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Luhmen & Balder: Minimal-invasive Eingriffe: Erzählung
Luhmen & Balder: Minimal-invasive Eingriffe: Erzählung
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eBook128 Seiten1 Stunde

Luhmen & Balder: Minimal-invasive Eingriffe: Erzählung

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Über dieses E-Book

Lucia Luhmen, Anfang 50, und Balthasar Balder, Mitte 50, erkranken beide an Krebs, sie hat einen Tumor in der Gebärmutter, er hat seinen in der Prostata. Lucia lebt in München, ist Abteilungsleiterin in einem Verlag, während Balthasar in der Lüneburger Heide lebt und dort seinen Vorruhestand genießt. Er war Lebensmittelchemiker in einem großen Pharmaunternehmen.
Die Erzählung begleitet die beiden kapitelweise abwechselnd mit all ihrer Verzweiflung, ihren Ängsten und Hoffnungen; von den ersten Ergebnissen der Untersuchungen über ihre Operationen bis in die Reha-Maßnahme. Dort begegnen sie sich schließlich und machen eine überraschende Entdeckung, was ihre Vergangenheit angeht.
„Luhmen & Balder: Minimal-invasive Eingriffe“ ist eine drastische Erzählung, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Erzählung macht ohne jede Larmoyanz, dafür mit ironischer Distanz in klaren Sätzen deutlich, wie eng Leben und Tod, Eros und Thanatos miteinander verbunden sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberRegenbrecht
Erscheinungsdatum22. Juni 2015
ISBN9783925805820
Luhmen & Balder: Minimal-invasive Eingriffe: Erzählung
Autor

Klaus-Dieter Regenbrecht

Klaus-Dieter Regenbrecht, Jahrgang 1950, ist der Autor von "Tabu Litu - ein documentum fragmentum in neun Büchern" (1985-1999), sowie einer Reihe von Romanen und Erzählungen. 2017 veröffentlichte er seine Autobiografie "Paradise with Black Spots and Bruises" (Englisch). 2014 gewann er den ersten Preis beim "Landschreiber-Literatur-Wettbewerb." 2019 veröffentlichte er einen bemerkenswerten Essay zur Romantik: "Ein Mythos wird vermessen", der Grundlage für den Roman "Die selige Verzückung absehbarer Enttäuschung" ist. Mit dem Roman "Göttern und Menschen zum Troz" ist die Romantiktrilogie mit rund 1000 Seiten vollständig. Als letztes erschien in der Romantik-Reihe "Romantische Liebe - So reich an Freud ihr Schatten."

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    Buchvorschau

    Luhmen & Balder - Klaus-Dieter Regenbrecht

    Kapitel:6

    1

    LUCIA LUHMEN

    MÜNCHEN

    Wollte dieser Tag denn niemals enden? Wollte die Temperatur denn niemals sinken? In München war man weit entfernt vom Nordpol und der ewigen Sommernacht, die Sonne ging hier auch in den Tagen um die Sommersonnenwende unter, für ein paar Stunden, ja, aber, sagte sich Lucia, dieser Mittwoch schien endlos zu sein. Und endlos warm. Er dehnte sich und dehnte sich, die Sonne sank tiefer und tiefer, die sie schon seit mehr als einer Stunde nicht mehr gesehen hatte, aber es wurde nicht dunkel und es wurde nicht kalt. Dabei fühlte Lucia sich, als steckte sie in der finstersten Polarnacht. Als ginge nie mehr die Sonne auf.

    „Wie endlos stirbt der Tag an solchen langen Sommerabenden! So schrieb Marcel Proust in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Was hatte sie verloren? Wie viel Zeit blieb ihr noch?

    Im Dunkel ihrer Gebärmutter wucherte ein Karzinom, ein Tumor, ein Krebsgeschwür. Und das schon seit Jahren, unbemerkt. In Finnland erkrankten nur drei bis vier Frauen pro Einhunderttausend an diesem Krebs, in Kolumbien mehr als vierzig. Sie gehörte zu den etwa vierzehn Frauen pro Einhunderttausend in Deutschland, die vom Zervixkarzinom befallen wurden. Ob die Polarnacht diesen günstigen Einfluss hatte und die langen Sommernächte, wer konnte das schon wissen. Kolumbien jedenfalls lag am Äquator und kannte weder die Polarnacht noch die Freuden des Mittsommers.

