Peter Altenbergs Grabennymphen: und andere Curiositäten aus Wien
Von Bruno H. Weder
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Über dieses E-Book
Dies ist unmittelbar verbunden mit großen Namen wie Arthur Schnitzler, Gustav Klimt, Egon Schiele, Adolf Loos, Otto Wagner, Karl Kraus, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Alban Berg, Sigmund Freud, um nur die wichtigsten zu nennen. Und mit einer Unzahl bekannter und unbekannter Frauen wie Alma Mahler, Lina Loos, Smaragda Berg, Wally Neuzil und die vielen Grabennymphen und süßen Mädels, die jeweils applaudierten, wenn Altenberg seine seltsamen Flugversuche startete.
Der vorliegende Band basiert auf dem Sachbuch ALABASTERLEIB UND SCHWARZE TRÄNEN (2018 erschienen) von Bruno H. Weder.
Bruno H. Weder
Weder, Bruno H.: geb. 1947 in Berneck im St.Galler Rheintal. Studium der Germanistik, Allgemeinen Geschichte und Schweizer Geschichte an der Universität Zürich. Daneben Violin- (René Armbruster) und Kompositionsausbildung (Paul Müller) an der Musikakademie in Zürich. Promotion. Wissenschaftliche Publikationen und Lehrmittel in verschiedenen Verlagen und Lexika. Tätig gewesen als Professor für Deutsche Literatur an der Pädagogischen Hochschule sowie Lehrbeauftragter am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Seit 2010 freiberuflich als Autor tätig.
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Buchvorschau
Peter Altenbergs Grabennymphen - Bruno H. Weder
Pro Daninku
Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene - - -
ins Kaffeehaus!
Peter Altenberg
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Ouvertüre
Am Anfang stand der Tod
Pas de deux Kathi Schratt
Entr’acte 1 Am Thalhof
Pas de trois Xandl
Schaup oder Der Flitzer im Stadtpark
Entr’acte 2 Anni Kálmár
Des Spazierstocks neuer Kopf
Pas de six Für dich leben! Almschi
Entr’acte 3 Lina Loos
Dr.A.S.
Entr’acte 4 Arthur Schnitzler
Der Spülwasser-Ausguß
Entr’acte 5 Adele Sandrock
Verklärte Nacht
Das Wort
Entr’acte 6 H.N.
In der Pause Hygieia
Pas de deux Smaragda Berg
Ashantee
Entr’acte 7 Mahler vs. Mahler
Pas de trois Lou
Entr’acte 8 Ein neuer Stern am Himmel
Peripetie Semmering: Klara Panhans
Entr’acte 9 Paula Schweitzer
Ostara Bertha von Suttner
Am Steinhof
Entr’acte 10 Alma zum dritten
Watschenkonzert
Am Lido: Tango mit Bessie Bruce
Abgesang Beauté est vertue!
«Sag zum Abschied leise Servus!» Can Can
Das große Finale Grete Wiesenthal
Spanische Grippe Evelyn Landing
Der Rest ist Schweigen! Der Sturz in den Tod
Postludium
Zur vorliegenden Ausgabe
Biographie Peter Altenberg
Anmerkungen
Quellenverzeichnis
Biogramm
Editorial
Karl Kraus kündigt eine Veranstaltung an.Karl Kraus kündigt eine Veranstaltung an.
«Was heißt das, Erröthet wird nicht!!, was da auf dem Programmzettel steht?», wagte Peter Altenberg seinen Freund Karl Kraus zu fragen, als sie an einem diesigen Dienstag Anfang Oktober im Café Griensteidl saßen und zusammen mit Arthur Schnitzler beim dritten Glas Wein auf einen postfaktischen Anlaß anstießen.
«Du siehst es ja, wenn du lesen kannst. Es werden Texte deklamiert.»
«Du als Vorleser -?»
«Genau. Ich als Vorleser.»
«Aber du hast nicht auf Peters Frage geantwortet», warf Schnitzler ein.
«Bewußt nicht, weil der Schnorrer sonst erneut widerspräche.»
«Ich verspreche dir, nicht zu widersprechen, bei allem, was mir heilig ist.»
«Gibt’s etwas, was dir heilig ist?»
«Kommt’s Freunde, wir wollen uns net streiten, sondern unser Projekt diskutieren. Wir treffen uns hier regelmäßig. Warum wollen wir einander nicht die Geschichten erzählen und sie auf die Tauglichkeit für die Öffentlichkeit überprüfen?»
Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und reichlich mit Wein begossen.
