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Wer Wut sät, wird Tod ernten: Hauptkommissar Becks erster Fall
Wer Wut sät, wird Tod ernten: Hauptkommissar Becks erster Fall
Wer Wut sät, wird Tod ernten: Hauptkommissar Becks erster Fall
eBook468 Seiten6 Stunden

Wer Wut sät, wird Tod ernten: Hauptkommissar Becks erster Fall

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Über dieses E-Book

Das Buch beschreibt einen alten ungelösten Fall, einen sogenannten "Cold Case", über ein verschwundenes Mädchen, das höchstwahrscheinlich ermordet wurde, deren Leiche jedoch spurlos verschwindet. Es tauchen neue Hinweise und Spuren auf, die zur spannenden Handlung führen und am Ende ein lange gehütetes Geheimnis lüften.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. März 2022
ISBN9783347582064
Wer Wut sät, wird Tod ernten: Hauptkommissar Becks erster Fall
Autor

Ben Kossek

Der Autor, der unter dem Pseudonym "Ben Kossek" schreibt, wurde 1954 in Frankfurt am Main geboren. Er war über dreißig Jahre in einem großen Zeitungsverlag im Rhein-Main-Gebiet tätig, jedoch nicht als Schreiber, sondern als Techniker. Die Liebe zum Schreiben von Geschichten, vor allem von Thrillern und Krimis, hat ihn zwar schon lange Jahre begleitet, seine überwiegende Aufmerksamkeit galt in früheren Jahren jedoch der Fotografie, weshalb Ben Kossek erst 2019 seinen ersten Thriller veröffentlichte. "Tod in Amsterdam" wurde der Einstieg in eine neue Lebensphase künstlerischen Schaffens. Inzwischen wurde eine Trilogie vollendet. Weitere Titel folgten oder sind zur Zeit in Arbeit. Ben Kossek lebt mit seiner Familie heute in der Nähe von Koblenz. "Es bereitet mir Spaß, den Leser mit meinen Geschichten auf eine falsche Fährte zu locken, um am Ende für Überraschungen zu sorgen. Das erhöht für ihn die Spannung und das Lesevergnügen. Für mich als Autor ist es wichtig, dass der Leser meine Bücher mit Freude liest, dass er gespannt ist auf das, was kommt, dass er versucht, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, um doch immer wieder überrascht zu werden. Das macht für mich die Freude am Schreiben aus, und für meine Leser soll es ein kurzweiliges und aufregendes Lesevergnügen sein."

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    Buchvorschau

    Wer Wut sät, wird Tod ernten - Ben Kossek

    Dunkelheit

    „Tief in die Dunkelheit blickend

    stand ich da, fragend, ängstlich, träumend was

    kein Sterblicher je zuvor geträumt hat."

    Edgar Allen Poe

    EDWARD

    Du wirst dafür bezahlen!

    Er fuhr mit seinem Wagen von der Schnellstraße ab und schlug die Richtung zur Innenstadt ein. Dicke Regentropfen, die gerade aus noch dickeren Wolkenschleiern fallend auf die Windschutzscheibe trommelten, waren nicht normal für diese Jahreszeit. Seit zwei Tagen regnete es nun schon, und die graue Watteschicht, die sich über den Himmel spannte, ließ nicht einmal dem kleinsten Sonnenstrahl eine Chance. Inzwischen war es Ende Januar, aber in diesem Winter hatte es noch nicht ein einziges Mal Schnee gegeben – zumindest nicht in diesen Regionen. Dafür aber jede Menge Regen. Der Klimawandel war in vollem Gange, für ihn eine unumstößliche Tatsache. Die Temperaturen pendelten sich deutlich über dem Gefrierpunkt ein – viel zu warm für Schnee.

    Edward van Grothen bog nun in die schmale Nebenstraße mit dem alten Baumbestand ein, der bisher allen Sanierungskonzepten der Städteplaner aus unerfindlichen Gründen getrotzt hatte, um selbst in den heißen Sommermonaten mit seinem wuchtigen und weit ausladenden Grün für eine angenehme schattige und kühle Atmosphäre in dieser Straße zu sorgen. Nun aber ragten die starken Äste der alten Platanen kahl in den grauen Morgenhimmel. Hier in der Kleiststraße war die Kanzlei angesiedelt, in der er seit drei Jahren tätig war.

