Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die kleine Pension in Lobster Bay
Die kleine Pension in Lobster Bay
Die kleine Pension in Lobster Bay
eBook339 Seiten4 Stunden

Die kleine Pension in Lobster Bay

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Als Emma sieht, dass die alte Pension im schottischen Lobster Bay zum Verkauf steht, weiß sie, dass sie den perfekten Zufluchtsort am Meer gefunden hat, den sie braucht, um sich von einem kürzlichen Trauma zu erholen. Doch kaum hält Emma die Schlüssel in der Hand, droht ihr Traum von einer erfolgreichen Pension bereits zu zerplatzen ...
Emma hat einen Monat Zeit, um das Haus fertig zu stellen, bevor ihre Gäste eintreffen – eine Aufgabe, die durch die Entdeckung erschwert wird, dass sie versehentlich einen riesigen, unmöglich zu bändigenden Hund mit erworben hat. Und dann ist da noch der abweisende Nachbar Aidan, den Emma notgedrungen um Hilfe bittet. Während Emma und Aidan zusammenarbeiten, kommen sie sich näher – doch dann muss Aidan abreisen und Emma allein weitermachen.
Im Laufe des Sommers sieht Emma sich mit unvorhergesehenen Problemen konfrontiert und schließt neue Freundschaften – und so ganz nebenbei muss sie auch noch irgendwie ihr Geschäft über Wasser halten. Ins idyllische Lobster Bay verliebt sie sich im Handumdrehen, aber hat sie sich am Ende auch in Aidan verliebt?
---
"Dieses Buch ist so mitreißend und herzerwärmend, dass ich mir wünschte, ich könnte selbst in Emmas Pension einchecken!" - Sue Moorcroft
"Eine wunderbare, bezaubernde Geschichte über Freundschaft, Familie, Liebe und Neuanfänge" - Leser-Rezension
"Eine tolle Lektüre, die ich wirklich genossen habe" - Leser-Rezension
SpracheDeutsch
HerausgeberJentas
Erscheinungsdatum5. Juni 2024
ISBN9788742820483
Die kleine Pension in Lobster Bay

Ähnlich wie Die kleine Pension in Lobster Bay

Titel in dieser Serie (1)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Beziehungen für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die kleine Pension in Lobster Bay

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die kleine Pension in Lobster Bay - Annie Robertson

    Die kleine Pension in Lobster Bay

    Die kleine Pension in Lobster Bay

    Die kleine Pension in Lobster Bay

    © Annie Robertson 2021

    © Deutsch: Jentas A/S 2023

    Titel: Die kleine Pension in Lobster Bay

    Originaltitel: The Guesthouse at Lobster Bay

    Übersetzung: Kirsten Henrieke Evers, © Jentas A/S

    ISBN: 978-87-428-2048-3

    First published in Great Britain by Welbech.

    Published by agreement with The schoolhouse Partnership and Blake Friedmann Literary, TV and Film Agency Ltd.

    -

    Dies ist für meinen kleinen Jungen,

    der sein Zuhause und seine Spielsachen mit mir geteilt hat.

    Prolog

    „Frohe Weihnachten", sagte Emma und winkte ihren Kollegen, die noch an ihren Schreibtischen saßen und vor den Feiertagen s chnell die letzten Aufgaben erledigten, zum Abschied zu.

    „Frohe Weihnachten", murmelten einige zurück, aber niemand wendete den Blick vom Bildschirm ab.

    Emma sprang die Treppe zum Erdgeschoss hinunter, froh, endlich das Büro verlassen zu können, und stieß die Tür auf. Die kalte Luft des späten Nachmittags strömte ihr in die Lungen, und sie sog sie gierig auf, wickelte sich den Schal fest um den Hals und steckte sich die AirPods in die Ohren, um ihre Schwester anzurufen.

    „Moment", lautete Janes Begrüßung.

