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Das Liebesbestiarium
Das Liebesbestiarium
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eBook262 Seiten2 Stunden

Das Liebesbestiarium

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Über dieses E-Book

Nach dem großen Erfolg des Bandes »Fatrasien. Absurde Poesie des Mittelalters" setzt Ralph Dutli seine poetische Erkundung eines unbekannten, fremden und dennoch erstaunlich modern wirkenden Mittelalters fort.

In 750 Jahren wurde dieses Juwel der mittelalterlichen Literatur noch nie ins Deutsche übersetzt. »Das Liebesbestiarium" bedeutete seinerzeit eine literarische Revolution in europäischem Maßstab. Richard de Fournival (1201-1260) erkundet darin in gewagten Bildern das Geheimnis des Eros und findet für die Liebe eine neue, unerhörte Sprache. In seiner Beschwörung der angebeteten Frau entwirft er einen magischen Liebeszoo zwischen Einhorn und Phönix, Schwalbe und Pantherweibchen, phantastischen und realen Tieren.
Er provoziert damit die entschiedene Antwort einer - anonym gebliebenen - selbstbewussten Frau, einen der ersten feministischen Texte überhaupt. Ralph Dutli hat auch diesen Text übersetzt und dem von Fournival hinzugefügt.
»Das Liebesbestiarium" ist ein leuchtendes Monument in der Geschichte des Nachdenkens über die Möglichkeiten der Liebe zwischen Mann und Frau, über die Unterschiedlichkeit ihres Begehrens, über Passion und Verfallenheit, Hoffnung und Verzweiflung, Gedächtnis und Liebestod.
Ein amüsantes, hintergründiges, nachdenklich stimmendes Buch zum Staunen.
SpracheDeutsch
HerausgeberWallstein Verlag
Erscheinungsdatum4. Aug. 2014
ISBN9783835326699
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    Buchvorschau

    Das Liebesbestiarium - Richard de Fournival

    Richard de Fournival

    Das Liebesbestiarium

    Richard de Fournival

    Das Liebesbestiarium

    Aus dem Französischen

    des 13. Jahrhunderts

    übertragen und mit einem Essay

    von Ralph Dutli

    Hier beginnt

    Meister Richard de Fournivals

    Liebesbestiarium

    Keiner weiß alles

    Alle Menschen verlangt es von Natur aus nach Wissen.

    Da aber niemand alles zu wissen vermag, auch wenn jede Sache für sich genommen gewusst werden kann, ist es notwendig, dass jeder Einzelne das Wissen von einer bestimmten Sache besitze.

    Und was der eine nicht weiß, muss eben ein anderer wissen: So dass alles und jedes gewusst werden kann, es aber keinen einzigen Menschen gibt, der alles weiß, sondern sämtliches Wissen unter allen Menschen aufgeteilt ist.

    Aber nicht alle Menschen leben ja zur selben Zeit, die einen sind tot, bevor die anderen geboren werden.

    Und jene, die in längst vergangenen Zeiten lebten, wussten Dinge, die kein heute Lebender mehr weiß, und man wüsste sie nicht, wenn nicht die Alten uns ihr Wissen übermittelt hätten.

    Das Haus des Gedächtnisses: Bild und Wort

    Aus diesem Grunde hat Gott, der den Menschen so sehr liebt, dass er ihn mit allem Notwendigen ausstatten will, dem Menschen eine besondere Seelenkraft gegeben, die man das Gedächtnis nennt.

    Dieses Gedächtnis hat zwei Türen, Sehsinn und Gehörssinn, und zu jeder dieser beiden Türen führt ein Weg, nämlich Bild und Wort.

    Das Bild dient dem Auge, und das Wort dient dem Ohr.

    Und wie es möglich ist, ins Haus des Gedächtnisses sowohl durch das Bild als durch das Wort zu gelangen, ist auch offenbar, dass das Gedächtnis, das all die Schätze hütet, die der menschliche Geist kraft seiner besonderen Fähigkeit sich aneignet, die Vergangenheit so vergegenwärtigt, als sei sie Gegenwart.