    Dr. Böhmer und Stark, Rechtsanwälte und Notare. Spezialgebiete waren das Wirtschafts- und Umweltrecht. Neben den beiden älteren Teilhabern der Kanzlei, Dr. Hagen Böhmer und Berthold Stark, tummelten sich noch die beiden Junganwälte, nämlich sein Kollege Sven Keppler und er selbst sowie drei Sekretärinnen in den Räumlichkeiten. Edward fühlte sich hier wohl, das Verhältnis zu den beiden Chefs, dem Kollegen und den Damen des Sekretariats war äußerst entspannt und konnte bisher kaum besser sein, was in einer Anwaltskanzlei mit mehreren Anwälten nicht immer der Fall war.

    Nach seinem Aufenthalt damals im Internat Waldenberg hatte er begonnen, Jura zu studieren, zur Freude seines Vaters, dessen Erwartungen an den eigenen Sohn nicht gerade gering waren. Edward sollte so erfolgreich werden wie er selbst, das hatte sich Jon van Grothen auf die Fahnen geschrieben. Sein Ehrgeiz und sein Erfolg waren der einzig gültige Maßstab für die ganze Familie. Nur so hatte er es in die höheren Etagen einer namhaften Bank geschafft. Auch die Mutter, Sylvia van Grothen, war überaus erfolgreich. Sie saß im Vorstand eines Pharmakonzerns – als eine der wenigen Frauen in der Branche. In solch große Fußstapfen sollte der Sohn nun treten. Das war der Preis, den man zu zahlen bereit sein musste, kam man aus einem sogenannten guten Hause. Edward lernte jedoch schon immer sehr schnell, und das Jurastudium machte ihm überraschenderweise Spaß. Er liebte es, im Dickicht der Paragrafen und Absätze nach den kleinen Lücken zu suchen, die man sich anschließend zunutze machen konnte. Und in dieser Sache war Edward wirklich gut! Jedoch war er keiner dieser Winkeladvokaten, die zu ihrem eigenen Vorteil mal schnell das Recht und auch den rechten Weg aus den Augen verloren. Edward van Grothen war als ein gradliniger junger Anwalt bekannt, der auch gerne verbissen und ausdauernd für eine gute Sache kämpfen konnte, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt war.

    Doch seit Jahren lebte er mit dieser tief verborgenen Angst. Seit diesem verfluchten, unsäglichen Tag damals im Internat!

    Man hatte Lena Katharina von Wellnitz bis heute nicht gefunden, was ihn im höchsten Maße verunsicherte. Er hatte lange versucht, diese schlimme Sache einfach zu verdrängen, und das Grausame, das damals unten am Waldsee geschehen war, das, was er dort getan hatte. Er hatte das Mädchen mit einem Stein am Ufer des Sees niedergeschlagen und war sich sicher, dass er sie dabei auch getötet hatte. Doch man hatte Lena damals nicht gefunden, weder tot noch lebendig! Und langsam, nach nunmehr zwölf Jahren, verblassten all die unheilvollen Bilder in seinem Kopf immer mehr. Lena musste auf irgendeine Weise überlebt haben und von dort verschwunden sein! Eine andere Erklärung gab es für ihn nicht. Er hatte sie dort am See niedergeschlagen, und sie hatte vor ihm im seichten Wasser gelegen und schien wirklich tot zu sein! Überall das viele Blut! Er hätte schwören können, dass sie tot war! Wie konnte sie danach, auch noch am gleichen Abend, einfach so verschwinden? War sie hinaus auf den See getrieben worden und dort untergegangen? Er hatte keine Ahnung. Dabei hatte er fest damit gerechnet, dass man Lenas Leiche sehr schnell finden würde, dort unten am Ufer, als die Polizei mit Hunden das alles abgesucht hatte.

    Edward van Grothen vermutete, dass sie vielleicht jemand dort am Ufer gefunden und mitgenommen hatte. Sonst hätte man sie doch finden müssen. Jemand mit einem Boot, der vom anderen Ufer herübergekommen war. Aber dann blieb immer noch ihre schwere Kopfverletzung. Hatte er sich in seiner Panik vielleicht getäuscht, und Lena hatte nur eine stark blutende Platzwunde davongetragen? Konnte es sein, dass am Ende alles viel schlimmer ausgesehen hatte, als es wirklich war? So sehr er auch gerätselt hatte, er konnte sich Lenas Verschwinden nie ganz erklären. Aber die quälende Ungewissheit hatte auch die Angst mit sich gebracht, und beides hatte ihn über die Jahre hinweg begleitet. Inzwischen waren zwölf Jahre vergangen und er hatte nie wieder etwas gehört, weder von der Polizei noch von Lena selbst. Immerhin war es doch ebenso möglich, dass sie einfach alles hinter sich gelassen hatte, um an einem anderen Ort ein neues Leben zu beginnen! Aber nein, das war nicht ihre Art! Wäre sie noch am Leben, hätte sie sich gewiss an ihm gerächt.

