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Thiwelfaria: Das Gesicht von Liebe und Tod
Thiwelfaria: Das Gesicht von Liebe und Tod
Thiwelfaria: Das Gesicht von Liebe und Tod
eBook496 Seiten6 Stunden

Thiwelfaria: Das Gesicht von Liebe und Tod

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Über dieses E-Book

Das Abenteuer geht weiter

Nachdem es Laura und ihren Freunden gelungen war, Lilly zu befreien, sind die beiden Schwestern endlich wieder vereint.
Um ihre Bestimmung erfüllen zu können und den Krieg in Thiwelfaria zu beenden, werden Laura und Lilly dazu gezwungen, sich ihren schlimmsten Ängsten zu stellen. Mehr als einmal drohen sie an ihrer Aufgabe als Hüter zu scheitern, aber der starke Zusammenhalt zwischen ihnen und ihren Freunden gibt ihnen die nötige Kraft um weiterzumachen.
Ein mächtiges Geschenk von unverhofften Mitstreitern verspricht ihnen einen Vorteil gegenüber dem Tyrannen Khorus, doch ein Verräter aus den eigenen Reihen ebnet dem Tod den Weg in den engsten Kreis der Gefährten. Als ein dunkles Geheimnis die Verbündeten endgültig zu entzweien droht, scheint das Schicksal des magischen Reiches Thiwelfaria besiegelt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum29. Nov. 2018
ISBN9783960145264
Thiwelfaria: Das Gesicht von Liebe und Tod

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    Buchvorschau

    Thiwelfaria - Melanie Lauterbrunner

    cover-front.jpg

    Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verlages gestattet. Verwendung oder Verbreitung durch unautorisierte Dritte in allen gedruckten, audiovisuellen und akustischen Medien ist untersagt. Die Textrechte verbleiben beim Autor, dessen Einverständnis zur Veröffentlichung hier vorliegt. Für Satz- und Druckfehler keine Haftung. 

    Impressum 

    Melanie Lauterbrunner, »Thiwelfaria – Das Gesicht von Liebe und Tod« 

    www.edition-winterwork  

    © 2018 edition-winterwork  

    Alle Rechte vorbehalten 

    Lektorat: www.lektorat-koda.de 

    Illustrationen: Bernadette Seiringer 

    Covergestaltung, Satz und Formatierung: www.johannes-hemetsberger.at 

    Druck/E-BOOK: winterwork Borsdorf 

    ISBN Print 978-3-96014-525-7 

    ISBN E-BOOK 978-3-96014-526-4

    Thiwelfaria 

    Das Gesicht von Liebe und Tod 

    Melanie Lauterbrunner 

    edition winterwork

    Landkarte.jpg

    Prolog 

    »Bitte«, flehte der Satyr und erhob sich auf die Knie, »bitte lass mich gehen.« 

    Er verzog sein Gesicht vor Schmerz. 

    »Ich schwöre«, keuchte er, »dass ich nie wieder jemanden anrühren werde, egal ob Frau oder Kind. Ich verschwinde von hier, und du musst mich nie wieder sehen. Bitte, hab Erbarmen.« 

    Laura blickte auf ihn hinunter. Er wirkte bemitleidenswert, doch sie blieb davon vollkommen unberührt. Memoria sah zu ihr auf, als wisse er nicht, was er tun sollte. Ohne den Satyr aus den Augen zu lassen, befahl sie verbittert: »Bring es zu Ende.« 

    Memoria zögerte nicht. 

    Mit gefletschten Zähnen stürzte sich der Feuerwolf auf die Kreatur und steckte sie in Brand. Der Satyr schrie als die Flammen ihn auffraßen doch Laura beachtete ihn nicht weiter. 

    Mit leeren Augen betrachtete sie die sterblichen Überreste seiner Gefolgsleute. Vermutlich sollte sie Reue empfinden wegen der Brutalität, mit der sie diese Kreaturen niedergemetzelt hatte, doch sie empfand gar nichts. Einen nach dem anderen ließ sie die Satyrn in Flammen aufgehen, und sah zu, wie sie langsam verbrannten. Dabei nahm sie Barocks Anwesenheit wahr, die ihr in dem Durcheinander bisher völlig entgangen war. Laura breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. 

    »Siehst du das?«, rief sie in den Wald hinein. »Du hattest die Chance mich zu töten und hast sie nicht genutzt! Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, wird es dir genauso ergehen!« 

    Es begann zu regnen, zuerst nur ganz leicht, doch bereits wenige Augenblicke später goss es in Strömen. Laura ließ schwer atmend die Arme sinken. Die Flammen waren erloschen und hatten von den Satyrn lediglich ein paar Häufchen Asche übrig gelassen. 