    Aus Vergangenheit wird Gegenwart

    Und man gelangt zu demselben Ergebnis durch das Bild wie durch das Wort.

    Denn wenn man in einem Bild eine Geschichte dargestellt sieht, ob es sich etwa um jene Trojas handle oder um eine andere, nimmt man teil an den kühnen Taten der tapferen Männer, die in fernen Zeiten lebten, so als ob sie lebendig vor unseren Augen stünden.

    Dasselbe gilt für das Wort. Wenn man einen Roman vorgelesen bekommt, erfährt man all die Heldentaten genau so, als ob sie sich vor unseren Augen abspielen würden.

    Und da man durch diese beiden Dinge – Bild und Wort – gegenwärtig machen kann, was längst vergangen ist, wird offenbar, dass man auf beiden Wegen Zugang zum Gedächtnis findet.

    Die Narbe bleibt

    Was mich betrifft, ist es so, dass Ihr, allerliebste schöne Freundin, aus meinem Gedächtnis nicht entschwinden könnt, ohne dass eine Spur der Liebe, die ich für Euch empfinde, für immer zurückbleibt.

    So dass ich nie ganz davon werde genesen können und zumindest eine Narbe von der Wunde bleiben wird, auch wenn ich mich noch so sehr anstrenge, meine Gefühle zu beherrschen …

    Ich möchte also meinerseits für allezeit in Eurem Gedächtnis bleiben, falls es möglich ist.

    Eine Schrift aus Bildern und Worten

    Aus diesem Grunde schicke ich Euch zwei zu einer Sache vereinigte Dinge: Ich schicke Euch in dieser Schrift zugleich Bild und Wort, damit ich, auch wenn ich nicht vor Euren Augen stehe, durch die Bilder und Worte aus Eurem Gedächtnis auftauchen kann, als ob ich ganz gegenwärtig wäre.

    Ich werde Euch zeigen, auf welche Weise diese Schrift zugleich Bild und Wort ist.

    Es ist offensichtlich, dass sie Worte enthält, da jede Schrift so beschaffen ist, dass ihr Worte entspringen, wenn man sie mit lauter Stimme liest.

    Und wenn man sie liest, findet sie also zu ihrer Wortnatur zurück.

    Und andererseits ist es offensichtlich, dass diese Schrift Bilder enthält, denn es ist undenkbar, dass ein Buchstabe nicht auch gemalt ist.

    Das letzte Aufgebot

    Vor allem handelt diese Schrift von einem Gegenstand, der die Bilder geradezu erfordert, denn sie betrifft die Natur der Tiere und der Vögel, die man besser durch Abbildung als durch Beschreibung erkennen kann.

    Aber diese Schrift ist auch ein letztes Aufgebot nach all jenen anderen, die ich Euch bisher geschickt habe.

    Es ist genau wie bei dem König, der außerhalb seines Königreiches in den Krieg zieht und einige seiner besten Männer mit sich nimmt, den größeren Teil aber zurücklässt, um sein Reich zu schützen.

    Wenn er jedoch sieht, dass seine mitgeführten Streitkräfte nicht ausreichen, bietet er all jene auf, die er zurückgelassen hat, und ruft den Heerbann aus.

    Genau das muss auch ich tun.

    Denn ich habe Euch so manche schönen Worte gesagt und geschickt, und wenn sie mir nicht den Dienst geleistet haben, den ich von ihnen erwartet hatte, muss ich also aus dieser meiner letzten Schrift meinen Heerbann, mein letztes Aufgebot bilden.

    Und ich muss so gut sprechen, wie ich nur kann, um sicherzugehen, dass Ihr es mit Wohlgefallen hören werdet.

    Denn selbst wenn das Unglück es will, dass Ihr mich nicht liebt, so sind es doch zwei Dinge, die zu sehen den Augen große Freude bereitet, die zu erinnern das Gedächtnis entzückt, die zu hören die Ohren erfreut.

