine Zigarette anzünden, Berührungen fühlen, nervös vor Spannung an der Zigarette saugen, zu dem Rednerpult hinaufstarren, und warten. Um Sie herum wird das Geflüster zahlloser Stimmen zu einem Lärm anschwellen, zu einer Woge, zu einem Meer, in dem Sie sich treiben lassen können, benommen, begeistert, verbissen. Mit der Menge werden Sie auf den Führer warten. Sie werden den Schweiß riechen, den abgestandenen Dunst des Bieres, denn viele werden Gläser in den Händen halten, in hastigen Zügen trinken und sich dann den Schaum von den Lippen wischen. Sie alle werden Woge sein, aber gewiß niemals Kamm der Woge. Und dann wird einer auf die Bühne treten, mit geschmeidiger Bewegung hinter dem Vorhang hervorkommen, ein Manuskript in der Hand. Ein Lakai wird ein Glas Wasser auf das Rednerpult stellen, und der Führer wird zu sprechen beginnen...
Der dystopische Roman Propaganda-Mutanten von Karl-Ulrich Burgdorf erscheint als deutsche Erstveröffentlichung im Apex-Verlag.
Der Autor
Karl-Ulrich Burgdorf, Jahrgang 1952.
Karl-Ulrich Burgdorf ist ein deutscher Schriftsteller und Übersetzer, der auch die Pseudonyme Henry Wolf, C. T. Bauer, Arl Duncan und Harald Münzer verwendet hat.
Er absolvierte 1971 bis 1973 bei zwei Tageszeitungen Redaktionsvolontariate und studierte ab 1973 an der Universität Münster Publizistik, Politik und Soziologie.
Seit 1982 ist er freier Schriftsteller und Übersetzer. Er veröffentlicht vor allem phantastische Romane und Erzählungen sowie Comics. Unter dem vorwiegend von Wolfgang Hohlbein benutzten Pseudonym Henry Wolf verfasste er einige Romanhefte für die Reihe Gespenster-Krimi (in der Unterserie Raven), die später unter seinem eigenen Namen mehrere Neuausgaben erfuhren. Außerdem schrieb er – teilweise ebenfalls unter Pseudonym – als Gastautor für Serien wie Vampira, Damona King, Die UFO-Akten, Die Terranauten, Erde 2000, Fantasy – Götter, Krieger und Dämonen, und übersetzte Texte von Philip K. Dick, Orson Scott Card und John Schneider (das Stück My Werewolf für das Theater im Pumpenhaus, Münster).
1980 gab er dem damals noch unbekannten Autoren Wolfgang Hohlbein den Rat, sich als Heftroman-Autor beim Bastei-Verlag (für die Heftreihe Professor Zamorra) zu bewerben, was zu Wolfgang Hohlbeins erster professioneller Veröffentlichung führte.
In den Jahren 1978 und 1979 war er Redakteur des Magazins Science-Fiction-Baustelle und von 1986 bis 1991 Mitherausgeber des Informationsdienstes science fiction media. 2001 war Burgdorf Regieassistent bei der Loco-Mosquito-Produktion Fight Club - Das Ende vom Anfang und 2002 Mit-Organisator der Patrick Wildermann-/Loco-Mosquito-Werkschau RadikalRomanzen im Theater im Pumpenhaus, Münster.
Heute lebt er in Münster und ist, nachdem er sich für mehr als 15 Jahre aus dem literarischen Leben zurückgezogen hatte, seit 2013 wieder schriftstellerisch aktiv.