    Er betrat den Empfangsraum der Kanzlei. Heute saß Elisa dort, die freche kleine Spitzmaus mit dem verschmitzten Lächeln und den unübersehbaren Grübchen, vor deren Späßen selbst die beiden Teilhaber nicht sicher waren. Aber Elisa war eine Seele von Mensch und alle mochten sie, vielleicht gerade wegen ihrer frechen und unkomplizierten Art und wie sie das Leben mit seinen Rückschlägen annahm. Vor gut einem Jahr, es war zwischen Weihnachten und Silvester, war ihre Mutter nach langer und schwerer Krankheit verstorben. Aber ihr von Grund auf fröhliches Gemüt hatte ihr geholfen, auch über den unendlichen Schmerz und bitteren Verlust hinwegzukommen, so gut es eben mal ging. Ihre Mutter war ihre Familie gewesen, oder besser, das was ihr noch davon geblieben war. Jahrelang hatte Elisa Greiling es trotz ihrer Arbeit hier in der Kanzlei geschafft, sich auch noch um ihre kranke Mutter zu kümmern, sie zu versorgen und sie am Ende bis in den Tod zu pflegen.

    Böhmer und Stark hatten sie dabei tatkräftig unterstützt, wenn sie zu Hause bleiben musste, weil ihre Mutter wieder einmal eine schlechtere Phase ihrer Krankheit durchlebte. Das hatte ihr von den Chefs und den Mitarbeitern großen Respekt eingebracht, und alle in der Kanzlei hatten sie unterstützt, so gut es jedem möglich war. Und nun dankte sie allen mit ihrer fröhlichen, hilfsbereiten und zuverlässigen Art.

    Elisa saß hinter dem Empfangstresen und lächelte über das ganze Gesicht, als sie Edward durch die Eingangstür kommen sah. Und wie immer hatte sie einen Scherz parat.

    „Einen guten Morgen, Herr van Grothen. Ich habe mir vorgenommen, Sie morgen nicht mehr hier hereinzulassen, wenn sie nicht eine Tüte Sonnenschein mitbringen", flötete sie auf ihre unnachahmliche Art.

    Edward musste lachen. „Ich werde mir Mühe geben, Elisa. „Wie geht es Ihrer werten Gemahlin? Edward wusste, dass ihre Frage nicht nur eine Floskel war und antwortete deshalb:

    „Danke, gut. Wie es eben gehen kann, wenn man im sechsten Monat schwanger ist. Und Ihnen? Was macht die Liebe?"

    „Ach danke, wird schon werden. Sie wissen doch, ich gebe nie auf."

    Mit einem amüsierten Lächeln bog Edward auf den Gang zu seinem Büro ab. An diesem Morgen war er wohl einer der ersten in der Kanzlei. Er öffnete die Bürotür, streifte seinen Mantel ab und ließ ihn lässig auf das Sofa fallen, das dekorativ zwischen den beiden hohen Fenstern stand. Mit den Händen fuhr er sich durch die leicht nassen blonden Locken, die er immer noch lang trug. Dann ging er hinüber ins Sekretariat, um sich einen Kaffee zu holen und nach der Post zu fragen.

    Und da saß sie, wie jeden Morgen, Britta Wiegand, Sinnbild und vollkommene Verkörperung einer Frau, mit einer engen weißen Bluse über ihrem vollen, wohlgeformten Busen, ihrem wie immer hautengen Minirock, der gut zwanzig Zentimeter über den Knien endete und den Blick auf ein paar Beine gestattete, die erotischer nicht hätten sein können. Sie trug ihr dunkles Haar lang und offen und ihre meergrünen Augen waren nur sehr dezent geschminkt. Britta Wiegand war sich ihrer Wirkung auf Männer sehr wohl bewusst und machte sich nicht selten einen Spaß daraus, ihnen nach allen Regeln der Kunst den Kopf zu verdrehen. Auf gewisse Weise erinnerte sie ihn an Lena, aber nur in einer gewissen Weise. Britta war alles andere als arrogant, herablassend, durchtrieben und verletzend. Sie war eine angenehme, sehr erotische Frau, die man gerne um sich hatte, aber man musste sich vorsehen. Sie flirtete oft und gerne, und dabei überschritt sie nicht selten mal Grenzen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.

