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Verflucht sei der Totenwald: Thriller
Verflucht sei der Totenwald: Thriller
Verflucht sei der Totenwald: Thriller
eBook334 Seiten4 Stunden

Verflucht sei der Totenwald: Thriller

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Über dieses E-Book

In diesem Buch geht es um drei Freunde, die in einem abgelegenen, seltsam rückständigen Dorf ein Jagdwochenende verbringen wollen. Dort geraten sie in Gefahr und müssen um ihr Leben bangen. Scheinbar lastet auf dem Dorf und dem umliegenden Wald ein böser Fluch, der sie nicht mehr loslassen will. Flucht scheint unmöglich. Und dann erwacht der Fluch erneut und bringt das Böse ...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum19. Apr. 2024
ISBN9783384204622
Verflucht sei der Totenwald: Thriller
Autor

Ben Kossek

Der Autor, der unter dem Pseudonym "Ben Kossek" schreibt, wurde 1954 in Frankfurt am Main geboren. Er war über dreißig Jahre in einem großen Zeitungsverlag im Rhein-Main-Gebiet tätig, jedoch nicht als Schreiber, sondern als Techniker. Die Liebe zum Schreiben von Geschichten, vor allem von Thrillern und Krimis, hat ihn zwar schon lange Jahre begleitet, seine überwiegende Aufmerksamkeit galt in früheren Jahren jedoch der Fotografie, weshalb Ben Kossek erst 2019 seinen ersten Thriller veröffentlichte. "Tod in Amsterdam" wurde der Einstieg in eine neue Lebensphase künstlerischen Schaffens. Inzwischen wurde eine Trilogie vollendet. Weitere Titel folgten oder sind zur Zeit in Arbeit. Ben Kossek lebt mit seiner Familie heute in der Nähe von Koblenz. "Es bereitet mir Spaß, den Leser mit meinen Geschichten auf eine falsche Fährte zu locken, um am Ende für Überraschungen zu sorgen. Das erhöht für ihn die Spannung und das Lesevergnügen. Für mich als Autor ist es wichtig, dass der Leser meine Bücher mit Freude liest, dass er gespannt ist auf das, was kommt, dass er versucht, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, um doch immer wieder überrascht zu werden. Das macht für mich die Freude am Schreiben aus, und für meine Leser soll es ein kurzweiliges und aufregendes Lesevergnügen sein."

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    Buchvorschau

    Verflucht sei der Totenwald - Ben Kossek

    Prolog

    Drei Tage zuvor

    Sie hatten die ganze Fahrt über nebeneinandergesessen und geschwiegen. Ein Schweigen, das tief und eisig war an einem sonnigen Tag im späten September, und der Himmel zeigte sich in einem strahlenden Blau wie schon lange nicht mehr. Draußen am Straßenrand zogen die Bäume, deren Laub fast unbemerkt in herbstliche Farben überging, schnell vorüber, ohne jedoch von ihnen wahrgenommen zu werden. Veronika starrte geradeaus durch die Windschutzscheibe, unbeweglich auf dem Beifahrersitz kauernd und mit beiden Händen ihren Bauch haltend, in welchem sie die unruhigen Bewegungen des Kindes spürte. Konnte dieses kleine Wesen wirklich jede ihrer Gefühlsregungen nachempfinden? So sagte man zumindest. War es deshalb gerade in diesem Augenblick so unruhig? Und er – er klammerte sich mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck und eisernem Griff an das Lenkrad. Auch er starrte geradeaus. Es lag eine seltsame Spannung in der Luft, die das Innere des Wagens bis in den allerletzten Winkel erfüllte. Und diese Spannung war beinahe unerträglich. So schwiegen sie, und keiner wollte den Anfang machen, das bleierne, bittere Schweigen zu brechen. Veronika nicht, weil sie es auf den Tod nicht ausstehen konnte, wenn er Dinge tat, die er eigentlich gar nicht tun wollte. Und er nicht, weil er sich im Stillen dafür verfluchte, dass er genau das tat.

