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Das bunte Buch: Erzählungen und Gedichte
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eBook432 Seiten4 Stunden

Das bunte Buch: Erzählungen und Gedichte

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Über dieses E-Book

Theodor Andresen (1894-1949) verfasste neben Schilderungen aus seiner Familie Kurzgeschichten, Reiseberichte, Reflexionen, Märchen und Gedichte, die einen zeitlichen Bogen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er Jahre umfassen. In diesen kommen die gesellschaftlichen Umbrüche zwischen der Kaiserzeit, dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik teilweise zum Tragen. Von den Nöten eines jungen Flensburger Kaufmanns, dem Erlebnis der Eisenbahn, Schulstreichen in der Kaiserzeit, Kriegsbriefen, Landschafts- und Reiseschilderungen bis hin zu Kurzgeschichten mit sozialem Hintergrund reicht die inhaltliche Spannbreite.

In der Reihe "Schriften aus dem Familienarchiv Andresen" sind bei tredition bereits mehrere Bücher erschienen, die von seinem Enkel Dirk Meier herausgegeben werden. Dieser stellte für dieses Buch die Erzählungen neu zusammen und bereicherte sie mit Illustrationen, die größtenteils von Theodor Andresen stammen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Apr. 2020
ISBN9783347044913
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    Buchvorschau

    Das bunte Buch - Dirk Meier

    VORBEMERKUNGEN

    von Dirk Meier

    Theodor Andresen (1894-1949). Foto: Archiv Andresen

    Im Familienarchiv Andresen befinden sich mehrere Erzählungen meines Großvaters Theodor Andresen, der 1894 in Ulsnis an der Schlei geboren wurde und 1949 in Flensburg verstarb. Die für dieses Buch aus der Reihe „Schriften aus dem Familienarchiv Andresen zusammengestellten Erzählungen, Reflexionen, Märchen und Gedichte stammen aus seinen Manuskripten „Das bunte Buch von 1929, „Das Buch Allerlei von 1929 und „Aus meinem Familienarchiv. In der Einleitung „Das Bunte Buch" schrieb er:

    „Dieses Buch hat schon, ehe darin geschrieben wird, eine besondere Geschichte vor sich, ich meine nicht die seiner Entstehung in der Buchbinderei – das wäre keine besondere Geschichte, da jedes Buch diesen Weg macht, nein, es handelt sich hier um ganz etwas anderes und das ging so zu:

    Gekauft wurde dieses Buch von dem Lehrer a.D. Franz Andresen zu Flensburg im großen Jahre des Kriegsausbruchs [1914] zu dem Zweck, später darin die Kriegserlebnisse seines bereits seit Kriegsbeginn im Felde stehenden ältesten Sohnes, des Leutnants der Reserve beim Infanterie-Regt. von Manstein No. 84 Nikolaus Andresen, aufzuschreiben.

    Der, für den dies Buch erworben worden war, fand schon im September 1915 vor dem Feinde den Tod und liegt tief drinnen im Polenlande im schwarzen Erdreich begraben. Der Vater fand nicht mehr die Kraft, seinen tiefen Schmerz, über diesen Verlust zu überwinden, um dem Sohn durch dieses Buch ein Denkmal aufzurichten. Nur der jüngste Sohn, der Schreiber dieses, wollte diesem schönen Buch damals die Weihe geben und entwarf und zeichnete jenes Lied hinein, das man auf dem zweiten Blatt findet.

    Darauf wurde das Buch vom Vater sorgsam verschlossen gehalten. Sollte er vielleicht doch daran gedacht haben, einmal, wenn die Stunde es ihnen eingab, die schönen weißen Blätter mit seiner sauberen Handschrift zu füllen? Wer kann das sagen, denn nun deckt auch ihn die Mutter Erde und niemals mehr wird er seine Hand auf diese Blätter legen.

    Nun aber bin ich geblieben, und ich wage es, dieses Buch zu beginnen. Aber es soll nicht von dem furchtbaren Ernst des Krieges erzählen, der nun vorüber – nein, eher soll es von den Früchten des Friedens reden, von Menschenleben, von seinen frohen und ernsten Stunden, von der Liebe soll es künden, die durch die Welt zieht und wie ein ewiger Frühling, von der Jugend, die keine Sorgen kennt, von der Gegenwart, die große Hoffnungen in sich trägt, von allem Schönen und Großen, das hier auf Erden ist, nur nicht vom Krieg, denn sein Name erfüllt meine Seele mit Hass – und hier ist kein Raum für den Hass, sondern nur für die Liebe.