    Das Münchner Leben pulsierte gedämpft und schien an der Oberfläche auf eine stille und glückliche Art und Weise sediert zu sein. Und doch von einer Tiefe, die sich mit gesteigerter Empfindsamkeit füllte. Die Menschen in den offenen Cabrios, auf ihren Rädern und zu Fuß, auf dem Rasen des Englischen Gartens, in den Isarauen, sie alle lachten, strahlten, liebten sich und hatten Sex, steckten sich an und pflanzten sich gegenseitig Krankheiten ein, den Tod. Dieser Tag, der nicht enden wollte, hatte damit die Qualität von Ewigkeit und war ein Vorgeschmack auf den Tod.

    Herrgott, dieser geldgierige Chauvi, ihr Frauenarzt, HPV hatte er gesagt, Human Papilloma Virus, dieser Depp und Vollpfosten, ob ich denn nichts gemerkt hätte, Veränderungen an der Vagina und, und, und dann hab ich gesagt, „halt die Schnauze" und bin gegangen. Veränderungen, Herrgott, sie veränderte sich jeden Tag.

    Diese Diagnose war der Donnerschlag, der sie von den Beinen gehauen hatte. Obwohl eine derartige Verkündigung immer eine Vorgeschichte hat; lange verborgene Veränderungen. Unwohlsein, das Gefühl, da stimmt etwas nicht, bis man sich entschließt, zum Arzt zu gehen, zum Frauenarzt, später zu den Spezialisten; die Untersuchungen, CT, Knochenszinti, Ultraschall, Abstriche, Gewebeproben, Bescheide und Gespräche. Es könnte das sein und wir müssen das ausschließen, und auch das heißt noch gar nix, blablabla. Wir müssen jetzt. So lange noch. Gar nichts müssen wir jetzt.

    Wir sitzen jetzt hier in diesem Biergarten, trinken ein Helles, essen eine Brezen und Emmentaler dazu, und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Verdammter Mist, es ging ihr doch gut. Nein, es ging ihr nicht gut. Bevor sie unters Messer kam, das nahm sie sich jetzt vor, wollte sie sich besinnen, ja, genau das, sich besinnen und dem Rest ihres Lebens einen Sinn geben, einen neuen Sinn, zum letzten Male eine neue Bestimmung. Destination.

    Destination Finnland, Helsinki. Sie würde nach Helsinki fliegen, in den ewigen Polarsommertag, für sie sollte die Sonne nie untergehen. Und schon war es ganz dunkel. Ein Scherzbold hielt ihr die Augen zu, wie lustig. Sich bloß nicht verraten.

    „Heinz? Sie kannte keinen Heinz, also konnte sie mit dem Namen nichts falsch machen. Von Heinz Erhard hatten sie unlängst im Verlag etwas Altes neu aufgelegt. Keine Reaktion. „Walter?

    „Oh, Verzeihung. Die Hände lösten sich von ihrem Gesicht. „Des isch mir jetzt aber peinlich, i henn Sie verwechselt. Mit dr Märri. Von dr Seit …

    Um Gotteswillen, ein Spaßvogel. Ein Schwabe, und so eine blöde Anmache, eine saublöde Anmache. Aber der Kerl setzte sich ihr gegenüber auf die Bank und lächelte sie an. Mindestens fünf, wenn nicht zehn Jahre jünger und sein Aussehen passte überhaupt nicht zu seinem Akzent. Er sah nämlich gut aus. Fast hoffte sie, derjenige, der sie von hinten angesprochen hatte und der, der jetzt vor ihr saß, waren zwei verschiedene Männer. Aber, nein. Er schwäbelte munter weiter über die verblüffende Ähnlichkeit, „oder noi, Sie san hübscher, viel hübscher als die Märri."

    Am liebsten hätte sie gezischt „verpiss dich oder halt wenigstens dein Maul, stattdessen sagte sie: „Junger Mann, ich komme gerade vom Arzt, der mich darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass seit einigen Jahren in meiner Gebärmutter ein Karzinom heranwächst, das herausgeschnitten werden muss, verstehen Sie. Vielleicht streut der Krebs bereits, greift meine Vulva an und weiß der Teufel was sonst noch.

    Der Typ guckte sie entgeistert an, als hätte er noch nie das Wort ‚Vulva‘ gehört. „Meine Möse, verstehst, von mir aus auch Fotze, Mann!"