    „Okay", antwortete Emma und ging die Carnaby Street entlang, wobei sie die bunten Weihnachtslichter bewunderte, die über ihr hingen und denen es stets gelang, sie nach einem langen Arbeitstag zum Lächeln zu bringen. Über die Kopfhörer hörte sie, wie Jane den Kindern sagte, sie sollten doch bitte aufhören, auf dem Küchentisch zu malen, das Lego aufräumen, sich auf ihre vier Buchstaben setzen und fernsehen, damit sie in Ruhe mit Tante Emma reden und das Abendessen zubereiten könne.

    „Was gibt‘s?", fragte Jane abrupt, noch immer ganz im mütterlich-kommandierenden Tonfall.

    „Hast du eine Idee, was ich Chris zu Weihnachten schenken soll?", fragte Emma ihre Schwester, die auf diesem Gebiet eine absolute Expertin war, denn sie fand immer die perfekte Kleinigkeit, egal, für wen sie bestimmt war.

    „Emma, es ist vier Uhr nachmittags – an Heiligabend! Warum in aller Welt hast du noch kein Geschenk?"

    „Es war einfach wahnsinnig viel los auf der Arbeit", antwortete sie, was zwar nicht gelogen war, aber auch nicht ganz der Wahrheit entsprach; sie hatte Chris kein Geschenk gekauft, weil ihr einfach nichts einfiel. Nicht gerade ideal, wenn man bedachte, dass sie seit sechs Jahren ein Paar waren.

    „Du steckst viel zu viel Energie in diese Firma für das, was sie dir zahlen", sagte Jane, und aus ihrem Mund war das die größte Bezeugung schwesterlicher Fürsorge, die Emma sich erhoffen konnte.

    „Da magst du vielleicht recht haben", sagte Emma, die selbst schon ähnliche Gedanken gehabt hatte, aber einfach nicht wusste, wie sie daran etwas ändern sollte. Sie war seit zehn Jahren in dem Unternehmen beschäftigt und hatte sich von der allgemeinen Hilfskraft über die Designassistentin zur Innenarchitektin und schließlich zur Designberaterin hochgearbeitet, was im Grunde genommen unverhältnismäßig viel mehr Verantwortung und Arbeitsstunden für die zugegeben sehr geringe Gehaltserhöhung bedeutete.

    „Da gibt es kein ‚vielleicht‘, Emma. Neues Jahr, neuer Job. Du musst dich endlich darum kümmern."

    „Das werde ich auch, sagte Emma, die sich ziemlich sicher war, dass sie genau das nicht tun würde, denn welche Alternative hatte sie schon? Derselbe Job in einer anderen Beratungsfirma ergab wenig Sinn, obwohl es sicher schön wäre, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die einen wertschätzten, und mit einer Chefin, die kein totaler Stinkstiefel war. Und sich selbstständig zu machen war auch keine Option, jedenfalls nicht, solange sie noch immer in dem Schuhkarton von Wohnung lebte, die sie sich seit fünf Jahren mit Chris teilte. Ihrer Meinung nach war es schlichtweg sinnvoller, in der Firma zu bleiben, auch wenn es sich manchmal so anfühlte, als würde sie in einem Beerdigungsinstitut arbeiten. „Und? Was soll ich Chris nun schenken?

    „Budget?"

    „Etwa hundert."

    „Zur Auswahl stehen: Musik, Filme, Bücher, Körperpflege, Essen, Kleidung, Gadgets oder Erlebnisgutscheine", zählte Jane auf, ohne lange zu überlegen.

    „Er hat so viel Musik, wie er hören kann; er hat alles gesehen, was er sehen will; seine Körperpflege besteht aus Duschgel und Rasierschaum; wir haben eigentlich keinen Platz für zusätzliche Sachen, und der Typ für Offroad-Abenteuer, Paintball oder Fallschirmspringen ist er auch nicht gerade", erwiderte Emma. Manchmal wünschte sie sich, Chris wäre genau so ein Typ – oder dass er zumindest etwas mehr Elan an den Tag legen würde. Nicht zu viel, gerade genug, um den Funken zwischen ihnen wieder zu entfachen und um zu beweisen, dass doch noch etwas Testosteron in ihm steckte, nachdem er täglich acht Stunden an seinem Schreibtisch im Planungsbüro der Stadtverwaltung verbrachte.