    So wie jetzt!

    Ohne jede Hemmung starrte sie Edward nun ausgiebig und schamlos auf den Hintern, während dieser sich gerade an der Kaffeemaschine bediente. Er hatte den unbedachten Fehler gemacht, ihr ein zu freundliches Lächeln zu schenken, was sie sofort als Einladung zum Flirten interpretierte. Grazil erhob sie sich von ihrem Bürostuhl und näherte sich ihm von hinten. Sie griff mit der rechten Hand um ihn herum und nahm ihm die Kaffeekanne aus der Hand. Ihre andere Hand landete zufällig auf seiner linken Schulter. Leicht schmiegte sich nur für einen kurzen Augenblick ihr Körper an den seinen und ihre Blicke trafen sich. Der leichte Duft ihres Parfüms ließ ihn für einen viel zu langen Moment den Verstand verlieren, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte.

    „Das ist meine Aufgabe, sagte sie mit einem provozierenden Lächeln und füllte ihm eine Tasse mit heißem Kaffee, während er sich zu ihr umdrehte. „Und ich mache es gerne, fügte sie noch mit einem vielsagenden Blick hinzu. Edward konnte in diesem Augenblick gar nicht anders, als ihr auf den Busen zu starren, der sich in voller Pracht vor ihm entfaltete. Wie immer hatte Britta die oberen Knöpfe ihrer engen Bluse gerade mal so weit geöffnet, dass den männlichen Fantasien nur noch wenige Grenzen gesetzt waren. Zumindest so lange, wie die beiden Senior-Chefs noch nicht im Hause waren. Das kleine Luder, dachte er amüsiert, immer verdammt hart an der Kante entlang!

    „Danke, Britta. Sehr freundlich. Was ist in der Post?"

    Sie registrierte seinen hilflosen Versuch, gleich wieder zur Geschäftsordnung überzugehen, mit einem erneuten Lächeln und sagte:

    „Ein größerer Umschlag von Preusse, ansonsten nichts von Bedeutung." Britta reichte ihm einen kleinen Briefstapel und berührte dabei erneut seine Hand, bevor sie mit wiegenden Hüften zurück an ihren Schreibtisch stöckelte. Er grinste in sich hinein und trat eilig mit Kaffeetasse und der Post in den Händen den geordneten Rückzug in sein Büro an.

    Bevor Edward seine Aufmerksamkeit der morgendlichen Post widmete, schaltete er seinen Rechner und den Bildschirm ein. Während sich das startende System bis zur Passworteingabe vorarbeitete, hatte er die Briefe bereits geöffnet und kurz überflogen. Er griff zur Tasse und nahm erst einmal einen Schluck Kaffee. Um die Tasse nicht abstellen zu müssen, gab er unbeholfen mit der linken Hand sein Passwort ein und klickte auf den Login-Button. Während sich sein firmeninterner E-Mail-Account öffnete, warf er noch schnell einen kurzen Blick aus dem Fenster. Wo sollte er bei diesem Wetter nur eine Tüte Sonnenschein für Elisa herbekommen? Es war fast aussichtslos. Er beobachtete, wie dicke Regentropfen gegen die Fensterscheiben klopften, sich vereinten und im nächsten Augenblick in mehreren kleinen Rinnsalen der Schwerkraft folgend nach unten rollten. Nach einer kleinen Weile, die er gedankenversunken aus dem Fenster starrend verbracht hatte, wandte er sich wieder um und schenkte seine Aufmerksamkeit dem Bildschirm auf seinem Schreibtisch. Ein weiterer Schluck Kaffee, dann überflog er die neuen ungelesenen Mails seines Accounts an diesem Morgen.