    Laura wunderte sich nicht darüber, dass auf einmal Lilly neben ihr stand. Ihre Schwester war mit dem Regen gekommen. 

    Gemeinsam starrten sie auf den Boden, bis Lilly flüsternd meinte: »Nichts wird mehr so sein wie früher.« 

    Laura schüttelte mechanisch den Kopf »Nein.« 

    Mehr zu sich selbst, fuhr Lilly fort: »Es werden schwere Zeiten auf uns zukommen.« 

    »Ich weiß.« 

    Und dann standen sie eine Weile einfach nur da. 

    Lilly blickte auf und musterte das Profil ihrer Schwester. »Fürchtest du dich?« 

    Laura hatte nicht die Absicht sie zu belügen. 

    »Ja«, erwiderte sie, ohne sich dafür zu schämen. 

    Lilly lächelte wehmütig und flüsterte: »Ich mich auch.« 

    Als Laura ihre Hand nahm, verschränkten sich ihre Finger ineinander. 

    Nur mit Mühe gelang es Lilly, ihre Tränen zurückzuhalten. »Ich bin froh, dass du bei mir bist.« 

    »Ja, ich bin auch froh.« Laura führte die Hand ihrer Schwester an ihre Lippen und küsste sie sanft.  

    »Bitte, lass uns von hier verschwinden«, bat sie erschöpft. 

    »Nur zu gerne.« Lilly legte die Arme um ihre Schwester und schloss die Augen. 

    Im nächsten Moment verschwammen ihre Körper zu Silhouetten und verschwanden mit dem Regen. 

    Ein Schatten löste sich aus dem Schutz der Bäume. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte man das Aufblitzen zweier Augen sehen, die das helle Mondlicht reflektierten. 

    Kurz hafteten sie auf dem Punkt, an dem Laura und Lilly eben noch gestanden hatten, bevor die Gestalt sich lautlos in die Dunkelheit des Nachtwaldes zurückzog. 

    Ja, es würden schwere Zeiten auf sie zukommen. 

    Drei Monate später 

    Die Nacht war hereingebrochen und hatte die Stadt in tiefe Dunkelheit gehüllt. Lilly lag in ihrem Bett und wartete. Nicht mehr lange und sie würde in der Stille das Geräusch von herannahenden Schritten hören können. Die Zimmertür würde sich öffnen und dann …  

    Sie blickte auf, als das eintraf, was sich seit beinahe drei Monaten jede Nacht wiederholte. Laura kam ins Zimmer geschlichen und legte sich zu ihr ins Bett. 

    Lilly schlang die Arme um ihre Schwester und zog sie an sich. Keine von beiden sagte ein Wort. Alles, was man in der Stille vernehmen konnte, waren Lauras leise Schluchzer. 

    Wie jede Nacht, seit sie aus Keth Salvara aufgebrochen waren, weinte sie sich in den Schlaf, und alles was Lilly dabei tun konnte war, ihr stumm Trost zu spenden und über sie zu wachen. 

    Ihre Schwester plagten schreckliche Alpträume. Durch ihre Gabe waren Lauras Erinnerungen so intensiv, dass sich alles wiederholte, was sie erlebt hatte, sobald sie die Augen schloss. Und nicht nur die Last ihrer eigenen Erinnerungen hatte ihre Schwester zu tragen. 

    Lilly würde nur zu gerne verdrängen, dass das ihre Schuld war. Hätte sie sich nicht so überstürzt auf die Suche nach ihren Eltern gemacht, wäre all das nie geschehen. 

    Die Folter durch Melf, die fürchterlichen Ereignisse in den Kerkern Hellonds und die vielen Male, in denen sie beinahe ihr Leben verloren hätte, all das wäre Laura erspart geblieben, hätte Lilly nicht so unüberlegt gehandelt. 

    Stattdessen musste ihre Schwester, jede Nacht aufs Neue, diese schrecklichen Qualen durchleben, während sie selbst sich kaum noch an die Zeit ihrer Gefangenschaft erinnern konnte. Man hatte ihr das Gedächtnis geraubt und von allem, was danach geschehen war, waren lediglich ein paar verschwommene Fetzen übrig geblieben. Lilly hatte das große Glück, sich nicht erinnern zu müssen.  

    Doch es gab noch einen anderen Grund, warum Laura litt. Warum sie nur noch nachts, wenn es niemand sehen konnte, ihre Verletzlichkeit zeigte. Calvin.  

    An jenem Tag als Calvin ihrer Schwester gestanden hatte, dass er sie liebte, nur um kurz darauf ohne ein Wort auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, hatte Lilly sich geschworen ihn umzubringen, würde er es wagen, ihnen noch einmal unter die Augen zu treten. Natürlich trug er nicht allein die Verantwortung für Lauras Kummer, aber er hatte im großen Maß dazu beigetragen. 