PROPAGANDA-MUTANTEN
»Ich konnte reden.«
– Adolf Hitler
»Wollt ihr den totalen Krieg?«
– Dr. Joseph Goebbels
ERSTER TEIL
1
Und eines Tages werden auch Sie wieder in einem Bierzelt oder einem Kneipensaal inmitten einer Menge wogender Leiber stehen, sich eine Zigarette anzünden, Berührungen fühlen, nervös vor Spannung an der Zigarette saugen, zu dem Rednerpult hinaufstarren, und warten. Um Sie herum wird das Geflüster zahlloser Stimmen zu einem Lärm anschwellen, zu einer Woge, zu einem Meer, in dem Sie sich treiben lassen können, benommen, begeistert, verbissen. Mit der Menge werden Sie auf den Führer warten. Sie werden den Schweiß riechen, den abgestandenen Dunst des Bieres, denn viele werden Gläser in den Händen halten, in hastigen Zügen trinken und sich dann den Schaum von den Lippen wischen. Sie alle werden Woge sein, aber gewiß niemals Kamm der Woge. Und dann wird einer auf die Bühne treten, mit geschmeidiger Bewegung hinter dem Vorhang hervorkommen, ein Manuskript in der Hand. Ein Lakai wird ein Glas Wasser auf das Rednerpult stellen, und der Führer wird zu sprechen beginnen. Und Sie werden in die Hände klatschen, sich die Kehle heiser schreien, atemlos vor Begeisterung, zitternd vor Entzücken. Aber die Worte des Mannes am Rednerpult werden auch Sie stark machen, stark und zukunftssicher. Sie werden die Ohren spitzen, die Worte trinken, fühlen, wie der Saal sich weitet, wie die Sorgen weichen, weil der Mann da vorne magisch Worte zu Sätzen aneinanderreiht, deren Sinn nebensächlich ist, denn nur die Stimme wird noch wichtig sein. Sie werden spüren, da ist etwas, das sie vorwärtstreibt, etwas Undefinierbares, frei und bisweilen hart, seltener gebändigt oder verhalten, und Sie werden johlen, von einem mächtigen Zauber vorwärtsgetrieben. Vielleicht wird der Führer fragen, ob Sie den Krieg wollen, und dann werden Sie »Ja!« schreien, ohne zu zögern, im Fieber einer unbegreiflichen Trance. Und schließlich werden Sie den Finger zum Schwur heben: »Ein Volk, ein Reich, ein Führer!«
2
Nein, werden Sie mir jetzt entgegenhalten, das ist absurd, eine Verleumdung; ein übler Scherz, bestenfalls. Ich, werden Sie sagen, würde mich niemals so hinreißen lassen.
Sind Sie sich da ganz sicher?
Nein, absurd ist diese Vision weiß Gott nicht! Es gab Generationen, die hätten beschworen, niemand könne sie je wieder in einen Krieg treiben, zu frisch sei noch die Erinnerung an die Schlachten der vorausgegangenen Weltkatastrophe. Die menschliche Vernunft, hätten diese Generationen erklärt, werde über einen derartigen Wahnsinn in Zukunft mit Sicherheit triumphieren.
Wer sich jemals die Mühe gemacht hat, in einem Geschichtsbuch zu blättern, weiß, wie sehr sich jene Optimisten geirrt haben.
Was aber nicht in den Geschichtsbüchern steht, ist: Die Hoffnungen dieser Männer und Frauen mußten eines Tages betrogen werden. Keine menschliche Vernunft konnte über die Kräfte siegen, die hier am Werk waren. Die hier am Werk sind, und immer weiter wirken werden, bis in die fernste Zukunft unseres Geschlechts. Weil wir diese Mächte der Finsternis, diese Schergen des Wahnsinns, immer und immer wieder weitergeben. Zwangsläufig – denn wir vererben sie.
Aber ich greife vor. Ich sollte versuchen, meine Geschichte, die eigentlich nicht meine Geschichte, sondern die Geschichte eines Mannes namens Cato ist, von Anfang an zu erzählen. Doch bevor ich damit beginnen kann, muß ich Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben, einen Katalysator, vielleicht. Denn sonst werden Sie nichts verstehen.
Nehmen Sie also Ihr Geschichtsbuch aus dem Regal, schlagen Sie die Seiten auf, wo versucht wird, Hitlers Rednergabe zu analysieren, und wundern Sie sich über nichts mehr. Was da steht, ist so hilflos, so dumm... jedenfalls erklärt es das Phänomen Hitler in keiner Weise. Viele Denker haben versucht, Hitlers Rednergabe zu begreifen. In seinem Buch Mein Kampf gibt Hitler einige Hinweise, aber, ehrlich gesagt, sie führen nur in die Irre. Und beweisen, daß Hitler selbst nie verstanden hat, warum er ein ganzes Volk in seinen Bann schlagen konnte. Nur einer, er hieß Ernst Bloch, kam, bei aller Unzulänglichkeit, dem Kern des Phänomens ein wenig näher. 1924 bezeichnete er Hitler als »eine mächtige suggestive Natur«. Dieses Wort traf – und trifft – nicht nur auf Hitler zu.