    „Dann also ein Buch, etwas Leckeres zu naschen und einen schönen Winterpulli."

    „Ist das nicht ein bisschen zu langweilig?" Den Gedanken, dass ‚langweilig‘ ihre Beziehung leider genau auf den Punkt brachte, verdrängte Emma gekonnt. Aber es war tatsächlich eine gefühlte Ewigkeit her, dass sie etwas zusammen unternommen hatten, das Spaß gemacht hatte. Früher waren sie zu Konzerten, Theaterstücken und Stand-up-Shows gegangen, aber jetzt schien ihr einziger ‚Spaß‘ darin zu bestehen, eine Pizza vorm Fernseher zu teilen und früh ins Bett zu gehen, und nicht aus dem Grund, aus dem sie in den Anfangstagen ihrer Beziehung früh ins Bett gegangen waren. Das war natürlich nicht ausschließlich Chris‘ Schuld. Emma war sich durchaus bewusst, dass auch sie an der Situation etwas ändern könnte; sie hasste es, den Mut nicht aufzubringen, ihn einfach ziehen zu lassen.

    „Du könntest auch einen Penisring mit einbauen, um das Ganze ein bisschen aufzupeppen", sagte Jane, als hätte sie Emmas Gedanken gelesen.

    „Wir werden unsere Geschenke bei seiner Mutter auspacken", sagte Emma, als ob dies das Einzige wäre, was sie von einem solchen Geschenk abhielte.

    „Mom, was ist ein Penisring?" hörte Emma Lily fragen.

    Emma lachte, während Jane ihrer fünfjährigen Tochter erklärte, dass sie sie missverstanden hätte; sie habe von dem Gebiss gesprochen, das Onkel Chris bald brauchen würde, denn das passiere unweigerlich, wenn man zu viele Süßigkeiten esse.

    „Ich schwöre, denen entgeht nichts", flüsterte Jane, nachdem Lily mit einer Schüssel Chips als Ablenkung zum Fernseher zurückgeschickt worden war, damit sie keine unbequemen Fragen mehr stellen konnte.

    Emma lachte und war froh über die willkommene Unterbrechung, die von ihrem langweiligen Liebesleben und dem traurigen Zustand ihrer Beziehung abgelenkt hatte. „Danke für die Vorschläge, sagte sie, als sie am Eingang des Liberty-Einkaufszentrums angekommen war. „Ich komme jetzt besser in die Puschen, bevor alles zumacht. Fröhliche Weihnachten! Wir sehen uns im neuen Jahr.

    „Frohe Weihnachten, Em. Ich wünsch dir was."

    Die Straßen waren deutlich ruhiger geworden, als Emma das Kaufhaus mit einer Tüte voll netter, aber uninspirierter Geschenke für Chris verließ. Als sie die Regent Street entlang schlenderte, nahm sie das Treiben der Last-Minute-Einkäufer und die entspannte Weihnachtsstimmung der Büroangestellten auf, die mit Pralinenschachteln in den Taschen und Weihnachtssternen unter dem Arm nach Hause gingen. Über den Köpfen funkelten vergnügte Lichter, und aus den Geschäften drang Weihnachtsmusik, die bei Emma weihnachtlich-warme Gefühle weckte. Damit dies möglichst lange anhalten würde, traf Emma die ungewöhnlich spontane Entscheidung, nicht an ihrer üblichen Bushaltestelle zu warten, sondern sich etwas Wärmendes zu trinken zu besorgen und ein Stück des Weges nach Hause zu laufen.