    Das bunte Buch hab ich es genannt. Bunt soll es sein wie das Leben, das da in vollen Farben schimmert, wenn man es genau betrachtet. Das heißt nicht, dass es ein lustiges Buch sein soll und zum oberflächlichen Vergnügen geschrieben sei, nein ein buntes, ein frohes Buch – und wer es liest, der muss es recht verstehen. O, ich weiß es wohl, so ist es auch im Sinne meines toten Bruders geschrieben, der auch den Krieg hasste vom ersten Kanonenschuss an.

    Wie war es doch, als ihn kurz nach Kriegsausbruch einen Brief ins Feld schickte, in dem ich von meinen Wanderfahrten durch die herrliche Natur schrieb – schrieb er da nicht: das war der erste schöne Brief, den ich hier draußen erhielt, kein Wort vom Krieg fand ich darin, alles nur von der Heimat, von der schönen Heimat mit den grünen Wäldern und den goldenen Feldern, mit dem blauen Wasser und dem herrlichen Himmel, unter dem die weißen Wolken so selig, so friedlich dahinziehen.

    Wohlan, mein buntes Buch!"

    Theodor Andresen hasste den Krieg und fand daher erst in den 1930er Jahren die Kraft, seine Kriegserlebnisse als auch die seines älteren Bruders Nikoloaus Andresen niederzuschreiben als Mahnung für die nachfolgenden Generationen.

    „Das bunte Buch und „Das Buch Allerlei beinhalten neben eigenen Erlebnissen und Reiseschilderungen auch Geschichten über „Sonderlinge. Wie schrieb er doch im „Buch Allerlei 1929:

    „Wenn es mich immer wieder auf Neue treibt, über Sonderlinge zu schreiben, so ist das in meiner Art begründet, auf den Boden ihres Wesens zu gelangen, um daraus eine Erklärung ihr gewissen Eigenart zu finden. Dabei gewinne ich mehr und mehr die Erkenntnis, dass es eigentlich normale Menschen nicht gibt – dieses Adjektiv so verstanden, dass es eine Norm nicht gibt, worauf man einen Menschen in heutiger Zeit gern einzuzwängen sich bemüht. Jeder Mensch ist eben ein Sonderling – ein Besonderer – ein Individuum, dass es in der Wiederholung nicht gibt."

    Der Blick von Theodor Andresen auf die Welt war im höchsten Maße individualistisch, er zeichnete, dichtete und reflektierte, so schrieb er einleitend im „Buch Allerlei":

    „Der Boden, aus dem die üppige Pflanze Phantasie emporwächst, ist das Erlebnis."

    AUS DEM FAMILIENARCHIV ANDRESEN

    Die alte taube Tante¹

    Wees um 1864

    Im einsamen hinteren Winkel meines Heimatdorfes, abseits der dörflichen Hauptstraße, lag in meinen Knabenjahren eine verfallene strohbedeckte Hütte, hinter ihr hohe Eichenbäume, neben ihr ein ziemlich großer Dorfteich.

    Das kleine altersschwache Häuschen hatte in der Vorderfront eine schmale durchsägte Eingangstür wie sie die Stellungen zu der Zeit hatten, an jeder Seite ein kleines Fenster mit bleigefassten Scheiben. Der kleine Vorflur, nur so groß, dass man sich eben darin wenden konnte, war mit rohen Feldsteinen gepflastert, rechts führte eine Tür, die stets verschlossen, in das Stübchen der alten Tante.

    Ein kleiner Raum, 3 Schritte breit und 4 Schritte tief, mit höchst einfachem Tisch und einem Lehnstuhl, dessen Sitz aus Strohseilen geflochten, ein Kleiderschrank, ein Holzschemel und ein alter wackeliger Ofen – das war das ganze Haus – und Stubengerüst, wenn man nicht hinzuzählen wollte das hinter und neben dem Ofen verstaute Leseholz und in den in der Ecke nebenan stehenden Holzklotz, auf dem das vom Walde heimgetragene Brennholz zerkleinert wurde.