    Mit einem Mal hielt er mitten in der Bewegung inne. Eine der Nachrichten hatte soeben seine Aufmerksamkeit erregt. Sie hatte offensichtlich nichts mit seiner Arbeit zu tun. Im Betreff stand nur ein Buchstabe: „L". Er überlegte noch kurz, ob er sie einfach löschen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen und öffnete sie. Das, was nur einen Klick später auf seinem Bildschirm mit der Wucht eines Hammerschlags auftauchte, raubte ihm jedoch die Fassung! Es fühlte sich an, als habe ihm jemand Blei in die Glieder gegossen. Es erschien nur ein einziger Satz, geschrieben in großen roten Lettern. Atemlos starrte er auf die vier Worte, die ihn bösartig und herausfordernd anglotzten und leichenblass werden ließen. Jegliche Farbe verschwand aus seinem Gesicht, während er das Gefühl hatte, plötzlich könne sein Herzschlag aussetzen!

    Mein Gott! Das konnte nur ein schlechter Scherz sein! Wer sollte sich denn so etwas ausdenken? Unfähig, den Blick von den roten Lettern zu lösen, begann sein Gehirn im gleichen Moment, die Worte systematisch zu erfassen und ihnen einen Sinn zuzuordnen. Mit glasigen Augen starrte er bewegungslos und unfähig, überhaupt etwas zu tun, auf die vier unheilvollen Worte in grellroten Großbuchstaben:

    DU WIRST DAFÜR BEZAHLEN!

    Edward van Grothen war entsetzt!

    Es dauerte gefühlt eine kleine Ewigkeit, bis er nun wieder imstande war, sich zu bewegen und überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Seine Bürotür öffnete sich gerade einen Spalt weit und der rote Lockenkopf seines Kollegen Sven Keppler schob sich herein. Wie jeden Morgen hatte er sofort einen seiner überaus coolen Sprüche auf den Lippen.

    „Morgen, du Streber, schon wieder mal als erster bei der Arbeit? Dabei zeigte er sein breitestes Grinsen, dass sich jedoch zusammenfaltete, als er Edwards Gesicht erblickte, dass mit der perlweißen Wandfarbe des Büros gerade in heftigen Konkurrenzkampf getreten war. „He, was ist dir denn über die Leber gelaufen, Alter?, schob er sofort nach.

    „Ne, alles gut. Ist schon in Ordnung. Nur mal wieder Kopfschmerzen." Wie aus weiter Ferne vernahm Edward, wie seine Stimme wohl irgendetwas antwortete, ohne zu wissen, wer bei dieser Antwort die Regie übernommen hatte, während seine Hand fast schon unkontrolliert abwehrend in der Luft herumruderte. Dann sah er zu Sven, der immer noch ratlos im Türrahmen stand und besorgt dreiblickte.

    „Ist alles gut, Sven, wirklich. Ab und zu habe ich nun mal diese Schmerzattacken. Ist gleich wieder besser", erklärte er, um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen. Mit einem schnellen Klick hatte er die Nachricht geschlossen und beugte sich über die Post, um seinen Händen Bewegung zu verschaffen und wieder Kontrolle über sich zu bekommen.

    „Ok, Alter. Nimm‘ eine Tablette. Ich hole dich später auf einen Kaffee ab, alles klar?" Sven Keppler machte nicht gerade den Eindruck, als habe Edwards Antwort ihm als Erklärung genügt. Er zeigte immer noch ein besorgtes, ratloses Gesicht, wollte aber offenbar nicht weiter nachhaken. Nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte, atmete Edward erleichtert auf.

    Er sah auf die Auflistung der Mails auf seinem Bildschirm und klickte zögernd noch einmal auf die Mail mit dem Betreff „L", als hoffe er, dass nun dort etwas völlig anderes erscheinen würde und seine Sinne ihm nur einen üblen Streich gespielt hatten. Vielleicht nur eines jener Werbeangebote für Kopierpapier oder eine Kaffeemaschine. Oder für beides. Aber jede Hoffnung diesbezüglich wurde sofort im Keim erstickt, als erneut die vier düsteren Worte in großen roten Lettern auf dem Bildschirm erschienen und ihn böse anglotzten, als wollten sie ihn zu Tode erschrecken.

    DU WIRST DAFÜR BEZAHLEN!