    Und da diese Schrift meinen Heerbann und meine letzte Verstärkung bildet, die ich entsenden kann, muss ich noch kraftvoller sprechen als bei allen vorangegangenen Versuchen.

    Solcherart ist auch, sagt man, die Natur des Hahns.

    Der Hahn

    Je näher Abenddämmerung oder Morgengrauen kommen, desto öfter kräht er.

    Und je näher die Mitternacht heranrückt, desto kraftvoller kräht er und lässt seine Stimme mächtig anschwellen.

    Abenddämmerung und Morgengrauen sind jene Zeiten, wo Tag und Nacht sich mischen.

    Sie bedeuten eine Liebe, die zwar keine große Hoffnung lässt, an der man aber nicht ganz und gar verzweifelt.

    Mitternacht aber bedeutet die Liebe in völliger Verzweiflung.

    Und da ich fortan keine Hoffnung der Welt mehr habe, Euer Wohlwollen zu gewinnen, herrscht für mich Mitternacht.

    Als ich noch ein wenig Hoffnung hatte, stand ich in der Dämmerung, und ich musste also häufiger singen.

    Jetzt aber muss ich kraftvoller krähen.

    Der Beweis dafür, dass der Verzweifelte eine mächtigere Stimme hat, liegt, so glaube ich, in der Natur des Tieres, das am lautesten auf der Welt zu brüllen vermag und die hässlichste und abscheulichste Stimme besitzt. Es ist der Wildesel.

    Der Wildesel

    Seine Natur ist solcherart, dass er nur brüllt, wenn er ganz schrecklichen Hunger hat und nirgendwo etwas zu essen finden kann.

    Dann fängt er mit derartiger Heftigkeit zu brüllen an, dass er all seine Organe zum Bersten bringt.

    Genauso muss ich mir, wenn ich bei Euch keine Gnade finden kann, größere Mühe geben denn je, nicht etwa lauter zu singen, sondern mit stärkerer Überzeugungskraft zu reden.

    Denn es ist normal, dass ich meine Fähigkeit zu singen verloren habe, und ich sage Euch gleich, warum.

    Der Wolf

    Die Natur des Wolfes ist solcherart, dass wenn ein Mann den Wolf sieht, bevor der ihn gesehen hat, der Wolf seine ganze Kraft und Kühnheit verliert.

    Wenn aber der Wolf den Mann zuerst sieht, verliert letzterer seine Stimme, so dass er kein einziges Wort mehr hervorbringen kann.

    Genau diese Natur findet man in der Liebe zwischen Mann und Frau wieder.

    Wenn zwischen ihnen Liebe entsteht, geht das folgendermaßen vor sich:

    Wenn der Mann als erster am Verhalten der Frau erkennt, dass diese ihn liebt, und er so geschickt ist, sie dahin zu bringen, es anzuerkennen, wird sie jede Kraft verlieren, ihm eine Absage zu erteilen.

    Doch da ich weder Geduld noch die nötige Selbstbeherrschung hatte und Euch den Grund meines Herzens offenbarte, bevor ich irgend etwas von Euren Gefühlen wusste, habt Ihr Euch mir entzogen.

    So ist es doch, ich habe es Euch mehr als einmal sagen hören.

    Und da ich als erster gesehen wurde, musste ich gemäß der Natur des Wolfes meine Stimme verlieren.

    Das ist einer der Gründe, weshalb diese Schrift nicht gesungen, sondern erzählt wird.

    Ein anderer Grund liegt in der Natur der Grille, die ich sehr aufmerksam beobachtet habe.

    Die Grille

    Denn die Grille liebt ihren Gesang so sehr, dass sie daran zugrunde geht, weil sie jeden Appetit verliert und völlig vergisst, auf Beutefang zu gehen.

    Durch ihr Beispiel ist mir klargeworden, dass mein Gesang mir nicht von Vorteil sein konnte, dass ich, wenn ich mich zu sehr auf ihn verließ, meinen eigenen Untergang provozieren würde, und dass der Gesang mir dann keinerlei Hilfe böte.