    Doch, halt, eines darf ich in der Zimmerausrüstung der guten Alten beileibe nicht vergessen, war es doch ihr Zeitvertreib und ihr Sorgenbrecher, ihr Trostspender in den frühen Stunden ihres einsamen Daseins, ihr Rettungsanker in ihrer Weltflucht und Menschenscheu, nämlich ihr Spinnrad. Daran konnte sie Stunden und Tage sitzen, um das Rad zu drehen, die Finger zu bewegen, den Faden unablässig und unverdrossen auf die Spule laufen zu lassen, wenn ihr die Welt, die Nachbarn, die Verwandten zuwider geworden waren, wenn grillenhafte und schrullenartige Angst, wenn unbesiegbarer Weltschmerz, oft verstärkt durch Zorn und Hass gegen einzelne Mitmenschen, ihre im Grunde gut geartete Seele erfüllte. In solchen stillen Spinnstunden konnte zu Zeiten ein Murmeln, ein kräftiges Wort, ja sogar eine zornerfüllte Drohung ihren meist schief aufeinander gepressten Lippen entfahren, so dass die Katze, die bisweilen in ihrem Fenster saß, erschreckt nach der Türe sprang, um hinausgelassen zu werden.

    So hat die alte taube Tante Jahre gesponnen und ihre Spulen, eine nach der anderen, mit feinem Garn gefüllt, während ihre Grillen und ihre Wunderlichkeiten sich gleichfalls häuften und je länger ihr Lebensfaden weiterspann, desto einsamer, stiller und trüber wurde es in ihrem Stübchen und in ihrem sonderlichen Kopfe und abgestorbenen Herzen. Ich sehe noch den faustgroßen Stein auf ihrer Fensterbank, der allzeit dort bereit lag, wenn gemäß ihrer Einbildung der Feind in irgendeiner Menschengestalt ihr Böses tun wollte. So hatte sie eine lange Zeit hindurch auf einen an ihrer Hütte vorbeifahrenden Knecht einen unauslöschlichen Groll geworfen, nur weil der Knecht ihr mehrfach ans Fenster gespuckt und mit seiner Peitsche eine unschuldige Bewegung gemacht hatte. Die Alte war aber der festen Überzeugung, er wolle ihr irgendein böses Werk antun, weshalb sie schimpfte und wetterte, sobald sie seiner ansichtig wurde. Nicht besser erging es manchen unter den Verwandten, auf die sie zeitweise einen Groll warf, über dessen Ursachen erstere allemal im Unklaren bleiben mussten. Die Deutungsvorgänge der Alten waren nicht immer in der richtigen Spur, sie überschlugen sich an gewissen Ecken und Kanten, wie der Faden an ihrer Spule hakten sie unter gewissen Umständen aus und schlugen dann allerhand Purzelbäume, bis sie hernach, wie der Spinnfaden wieder angehakt, den vorgeschriebenen Weg laufen konnten.

    Oftmals bin ich von meiner Mutter zu der tauben Tante Katrin geschickt worden, irgendeine Botschaft, eine Gabe zu überbringen. Weil ihre Tür Tag und Nach verschlossen war und der Ruf der Stimme nicht zu ihr dringen konnte, so mussten andere Ausdrucksmittel angewandt werden. Wir Kinder stellten uns vor das Fenster, verdeckten einige Scheiben, damit die Verdunkelung des Zimmers unsere Anwesenheit kundgab. Dann öffnete sie die Türe, das heißt, wenn sie wollte. Es konnte aber auch vorkommen, dass sie uns überhaupt nicht einließ und wir unverrichteter Sache umkehren mussten. Sehr häufig trafen wie sie auch nicht daheim, denn sie streifte gern in Feld und Wald umher, um Holz zu sammeln, Beeren zu lesen, bei krankem Vieh zu helfen, im Garten Hilfsdienste zu leisten und dergleichen.

    Kam man in die Stube, wurde mit Kreide auf den Tisch geschrieben, was man zu bestellen hatte. Meistens ging sie dann auch an ihren Schrank, holte eine Zwieback heraus, bestrich ihn mit Sirup und reichte ihn uns hin. War sie in guter Laune, so war sie gegen uns Kinder sehr gesprächig und wir lernten in der Weile durch Mundstellung und Zeichensprache uns mit ihr verständlich zu machen. Sehr lautes Sprechen konnte auch zu Zeiten als Verständigungsmittel benutzt werden.