    Er stand auf und ging. Jetzt hatte sie innerhalb weniger Stunden bereits zum zweiten Male die Nerven verloren, aber gründlich. Hatten sich schon Metastasen in ihrem Hirn gebildet, fing sie an, sich zu verändern? Wucherte auch da unbemerkt etwas, das von ihr Besitz ergriff, ihr Denken veränderte und sie überwucherte, bis ihr Körper zusammenbrach. Der Typ war weg, die Leute um sie herum pallaverten munter weiter, Lucia beruhigte sich und bestellte noch eine Halbe.

    HPV, er hatte das englisch ausgesprochen, und sie hatte tatsächlich im ersten Moment HIV verstanden. HPV, HIV, beide Verursacher venerischer Krankheiten. Die arme Venus. Die Venus und alle ihre Viren. Die Venus weiblich, der Virus männlich; virus, lateinisch für Gift, Schleim, Geifer, potenter Saft, klar: Sperma! Was damit alles übertragen werden konnte. Mit Sperma und Speichel, mit Tröpfchen und Schmiere, mit Sekreten und Sabber.

    Typisch für HPV waren die sogenannten Feigwarzen. Das war ja alles so eklig. Die Vorstellung, Sex zu haben, sich auszuziehen, einem Mann dabei zuzuschauen, wie er sich auszog, nein, nein. Der Bauch, die Haare, der stiere Blick und der steife Schwanz. Ihr wurde kalt, egal wie lau das Abendlüftchen war. Das war ja alles so widerwärtig, womöglich hätte der schwäbische Don Juan sie angehimmelt und von „doine Brüschd geschwärmt, sie womöglich mit denen der „Märri verglichen. Wie konnte sie jemals daran Spaß gehabt haben. An diesem widerlichen Geschleime, Gelecke, Gesabbere, Gefummel, Gestöhne und Gerammel. Nie wieder Sex. Nie wieder. Nie, nie, nie wieder.

    Apropos Feigwarzen. Ihr Tumor befand sich im Stadium IIB, was ihr eine Fünfjahres-Überlebens-Chance von fünfzig Prozent gab. Fifty-fifty. Und diese Klassifizierung stammte von der FIGO, der Fédération Internationale de Gynécologie et d‘Obstétrique. Humor hatten die Leute. Figo, die Feige. Der Feigenbaum, mit dessen Blatt der Mann seine Blöße bedeckt, bevor er das Blatt weglegt und mit seiner Feigwarze die Frau ansteckt. Ja, prima. Also, nie wieder.

    Obwohl … das würde ja bedeuten, das letzte Mal war wirklich das letzte Mal. Und sollte das letzte Mal nicht etwas Besonderes sein? Etwas, auf das man sich vorbereitete und das man mit vollem Bewusstsein zum letzten Male genoss. Aber in ihren letzten Geschlechtsverkehr war sie völlig unvorbereitet, wenn nicht sogar unbeabsichtigt hineingeschliddert. Ratzfatz war das gelaufen, praktisch aus dem Stand und bevor sie zur Besinnung kam, lagen sie in seinem Hotelzimmer. Das war ja alles ganz okay gelaufen. Er sprach akzentfreies Hochdeutsch, sah gut aus, war gebildet und charmant und auf Geschäftsreise. Besser konnte ein Abenteuer so kurz nach Geschäftsschluss kaum laufen. Aber wie konnte sie dem Ganzen im Nachhinein die Qualität vom „letzten Mal" verleihen? Das ging doch nicht.

    Der Typ, Reinhard, war von Gütersloh gekommen, aus der Zentrale, und hatte die neue Struktur erklärt. Auch wenn die meisten Leser, die Bücher aus Lucias Verlag lasen, glaubten, der Verlag sei eigenständig, so war das natürlich nur die halbe Wahrheit. Denn wie die meisten deutschen Verlage gehörte ihrer zu einem der großen Verlagshäuser, die ja heute weltweit agierende Medienunternehmen und multimediale Konzerne waren.

    Es dauerte immer einige Zeit, bis die neuen Maximen aus der Konzernspitze bei ihnen in München eintrafen. In den letzten Jahren waren ständig Neuerungen eingeführt worden, was dazu geführt hatte, dass im Unternehmen die unterschiedlichsten „Neuerungen" wirkten. Einer von Lucias Witzen besagte, dass in dem

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