Lebewohl - für immer
Von Feehily Jaz
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Buchvorschau
Lebewohl - für immer - Feehily Jaz
Kalte, dunkle Weihnachtszeit?
Eigentlich mochte Stephan die Weihnachtszeit ganz gerne. Überall waren Lichter in den Straßen, es roch nach Zimt und Glühwein und die letzten fünfzehn Jahre war er gerne auf den Weihnachtsmarkt gegangen. Doch dieses Jahr war das anders.
Vor vier Jahren zu dieser Zeit hatte Shane seine Diagnose gekriegt.
„Herr Phelan, ich habe leider keine guten Nachrichten für Sie, begann der Arzt das Gespräch, was er seinem Patienten gerne erspart hätte. „Wir haben Krebs gefunden, bei der Untersuchung. Am Magen und auch in ihrem Kopf. Es tut mir leid. Wir müssen gucken, ob der Krebs schon gestreut hat und Sie brauchen auf jeden Fall eine Chemotherapie. Leider sieht der Krebs inoperabel aus, ich kann Ihnen daher keine Heilung in Aussicht stellen.
Stephan sah ihn entsetzt an. Keine Heilung, aber das würde bedeuten, dass ...
„Sie meinen, ich werde sterben?", stellte Shane die Frage.
„Ja, es tut mir leid."
„Wie lange hab ich noch?"
„Ungefähr ein Jahr. Wir können es nicht genau sagen. Die Chemo hält das Ganze etwas auf, aber halt auch nicht für immer."
So hatte die Chemotherapie für Shane begonnen und Stephan war bei ihm geblieben. Auch wenn es für sie beide sehr anstrengend gewesen war, sie hatten sich nur mit Mundschutz sehen dürfen und Küsse waren vorerst Tabu. Stephan war froh, dass er seinen Liebsten überhaupt umarmen durfte. Die Chemo ging über die Weihnachtszeit und Shane bekam Besuch von ihren Freunden und Familie auf der Station, so dass er wenigstens etwas Weihnachten feiern konnte.
Als die erste Therapie vorbei war, hatte Stephan gerade seinen Master gemacht und suchte einen Job, aber das Vorhaben legte er erst mal auf Eis. Auch wenn Shane das nicht gefiel. Er wollte nicht, dass Stephan für ihn seine berufliche Zukunft aufs Spiel setzte. Aber Stephan blieb stur und so reisten sie viel, als Shanes Immunsystem das einigermaßen wieder verkraften konnte. Sie sahen sich Rom an und Florenz. Barcelona und Madrid, Wien, flogen in die USA und machten eine Rundreise. Doch der Krebs war hartnäckig und Shane merkte immer mehr, wie seine Kräfte schwanden. Also musste er wieder zur Chemo und Stephan fand einen Job. Durch puren Zufall fiel ihm die Zeitungsanzeige auf, in der das Zentrum, in welchem er jetzt arbeitete, einen Psychologen suchte.
Schließlich überlegten die Ärzte, ob sie nicht doch operieren sollten und Shane war einverstanden. Ob er nun auf dem OP-Tisch starb oder irgendwann an dieser Krankheit, das war ihm auch egal. Stephan saß während der OP im Wartezimmer und betete, dass die Ärzte es schafften und Shane noch ein paar Wochen leben durfte.
„Herr Gent?, er sah auf, einer der Ärzte stand vor ihm. „Die OP ist so weit gut verlaufen. Allerdings sitzt der Krebsherd direkt um eine große Arterie herum, das heißt, wir können ihn nicht ganz entfernen, sondern nur ein Stück weit abtragen. Leider! Ihr Lebensgefährte wird gleich auf sein Zimmer gebracht.
„Danke."
„Gehen Sie zu ihm. Er sollte ein vertrautes Gesicht sehen, wenn er aufwacht."
Die OP hätte Shane sehr mitgenommen. Er lag mehr als drei Wochen im Krankenhaus, bis Stephan ihn mitnehmen durfte. Aber auch zuhause, mussten sie sich an Hygienevorschriften halten, sich neue Matratzen kaufen, alles waschen, rausgehen mochte Shane nur noch mit Mundschutz, damit er sich nicht irgendwas einfing.
Er erinnerte sich mit Schrecken an diese Zeit. Sie hatten danach zwar wieder die Wohnung geschmückt, weil Shane es so gewollt hatte, aber er hätte auch gut darauf verzichten können.