    Es war die verrückte Idee seines älteren Bruders Matteo gewesen, wieder einmal, ihn mit auf diese verdammte Jagd zu nehmen, obwohl der genau wusste, dass sein jüngerer Bruder Leon kein Jäger war. Leon konnte keiner Fliege etwas zuleide tun, und einen Rehbock erlegen schon gar nicht! Allein schon der Gedanke, ein Gewehr in der Hand zu halten und damit auf ein Tier anzulegen, verursachte in ihm Übelkeit. Er war nun mal nicht der harte, grobe Kerl wie sein älterer Bruder, der die Jagd liebte. Matteo wusste das, und dennoch hatte er ihn fast schon genötigt, ihn und seinen langjährigen Kumpel Markus am Wochenende hinaus in die Wälder zu begleiten. Vielleicht, weil Matteo dachte, es wäre längst an der Zeit, aus seinem jüngeren Bruder endlich einen Mann zu machen. Dabei war er doch schon längst ein Mann! Er war vor Kurzem siebenundzwanzig Jahre alt geworden, seit knapp zwei Jahren verheiratet, und seine Frau bekam in zwei Wochen ein Baby – ihr erstes gemeinsames Kind. Was daran ließ bei seinem Bruder Zweifel aufkommen, er sei kein Mann? Etwa die Tatsache, dass er kein Tier erschießen wollte? Er, Leon, würde bald eine richtige Familie haben, also war er doch ein Mann! Aber in den Augen seines Bruders Matteo war er nur ein Weichei, ein Ökofuzzi und Frauenversteher. Und das galt es nach Matteos Ansicht endlich zu ändern!

    Irgendwann hatte Leon dann zugestimmt, widerwillig und ohne jede Freude an der Sache, aber er hatte zugestimmt. Und Veronika, seine Frau, hätte ihn dafür hassen können! Sie hatte ihren Schwager Matteo noch nie leiden können, weil er Leon immer wieder in Beschlag nahm, ihn in alles hineinzog, was er tat. Er ergriff regelrecht Besitz von ihm. Und Leon, er machte jeden Unsinn mit, weil er sich dem Einfluss seines Bruders einfach nicht entziehen konnte. Es lag nicht nur daran, dass er sieben Jahre jünger war als Matteo, eben er kleine Bruder, wie man so schön sagte. Nein, es war wohl mehr das fehlende Vertrauen in sich selbst, genauer gesagt in die Art und Weise, wie er sich selbst wahrnahm. Das war die bittere Erkenntnis, die ihn immer wieder in seinen Zweifeln wie ein böses Tier beschlich. Hatte sein Bruder vielleicht doch recht, und er war noch kein richtiger Mann? Er wusste es nicht, zweifelte weiter. Verstohlen warf er Veronika einen kurzen Seitenblick zu.

    Leon verfluchte seine Schwäche. Aber das machte es nicht besser. Und vor allem: Es änderte nichts an der Situation. Er spürte, wie er Stück für Stück die Achtung seiner Frau, und mindestens genauso schlimm, die Achtung vor sich selbst verlor. Warum konnte er sich nicht widersetzen, klar Stellung beziehen und Matteo offen ins Gesicht sagen, dass er verdammt nochmal alleine auf diese dämliche Jagd gehen sollte?

    Er lenkte den Wagen in die Straße, in der ihr Haus stand, und dann in die Einfahrt. Plötzlich schien Veronika aus ihrer Starre wieder zu erwachen. Sie sah ihn resigniert von der Seite an, ohne eine weitere Regung im Gesicht.

    „Wenn du unbedingt glaubst, dass du springen musst, wenn er nach dir ruft, dann tue es! Aber erwarte nicht länger von mir, dass ich jedes Mal mitspringe! Du verdammter Idiot!" Mit diesen harschen Worten stieg sie mit Mühe aus dem Wagen und warf die Autotür wütend hinter sich zu, ohne darauf zu warten, dass er ihr half, wie er es sonst die letzte Zeit immer getan hatte.