    Nachdem sie sich eine heiße Schokolade gekauft hatte, schlenderte Emma weiter die Regent Street hinunter und sah ihrem vorbeirumpelnden Bus hinterher, froh über die Entscheidung, sich für den Heimweg Zeit zu lassen. Sie blieb stehen, um die Schaufensterauslage von Hamleys zu bewundern, wobei sie ihr eigenes Spiegelbild erblickte. Die Weihnachtsmannmütze, die sie den ganzen Tag im Büro getragen hatte, saß keck auf ihrem dunklen, gewellten Haarschopf, und ihr hellgrüner Schal ragte wie der eines lustigen Schneemanns aus ihrem Mantel heraus. Sie musste über sich selbst lachen und spazierte weiter Richtung Süden, schlürfte die warme Pfefferminzschokolade und lächelte einem Pärchen zu, das Arm in Arm vor einem Juweliergeschäft stand und sich die roten Nasen am Schaufenster plattdrückte. Sie versuchte, die weihnachtlichen Düfte zu identifizieren, die aus dem Seifenladen strömten – Zimt, Ingwer, Orange, Cranberry? –, als ein blendend weißer Blitz und ein ohrenbetäubender Knall sie von den Füßen rissen, wobei ihr die heiße Schokolade und die Geschenktüte aus den Händen flogen.

    Zunächst weigerte sich Emma, die Augen zu öffnen. Das Kreischen der Sirenen, die Schreie, die die Weihnachtslieder abgelöst hatten, und der Rauch, der die verführerischen Düfte des Seifenladens übertönte, erfüllten ihre Sinne und brannten in Nase und Lungen. Und als sie endlich blinzelnd die Augen öffnete, bot sich ihr ein Bild des Grauens. Es war ein einziges Durcheinander: Überall lag Glas. Die Menschen waren mit Blut und Staub bedeckt. Die fröhlich funkelnden Lichter waren erloschen, sowohl in den Geschäften als auch über ihren Köpfen. Körper lagen verstreut auf den Pflastersteinen herum, und nicht weit von ihr entfernt lag ein abgetrennter Unterschenkel neben einem zerfetzten Weihnachtsgeschenk.

    „Hilfe!", hörte sie jemanden schreien, ein markerschütternder Schrei, der Emma zum Handeln zwang.

    In einiger Entfernung begegnete sie dem Blick einer Frau, die etwas älter zu sein schien als sie selbst, die Augen voller Angst, die Haut blass. Ohne nachzudenken, rappelte sich Emma auf und stolperte zu ihr, riss sich den Schal vom Hals und band ihn so fest wie möglich über dem Knie der Frau zusammen, um die Blutung zu stoppen, da wo eigentlich der Rest des Beins sein sollte. Aber so sehr sich Emma auch bemühte, das Blut floss in dicken Strömen weiter und bildete einen kleinen Bach, der über den Bürgersteig hinweg in den Rinnstein lief.

    „Ich hole Hilfe", sagte Emma und starrte in die Augen der Frau, die sich dunkel von der Blässe ihrer Haut abhoben.

    Doch noch während Emma darauf wartete, zum Notdienst durchzukommen, sah sie, wie die Atmung der Frau immer flacher wurde, bis sich ihr Brustkorb schließlich kaum noch bewegte. Als endlich jemand den Hörer abnahm und ihr mitteilte, dass Hilfe unterwegs sei, konnte Emma keine Regung mehr erkennen.

    „Halten Sie durch, es kommt gleich Hilfe, sagte sie und versuchte, so beruhigend wie möglich zu klingen, während sie die Hand der Frau in ihre nahm und ihr sanft das Haar zurückstrich, das ihr über die Augen gefallen war. „Sie sind schon auf dem Weg.

    Sie suchte in den Augen der Frau nach einem Lichtschimmer, einem Zeichen von Hoffnung, und musste unwillkürlich den Atem anhalten, als die Frau ein letztes Mal ausatmete.

    „Nein ...", sagte Emma und legte ihre Wange an den leicht geöffneten Mund der Frau, aber da war nichts zu spüren, kein noch so schwacher Atemhauch, und Emma wusste aus dem Erste-Hilfe-Kurs, den sie Jahre zuvor besucht hatte, dass die Frau zu viel Blut verloren hatte, als dass eine Herzdruckmassage ihr geholfen hätte.

