Clodia
Von Carsten Wolff
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Buchvorschau
Clodia - Carsten Wolff
Zitat:
Abyssus abyssum invocat
Der Abgrund ruft nach dem Abgrund*
(Vers aus Psalm 41)
*das Schlechte zieht das Schlechte nach sich
Wer hat nicht schon einmal mit dem Gedanken gespielt,
den/ie Liebste/n vom Turm zu stoßen,
nur um das größtmögliche Leid zu erfahren?
(nach ETA Hoffmann)
Statt einer Widmung
Dieser Roman ist von einer durchscheinenden Person beeinflusst. Handlung und Protagonisten sind herum erträumt. Doch was bedeutet dieses: Erträumt? Durchstreifen wir nicht schlafwandlerisch während unserer psychischen Tätigkeit abwechselnd Traum-Momente wie auch Wachseins-Momente, deren Wechselwirkung wir kaum wahrnehmen (können)? Die häufig von uns nicht wahrgenommen werden wollen, nur eben immer dann, wenn wir einer bestimmten Situation eine besondere Wichtigkeit beimessen. Dann wollen wir sämtlich die angenehmen Erlebnisse darin fortgesetzt wissen als eine kontinuierliche Lösung, in der die negativen Ereignisse in die tiefen Schichten des Gehirns verdrängt werden und der Traum als Lösung grundlegender Lebensfragen dienen könne. Kann dieses Denken zum Lebenszweck erhoben werden, also zur Deutung behilflich sein, wie jeder zu seiner „Welt" steht?
Ach, vielleicht ist es auch nur der Pragmatismus darin, der mich in der Wirklichkeit altern lässt, weil ich den Dingen gegenüber gleichgültiger gegenüberstehe.
Wer sich in der Geschichte als ein Charakter wiedererkennen sollte oder möchte, dem sei es freigestellt. Träumen ist……
Carsten Wolff
Einführung
Ganz friedlich liegt sie auf ihrem Bett, auf ihre Lieblingsseite gedreht, ihre rechte Seite. Ihr nackter Körper ist mit einem Laken bedeckt. Dennoch zeichnen sich ihre wunderschönen weiblichen Formen deutlich darunter ab.
Wie der Arzt sagt, ist ein spitzer Gegenstand von hinten in ihren Körper bis zum Herz eingedrungen. Eine kaum bemerkbare Stichwunde und kaum Blut sind zu bemerken. Ihr Gesicht ist friedlich mit einem Lächeln versehen, fast so, als hätte sie sich dieses Ende gewünscht. Fast so, als würde sie sich jetzt an dem erhofften Ort befinden, Ihrer Sehnsucht, ihrer Träume, hoch oben über uns allen schwebend, vergeistig und der Hülle entledigt. Zeit ihres Lebens war sie so schön, dass es einer mentalen Belastung gleichkam, der sie nie ausweichen oder sich darüber erheben konnte. Selbst Helena hätte verstohlene Blicke ausgesandt.
Gott hatte Clodia alles Menschenmögliche mit auf den Weg gegeben, nein, fast alles, die Liebe hatte er ihr entzogen. Sie konnte nicht lieben, sie konnte immer nur Qualen in anderen hinterlassen. 29 Jahre ist sie nur alt geworden.
Was von ihr bleiben wird? Vermutlich mentale Krämpfe, die sich bei ihren Liebhabern und Bekannten erst nach Jahren lösen werden. Dann, wenn die Erinnerung den Schmerz aufgezehrt und zum Schönen hin gewandelt hat. Dann, wenn die Träume verflogen sind und an einem fernen Ort verweilen.
Bis, bis sie eines Tages wieder zurückkehren werden……
Einige Zeit später - Beerdigung
Bei der Trauerfeier ist der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt. Zumeist befinden sich Männer unter den Anwesenden. Einer nach dem anderen tritt an den aufgebahrten weißen Sarg heran, erbietet der Verstorbenen die Ehre, legt eine weiße Rose hinzu, dreht dann nach einer Schweigeminute ab und begibt sich auf einen Platz in der Kapelle zurück. Die meisten der Herren kenne ich nicht, nur vier von ihnen, denen ich teilweise flüchtig bereits begegnet bin. Durch meine Tränen wirken sie verschwommen, fast nicht unterscheidbar. Alles im Raum wirkt unwirklich, bizarr, undeutlich, so als würde augenblicklich Nebel in die Halle eingezogen sein. Und dennoch spüre ich Deine Gegenwart, so unwirklich und unbegreiflich ist Dein Tod für Deinen Vater, für mich.