Den einzigen Weihnachtsschmuck, den er hatte, war ein Adventskranz und seinen Adventskalender mit den Rubellosen, den er von Amanda bekommen hatte. Sie schenkten sich immer gegenseitig einen. Als seine Eltern am zweiten Advent zu Besuch kamen, sahen sie sich sehr erschrocken in der Wohnung um. Es war ordentlich, aber die ganze Wohnung wirkte kalt.
„Ach, mein Junge, seine Mutter sah ihn mitfühlend an und genau deshalb war er so selten bei ihnen. Er ertrug dieses Mitleid einfach nicht. „Komm doch für eine Weile zu uns!
„Nein danke, Mama. Ich komme schon klar." Sie reichte ihm eine ganze Kiste mit vorgekochtem Essen zum einfrieren. Er stellte alles in sein Gefrierfach und sah seine Eltern dann an.
„Es geht mir ganz gut. Ich gehe wieder zum Sport und Amanda passt auf mich auf."
„Wirklich, Stephan, du solltest wieder mehr unter Leute gehen", fand auch sein Vater, der merkte, dass sein Sohn auch mächtig abgenommen hatte. Klar, er wog immer noch genug, halt nur längst nicht mehr so viel wie noch vor einem halben Jahr.
Weihnachten wollte Stephan eigentlich so gar nicht feiern, doch das fanden seine Eltern nicht gut und hatten kurzerhand ihn und seine Geschwister eingeladen. Es gab Fondue zum Abendessen und dann Geschenke. Stephan hatte sich nichts gewünscht, doch auch er bekam etwas. Einige Bücher von seinen Eltern und dann stand da noch ein Paket für ihn. Oben drauf war kein Absender.
„Das hat man uns heute morgen vor die Tür gestellt", sagte sein Vater zu ihm und reichte ihm das Paket. Stephan löste die Schleife und holte dann etwas heraus. Das erste, was er ertastete, war eine lila Stoffrose und jetzt wusste er auch, von wem das Paket war, dazu kamen zwei T-Shirts, beide in lila mit einem schicken Aufdruck und ganz unten drin lag ein Brief, den er jetzt öffnete.
Lieber Stephan,
ich hoffe, das Paket kommt bei Dir unversehrt an und Deine Eltern schmeißen es nicht in den Müll. Natürlich hoffe ich sehr, dass Dir die Geschenke gefallen, den diese Farbe steht dir einfach, Du solltest sie viel öfter tragen.
Du fragst Dich sicherlich schon lange, wer ich eigentlich bin. Im Umschlag ist ein Foto von mir. Erkennst Du mich noch?
Hab schöne Feiertage, vielleicht sieht man sich ja demnächst mal.
Ganz liebe Grüße
Michael
Darunter stand eine Telefonnummer. Stephan zog das Foto heraus und jetzt musste er lächeln. Das Gesicht kannte er. Der junge Kostümbildner, der ihm während des Theaterprojektes geholfen hatte, lächelte ihm entgegen. Bevor einer seiner neugierigen Verwandten einen Blick auf Brief oder Foto werfen konnte, steckte er beides schnell zurück in den Umschlag und legte den Brief zurück ins Paket.
„Wer hat dir geschrieben?", wollte seine Mutter wissen.
„Ein Freund. Kennt ihr nicht." Bevor seine Mutter weiter nerven konnte, wechselte sein Vater zum Glück das Thema.
„Wisst ihr schon alle, was ihr an Silvester macht?"
„Ich werde wohl verreist sein", war die Antwort seiner Schwestern. Sie fuhren immer über Silvester in irgendein Kaff am Ende der Welt.
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich wird Amanda mich entführen. Frag mich nicht wohin, ich habe keinen blassen Schimmer. Es wird vermutlich irgendein Gay Club werden."
Weihnachten ging schnell vorbei, für Stephan jedoch nicht schnell genug. Seine liebe Familie nervte ihn einfach kolossal.
Allerdings rief er am zweiten Feiertag dann doch Michael an. Es klingelte ein paarmal, dann hörte er diese sanfte Stimme.
„Ja, hallo?"
Stephan lächelte leicht. „Hier ist Stephan. Hallo. Frohe Weihnachten."
Kurz war es still am anderen Ende.
„Schön, dass du anrufst. Wünsche ich dir auch. Dann ist mein Paket ja angekommen?"
„Ja, ist es. Danke. Es ist toll. Und das Foto hab ich schon aufgehängt."
„Das freut mich."