    Ihre Schwester war danach nicht mehr dieselbe gewesen. Zu oft war Laura von Menschen, die sie geliebt hatte, auf diese Weise verlassen worden. Und so gerne es Lilly auch leugnen würde, sie war einer davon. Umso mehr wollte sie ihrer Schwester helfen. 

    Doch Laura gab ihr nicht die geringste Chance. Nur wenn es dunkel war und alle schliefen, kam sie zu ihr und ließ ihre Maske fallen. Nur dann konnte Lilly noch etwas von ihrer Schwester erhaschen. 

    Laura war eingeschlafen, Lilly konnte es an ihren regelmäßigen Atemzügen hören. Selbst völlig erschöpft, wäre sie beinahe weggedämmert, hätte sie nicht ein leises Klopfen an der Tür gehört. Vorsichtig stieg sie aus dem Bett und tapste zur Tür. Sie öffnete sie einen Spaltbreit und lugte auf den Flur hinaus. Raoul stand da, mit einem wehmütigen Ausdruck im Gesicht. »Ist sie eingeschlafen?« 

    Lilly nickte. Sie warf noch einen kurzen Blick über die Schulter und trat in den Flur hinaus. 

    Der Kummer in ihren Augen war im Licht der Fackeln deutlich zu erkennen. »Ich ertrage das nicht mehr lange. Ich will sie zurück.« Die Worte kamen ihr nur mit Mühe über die Lippen. »Ich will meine Schwester zurück!« 

    Raoul nahm sie in den Arm und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. »Ich weiß.« Er gab ihr einen Kuss auf die Schläfe und ergänzte: »Das wollen wir alle.« 

    Lilly blickte unsicher zu ihm auf. »Ich würde ihr so gerne von uns erzählen. Ich würde ihr so gerne sagen, wie glücklich ich bin.« 

    »Dann tu‘ es doch. Ich bin mir sicher, sie würde sich für dich freuen.« 

    »Ich weiß, dass sie so tun würde, um meinetwillen. Aber das reicht mir nicht. Ich will, dass sie sich aufrichtig freut. Ich will mein Glück mit ihr teilen können, so wie früher.« Lilly seufzte und ließ niedergeschlagen den Kopf hängen. 

    »Rede mit ihr darüber. Ich bin mir sicher …« 

    »Du weißt, wie oft ich das schon versucht habe, aber sie blockt mich immer wieder ab. Seit wir in Amuna angekommen sind, habe ich kein richtiges Gespräch mehr mit ihr geführt.« 

    Seit wir in Amuna angekommen sind. Lilly musste an den Moment denken, als sie die goldene Stadt zum ersten Mal erblickt hatte. Dieses Ereignis würde auf ewig in ihrem Gedächtnis haften bleiben. 

    Eine Woche nach der Übernahme von Keth Salvara, waren die Freunde zusammen mit Henry und seinen Soldaten, nach Amuna aufgebrochen. Beinahe die ganze Zeit über waren sie dem sichersten Weg entlang der Küste gefolgt und hatten sich erst einen Tagesmarsch von der Stadt entfernt nach Osten, ins Landesinnere, bewegt. 

    Am späten Nachmittag desselben Tages erreichten sie Amunas Grenze: einen weitläufigen See, der von jedermann aufgrund seiner glatten Oberfläche Spiegelsee genannt wurde. Stand man an seinem Ufer, so konnte man beobachten, wie das Sonnenlicht in einem warmen Goldton vom See zurückgeworfen wurde. Die ganze Gegend wirkte dadurch wie von einem hauchdünnen schimmernden Schleier bedeckt. 

    Dies war nur ein kleiner Teil des atemberaubenden Anblicks den die Landschaft zu bieten hatte, die jeden ins Staunen versetzte, der ein Auge für wahre Schönheit besaß. Der See war sehr groß, weshalb man das andere Ufer gar nicht erkennen konnte, und die Stadt Amuna befand sich genau in dessen Mitte. Es gab nichts, das die Stadt mit dem Festland verband, weshalb man nur zwei Möglichkeiten hatte sie zu erreichen, ohne nass zu werden. Entweder zu Wasser mit einem Schiff, oder auf dem Luftweg, und zwar mit großen Pusteblumensamen, die die Freunde in einer etwas kleineren Ausführung von den Tepis her kannten. 

    Sie schwirrten umher und transportierten viele Personen auf einmal in Gondeln, die von ihren Stielen hingen. 