**********
Ouverture
Extrapost, Wien 27. November 1899, S.1Extrapost, Wien 27. November 1899, S.1
Hübscher, schlanker Mann, mit gewöhnlichem Kopfe, gewöhnlichen Augen, gewöhnlicher Stirn, gewöhnlichen Manieren. Daß er seinen starken Schnurrbart melancholisch herunterhängen läßt, stets in einer schottischen Reisemütze herumstolziert und ohne langen Überzieher nicht mehr gedacht werden kann, das liegt vielleicht in der literarischen Richtung, die er repräsentiert. Das ist das einzige Auffallende an seinem Äußern. Dem Menschen thut man häufig unrecht, wenn man ihn nicht gesprochen hat. Wer nämlich Altenberg gelesen hat und mit ihm dann spricht, der glaubt, daß der Dichter seine Werke von anderen schreiben läßt. Klare Auffassung, kernige, gesunde Anschauung. Phrasenfeindschaft und tiefmoralische Intention fesseln im Gespräche; die Schreibweise vermag bekanntlich diesen mehrseitigen Zauber nicht auszuüben. Das kommt davon, dass in Altenberg zwei Seelen um den Vorrang kämpfen; die durchaus einfache, normale, etwas sinnlich angelegte Menschennatur und der Drang, der Menschheit etwas Neues, Originelles, noch nicht Gesagtes zu verkünden. Er will gesteinigt sein, als Arzt, der den jetzigen Menschen Giftpillen eingibt, damit ihre Nachkommen gesünder werden. Neben dieser kleinen Eigenthümlichkeit bleibt noch genug Gesundes und Originelles an dem Dichter. Er hat tiefe, sinnige Gedanken; wenn ihn nur Gott weiß wer nicht gelehrt hätte, dass man ein Kunstwerk nicht verstehen darf. So schreibt er seine klarsten und sittlich höchststehenden Gedanken zumeist so unverständlich auf, dass falsche Urtheile über ihn begreiflich sind. Er will es so; ohne Steinwürfe fühlt er sich nicht wohl. Heute wie vor 1899 und 3/4 Jahren hält man die Apostel der Wahrheit für Verrückte oder Verbrecher; ein Glück, dass die Zeitungskritiken weniger gesundheitsschädlich sind, als es das Kreuzigen ist. Die einfache, anspruchslose Natur Altenbergs setzt ihn über alles Ungemach der Gegenwart hinweg; die Goldkörnchen. die er unter der Spreu moderner Stilistik verstreut, gehen nicht verloren. Solche Dichter, die nur ihren Ideen leben, schenken der Welt immer etwas, auch unter Gedankenstrichen, Fragezeichen und Rufzeichen... (Extrapost, Wien, 27. November 1899, S.1)
Peter Altenberg stand am Dienstag, dem 28. November, erst gegen Mittag auf (wie es bei ihm üblich war) und ging, nachdem er sich bei der Oper eine Extrapost gekauft hatte, zielstrebig ins Café Museum. Er hoffte, dort Adolf Loos oder Karl Kraus zu treffen, und war erstaunt, Arnold Schönberg vorzufinden, in eine seiner Partituren vertieft. Also machte er kehrt, ohne vom Komponisten der zwölf Töne gesehen zu werden, was den exzentrischen Telegrammstil-Literaten erleichterte. Er ging deshalb, eine Wagnermelodie summend, ins Café Casa Piccola, das am äußeren Rand des Glacis’ lag.
Dort saß Egon Friedmann (später, 1916, ließ er seinen jüdisch klingenden Namen offiziell ändern in Friedell; denn er konvertierte bereits als Schüler zum evangelischen Glauben), der sich lebhaft mit dem Cafetier Carl Obertimpfler unterhielt, der hinter dem Tresen hantierte.
«So früh schon auf?» wunderte sich der sitzende Gast.
«So früh schon im Café? Keine Vorlesung an der Alma Mater?» entgegnete Altenberg.
«Man soll nie eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten.»
«Und wieso soll man net a Gegenfrage stellen dürfen?»
Alle drei lachten lauthals, und Friedmann erklärte, daß er einen Vortrag für ein Seminar vorbereite, was ihm bei einem Verlängerten halt leichter falle.
Noch während er dies sagte, kam Bewegung in die Gästeschar; denn am Eingang versuchte eine junge Dame ihren triefenden Regenschirm zu deponieren, was ihr aber mangels Ablagegelegenheit nicht zu gelingen schien.
Der Altherren-Club schwieg und männiglich starrte zur Türe, wo Carolina Obertimpfler, die Tochter des Gastwirts, den Regenschirm in der Hand, im Windfang stand und lächelte.
«Wie Madonna unterm Baldachin», entfuhr es Friedell.