„Warum die Rosen?"
„Weil ich dir eine Freude machen wollte. Du sahst so traurig aus, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Anscheinend hab ich ja alles richtig gemacht."
„Woher wusstest du von meiner Lieblingsfarbe?"
„Du hast eine nette Kollegin, die geplaudert hat!"
„Tze, unglaublich, von wegen niemand weiß, von wem die Blumen sind."
„Sie durfte es dir nicht sagen. Sonst wäre ja die ganze Überraschung hin gewesen. Du hast immer so liebevoll gelächelt, wenn du die Rosen in der Tanzschule bekommen hast."
Jetzt musste Stephan tatsächlich lächeln. Gott war der Kerl süß!
„Was machst du an Silvester?", fragte Stephan spontan und war über sich selber überrascht.
„Keine Ahnung. Kann sein, dass ich arbeiten muss. Aber was hältst du davon, wenn ich dir Karten fürs Musical besorge, sollte ich auch frei haben, können wir uns die Show zusammen angucken, falls nicht, sehen wir uns hinterher auf jeden Fall und können zusammen um Mitternacht anstoßen."
„Welches Musical denn?"
„Mamma Mia!"
„Wow, nicht schlecht. Ich hab es zwar schon mal gesehen, aber davon kann man nie genug kriegen."
„Das ist schön zu hören. Dann reserviere ich dir eine Karte und hinterlege sie an der Kasse für dich."
„Danke, ist lieb von dir. Dann sehen wir uns ja schon bald!"
„Ich freue mich drauf", lächelte Michael in den Hörer.
„Ich mich auch. Bis bald."
„Bye!" Lächelnd legte Stephan auf. Jetzt war er für Silvester verplant. Er zog sein Handy raus und schrieb Amanda schnell eine SMS, dass er mit seinem Rosenkavalier ein Date an Silvester hatte.
Die Tage bis Silvester verbrachte er vorzugsweise mit Lesen und etwas schwimmen. Es tat seinen Muskeln mal ganz gut und er schaffte auch seine 1000 Meter!
An Silvester schlief er in Ruhe aus, legte sich dann in seine schöne große Badewanne und überlegte anschließend, was er anziehen sollte. Schick sollte es sein, er ging schließlich ins Musical. Also schwarze Hose, lila Hemd, extra für Michael, Schuhe dazu passend.
Am Eingang des Musicals war schon viel los und Michael stand davor, was er nicht erwartet hatte.
„Hallo, schön, dass du da bist", wurde er gleich strahlend begrüßt.
„Hi", Stephan war etwas unsicher.
„Darf ich dich drücken?", wollte Michael wissen.
Stephan nickte schnell und wurde dann in sanfte Arme gezogen. Er genoss es einen Moment, dann war es auch schon vorbei. „Dann lass uns mal rein gehen. Hier draußen ist es kalt."
Drinnen war es warm und sie brachten ihre Jacken zur Garderobe. Sie tranken noch ein Glas Sekt und suchten dann ihre Plätze auf. Sie saßen oben und zwar in der ersten Reihe.
„Hier saß ich noch nie", gestand Stephan ihm leise.
„Es hat halt so seine Vorteile, wenn man Vitamin B hat", grinste Michael ihn verschmitzt an. Ein paar Minuten später gingen die Lichter aus und es gab die übliche Begrüßung der Zuschauer.
Die Vorstellung gefiel ihnen sehr gut. Stephan war begeistert. Das Stück war genauso umwerfend, wie er es in Erinnerung hatte. Vor dem Operettenhaus schlug ihnen eisige Luft entgegen und es hatte zu schneien begonnen. Michael schüttelte sich und sie schlugen den Weg über den Hamburger Kiez ein. Noch war es recht ruhig, obwohl es schon 21 Uhr war.
Sie besuchten eine ruhige Bar und bestellten sich ein Bier. Stephan zog seine Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne, bevor er sich niederließ.
„Erzähl mir was über dich", bat Michael ihn schließlich.
„Was willst du wissen?"
„Alles."
„Mhhhh ... also, ich tanze gerne, mache Karate, schwimme regelmäßig. Ich bin studierter Psychologe und wenn ich ganz viel Glück habe, darf ich irgendwann mal Amber beerben und das Zentrum leiten. Aber das dauert noch etwas. Die Frau ist nur vier Jahre älter als ich."
„Das hört sich doch nach einem ehrgeizigen Plan an."