    „Veronika, warte doch …" Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Sie hatte ihn auch nicht mehr gehört. Deprimiert sah er durch die Windschutzscheibe und verfluchte sich selbst. Er wusste, dass sie recht hatte, aber das machte es für ihn nur schwerer. Sein verzweifelter Blick folgte ihr, bis sich die Haustür hinter ihr geschlossen hatte und sie im Haus verschwunden war. Dann erst stieg auch er aus dem Wagen und folgte ihr zögernd. Er fand Veronika in der Küche, mit einem Glas Wasser in der Hand lehnte sie an der Spüle und starrte aus dem Fenster. Sie wandte ihm den Rücken zu und drehte sich auch nicht um, als sie ihn kommen hörte.

    „Es sind doch nur drei Tage, Veronika …" Beinahe klang es wie ein hilfloser, flehender Versuch, sich zu rechtfertigen. Und Leon wusste, dass es verdammt danach klang.

    „Dieses Mal sind es drei Tage, das nächste Mal vielleicht fünf. Aber verdammt, Leon, es geht nicht um die drei Tage, an denen du fort bist. Es geht darum, dass Matteo dich um den Finger wickeln und mit dir machen kann, was er will. Und es geht um den Zeitpunkt, jetzt, zwei Wochen vor der Geburt! Was ist, wenn das Kind früher kommt und ich dich hier brauche? Ich kann dich nicht erreichen, weiß nicht einmal genau, wo du überhaupt stecken wirst in diesem elenden Niemandsland! Wie stellst du dir das vor?" Sie sagte diese Worte, ohne sich umzudrehen. Was würde es bringen, wenn sie ihm dabei in die Augen blickte?

    Beschämt stierte er vor sich auf den Boden. Er wusste, dass sie in allem recht hatte. Ja, Veronika hatte verdammt nochmal recht! Warum hatte Matteo ausgerechnet diese abgelegene Gegend für ihren Jagdausflug ausgesucht? Was wäre nur, wenn während der Geburt des Kindes etwas schiefging, wenn seiner Frau etwas zustoßen sollte oder dem Kind? Er würde es sich sein Leben lang nicht verzeihen, in diesem Moment nicht hier bei ihr gewesen zu sein! Und seinem Bruder auch nicht. Aber er konnte jetzt nicht mehr zurück. Matteo würde ihn nicht in Ruhe lassen und allerlei Argumente finden, um ihn herumzukriegen! Und wie immer würde er einknicken. Doch in diesem kleinen Augenblick, in dem er so dastand, geschah plötzlich etwas Seltsames mit ihm! War es der Anblick seiner unglücklichen, verzweifelten Frau, die dort vor ihm am Fenster stand? Oder sogar so etwas wie Reue? Er konnte nicht erklären, was ihn da überkam, aber etwas geschah. Es geschah in ihm. Vielleicht war es die Angst vor dem, was ihm soeben bewusst geworden war.

    „Ich verspreche dir, dass es das letzte Mal ist, dass ich ihm nachgebe! Das letzte Mal, versprochen!" Es platzte so spontan aus ihm heraus, dass er selbst darüber erschrak. Selbst wenn er es gewollt hätte, er hätte es nicht zurückhalten können.

    „Habe ich das gerade richtig verstanden? Veronika stand zuerst einen Augenblick lang wie erstarrt, wandte sich dann aber erstaunt zu ihm um, stellte das Wasserglas neben sich ab und sah ihm mit großen, ungläubigen Augen ins Gesicht. „Und was genau meinst du damit? Ist das ein weiteres leeres Versprechen, oder wie? Ihr Blick hatte plötzlich etwas Herausforderndes angenommen, weg von der Ungläubigkeit, beinahe provozierend.