«Treten S’ ein und nähern sich uns. Wir beißen net, auch wenn wir jemanden zum Fressen gern haben.»
«Sie sind mir einer, Herr Peter!»
Mit diesen Worten - ein schelmisches Lächeln umspielte ihren Schmollmund mit den Grübchen in den Wangen – trat sie ein, ging hinter den Tresen, wo sie den triefenden Schirm in die Spüle stellte, und setzte sich zu den Herren, nachdem sie sich des Mantels entledigt hatte.
«Ich habe jetzt grad in der Fledermaus vorgesprochen, und stellen Sie sich vor: Sie wollen mich dort nehmen!»
«Großartig! Pyramidal! Das muß ein gelungener Text gewesen sein, wenn Sie angenommen wurden. Oder war’s der Charme der holden Weiblichkeit?» frotzelte Friedell.
«Aber doch nicht unter meinem Namen -?» warf der Vater ein.
«Nein, Lina Vetter ist mein Name dort. Der Text war von – dreimal dürfen S’ raten – »
«Von unserem Herrn Peter!»
Peter Altenbergs Mondgesicht errötete bis auf die Glatze. Doch er schwieg.
**********
Am Anfang stand der Tod
Alicen’s Kasten: Beschriftete Photo von PAAlicen’s Kasten: Beschriftete Photo von PA
Lange starrte er auf die Photographie, und immer deutlicher wurden die Konturen: Unten rechts stand zu lesen: Alicen’s Kasten. Dies hatte er selbst vor wenigen Minuten auf die Karte gekritzelt. Und darüber war der Kasten mit den geöffneten gestemmten Türen. Nicht so sehr der Inhalt des Kastens war der Grund der Betrübnis, sondern die Tatsache, daß er, Peter Altenberg, diese Photo von der Familie Popper erhalten hatte, die er gleich mit dem Schriftzug mit dem sächsischen Genitiv versehen hatte. Als ob der Kasten gestorben wäre. Er rutschte unruhig auf der Bettkante hin und her, ließ das Kinn in die linke Hand gleiten und grochste leicht.
Die Erinnerungen kamen hoch: Frau Dr. P. hatte ihn im Café abgeholt, und eine Stunde lang durfte er mit den beiden Mädchen, Alice und Gusti, Hand in Hand spazieren gehen. Wann war dies gewesen? Er wußte es nicht mehr. Aber es kam ihm in den Sinn, daß er einen Brief geschrieben hatte, einen Liebesbrief an Ännie Holitscher, worin er die Schwärmerei für kleine Mädchen thematisierte (am 7. November 1893 hieß es Hand in Hand mit den beiden lieben Mäderln). Aber noch am 11. Oktober hatte er seinem Bruder Georg Engländer geschrieben, daß er Ännie vielleicht hätte heiraten sollen. Dabei hatte er sich, wie so oft, nur lustig gemacht, hatte ihr noch vom Hotel Kammer am Attersee einen Brief geschrieben, worin er von ihr zu träumen gedachte.
Ich übernachte jetzt in Kammer im Hôtel Kammer und wenn ich diesem Brief d. Unterschrift u. dem Couvert die Überschrift gegeben haben werde, wird keine Viertelstunde vergangen sein, daß ich von meinem lieben süßen Mädchen träumen werde.
Doch schon am andern Tag hatte er dies widerrufen, hatte sich darüber lustig gemacht. Mein liebes Aennchen: Ich habe nicht von Ihnen geträumt; ich träume nur von Dingen, an die ich lange nicht gedacht habe; Nachts, um 12 Uhr, war aber ein Erdbeben und mein Hemdkragen fiel auf den Boden herab; da ich den Untergang der Welt erwartete, nahm ich mir nicht die Mühe, ihn wieder aufzuheben.
Er erniedrigte sie, wußte nicht, daß sein Freund Arthur Schnitzler sie ebenfalls verehrte, hatte dieser doch in seinen Tagebüchern vermerkt: Anny (…) die sich im Laufe des vergangnen Faschings, wie ich auf Bällen zu beobachten Gelegenheit hatte, für diesen Richard auffallend interessirt hatte. Heuer sah man ihn nirgends; dagegen wandte Anny H. ein auffallendes Interesse mir zu, und auch ich fand an dem liebenswürdigen Geschöpf ein ausnehmendes Gefallen. (Arthur Schnitzler im Tagebuch am 13. April 1886)
Und idealisierte gleichzeitig Alice mehr denn je, wie er über der Photo brütete. Wie kam er nur dazu, Ännie von Alice zu schreiben? War dies seine Art, eine erwachsene Frau zu