    Ich habe es daran erkennen können, dass genau in dem Moment, als ich am besten sang und singend am besten redete, meine Lage am schlimmsten war. Genau so ergeht es dem Schwan.

    Der Schwan

    Es gibt ein Land, wo die Schwäne so schön und so gern singen, dass sie, wenn man vor ihnen Harfe spielt, ihre Stimme darauf einstimmen wie ein Tamburin auf die Flöte, und zwar besonders in ihrem Todesjahr.

    Man sagt sogar, wenn man einen hört, der besonders schön singt: »Er wird noch dieses Jahr sterben.«

    Genau wie man von einem Kind sagt, das besonders begabt ist: »Es wird wohl nicht lange leben.«

    Deshalb sage ich Euch, dass ich fürchtete, wie ein Schwan zu sterben, als ich am schönsten sang, und wie eine Grille zugrunde zu gehen, als ich meine Stimme am liebsten erklingen ließ.

    Das ist der Grund, weshalb ich das Singen aufgegeben habe, um mein letztes Aufgebot zu versammeln und Euch als Ersatz für den Gesang nun diese Schrift zu senden.

    Denn ich konnte ja nicht anders als meine Stimme verlieren, weil der Wolf mich zuerst gesehen hatte, das heißt, ich habe zu erkennen gegeben, dass ich Euch liebe, bevor ich wusste, wohin es mich führen würde.

    O je! Wie oft habe ich es schon bereut, dass ich Euch meine Bitten um Liebe habe zukommen lassen, denn ich habe damit Eure angenehme Gesellschaft verloren.

    Der Hund

    Wenn ich so hätte handeln können wie der Hund, dessen Natur solcherart ist, dass er, wenn er erbrochen hat, zu seinem Erbrochenen zurückkehrt und es noch einmal auffrisst, hätte ich gerne meine Bitte um Liebe hundertmal heruntergeschluckt, seitdem sie mir von den Lippen flog.

    Und wundert Euch nicht, dass ich die Frau mit der Natur des Wolfes verglichen habe.

    Noch einmal: Der Wolf

    Denn der Wolf hat noch andere Eigenheiten, die ihrer Liebe noch ähnlicher sind.

    Die eine besteht darin, dass sein Hals so starr ist, dass er sich nicht umdrehen kann, ohne zugleich den ganzen Körper zu drehen.

    Und eine andere Eigenheit besteht darin, dass er nie in der Nähe seines Wolfsbaus Beute schlägt.

    Und eine dritte Eigenheit ist die, dass er, wenn er in einen Schafstall eindringt, es so leise tut wie nur möglich.

    Und wenn ein Ästchen unter seiner Pfote bricht und ein Geräusch verursacht, rächt er sich an seiner Pfote und fügt ihr einen schmerzhaften Biss zu.

    Alle drei Eigenheiten finden sich vereint in der Liebe einer Frau.

    Denn sie kann sich nicht schenken, ohne sich ganz hinzugeben; das ist ihre erste Eigenheit.

    Und die zweite besteht darin, dass sie einen Mann umso heftiger liebt, je weiter er von ihr entfernt ist, und wenn er ganz nah ist, tut sie nicht dergleichen.

    Und ihre dritte Eigenheit ist die, dass sie, wenn sie sich in Worten so weit vorgewagt hat, dass der Mann erkennt, dass sie ihn liebt, sich genau wie der Wolf mit den Zähnen an der eigenen Pfote rächt und mit einer Flut von Worten verdecken und bemänteln will, dass sie bereits zu weit gegangen ist.

    Denn sie will sehr wohl vom anderen wissen, was sie nicht will, dass man es von ihr weiß.

    Und sie weiß sich ganz gut bedeckt zu halten gegenüber einem Mann, von dem sie glaubt, dass er sie liebe.

    Die Viper

    Sie handelt genau wie die Viper, deren Natur solcherart ist, dass sie, wenn sie einen nackten Mann sieht, sich vor ihm fürchtet und flieht, so schnell sie

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