    „Nächstes Mal, wenn er etwas will, werde ich nein sagen. Ich verspreche es dir! Du weißt, dass ich diese Jagd hasse. Und nicht nur die Jagd. Auch seine Art, mich zu bevormunden. Ich verspreche dir, ich lasse das alles künftig nicht mehr mit mir machen." Die Entscheidung, die er soeben für sich getroffen und ihr gegenüber ausgesprochen hatte, ließ urplötzlich eine tiefe, wohlige Erleichterung in ihm wachsen. Sein Inneres erfüllte sich mit einer seltsamen Wärme. Oh ja, es fühlte sich gut an! Es fühlte sich sogar verdammt gut an! Doch Leons Botschaft schien noch nicht bei ihr angekommen zu sein.

    „Es geht nicht nur um diese Jagd, Leon. Das weißt du. Es geht mir um genau diese Haltung gegenüber Matteo, die du eben selbst angesprochen hast. Ganz abgesehen davon, dass es nicht dein Ding ist, auf eine Jagd zu gehen!"

    „Ich weiß. Und deshalb gebe ich dir mein Wort bei allem, was mir lieb und wichtig ist. Ich meine es wirklich ernst. Es ist das letzte Mal, dass ich ihm nachgebe. Du hast recht. Es kann so nicht weitergehen. Ab jetzt treffe ich meine eigenen Entscheidungen."

    „Versprich es mir bei allem, was dir heilig ist! Ihre Augen hatten einen seltsam kämpferischen Glanz angenommen. „Ich will keine weiteren Enttäuschungen mehr, Leon. Nicht jetzt, wo das Kind kommt. Kannst du das verstehen? Und außerdem bin ich nur so sauer, weil ich dich liebe, du verdammter Idiot! Hast du das verstanden?

    „Ja, bei meiner Liebe zu dir und unserem Kind! Bei allem, was mir heilig ist. Ich verspreche es, und ich werde mein Wort halten! Dieses eine Mal noch, dann ist Schluss!"

    Veronika neigte den Kopf leicht zur Seite, als müsse sie erst für sich prüfen, wie ernst es ihm wirklich war. Dann sah sie den feuchten Schimmer in seinen Augen und trat fast zögernd einen Schritt näher an ihn heran. Mit leichter Verwunderung blickte sie zu ihm auf, als habe sie soeben eine besondere Entdeckung gemacht. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns:

    „Ich glaube es nicht! Du meinst es wirklich ernst!"

    Sie sah ihn an, als hätte sie ihn gerade neu entdeckt.

    „Ja, ich meine es ernst. Wirklich!"

    „Also gut, Leon. Sie sah ihm tief in die Augen und sprach leise, langsam, eindringlich, wohl um ihren Worten Gewicht zu verleihen. „Nur dieses eine Mal noch. Und du musst mir versprechen, dass du mich mindestens einmal am Tag anrufen wirst, ganz gleich, wie du es in dieser Einöde anstellst! Damit wir voneinander wissen, dass es uns gutgeht. Das ist meine Bedingung.

    „Einverstanden. Nun trat auch er einen Schritt auf sie zu und nahm sie fest in die Arme. „Es tut mir leid, dass ich dir so viele Sorgen bereite, Veronika. Doch ab jetzt wird sich einiges ändern. Du musst mir nur wieder vertrauen.

    „Okay." Sie drückte ihn so fest an sich, wie es ihr Bauch gerade noch zuließ, und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Eine einzelne kleine Träne rollte verstohlen über ihre Wange und ein ungeahntes Glücksgefühl durchströmte sie in diesem Moment, als sie seine Körperwärme spürte. Ihre Fingerspitzen bohrten sich beinahe schon in seinen Rücken, so fest hielt sie ihn – als wollte sie ihn nie mehr loslassen.