    Sie schloss der Dame die Augen, strich ihr das Haar hinter die Ohren und wollte gerade ihren Mantel zuknöpfen, um sie vor der Kälte zu schützen, als ihr auffiel, dass sie ein goldenes Namenkettchen trug, auf dem Dawn stand.

    „Schlaf gut, Dawn", sagte sie und griff noch einmal nach der Hand, die bereits an Wärme verlor. Ein unerträgliches Gefühl der Taubheit erfüllte Emmas Körper, als wäre sie gar nicht wirklich da.

    Emma hatte keine Ahnung, wie lange sie schon neben Dawns Körper hockte, aber als sie aufblickte, wurde ihr klar, wie surreal die ganze Situation war. Überall flüchteten Menschen in Panik und Angst, Verwundete taumelten mit verwirrten Gesichtern vorbei. Es war unmöglich auszumachen, wie viele Rettungsfahrzeuge eingetroffen waren, deren Blaulicht das elegante Weihnachtsglitzern inzwischen vollends ersetzte. Überall herrschte Chaos, Bewegung und Lärm, und trotzdem wirkte es für Emma, als wäre die Welt erstarrt und alles gruselig still.

    In diesem Moment vibrierte in Dawns Tasche ein Handy. Emma griff danach und sah auf dem Bildschirm vor dem Hintergrund zweier süßer, lächelnder Kinder eine Nachricht aufleuchten. Sie lautete: Mum, es ist fast Zeit für den Weihnachtsmann!!! Beeil dich und komm schnell nach Hause! Hab dich lieb. Vermisse dich. xxx

    „Scheiße", murmelte sie und starrte in die beiden engelsgleichen, strahlenden Gesichter, wobei ihre Erstarrung in Wut umschlug.

    Alles, was danach geschah, würde ihr hinterher nur verschwommen in Erinnerung bleiben, nur das eine oder andere Detail stach klar und deutlich aus der Masse hervor: ein Polizist, der, sobald er Dawns Telefon in die Hand nahm, wusste, wie schrecklich der ihm bevorstehende Anruf sein würde; ein Laken, das über Dawn gelegt wurde; der Feuerwehrmann, der Emma fragte, ob sie verletzt sei; Telefone, die unablässig klingelten, und das Knistern der Rettungsdecke aus Goldfolie, die ihr irgendjemand um die Schultern gelegt hatte.

    Sie saß auf dem Bürgersteig neben Dawns leblosem Körper und starrte mit leerem Blick auf die unfassbare Szene vor ihr, als würde sie einen Horrorfilm sehen. Selbst wenn sie in der Lage gewesen wäre, zu überlegen, was sie als Nächstes tun sollte, hätte sie sich nicht bewegen können; der Schock hatte sie vollkommen erstarren lassen.

    Irgendwann klingelte Emmas eigenes Telefon. Sie schaute nicht drauf und ging auch nicht ran – sie war nicht in der Lage zu sprechen, und selbst wenn, was sollte sie schon sagen? Wie sollte sie die richtigen Worte finden, um das alles hier jemandem zu erklären?

    Schließlich nahm sie jemand am Arm, zog sie auf die Beine und wies sie an, einer Schar von Leuten zu folgen, die ebenfalls alle in knisterndes Gold gehüllt waren.

    „Ich muss bei Dawn bleiben", stammelte sie.

    „Bei wem?", fragte die Stimme.

    „Dawn", wiederholte sie, doch als sie sich umdrehte, sah sie, dass Dawns Körper entfernt worden war und nur ein dunkler Blutfleck darauf hindeutete, was sich dort abgespielt hatte.

    In diesem Moment merkte Emma, dass ihr trotz der Decke eiskalt war und sie unkontrollierbar zitterte.

    „Wenn Sie den anderen folgen, wird sich jemand um Sie kümmern", sagte die Stimme.