    So ist mir die alte taube Tante Katrin in Erinnerung geblieben.

    Munkbrarup Mühle. Federzeichnung von Theodor Andresen

    „Kalt ist´s und Stürme sausen für und für,

    O, Herr Direktor! Bitte eine Tür!"

    Die Flensburger-Kreisbahn

    Aus den Tagebüchern von Fritz Andresen

    (1860-1888) zur Eröffnung²

    Die Flensburger-Kreisbahn war ein Eigenbetrieb des früheren Landkreises Flensburg, welche das zwischen der Flensburger Förde und der Schlei liegende Angeln erschloss, die seit 1881 die Staatsbahn von Flensburg nach Kiel durchzog. Nach dem Vorbild dieser Kreisbahn entstanden bald weitere lokale Bahnen im ländlichen Nordschleswig. Der Flensburger Eisenbahnfachmann Emil Hironymus Kuhrt hatte beim Kreis Flensburg noch vor dem Erlass des Preußischen Kleinbahngesetzes von 1892 den Auftrag für sein Konzept eines billigen Baus und Betriebs einer Kleinbahn anstelle einer Chaussee erhalten. Die erste Strecke führte parallel zur Flensburger Förde ab dem 20. August 1885 bis nach Glücksburg und ab dem 1. Juli 1886 weiter über Dollerup und Rundhof zur Hafenstadt Kappeln an der Schlei, wo sie später auf die Kreisbahnen von Schleswig und Eckernförde traf.

    Die Flensburger Kreisbahn galt als die erste ihrer Art. Ihr Planer Kuhrt wollte mit wenig materiellem Aufwand möglichst viele Menschen an die Bahn anschließen. Die ursprünglich als Nebenbahn konzessionierte Strecke wurde 1901 mit dem Bau der zweiten Strecke als Kreisbahn nach dem Kleinbahngesetz genehmigt. Die erste Strecke hatte ihren Endbahnhof im damaligen Staatsbahnhof, die Kiel-Eckernförder-Flensburger-Eisenbahngesellschaft und die Stadt Flensburg andere Standorte ablehnten, während die Königlich Preußische Direktion Altona ihre Anlage zur Mitbenutzung anbot, was aufwendige Kreuzsicherungstechniken erforderte, bevor dann 1901 der Endpunkt in einen eigenen Kreisbahnhof am Hafendamm verlegt wurde. Die zweite Strecke verlief ab 1901 von Flensburg nach Satrup, wo man seit 1904 in die Kreisbahn nach Schleswig umsteigen konnte. Da diese Erweiterung jedoch große Defizit einfuhr, wurde diese nach dem Erlass des Reichsinnenministeriums ein Jahr zuvor 1936 stillgelegt. Gerichtlich machte jedoch der Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein die Schäden auf den schlechten Straßen geltend, weshalb der Betrieb am 1. Juli 1937 wieder aufgenommen wurde, bevor am 31. Oktober 1938 die Stilllegung von der Strecke von Flensburg über Satrup nach Rundhof erfolgte.

    Hingegen übertraf die Strecke von Flensburg nach Glücksburg alle Erwartungen. 1925 versuchte man sogar deren Gemeinschaftsbetrieb mit der Straßenbahn bis nach Glücksburg von wo aus nun die Kreisbahnzüge nach Kappeln begannen. Dies war jedoch nicht erfolgreich, sodass der Gemeinschaftsbetrieb mit der Straßenbahn 1934 endete.

    In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1947 brachten Hamsterfahrten und eine infolge der Flüchtlinge gestiegene Bevölkerung nochmals ein erhöhtes Verkehrsaufkommen von 382.904 Personen (1939) auf 675.416 Personen (1947). Dennoch gab es Verluste, zumal seit 1951 mit der schon 1937 geplanten Nordstraße begonnen wurde. Entsprechend dem Fortschritt der Straße wurde die Kreisbahn in Abschnitten von Kappeln bis Flensburg von 1952 bis 1953 stillgelegt und die Gleise entfernt.