    Erster Teil

    Verhängnis

    „Es ist des Menschen Fluch und sein Verhängnis, dass seine Fehler sicher wirkend schreiten, und, offenkundig rings, ihm gleich bereiten, jedweden Schmerz und jegliche Bedrängnis."

    Ferdinand von Saar

    1.

    Nebelwald

    Am Vormittag hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt, der sich nicht so leicht vertreiben lassen wollte. Der Morgennebel hing noch tief und schwer zwischen den Bäumen, die bedrohlich nahe die Straße auf beiden Seiten säumten. Bisher hatte es noch kein Sonnenstrahl geschafft, die graue Wolkendecke und die Baumkronen, die sich wie ein grünes Dach über der Straße schlossen, zu durchbrechen. Leon saß mit leichtem Frösteln auf der unbequemen Rückbank des Jeeps und starrte missmutig durch eines der Seitenfenster nach draußen. Nur Wald, wo immer man hinsah! Es war lange vor Morgengrauen gewesen, als sie von zu Hause aufgebrochen waren, und jetzt fuhren sie schon eine gute Stunde durch dieses Waldgebiet, und nur hin und wieder gelangten sie in eines der wenigen kleinen Dörfer, die entlang der Landstraße lagen und das einzige Anzeichen dafür waren, dass es hier noch so etwas wie Zivilisation gab. Und dennoch hatte es den Anschein, als sei die Zeit hier einfach so stehengeblieben. Eine verdammt öde und abgelegene Gegend, dachte Leon. Und ausgerechnet hier wollten sie das Wochenende verbringen und auf die Jagd gehen! Bei dem Anblick, der sich ihm bot, verfluchte Leon sich umso mehr, dass er diesen Unsinn hier mitmachte, obwohl Veronika ihn mehrfach davor gewarnt hatte. Je mehr die Zeit voranschritt, umso klarer wurde ihm, dass er auf sie hätte hören sollen. In diesem Moment hasste er sich dafür, dass er es nicht getan hatte! Mürrisch lehnte er sich zurück und verkroch sich in Schweigen.

    „Mistwetter, fluchte Markus, der auf dem Beifahrersitz saß, leise vor sich hin. „Für dieses Wochenende war doch gar kein Regen gemeldet. Markus und sein Bruder Matteo kannten sich schon seit der Schulzeit. Sie waren beste Freunde, und beste Freunde gingen immer gemeinsam auf die Jagd.

    „Keine Sorge, das wird schon noch", murmelte Matteo leise zurück. Er saß am Steuer und musste sich konzentrieren. Die Sicht war miserabel. Ständig waberten dichte, schwere Nebelbänke über die Fahrbahn und erschwerten das Vorankommen. Aber Matteo ließ sich die gute Laune nicht verderben. Er war eindeutig in seinem Element. Nie hätte ihm das Wetter den Spaß daran nehmen können.

    „Wie weit ist es noch bis zu diesem Dorf?" Leons Stimme klang wie ein ungeduldiges Ultimatum aus dem hinteren Teil des Wagens. Er konnte sich andere Orte vorstellen, an denen er jetzt lieber wäre.

    „Du wirst es schon noch abwarten können. Machst du dir etwa schon jetzt in die Hosen, kleiner Bruder? Der Wald hier ist riesig. Warte erst, bis wir angekommen sind. Ein schräges Grinsen zeigte sich auf Matteos Gesicht, als er Leon im Rückspiegel herausfordernd ansah. „Der erste Bock ist dir, damit du endlich mal erwachsen wirst! Sein schallendes Lachen, in das Markus verhalten einfiel, erfüllte den Innenraum.

    „Leck‘ mich", knurrte Leon verärgert, was Matteo nur zu einem erneuten Lachschwall animierte.

    „Ich sage es dir, Markus, mein kleiner Bruder hat die Hosen jetzt schon voll. Was soll das erst werden, wenn wir mitten im Wald einem wütenden Keiler begegnen und der unangenehm wird? Sagt er dann auch ,Leck mich‘?"