    Verdammt, was hatte das alles zu bedeuten? Wer hatte ihm diese Nachricht geschickt? Wer kannte seinen firmeninternen Account? Er sah auf den einsamen Buchstaben „L oben in der Betreffzeile. „L wie Lena? War es etwa die Schlampe, die sich dazu entschlossen hatte, sich nun doch noch an ihm zu rächen? Für etwas, das er vor zwölf Jahren getan hatte? Mein Gott! Aber weshalb hätte sie damit zwölf Jahre warten sollen? Das alles machte doch überhaupt keinen Sinn!

    Edward van Grothen war verwirrt und beunruhigt.

    Weshalb hätte sie warten sollen …

    SEBASTIAN

    Dunkle Abgründe

    Das Motiv auf der Leinwand nahm Zug um Zug Gestalt an. Und mit jedem Pinselstrich entfernte es sich mehr und mehr aus dem hellen Licht hinunter in die düstere Finsternis der menschlichen Seele. Und nur das allein war es, was er in seinen Bildern zeigen wollte. Das sah er als seine Mission. Dem Betrachter den Weg zu weisen hinab zu den tiefsten Abgründen und dunkelsten Winkeln der menschlichen Natur, so wie er sie hatte erleben müssen – seit jenem Sommertag im Internat Waldenberg, der sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf gestellt hatte. Der Pinsel flog unaufhaltsam über die Leinwand, vermischte dunkle Farben und brachte Konturen und Gestalten hervor, von deren Existenz seine völlig entfesselte Fantasie nur aus seinen Albträumen wusste, weil sie ihn des nachts heimsuchten. Hier entstanden sie, die bösen Dämonen der Düsternis und Verdammnis – hier inmitten seines Ateliers.

    Bilder, die das Grauen zeigten …

    Die Dunkelheit der menschlichen Seele …

    So hatte er selbst es erfahren, am eigenen Körper erlebt, als er vor vielen Jahren, noch als Jugendlicher, auf diese schrecklichen Abgründe zugetrieben wurde. Dort hatte er sich stehen sehen, an der Bruchkante zum Nichts, zur völligen Dunkelheit, und hatte hinabgeblickt in den finsteren Schlund, in dem das Böse lauerte und wartete auf verlorene Seelen wie ihn. All das erreichte seinen Höhepunkt im plötzlichen und für alle äußerst rätselhaften Verschwinden von Lena, seiner Zwillingsschwester, die vier Minuten älter war als er. Dieses Erlebnis, diese Erschütterung in seinem Leben, das die Erdkruste seiner Psyche aufgerissen hatte wie ein Erdbeben, war so unerwartet über ihn gekommen, dass er keine Zeit mehr gefunden hatte, sich dagegen zu wappnen! Niemals war er auf eine solche Reaktion vorbereitet gewesen!

    Dieser eine Tag hatte sein ganzes Leben verändert …

    Sein ehrenwerter Vater, Alexander Artur von Wellnitz, der Spross eines alten verarmten Landadelgeschlechts, verachtete ihn dafür und hatte sich vollends von ihm abgewandt, von ihm, diesem kranken Hirn. Er war enttäuscht, begegnete ihm gar mit unübersehbarer Abscheu. Er hatte trotz allem noch gehofft, seinem einzig verbliebenen Sohn eines Tages doch die Firma übergeben zu können, die bekannt und angesehen war, die sich in halb Europa durch die professionelle Entsorgung von Giftmüll einen großen Namen gemacht und Millionenumsätze getätigt hatte. Doch diese stille Hoffnung konnte sein Vater schon bald begraben. Umso größer war die Verachtung seinem Sohn gegenüber, die er ihm auch offen zeigte.