    Als Lokomotiven verkehrten auf der Bahn, die auf einer Länge von 37,5 km neben Straßen führte, aus Sicherheitsgründen solche mit verkleideten Triebwerken (Kastenloks), die etwa 20 km schnell fuhren. Die 1902, 1925, 1926, 1927 und 1929 neu angeschafften Lokomotiven und Triebzüge erreichten Geschwindigkeiten von bis zu 40 km. Die ersten 1885 bis 1895 angeschafften Lokomotiven Nr. 1-7 Flensburg, Glücksburg, Gelting, Kappeln, Steinberg, Rundhof und Langballig von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) hergestellt worden.³

    Über die ersten Fahrten dieser Kreisbahn berichtet der Flensburger Kaufmanns Fritz Andresen in seinen Tagebüchern 1885 und 1886:

    Freitag, den 21. August 1885

    Die Strecke Flensburg – Glücksburg der Spurbahn wurde gestern eröffnet. Der hiesige provisorischer Bahnhof befindet sich noch auf dem Hafendamm. Hoffentlich wird er in nächster Zeit nach der Stadt hineinverlegt. Abends war ich mit M. dort hinaus und genehmigten uns 2 Bier in der luftigen, nur aus Brettern zusammengeschlagenen „Wartehalle". Rejem hat die Wirtschaft dort.

    Sonntag, den 23. August 1885

    … Um drei Uhr nach dem Bahnhof, um zum ersten Male mit der Spurbahn nach Wees zu fahren. Eine solche Menschenmenge, die dort mit wollte, daß der Zug bei weitem nicht die Hälfte aufnehmen konnte, trotzdem noch zwei Güterwagen eingestellt wurden. Ich bezahlte für die Fahrt nichts, mir verlangte kein Mensch etwas ab. In Wees war Mutter wieder eingetroffen. Mit den Harrisleeern über Weesries und Maasbüll zurück. Dieser Weg wurde gewählt, weil die Pferde heute morgen vor dem Zug gescheut hatten.

    Sonntag, den 15. November 1885

    … und wanderte nach dem hochgelegenen Bahnhof Wees. Eine Laterne mit einer auf dessen Pfahl genagelter Tafel, darauf steht: „Station Wees ist bis jetzt noch der ganze Bahnhof. Von etwaigen Baulichkeiten keine Rede. Hier so eine halbe Stunde in der Freiheit bei schneidender Kälte herum zu wandern, macht nicht viel Spaß. Man könnte den Weg nach Flensburg in derselben Zeit zu Fuß zurücklegen, aber dann geht einem ja das Vergnügen verloren „mit der Spurbahn zu fahren – und das sagt was. Jetzt kann man schon mit ihr fahren, ohne sein Leben zu riskieren, sie entgleist nicht mehr und schmeißt auch nicht mehr um, auch bleibt sie nicht mehr stehen, wenn sie einen Berg hinauf muß, sie hat sich ganz gewaltig gebessert. Die einzige unheimliche Stelle ist der Übergang über die Kiel – Flensburger Bahn in der Jürgensbyer Schlucht.

    Sonntag, den 21. März 1886

    … in Anbetracht dessen, dass ich vor 14 Tagen in dem Weeser Bahnhofs-Hundehaus so kläglich gefroren hatte, während ich eine 1/2 Stunde auf den Zug warten musste, schrieb ich auf die Bretterwand:

    „Kalt ist´s und Stürme sausen für und für,

    O, Herr Direktor! Bitte eine Tür!"

    Abends nach hier zurückgekehrt, blieb ich zu Hause, meine Gasse ist ja so flau!

    Mit dem Frühlingsanfang ist Tauwetter eingetreten und zwar recht gründlich. Es hat die letzte Nacht furchtbar geregnet. Nun muss der Winter mit seinem vielen Eis und Schnee doch wohl endlich Valet sagen.

    „Tante Maaß"⁴ schreibt in ihrer heutigen Nummer:

    Wer nur den lieben Gott lässt walten – und hat nichts –

    Und hoffet auf ihn allezeit – und kriegt nichts –

    Von nun an bis in Ewigkeit – das kostet nichts

    Alter Damm der Kreisbahn bei Rüde. Bleistiftkizze von Theodor Andresen 22.4.1934

    „Man kann eine sehr oberflächliche Bildung und

    doch einen recht gründlichen Kater haben!"