    „Lass‘ es jetzt gut sein, Matteo", ermahnte in Markus, der wohl ein wenig Mitleid mit dem Jungspund auf der Rückbank verspürte. Doch Leon war weit davon entfernt, ihm für sein Eingreifen einen dankbaren Blick zuzuwerfen. Er starrte aus dem Fenster und in die dichten Nebelschwaden, die wie eine weiße Wand zwischen den Bäumen standen, als könne er sie mit seinem Blick durchdringen.

    Eigentlich war Markus Rehm schon ganz in Ordnung. Er kannte jede von Matteos Macken, aber er war im Gegensatz zu diesem ein Mann, der seinen Kopf auch zum Denken benutzte und ihn nicht nur trug, damit es ihm nicht in den Hals regnete. Markus war stets derjenige, der vernünftig war und Matteo so manches Mal auf den Boden der Realität zurückholte, wenn der wieder einmal in seiner groben, hitzköpfigen Art abzuheben drohte. Und seltsamerweise hörte Matteo auf Markus. Offenbar hatte ihre langjährige Freundschaft einige nützliche Auswirkungen hervorgebracht. Von nun an hielt sich Matteo jedenfalls auffallend zurück.

    Soeben schaffte es ein erster Sonnenstrahl durch die graue Wolkendecke. Es war bereits kurz nach Mittag, und die hellen Nebelschwaden reflektierten das Licht und blendeten Matteo. Er kniff die Augen zusammen und stieß einen leisen Fluch aus, der jedoch plötzlich in einem lauten, unerwarteten Poltern unterging. Ein kräftiger, lauter Schlag von unten erschütterte den Jeep. Im nächsten Moment herrschte erschrockene Stille im Wagen. Matteo und Markus warfen sich einen schnellen Blick zu.

    „Verflucht, was war das denn eben!", rief Matteo mehr als er fragte und sah suchend in den Rückspiegel, während er den Wagen verlangsamte.

    „Wir sind über irgendetwas drübergefahren, wenn du mich fragst. Halt mal an!", erwiderte Markus irritiert. Matteo fuhr an den Straßenrand, soweit es ging, und stoppte den Wagen dicht neben einem schmalen Graben, der unsichtbar versteckt unter hohem Gras gleich neben der Landstraße entlang verlief. Das Wasser eines kleinen Rinnsals plätscherte darin und übertönte die Stille, die sie erst jetzt wahrnahmen, als sie langsam aus dem Wagen stiegen. Mit vorsichtigen Blicken suchten sie die Baumreihen rechts und links der Straße ab. Der Wald lag in seinem hell leuchtenden Nebelbett ruhig und still da, fast friedlich. Nur ein sanfter Windstoß erfasste gerade eben die umstehenden Tannen und erzeugte ein leises Rauschen in den Wipfeln. Sonst war es merkwürdig still. Matteo ging um den Wagen und begutachtete die Reifen. Sie waren unversehrt. Dann ging er neben dem Wagen auf die Knie und holte eine Taschenlampe aus der Jackentasche. Er leuchtete mit prüfendem Blick unter die Karosserie des Jeeps.

    „Scheint alles noch in Ordnung zu sein", knurrte er stirnrunzelnd und erhob sich wieder. Noch einmal bedachte er die nähere Umgebung mit einem forschenden Blick, ohne jedoch wegen des Nebels wirklich etwas zu erkennen.

    „Aber was war das, verdammt!" Markus hielt es nicht mehr beim Wagen. Er ging rasch einige Schritte die Straße zurück, um der Ursache des Polterns auf den Grund zu gehen. Sein Blick war auf den Boden gerichtet. Doch plötzlich bückte er sich, richtete sich wieder auf und rief:

    „Seht euch das an! Wie ein Denkmal stand er im sonnendurchfluteten Nebel. In seiner ausgestreckten linken Hand hielt er einen mehr als faustgroßen Stein nach oben. „Der lag hier mitten auf der Straße. Und hier sind noch mehr! Seine Stimme klang seltsam hell und hoch durch die feuchte Luft.