    Emma tat, wie ihr geheißen, und bahnte sich ihren Weg durch Schutt und Geröll in Richtung Piccadilly Circus, aber anstatt wie die anderen in den Bus zu steigen, der als behelfsmäßiger Unterstand diente, ging sie einfach weiter, den Haymarket hinunter, ohne weiter darüber nachzudenken. Kurz vorm Trafalgar Square erblickte Emma erneut ihr Spiegelbild in einem Schaufenster, was sie zum Innehalten brachte. Sie trug noch immer ihre Weihnachtsmannmütze, aber ihre Haut war weiß wie Schnee, und die Goldfolie der Rettungsdecke verlieh ihr das Aussehen eines überdimensionierten Weihnachtsknallers.

    „Schweine", sagte sie, als ihr endgültig bewusst wurde, dass für viele, unter ihnen Dawns Töchter, die Unschuld von Weihnachten gerade für immer zerstört worden war.

    Kapitel 1

    „Tante Emma, warum guckst du so komisch?"

    „Hm?", antwortete Emma und erwachte aus ihrer Trance. Ihre fünfjährige Nichte Lily drängte sich auf ihren Schoß, in der einen Hand eine Barbiepuppe, in der anderen einen Spielzeugkamm.

    „Du starrst schon seit einer halben Ewigkeit auf den Computer, Liebes", sagte Emmas Mutter Liz.

    „Habe ich das?" Emma schüttelte die Benommenheit ab und fand sich in dem geschäftigen Treiben in Janes Küche wieder: Ihre Mutter, eine gerüschte Schürze um die rundliche Taille gewickelt, bereitete an der Kochinsel Sandwiches zu; Jane hängte Wäsche auf den Wäscheständer, und Emmas siebenjähriger Neffe Jake wälzte sich mit dem neuesten Familienmitglied, Welpe Bear, vor der offenen Terrassentür.

    „Ach … es ist bloß ein Haus. Gähn", sagte Lily, die einen Blick auf den Bildschirm erhascht hatte und jetzt den Laptop wegschob, um Platz für ihre Puppe auf dem Küchentisch zu machen. Dabei bemerkte Emma, dass Lilys silbrig-blondes Haar dem ihrer Puppe nicht unähnlich war.

    „Du schaust dir doch nicht schon wieder diese Pension in Schottland an, oder?", fragte Jane, der es nicht gelang, den Anflug von Verachtung in ihrer Stimme zu verbergen. Jane konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum irgendjemand irgendwo anders als in Hertfordshire leben wollte, auch wenn das bedeutete, in einem winzigen Kasten von Haus zu wohnen, das zudem noch ein kleines Vermögen gekostet hatte. Und warum in aller Welt jemand eine Pension betreiben wollte, war ihr erst recht schleierhaft.

    „Ich kann mir nicht helfen, sie hat einfach etwas an sich", antwortete Emma, setzte Lily neben sich auf die Bank und klickte durch die Fotos des beeindruckenden Sandstein-Stadthauses in Lobster Bay mit seinen hohen Decken, den großzügigen Räumen und dem atemberaubenden Meerblick. Seit ein paar Monaten, seit Silvester genau genommen, sah sie sich das Anwesen nun schon regelmäßig immer wieder an und versuchte, sich vorzustellen, wie sie ihren Traum von einer eigenen Pension und der Zugehörigkeit zu einer schottischen Dorfgemeinschaft verwirklichen würde, aber bis jetzt hatte sie sich nicht getraut, einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. Im Gegensatz zu ihrer Schwester fand Emma die Vorstellung, auf einer windgepeitschten schottischen Halbinsel zu leben, viel reizvoller als in unmittelbarer Nähe von London – sie zog es vor, Sand in den Schuhen zu haben statt Beton darunter.

    „Das einzig Gute an dem Haus ist der Preis", sagte Jane, straffte ihren blonden Zopf und zog ihre Röhrenjeans hoch. Emma fragte sich oft, ob sie wirklich leibliche Schwestern waren, denn die Gegensätze zwischen ihnen könnten größer nicht sein. Jane hatte die langgliedrigen, schlanken, glatthaarig-blonden Gene von ihrem Vater geerbt, Emma die kleinen, kurvigen, lockig-brünetten ihrer Mutter. Und die Unterschiede beschränkten sich nicht nur aufs Äußere: Jane war schon immer kontaktfreudig und impulsiv gewesen – ganz im Gegensatz zu Emma, die eher vorsichtig und alles andere als spontan war.