    Onkel Fritz schreibt in seinen Tagebüchern⁵

    Flensburg, den 19.2.1884

    Voriges Jahr, also 1883 im Januar habe ich mit Mutter zum Schweinefest folgenden Contract gemacht: Nach sechs Jahren, also im Januar 1889, darf ich mich verloben, darf ich eine Braut haben. Habe ich alsdann noch keine, so gibt sie eine Bowle Punsch zum Besten, bin ich aber dann verlobt, so muss ich eine Bowle ausgeben. Kann ich nicht warten? Nun, bis jetzt habe noch keine Aussichten.

    Flensburg, den 10.4.1884

    Wieviel mir als Gesellschafter abgeht, vermisse ich schmerzlich jedesmal, wenn ich mit Leuten in Berührung komme und wie ist nicht ein Kaufmann dessen bedürftig. Ich befürchte leider aus diesem und aus anderen Gründen, dass ich es in meinem Beruf nicht weit bringen werde. Die Fähigkeiten der Lust und Liebe zum Geschäft fehlen mir gänzlich. Wäre ich einige Jahre jünger, ich würde den ganzen Schacher an den Nagel hängen.

    Fritz Andresen. Federzeichnung von Theodor Andresen

    Flensburg, den. 16.1.1885

    Man kann eine sehr oberflächliche Bildung und doch einen recht gründlichen Kater haben! – Ich wollte, dass es umgekehrt der Fall wäre. Bei mir ist der Kater heute von sehr „vermischter" Natur, aber man sagt ja, je mehr zusammengesetzt eine Speise ist, je schwerer ist sie zu verdauen. Dieses läßt sich vielleicht auch auf meinen Kater anwenden.

    Flensburg, den 23.1.1885

    Nielsen brachte mir unseren Sorgenstuhl wieder. Kann also mein sorgenschweres und gedankenreiches (leeres) und weises (weißes) Haupt aufs Neue noch betten. Er meinte, als wir dieses Thema berührten, es sei mit 25 Jahren noch zeitig genug, sich zu verloben, wenn keine Verhältnisse vorliegen, z.B. Errichtung eines eigenen Geschäfts, die einen gewissermaßen dazu zwingen. Also – warten Fritze! Du bist dazu auch noch viel zu dumm und unerfahren. Ja, mit 25 Jahren noch sooo dumm. – Und worauf beruht meine Dummheit? Größtenteils auf meine Trägheit und Bequemlichkeit. Ich könnte viel mehr lernen, wenn ich nur einen stärkeren Willen, mehr Selbstbeherrschung hätte. Später werde ich nur einen stärkeren Willen, mehr Selbstbeherrschung hätte. Später werde ich mir sagen müssen, du hast nicht gewollt. Was Fritzchen nicht lernt, lernt Fritze nicht mehr und Fritz nimmermehr. – Ja, es ist traurig.

    Flensburg, den 27.1.1885

    …von Mutter ein Ermahnungsschreiben erhalten, worin es heißt, „der Sonntag ist nicht für Vergnügungen da." Sie hat sehr recht, aber mit 25 Jahren denkt man eben etwas anders als in einem Alter von 65. Abends zum Schlittschuhlaufen auf dem Mühlenteich.⁶

    Wees, den 8.2.1885

    … Gegen Abend wurde die Unterhaltung zwischen Mutter und mir etwas lebhafter. Manche Begebenheiten aus alten Zeiten und damaligen Verhältnissen wurden von Mutter erzählt. So z.B. daß Großvater den Besitz, als er denselben an Vater 1846 habe abtreten müssen, indem er erklärte, sich nicht mehr habe da hindurchsehen zu können.⁷ Die Gebäude sollen damals gänzlich verfallen gewesen sein, so daß Vater sie eine Räuberhöhle genannt hat, die Felder ausgesogen und verarmt, das Vieh abgemagert, fast kein Saatkorn vorhanden usw. Überall Verfall und größte Unordnung. Dabei hatte Großvater nur eine Schuldenlast von 600 Talern.

    Flensburg, den 8.2.1885

    … M. ist der liebenswürdige, galante, aufmerksame Eroberer, ich der kalte, zurückhaltende, dumme, tölpische Bauer. Er rühmt sich damit, noch nie einen Korb erhalten zu haben und glaubt auch wie mit dieser Ware in Zukunft beglückt zu werden. Ich? – ach du lieber Himmel, im Durchschnitt 50%. – Doch da schadet nichts für die, die ich weg habe, aber die sorgenschwere Zukunft!