Clodia, Du bist nur 29 Jahre alt geworden und dennoch hast Du mehr erlebt als vermutlich die meisten der Anwesenden in ihrem längeren Leben. Du warst nie genügsam, wolltest immer mehr, gabst keine Ruhe, warst immer auf der Suche und gingst zumeist über die Grenzen hinaus, ja, Du warst stets eine Gehetzte Deiner Schönheit und Ansprüche von Kindheit an.
Was sind wir zusammen im Geiste durch das All gestreift. Wir haben Pläne geschmiedet, die der Unendlichkeit standhalten sollten, mussten jedoch erkennen, auch wenn es uns zeitweise verzweifeln ließ, dass diese nicht einmal der Endlichkeit genügen könnten. Was hast Du ängstlich gefragt:
„Oh Geist, oh Vater, hat denn das All kein Ende?"
Was habe ich Dir darauf geantwortet?
„Ach Liebes, ich weiß es nicht! Man könnte meinen, nein! Doch auf der Suche haben wir festgestellt, dass das Gesehene eine ewige Wiederholung unseres Vorwissens ist, eine Wiederholung gleicher Mechanismen: des „Kommens und Gehens. Und wenn Du es erst einmal verinnerlicht hast, wirst Du bestätigen, dass wir Gefangene des Großen, des Alls, sind und uns gleichsam in einem dunklen Kerker befinden wie dem hier bei uns im Jetzt.
„Du meinst, es verhält sich dort wie hier bei uns auf der Erde?"
„Ja! Ich denke, das All ist zum Träumen erschaffen worden, um zeitweise aus dem eigenen Kerker ausbrechen zu können. Du bist sehr jung und willst Berge versetzen. Glaube mir: Auch Dir wird es nicht gelingen! Das Grenzenlose muss ein Bestandteil Deines Ichs sein. Dann siehst Du das Nahe wie das Ferne zugleich und begreifst zumindest einen Teil davon. Es wird Dich leiten. Es wird Dich auch verführen wollen. Das Maßvolle ist der richtige Weg. Bedauerlicherweise ist es nicht Dein Weg! Dein Weg ist die Einsamkeit ohne Liebe! Erreicht Dich ein Funken der roten Wärme, vermagst Du diese nicht als solche zu deuten, da sie nicht in Dich eindringen kann und sich sofort wieder erkaltet zurückzieht."
Rückblick am Grab
Liebe Clodia,
geliebte Freundin und Tochter,
in tiefe Trauer gehüllt, sitze ich an Deinem frischen Grab. Die nicht trocken werdenden Tränen verschleiern mir den Blick. Unschärfe beherrscht mich und Dein Platz vor mir ist ins Schwanken geraten. Ich muss mich setzen, um nicht den Halt zu verlieren, jedoch sind meine Gedanken wieder klar. Ein paar Tage sind nunmehr vergangen, seitdem Dir jemand diese unverzeihliche Schandtat angetan hat. Ich will nicht der Richter sein, denn Gott hat es so gewollt und geschehen lassen. Es muss einen Grund geben, auch wenn ich diesen nicht nachvollziehen kann. Wieso hat er mir mein Liebstes, mein Kind, genommen? Eltern sollten immer vor ihren Kindern sterben als ein naturbedingter Vorgang. Und doch auch ich habe eine schwere Schuld auf mich geladen: Wieso habe ich die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt und verhindern können, in welcher Du schwebtest? Jedoch ist dieses Verlangen übermenschlich.
Clodia, ich möchte sterben, um bei Dir zu sein. Um mit meiner liebsten Tochter vereint zu sein. Ich weiß, wie sehr Du mich geliebt hast, obgleich Du es nie gefühlvoll ausgesprochen hast. Deine Augen haben es für Dich getan. Sehnsüchtige Blicke hast Du mir nachgeworfen und mich zuvor an den Händen festgehalten, wenn wir uns getrennt haben. Deine Blicke haben mir ewige Liebe signalisiert. Wenn ich Dich danach gefragt habe, hast Du mir stets geantwortet:
„Vater, frag nicht so viel!"
Es war Dein Inneres, welches dieses Bekenntnis nicht zuließ. Dein kontrollierender Geist, der Emotionen auf ein Minimum beschränkte. Und Du fügtest an:
„Mein Beruf bringt es mit sich, als beobachtete Frau sich immer unter Kontrolle zu halten. Sollen die Männer mich versuchen, zu enträtseln!"
„Ach ja, keine Mithilfe?" kam als Antwort von mir.
„Nein, keine!"
Dann hast Du meine