    Jedoch hatte sein Vater ihn, Sebastian, schon immer für den unfähigeren der beiden Zwillinge gehalten. Lena, ja, Lena wäre die richtige gewesen, um die Firma zu übernehmen! Sie allein hätte die notwendige Zielstrebigkeit, Härte und Dominanz für diesen Posten, die erfolgreiche Führung des Unternehmens, mitgebracht, die dafür nötig gewesen wäre. Und vor allem die Rücksichtslosigkeit, ohne jeden Skrupel alle nur denkbaren Mittel einzusetzen, damit das Unternehmen Gewinne machte. Aber Lena war seit zwölf Jahren spurlos verschwunden, wahrscheinlich tot, wie sein Vater stets vermutete! Wäre sie noch am Leben, hätte sie sich mit Sicherheit gemeldet. Das sagte er immer. Jedenfalls wäre sie nicht einfach verschwunden aus Vaters Leben. Sie war doch sein Engel gewesen, sein Liebling von Anfang an. Sie allein hätte die Firma übernehmen sollen, so war es von seinem Vater vorgesehen und geplant gewesen, aber sicher nicht der verweichlichte, der flatterhafte und unfähige Taugenichts, für den er ihn, Sebastian, hielt! Ihn wollte er auf einem anderen Posten innerhalb der Firma unterbringen, auf dem er keinen Schaden hätte anrichten können und der ihm dennoch ein Auskommen gewährleistet hätte. Eine Art Gnadenbrot also! Danke, Vater! Aber wie du siehst, kannst du auf deine liebe Lena lange warten, dachte er mit einem bitteren und abfälligen Gesichtsausdruck, während sein Pinsel immer weiter und in schnellen Bewegungen über die Leinwand flog. Die Sonne, die sich heute nach langer Zeit mal wieder gezeigt hatte, schien noch kraftlos hinter seinem Rücken durch die hohen Fenster des Ateliers, näherte sich langsam, aber stetig dem Horizont, und dabei veränderte sich ihr Licht in einen winterlich kalten Rotton, der sich in den Wolkenschleiern der aufkommenden Dunkelheit verfing.

    Der Verlust seiner über alles geliebten Tochter Lena hatte diesen egoistischen und rücksichtslosen Altaristokraten, der doch nur sein Erzeuger war und nicht wirklich ein Vater, noch egoistischer und rücksichtsloser werden lassen, und das ließ Alexander die Familie mit jedem Tag aufs Neue spüren. Sein Streben nach Macht, Einfluss und Reichtum wurde zwar von seiner Ehefrau Josefina von Wellnitz, ebenfalls eine Tochter aus besserem Hause, von Beginn an geteilt, jedoch ging sie ihre eigenen Wege und verfolgte schon seit längerer Zeit andere Ziele. In den Augen seines verhassten Vaters war Mutter eine Schlange, hinterhältig, berechnend und intrigant, was ja auch stimmte, und sie unterstützte vorbehaltlos Sebastian, den hirnrissigen Nichtsnutz, wie er ihn immer zu nennen pflegte, wenn der Herr des Hauses mal wieder schlechte Laune hatte. Und die hatte Alexander von Wellnitz oft.

    Sebastian hatte schon von klein auf gespürt, dass sein Vater ihn von Grund auf verachtete und einen Schwächling in ihm sah. Umso mehr hatte er sich der Mutter zugewandt, die das alles mit ihrem mütterlichen Instinkt registriert hatte und ihn seitdem vor den üblen Launen seines Vaters beschützt hatte. Nicht er, Sebastian, hatte sich dazu entschlossen, die düsteren Abgründe seiner Seele aufzusuchen, sein Vater hatte sie schon für ihn gefunden und ihm bereits in frühen Jahren den Weg dorthin gewiesen!

    Gerade schienen die allerletzten schwachen Sonnenstrahlen des trüben Spätnachmittags auf die Leinwand. Bald würde es draußen schon wieder dunkel sein. Sein Werk war fertig! Hier in seinem Atelier fühlte er sich am wohlsten, geborgen und in Sicherheit, hier war sein Zuhause, sein ureigenes Reich, in dem er sich selbst sein konnte und sich ausleben durfte – in seinen Fantasien und seinen Bildern. Seine Mutter hatte ihn dazu gebracht und immer wieder ermutigt, genau das zu malen, was in ihm vorging und ihm vorgeschlagen, das Ergebnis seiner Arbeit bald in einer ihrer beiden Galerien zu präsentieren – zum unverhohlenen Ärgernis seines Vaters, der über dieses Vorhaben nur verächtlich den Kopf geschüttelt hatte. Doch in letzter Zeit war sie mehr und mehr erschüttert gewesen über das, was er dort auf die Leinwand brachte, und er spürte ihre Angst, dass ihr Sohn, den sie mit allen seinen Fehlern, Ängsten und Unzulänglichkeiten vorbehaltlos liebte, am Ende doch den Verstand verlieren könnte!

    Und so füllte er sein Leben, oder besser gesagt, den größten Teil seines Lebens damit, indem er die Düsternis und Verdammnis der menschlichen Seele auf Leinwand bannte, während der andere Teil in ihm insgeheim und im Verborgenen nach Genugtuung gegenüber seinem Vater suchte …

    Auf seine eigene Weise. Er würde diesem gottverdammten Mistkerl zeigen, zu was er fähig war! Und dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los und schürte in ihm nur noch mehr die Lust, sich auf irgendeine Weise zu rächen.