    Flensburg, den 2.2.1885

    … Ich komme zu dem Schluß: Warten, tüchtig vorwärts arbeiten, um das Ziel zu erreichen. Das ist meine Aufgabe. Ach, das leidige Wort: Warten! Wie hart, daß man nicht kann so als man möchte. Petersens Hund trinkt mit großer Vorliebe Grog, sogar aus einem Glase. – Wir auch!

    Flensburg, den 16.4.1885

    Einen neuen Steuerzettel, lautend auf M 16,80 erhalten. Ja, Flensburg ist doch schön! Hier ist´s gut sein, hier lasset uns „Bütten bauen".

    Es ist bestimmt vom Magistrat,

    daß man von allem, was man hat,

    muß steuern!

    Wiewohl doch nichts im Lauf der Welt,

    dem Menschen nichts so schwer fällt.

    Als steuern, ja steuern!

    O je, o je! Fritze, was hast du da nun wieder gemacht, was hast du dir „Einen gekostet. Ein so großer ist in dem letzten Jahre nicht vorgekommen! Soll dieser Streich auch verzeichnet werden? Soll ich denselben nicht in das Meer der Vergessenheit versenken? – Nein! Das Sündenregister muß vollständig sein, also auch dieser Brummer muß hier mit hinein. Der Stoff, der Stoff und verfl. Liebe! Jugend hat keine Tugend! Es geht los. – … Mir ging es aber gut mit meiner Kanone, ich fand die Pforte offen und traf den Alten nicht. Hätte er mich gesehen! Ich würde gewiß 10 Fuß in seiner Achtung gesunken sein. Erst auf meiner Bude angelangt, merkte ich recht, was die Glocke geschlagen hatte. Ja, der war doch zu groß, der stieß und wurde ungemütlich. Beim Zumachen der hintersten Pforte machte ich einen „interessanten Fall. Ob dies nun ein Reinfall, ein Rückfall oder ein Fußfall gewesen ist – das will ich denn noch nicht verraten, auf alle Fälle war es aber ein „Fall"! Außerdem versuchte ich, in der Pforte den Kalk von der Wand zu scheuern und zwar mit meinem Überzieher⁸, zuerst mit dem Rücken und als dieser gehörig eingeweißt war, mit der Vorderseite. Darauf gings in die Klappe, mußt jedoch zuvor mal die oberste Luke öffnen. – Wie sie so sanft ruhn! – Es ist doch eigentlich ein großer Unsinn, sich einen Solchen zu kaufen, zumal wenn man keine Zeit hat, ihn in genügender Weise genießen zu können. Ihn zu fabrizieren, blieb uns nur eine Stunde Zeit übrig und wie er fertig zum Aufgießen war, mussten wir nach Hause. Wir hatten ja das Vergnügen, ihn entstehen zu sehen, der Hauptspaß, ihn in seiner vollendeten Schönheit zu bewundern und zu genießen, ging uns flöten. – 31.5.1885

    Wees, den 9.8.1885

    … Vormittags eine Tour nach unserem gewesenen, jetzt weggeschlagenen und mit Buchweizen besäten Wald. Dann nach der Wiese und dem Norderholz. Ein riesiger, „haushoher" Damm ist hier aufgeworfen für die nun bald bis Glücksburg in Betrieb kommende Spurbahn. Nachmittags mit der ganzen Gesellschaft über Kielstoft und durch die Kriegleistraße nach dem Tweedter Gehölz.

    Wees, den 13.8.1885

    Hilfreiche Dienste beim Backen geleistet. Meine Fähigkeiten als „Detaillist gezeigt. Kuchen gemacht! Schiefe viereckige nach „Maß mit einem Meterlineal und runde mit einem „leeren" umgekehrten Grogglas.

    Wees, den 14.8.1885

    Auf Schwester Marias Antrag bemerke ich hier, daß von ihr Zurechtweisungen erhielt wegen der Regelmäßigkeit beim Wäscheaufhängen. Ein jedes „Sortiment" hängt für sich, zwischen zwei Hemden darf z.B. kein Taschentuch hängen u. dergl.