    „Es ist wirklich unverschämt billig", murmelte Emma, die immer noch versuchte herauszufinden, was der Grund dafür sein könnte; hatte sie etwas übersehen? Auf den Fotos konnte sie nichts finden, was ihr Sorgen machte, und schon gar nichts, was nicht mit einem neuen Anstrich zu beheben wäre, und das könnte sie durchaus selbst tun. Für den Preis, den die Maklerin verlangte, hätte Emma sich in der Gegend, in der ihre Schwester lebte, kaum eine Zweizimmerwohnung leisten können, geschweige denn eine Doppelhaushälfte mit sieben Zimmern. Soweit sie es beurteilen konnte, war dies ein absolutes Schnäppchen.

    „Es würde Jahre dauern, das wieder herzurichten. Willst du das wirklich?"

    Emma wusste, dass dies genau das war, was sie sich von ganzem Herzen wünschte, aber sie wusste auch, dass ihre Schwester das niemals verstehen würde. Jane war immer zufrieden damit gewesen, in anonymen Wohnsiedlungen in seelenlosen Neubauten zu leben, in denen die Leute höchstens wussten, was für ein Auto die Nachbarn fahren. Aber Emma hatte sich immer nach Gemeinschaft gesehnt, nach einem Haus, das einladend und voller Seele war, das sie mit Familie, Freunden und Nachbarn teilen konnte, und seit sie denken konnte, träumte sie davon, eine Pension zu betreiben. Als ihre Freundinnen noch davon träumten, Popstars und Schauspielerinnen zu werden, blätterte Emma in Hochglanzmagazinen mit Bildern von schön eingerichteten Hotelschlafzimmern und plüschigen Bademänteln. In den letzten zehn Jahren hatte sie ihren Traum zugegebenermaßen ein wenig aus den Augen verloren, aber das hatte sich nach den Ereignissen an Heiligabend schlagartig geändert.

    Innerhalb einer Woche hatte Emma ihren Job gekündigt, sich von Chris getrennt, war wieder bei ihrer Mutter eingezogen und hatte ihre Traum-Pension gefunden – der Neuanfang, nach dem sie sich sehnte. Sie hatte ihrer Mutter und ihrer Schwester nichts von dem erzählt, was sie erlebt hatte, denn sie wusste, dass sie es niemals verstehen würden, aber sie war sich sicher, dass sie wussten, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Schließlich war es höchst untypisch für Emma, so impulsiv zu handeln. Und jetzt wollte sie auch noch eine Pension in Schottland kaufen!

    Alles, was für Emma jetzt noch zählte, war, eine Gemeinschaft zu finden, der sie sich zugehörig fühlte, und ein Zuhause, das sie mit anderen teilen konnte. Und dieses Haus hatte etwas an sich, das sie ansprach, und zwar laut und deutlich – etwas, das ihr sagte, dass dies das Haus, das Geschäft und die Gemeinschaft sein könnten, nach der sie sich so sehnte, und dass sich all die harte Arbeit, die nötig war, um es perfekt zu machen, lohnen würde. Wenn sie nur den Mut aufbringen könnte, es zu kaufen und ihren Traum zu verwirklichen.

    „So lange würde sie auch nicht brauchen, sagte Liz, stellte den Teller mit den Sandwiches auf den Tisch und scheuchte ihre Enkel zum Händewaschen an die Spüle. „Mit deiner Erfahrung als Innenarchitektin würdest du das Haus sicher im Handumdrehen auf Vordermann bringen.

    Emma schürzte die Lippen und dachte darüber nach, wie viel Arbeit zu tun war. Die Schlafzimmer mussten gestrichen werden und das Esszimmer auch, aber das würde nicht so lange dauern – sie könnte alle paar Tage ein Zimmer schaffen, wenn sie sich anstrengen würde. Vielleicht ein paar Wochen Arbeit am Anfang, höchstens einen Monat. Je mehr sie darüber nachdachte, desto realistischer erschien es ihr.