    Wer die Wut sät …

    Die tiefstehenden, blutroten Sonnenstrahlen verwandelten die düstere Szene in ein Abbild des Grauens, ein rotflammendes, böses Inferno, das in seiner Erinnerung den unheilvollen Höhepunkt an einem sommerlichen Sonntagnachmittag vor zwölf Jahren unten am dunklen Waldsee in der Nähe des Internats Waldenberg erreicht hatte …

    Und von diesem Tag an hatte er fast zwei Jahre lang kein einziges Wort mehr gesprochen!

    Fast zwei Jahre lang …

    JOSEFINA

    Korrupte Geschäfte

    Josefina von Wellnitz war eine hinterhältige, berechnende und auch intrigante Person. In dieser Hinsicht hatte ihr Mann Alexander gewiss recht. Aber sie war es erst geworden in den letzten Jahren ihrer kaputten und zerrütteten Ehe, die diesen Namen schon lange nicht mehr verdiente. Es war seine Art, mit ihr und Sebastian umzugehen, die sie dazu getrieben hatte, ihre weniger guten Charaktereigenschaften mehr und mehr in den Vordergrund zu stellen und bewusst einzusetzen, wenn sie es für nötig hielt. Und Josefina hatte gelernt, hart zu werden, denn ihr weicher Sohn war ohne ihre Härte und Zielstrebigkeit verloren. Sebastian allein hätte den ständigen gnadenlosen Attacken seines Vaters, der sich dieser Bezeichnung in keiner Weise als würdig erwies, nicht standhalten können. Ihr Sohn „Seb", wie ihn Josefina stets liebevoll nannte, wäre daran sicher zerbrochen. Deshalb hatte sie sich dazu entschlossen, sich schützend vor ihn zu stellen.

    Aber Josefina war auch eine starke Frau, die niemals auf das Geld ihres Ehemannes angewiesen war. Sie selbst kam aus einer recht wohlhabenden Familie und war von ihrem Elternhaus zur Eigenständigkeit erzogen worden. Und sie war mit ihren zweiundfünfzig Jahren eine auffallend gut aussehende Frau, schlank, dunkelhaarig, braune Augen und mit dunklem Teint. Man konnte sie gut für eine Südländerin halten. Sie war sich ihrer Erscheinung und ihrer Wirkung auf Männer sehr wohl bewusst.

    Heute Morgen hatte sie nicht gefrühstückt, nur schnell zwei Tassen Kaffee zur Zigarette. Dann war sie unter die Dusche gegangen und hatte sich angekleidet. Sie würde heute Morgen erst bei ihrem Notar vorbeifahren und die Unterschrift leisten und Seb später in seinem Atelier besuchen und nachsehen, wie es ihm ging. Ihr Mann Alexander war offensichtlich unten in seinem Arbeitszimmer, denn von dort vernahm sie Geräusche von Schubladen, die geöffnet und wieder geschlossen wurden. Nachdem sie mit ihrer Morgentoilette fertig und angekleidet war, wollte sie gerade ihren Mantel überziehen und ging die Treppe nach unten, als im Arbeitszimmer ihres Mannes das Telefon läutete. Sie blieb, einem inneren Instinkt folgend, auf halber Höhe stehen und lauschte. Die Tür war nur angelehnt, was sonst nie der Fall war. Alexander war darauf bedacht, sie bei seinen Geschäften außen vor zu lassen, weshalb auch immer. Deshalb hatte sie schon den Verdacht gehegt, dass in der Firma nicht immer alles mit rechten Dingen zuging. Und nun, als sie sehr deutlich hören konnte, was dort in seinem Arbeitszimmer gesprochen wurde, blieb sie misstrauisch stehen und lauschte. In den letzten Tagen hatte sie etwas von einem merkwürdigen Geschäft mitbekommen, dass Alexander mit einem seiner Abnehmer in Rumänien forciert hatte. Doch irgendetwas schien hier nicht ganz sauber zu sein. Alexander sprach zwar leise, doch andererseits auch wieder laut genug, sodass sie ihn trotz allem gut verstehen konnte. Offenbar nahm er an, sie sei noch im Obergeschoss und würde von dem Telefonat nichts

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