    Flensburg, den 25.8.1885

    Ach, wenn das Geld doch nicht so rund wäre! – Fritze, du musst dir wieder mal ernstlich vornehmen, zu sparen! – Wo sind die zuletzt erhaltenen 100 M. geblieben? – Dies zu untersuchen, war heute meine Arbeit. Ja, wo sie geblieben, das fand ich heraus, aber damit hatte ich sie nur nicht wieder. Schlechte Zeiten! – Abends im „Anker" reingefallen. Dem Mutigen gehört die Welt, aber man muss sein Schicksal auch nicht trotzig herausfordern.

    Flensburg, den 4.9.1885

    Wieder ins Geschäft zurückgekehrt. Wie öde und trostlos sieht der Hof mit seinen einschließenden Mauern aus, wie eng ist mir beides, meine Bude und das Komptoir. Die acht Tage der Freiheit mit ihren grünen Fluren, dem schattigen, Friede und Ruhe atmenden Walde liegen jetzt in der Vergangenheit. Ein wenig gemütvoll gedenkt man der Zeit des schönen Schinkens und der schönen Milch. Doch ich bringe wieder meinen alten Vers zur Anwendung: Glücklich ist, wer vergißt – Ging über Duburg an dem alten Kirchhof vorbei heim. Kurz vor Mitternacht an geweihter Stätte tiefes Schweigen, nicht der geringste Hauch bewegte das Laub der Trauerweiden, der volle Mond stand hoch am Firmament! – Mir wurde es seltsam zu Mut:

    Warte nur, bald ruhest du auch!

    Flensburg, den 1.11.1885

    Denkt man nun aber drei Jahre vorwärts – das ist ein unabsehbares Ende! Wie sollte man doch wohl sein? Vielleicht ist man dann schon zur großen Armee gegangen – vielleicht hat man schon Frau und Kinder – oder vielleicht ist man geblieben was man ist, ein Junggeselle in des Wortes strengster Bedeutung.

    Meine Äußerungen gelegentlich meines letzten Besuchs in Wees mögen wohl dazu Anlaß gegeben haben, daß es zwischen Mutter und mir zu einem ernsten Gespräch kam über meine Zukunft – was die Hauptsache war, wegen meiner Verheiratung. Vielleicht hat Mutter einen Vogel singen hören und will nun noch, eher ich einen ersten Schritt tue, mir ins Gewissen reden. Daß sie wünscht, ich möge eine Frau nehmen, die nicht mit ganz leeren Händen kommt, kann ich ihr nicht verargen. Denn so sind die Alten ja immer, kann dies jedoch nicht sein, so sind es billige und gerechte Forderungen, die so meiner Zukünftigen fordert: 1. muß sie einen häuslichen Sinn haben und im Stande sein, eine Haushaltung sparsam zu führen. 2. muß sie in Handarbeiten genügende Kenntnisse besitzen und 3. sagt Mutter: nimm dir keine, welche die Religion und die Bibel verachtet, eine solche Wahl würdest du bereuen, kann dir keinen Segen bringen, denn, kommen schwere Stunden – und sie bleiben nicht aus – so können und müssen wir dort unseren Trost suchen! – Daß ich darauf bemerkte, die Hauptsache sei die „Harmonie der Seelen" und weiter ein verträglicher Sinn, ließ sie gelten. Sie erzählte mir aus ihrer Jugend, führte Beispiele an, die Warnungen für mich enthielten und wurde dabei so eindringlich und aufgeregt, daß ihr mehrmals die hellen Tränen über die Wangen liefen. – Jetzt sitze ich hier eine volle Stunde auf einem Fleck und habe Mutters Worte mir noch einmal gehörig durch den Kopf gehen lassen. Ich muß ihr in allem, was sie mir gesagt hat, recht geben. Sie hat auch eine Braut für mich, dieselbe, die C. in T. mir zugedacht hat. Könnte gut passen, aber – !

    Unter der gesondert auf einem Blatt gezeichneten Jahreszahl 1888 – das Jahr seines Todes – hat der Schreiber, von einem Kalenderblatt abgeschnitten, folgendes Zitat von Goethe eingeklebt:

    Der Mensch erfährt, er sei auch, wer er mag,

    ein letztes Glück am letzten Tag. –

    Flensburg, den 1.1.1888

    Mein erster Gang in neuem Jahr war nach der

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