    Matteo und Leon folgten ihm nun eilig zu der Stelle, an der ungefähr zehn jener faustgroßen Steine auf der Fahrbahn zerstreut lagen, als hätte sie jemand dort mit Absicht hinterlassen.

    „Was soll dieser Unsinn? Hat die einer hier auf die Straße gekippt? Wir hatten Glück, dass wir nur einen davon erwischt haben! Seht euch das an!" Matteo starrte ratlos und wütend zugleich auf die Steine, bevor er einen davon aufhob und in seiner Hand wog.

    „Man könnte fast meinen, dass es jemand darauf angelegt hat, dass hier irgendwer drüberfährt. Das war doch Absicht", murmelte Markus, während er nun ebenfalls mit prüfenden Blicken den Nebel zwischen den Bäumen auf beiden Seiten der Straße zu durchdringen suchte. Er war verunsichert und ratlos. Das sah man ihm deutlich an.

    „Seht euch das mal an, an den Steinen ist noch frische Erde. Die hat jemand erst vor kurzem ausgegraben und dann auf die Straße geworfen. Der hat es tatsächlich mit voller Absicht getan. Es sieht jedenfalls doch sehr danach aus, oder nicht?", erklärte Leon mit einem Gesichtsausdruck, der sein ganzes Unwohlsein offenbarte.

    „Zum Henker, was soll diese Scheiße!", fluchte Matteo nun lauthals und stierte herausfordernd zwischen die Bäume. Aber niemand antwortete ihm. Kein Schatten, der dort unerwartet aus dem dichten Nebel trat, kein Geräusch von knackenden Ästen und Zweigen aus dem Unterholz. Markus Rehm ergriff als erster die Initiative.

    „Lasst uns die Steine von der Straße schaffen, bevor noch ein anderer drüberfährt. Aber seid vorsichtig!" Er bückte sich und griff nach den ersten Steinbrocken, um sie neben in den Straßengraben zu befördern, als plötzlich ein lauter Knall aus der Nebelwand zwischen den Bäumen die Stille zerriss. Knapp neben Markus‘ Fuß prallte etwas auf den Asphalt und sprang nach oben weg!

    „Verdammt! Da schießt jemand auf uns! In Deckung. Los, los!", schrie er lauthals und packte Leon, der wie angewurzelt stehengeblieben war. Matteo hatte am schnellsten reagiert und sich Schutz suchend hinter den Jeep geworfen. Leon zog er mit sich. Markus folgte ihnen.

    „Los, hierher! Der Schuss kam von der linken Seite!" rief er, wild mit den Armen winkend, als ein zweiter Schuss wie aus dem Nichts kommend das der Straße zugewandte hintere Seitenfenster in tausend kleine Splitter zerfetzte, die in der nächsten Sekunde wie todbringende Granatsplitter durch die feuchte Luft zischten. Die drei Männer duckten sich tief hinter den Jeep und hoben die Arme schützend über die Köpfe. Dann war es plötzlich wieder totenstill, so, als hätte jemand einen Schalter umgelegt und damit jedes Geräusch abgeschaltet! Das einzige, was noch zu hören war, war ihr stoßweiser, ängstlich keuchender Atem.

    „Bleibt unten! Dieser tausendmal verfluchte Hurensohn ist dort drüben irgendwo zwischen den Bäumen! Ich werde ihm mal ordentlich eine verpassen!", zischte Matteo wütend.

    „Matteo, lass‘ den Unsinn. Der Kerl verpasst eher dir eine, bevor du auch nur deinen kleinen Finger hervorstreckst!" Die Idee schien Markus gar nicht zu gefallen.

    „Willst du hier etwa versauern, Markus? Sieh‘ dir Leon an, der bekommt gleich einen Nervenzusammenbruch!"