    „Ich habe deine Faszination für Gasthäuser noch nie verstanden, sagte Jane, während sie sich rittlings auf die Küchenbank setzte, um das Mittagessen einzunehmen. „Du bist völlig verrückt, dass du sowas überhaupt in Betracht ziehst.

    „Also ich finde die Idee super, sagte Emma, die eigentlich vorgehabt hatte, an der Universität Gastgewerbe zu studieren und nach ihrem Abschluss einige Jahre lang ein kleines Hotel zu leiten, um sich die nötige Erfahrung anzueignen, aber während ihres letzten Schuljahres war ihr Vater plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben, und da Jane bereits studierte, hatte ihre Mutter Emmas Unterstützung gebraucht. Letztendlich war es einfacher gewesen, einen Abendkurs in Innenarchitektur am örtlichen College zu belegen, als an die Uni zu gehen, aber jetzt, mehr als zehn Jahre später, gab es endlich die Möglichkeit, genau das zu tun, was sie sich immer gewünscht hatte. „Ich finde, es macht Spaß, wenn Leute aus aller Welt zu einem kommen und man nie genau weiß, wen der Wind hereinweht. Emma war schon immer ein kleiner Stubenhocker gewesen. Anders als viele ihrer Altersgenossen hatte sie sich nie für Rucksackreisen begeistern können. Sie zog die Vorstellung vor, dass die Welt zu ihr kam.

    „Genau, sagte Jane trocken. „Wie zum Beispiel besoffene Hochzeitsgäste, die dir die Badezimmer vollkotzen, kleine Kinder, die die Matratzen bepinkeln, oder kleine Hunde, die auf die Teppiche kacken.

    „Da kennst du dich ja bestens mit aus", murmelte Emma und deutete auf Bear, der sich mit gekrümmtem Rücken und angestrengt zitternden Hinterbeinchen in eine Ecke hockte, um sich auf Janes blitzsauberen Kalksteinfliesen zu erleichtern.

    Blitzschnell war Jane auf den Beinen, hob ihn auf, trug ihn mit vor sich ausgestreckten Armen in ihren winzigen Garten und schob die Tür hinter sich zu.

    „Eins ist schonmal sicher, sagte Emma und schaute ihrer Schwester zu, wie sie sich energisch die Hände wusch. „Wenn ich dieses Haus kaufe, wird es eine hundefreie Pension.

    „Warum magst du keine Hunde, Tante Emma?", fragte Jake, den Mund voller Eiersalat, die Ellbogen auf dem Tisch.

    Emma rümpfte die Nase. „Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag, ich mag nur ihren Geruch nicht, ihre Haare überall, ihr ewiges Gesabber." Sie riss die Augen auf und sah Jake eindringlich an. „Und was ich am allerwenigsten mag, ist ihre Kackhaufen aufzusammeln!"

    „Das kann ich dir nicht verübeln, sagte Jane, während Jake sich kaputtlachte, und betrachtete das kleine Paket auf dem Rasen, an dem Bear nun eifrig schnupperte. „Aber mal im Ernst: Beunruhigt dich der Gedanke nicht ein wenig, ein so großes Haus ganz allein zu führen, wenn lauter Fremde ein- und ausgehen?

    „Ich schätze, dass die vorherige Besitzerin es genauso gemacht hat", sagte Emma und scrollte noch einmal durch die Fotos. Aufgrund der vielen Gardinen, Spitzentischdecken und Chintz-Vorhänge vermutete Emma, dass das Haus von einer älteren Dame verkauft wurde; auf den Bildern war so gut wie nichts Männliches zu sehen.

    „Es war wahrscheinlich ein Paar", sagte Jane wissend. „Du weißt schon, einer macht das Handwerkliche und einer die Hausarbeit. Kannst du das wirklich alles allein schaffen? Du hast vielleicht ein Gespür für Design, aber Hausarbeit und Heimwerken? Ernsthaft? Ich bin mir nicht sicher, Em. Und vergiss das Frühstück nicht;

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1