»Wollt ihr den totalen Krieg?« brüllte Dr. Joseph Goebbels, und alle wollten ihn. Auch Goebbels war also eine »mächtige suggestive Natur«. Und Marat, Danton, Robespierre, und, und, und...
In diese Reihe gehört auch Cato, die Hauptperson meiner Geschichte. (Der Begriff >Held< wäre, wie die Geschichte erweisen wird, eindeutig verfehlt.) Eines allerdings unterschied Cato von Hitler, Goebbels, Marat, Danton, Robespierre...
Bis zu dem Tag. als ein Forscher, dessen Name an dieser Stelle unwichtig ist, bei Untersuchungen an menschlichen Genen die verhängnisvolle Entdeckung machte, wäre es undenkbar gewesen, solche »mächtigen suggestiven Naturen« planmäßig zu züchten. Danach war es nicht mehr undenkbar, auch wenn die meisten Menschen nichts davon ahnten.
Cato, meine Hauptperson, war das Ergebnis sorgfältiger Zucht. Und wenn er später, wie sein großes Vorbild, von sich sagen durfte: »Ich konnte reden«, dann war das kein Zufall mehr.
3
Die Stadt hatte keinen Namen.
Sie war nicht mehr als eine Ansammlung von großen Fabrikhallen mit gleichförmigen Maschinenkolossen darin. Zwischen die Fabriken hatte die Hand eines gnadenlosen Planers Wohnsilos gestreut, in denen die Menschen wie Nummern lebten, bis in ihre Träume hinein vom Rattern und Zischen der unermüdlichen Produktionsstätten verfolgt. Tag und Nacht wurden in dieser Stadt nur durch den Lauf der Uhren bestimmt, die Sonne drang kaum durch den dicken, fettigen Qualm aus den Fabrikschloten.
An dem Abend, an dem meine Geschichte beginnt, war der Arbeiter Thomas 400-8-14 später als gewöhnlich von der Arbeit heimgekehrt. Ein Stromausfall hatte das Band stillgelegt – Sabotage, vielleicht. Die verlorene Zeit war am Ende der Schicht aufzuholen, die Produktion durfte nicht hinter dem Plansoll zurückbleiben. So kam es, daß Thomas lauwarme Suppe löffeln mußte. Seine Frau, Elena 400-2-17, hatte sie nicht warmhalten können, die Energie war streng rationiert.
Die Familie saß rund um den Tisch: der Arbeiter Thomas, von der monotonen Arbeit abgestumpft und frühzeitig gealtert; seine Frau Elena, die wieder schwanger war; die drei Kinder des Ehepaares; dazu der Vater Elenas, ein gebrechlicher Mann, stets mürrisch und müde. Gegessen wurde in bedrückender Hast, wortkarg vor Müdigkeit. Der Tag war ein Tag wie jeder andere gewesen, hart, erschöpfend und sinnlos.
Nach dem Essen räumte Elena den Tisch ab. Die Kinder kauerten sich vor den Fernsehempfänger und starrten, immer noch hungrig, auf schillernde Märchen. Der Großvater stopfte sich brummelnd die Pfeife und begann, Patiencen zu legen, wie jeden Abend. Und Thomas fragte sich, als er seinen Blick durch die Stube schweifen ließ, ob seinen Kindern ein besseres Schicksal zugedacht war, als er selbst es erfuhr.
Fünf schweigende Minuten waren vergangen, als jemand an die Tür klopfte.
»Schau nach, wer da ist«, befahl Thomas seiner Frau.
Elena nickte und ging hinüber zur Tür. Kaum hatte sie den Riegel zurückgeschoben, als schon vier Männer ins Zimmer drängten. Sie trugen schwarze Uniformen, darüber dicke Militärmäntel, denn es war schon Herbst. Einer der Männer, den anderen offenbar vorgesetzt, fragte: »Bist du Elena 400-2-17?»
Diese Männer, das spürte Thomas, konnten den Ablauf eines gewöhnlichen Tages mit der lässigen Geste des Stärkeren, Mächtigeren verändern.