„So ehrgeizig bin ich gar nicht. Aber ich möchte das gerne machen. Ich liebe meinen Job."
„Ja, das kenne ich. Ich bin den Stoffen treu geblieben. Gelernt habe ich Schneider und danach hab ich mich in Madrid an der Designerschule beworben und bin sogar angenommen worden. Da war ich drei Jahre, dann hab ich in Deutschland meinen Meister gemacht und anschließend beim Musical angefangen, um mir quasi meine Sporen zu verdienen. Aber meine Leidenschaft liegt eigentlich im Designen von Kleidern und Roben. Schwimmen tue ich auch, sogar auf Wettkampf Niveau. Ich bin dreimal die Woche beim Training. Einmal davon in der Woche mit dem Team, um die Staffel zu trainieren, sonst haben wir Einzeltraining. Ich hab ja sowieso sehr unregelmäßige Arbeitszeiten für eine Sportart. Ich muss halt mal früh, mal spät arbeiten. Lesen tue ich gerne und viel. Ich reise auch sehr gerne. Und ich bin regelmäßig in Bremen im Stadion."
„Fußballfan?", grinste Stephan.
„Oh ja. Allerdings nicht vom HSV. Mein Vater ist auch Bremen Fan, das hat irgendwie auf mich abgefärbt."
„Wieso hast du keine Dauerkarte?"
„Das lohnt sich nicht, so oft wie ich am Wochenende arbeiten muss. Ich hätte gerne eine, aber naja, mal schauen. Vielleicht zur nächsten Saison. Wenn ich meinen eigenen Laden habe, wird es auf jeden Fall sehr viel eher möglich sein, Samstags mal nach Bremen zu fahren."
„Wie alt bist du, wenn ich mal fragen darf?" Stephan hatte Michael wirklich nie nach dem Alter gefragt.
„Dreiunddreißig. Ich hab im November Geburtstag. Und Du?"
„Dreißig. Im April geworden. Was hat dich an dem Beruf so fasziniert?"
„Gute Frage. Ich hab schon in der Schule angefangen. Es war ganz schwer für mich, Hosen zu bekommen, weil ich so schmal bin und nach einem Nähkurs hab ich angefangen, meine Hosen selber zu nähen."
Stephan lachte.
„Und irgendwann hat sich das verselbstständigt. Meinem Date zum Abiball habe ich zum Beispiel ihr Kleid genäht."
„Das ist cool. Gibt es Bilder davon?"
„Na klar, zu Hause im Fotoalbum. Steffi war so begeistert von dem Kleid, dass ich sogar ihr Brautkleid vor zwei Jahren nähen durfte!"
„Das freut einen doch, wenn die Arbeit auch geschätzt wird."
„Na klar, das hat mich sehr gefreut. Ich wollte es ihr eigentlich schenken, aber das hat sie nicht gewollt. Sie hat mir den Stoff und sogar ein paar Arbeitsstunden bezahlt."
„Was machst du sonst so in deiner Freizeit?", wollte Stephan wissen.
„Ich tanze sehr gerne. Reise viel und möglichst außerhalb Deutschlands, koche gerne und treffe mich mit meinen Freunden. Allerdings ist bei meinem Job Freizeit eher Mangelware. Ich arbeite halt auch viel am Abend und den Wochenenden."
Ihre Unterhaltung wurde immer entspannter. Mitternacht verpassten sie fast, weil sie so ins Gespräch vertieft waren. Sie hörten das Knallen der Feuerwerkskörper und hoben die Köpfe Richtung Eingang. Michael warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
„Ups, wir sollten vielleicht mal kurz raus und uns das Feuerwerk anschauen", schlug er vor und erhob sich. Stephan folgte ihm und sah sich vom Eingang aus das bunte Feuerwerk über der Stadt an.
„Frohes neues Jahr", wünschte ihm Michael und musste dabei fast schreien.
„Danke, dir auch!" Sie blieben nur kurz draußen, es war einfach bitter kalt. Stephan schüttelte sich, bevor er sich eine heiße Schokolade bei der Bardame bestellte.
Um ein Uhr morgens machten sie sich schließlich auf den Weg zur S-Bahn, stiegen jedoch in unterschiedliche Richtung in den Zug.
„Treffen wir uns mal wieder?", wollte Michael leise wissen.
„Gerne. Darf ich das nächste Mal aussuchen, wo wir hin gehen?"
„Klar. Ich lass mich überraschen." Sie umarmten sich zum Schluss und trennten sich