    Leon kauerte immer noch ängstlich hinter dem Jeep, fast flach auf dem Boden liegend und die Hände schützend über dem Kopf. Er zitterte am ganzen Körper. Matteo öffnete so langsam und geräuschlos wie möglich die hintere Tür auf der Beifahrerseite. Dort im Fußraum hinter dem Sitz hatte er sein Jagdgewehr deponiert. Er zog es mit einer raschen Bewegung heraus und schaffte es gerade noch, sich blitzschnell zur Seite zu drehen, als ein erneuter Schuss die Innenverkleidung der offenstehenden Wagentür zerfetzte. Matteo schob nun leicht zitternd vor Aufregung die Patronen in den Lauf und machte sich bereit. Vorsichtig spähte er um das Heck den Jeeps. Immer noch zogen dichte Nebelschwaden zwischen den Baumstämmen hindurch, doch ein überraschender Windstoß lüftete den weißen Vorhang für einen kurzen Moment. Zeit genug für Matteo, den Schatten, der sich dort zwischen den dunklen Stämmen bewegte, zu erspähen! Es war ein einzelner Mann mit einem Gewehr, der dort auf der Lauer lag! Seine Umrisse waren deutlich zu erkennen, aber das Gesicht blieb im Verborgenen. Matteo legte an und zielte auf das Bein des Mannes, in der Gewissheit, dass er es unter diesen Bedingungen sowieso verfehlen würde. Dann drückte er entschlossen ab, noch bevor sich der graugrelle Nebelvorhang wieder schließen konnte und die unheimliche, schattenhafte Gestalt darin endgültig verschwand.

    Wider Erwarten musste er wohl getroffen haben!

    Ein gellender Aufschrei ertönte aus der Nebelwand von der anderen Straßenseite zu ihnen herüber! Dann, Augenblicke später, knackten Äste unter sich eilig entfernenden Schritten. Der Schütze schien sich tiefer in den Wald zurückzuziehen, denn das Knacken wurde immer leiser, bis es kaum noch zu hören war. Die drei Männer kauerten noch hinter dem Jeep und lauschten in die Stille, die nun wieder den Anschein erweckte, als sei es die friedlichste Gegend auf Erden.

    „Mann, du hast ihn erwischt!", rief Markus. Leon hob zum ersten Mal wieder den Kopf und lugte misstrauisch nach allen Seiten, als erwarte er jeden Moment den nächsten Knall. Er war leichenblass und ängstlich, zeigte jedoch keine Panik und lehnte sich mit einem erleichterten Seufzer mit dem Rücken gegen die Beifahrertür des Jeeps.

    „Alles gut, Leon. Bleib‘ nur unten", flüsterte Markus ihm zu, während er sich nach hinten Matteo zuwandte.

    „Kannst du ihn noch sehen?"

    „Nein! Der Nebel ist zu dicht! Aber ich glaube, der ist abgehauen. Habe ihn wohl wirklich erwischt!"

    Zögernd und vorsichtig erhoben sie sich aus der Deckung hinter dem Jeep und blickten um sich. Wolkenfetzen erzeugten ein Wechselspiel von Licht und Schatten. Kein weiterer Schuss unterbrach die Stille. Keine weitere Kugel zischte über den Asphalt oder schlug im Wagen ein. Der elende Mistkerl hatte sich wohl eilig davongemacht.

    „Holt ihr die Steine von der Straße, ich sehe mir die Stelle mal an, von der aus er geschossen hat!" Matteo wartete nicht auf eine Antwort der anderen, schnappte sein Jagdgewehr mit festem Griff und lief in gebückter Haltung hinüber auf die anderen Straßenseite, wo er kurz darauf zwischen den Bäumen in der weißen Wand verschwand. Man hörte seine Schritte im Unterholz, die sich entfernten. Dann Stille. Erst nach einigen Minuten kehrte er zurück.

    „Ich habe

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