    Am erstaunlichsten war bei allem jedoch die Grundfeste der Stadt. Ein riesiger Felsen der nicht, wie normalerweise üblich, nach oben hin immer schmaler, sondern im Gegenteil, immer breiter wurde. Er sah aus wie ein gigantischer Trichter, der weit über die Oberfläche des Wassers hinauswuchs. Der Durchmesser an der Spitze war groß genug, um der Stadt ausreichend Platz zu bieten. Prächtige Säulen umgaben die reichverzierten Gebäude und Türme, die weit in den Himmel hinaufragten. Die Stadt selbst, nochmals umgeben von einem breiten Ring aus Wasser, sah aus wie ein überdimensionaler Brunnen, an dessen Rand die Wassermassen in die Tiefe stürzten und dabei den Felsen umhüllten, wie ein durchscheinender Vorhang. 

    Außerdem tauchten, wie auch schon in Silvestria, immer mal wieder Regenbögen auf, nur um im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden, was auf einen regen Postverkehr schließen ließ. Dieser hatte sich, seit Keth Salvara zurückerobert worden war, mehr als verdreifacht. 

    Bild1.jpg

    Sie waren mit einem Schiff gefahren, erinnerte sich Lilly. Unter den Wasserfällen hindurch waren sie zu einer Anlegestelle gekommen, von der aus ein Weg spiralförmig den Felsen hinaufführte, breit genug, um sich darauf mit Pferden und sogar Kutschen zu bewegen. Oben angekommen, hatten sie einen Steg überquert, der sie über das Wasser zum Rand der Stadt gebracht hatte. Sie waren Henry bis ins Stadtinnere gefolgt, an den vielen weißen, mit Gold verzierten Gebäuden vorbei, zu einem kleinen Wirtshaus, in dem für jeden von ihnen ein Zimmer zur Verfügung stand. 

    Hier hatte Henry sie verlassen, da es ein Problem mit Amunas Führung gab. 

    Bei der Besichtigung eines Außenpostens war Amunas Oberhaupt sowie einige seiner Ratsmitglieder getötet worden. In Zeiten des Krieges war es nicht leicht, einen geeigneten Nachfolger zu finden, weshalb Henry gebeten wurde, vorübergehend diese Aufgabe zu übernehmen. Er befehligte ohnehin die Soldaten, die in Amuna stationiert waren und hatte außerdem die nötige Erfahrung. Um ihn zu entlasten, bekam er einen Verwalter an seine Seite gestellt.  

    Raoul war während Henrys Abwesenheit bei ihnen geblieben und hatte sich darum gekümmert, dass es ihnen an nichts fehlte. Lilly lächelte. 

    »Was ist?« Raoul neigte den Kopf und musterte sie amüsiert. »Woran denkst du gerade?« 

    Lilly schüttelte den Kopf. »Ach, an nichts.« 

    Er legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie mit sich. 

    »Komm, ich muss dir was zeigen.« 

    Gemeinsam gingen sie den langen Korridor entlang und stiegen die Treppe hinab ins Erdgeschoss. Von dort aus waren es nur noch wenige Schritte bis zur Gaststube. An der Tür blieb Raoul stehen und bedeutete Lilly hineinzusehen. Sie schielte durch den kleinen Spalt und musste unweigerlich lachen. 

    Chris und Samira saßen an einem Tisch in der Nähe des großen Kamins und führten mit den Händen eine rege Diskussion. Die beiden verbrachten seit ihrer Ankunft beinahe jeden Abend zusammen. Chris brachte Samira das Schreiben bei und Samira lehrte Chris im Gegenzug dafür die Zeichensprache. Lilly wusste, dass die zwei, auch wenn keiner von ihnen das zugeben würde, sehr viel füreinander übrig hatten. 

    »Komm, lass uns reingehen.« Raoul bugsierte Lilly sanft durch die Tür. »Bevor sich die beiden noch an die Gurgel gehen.« 

    Und tatsächlich sah Samira so aus, als würde sie jeden Moment vom Sessel springen und Chris anfallen. Die große Frau mit den dunkelroten Locken besaß noch immer dasselbe Temperament und die gleiche Anmut wie damals als Leopardin, was sie zu einer sehr interessanten Persönlichkeit machte. Interessant, aber auch schwierig. 

    »Hey ihr beiden, wie geht’s mit dem Lernen voran?« 

    Chris schnaubte. »Sie hat ungefähr dieselbe Aufmerksamkeitsspanne wie ein Hundebaby und ist so schwer von Begriff wie … hm, mir fällt dazu, ehrlich gesagt, nichts ein.« 

    Samira verpasste Chris einen Klaps auf den Hinterkopf. 

    »Ich bin stumm aber nicht taub und wenn einer schwer von Begriff ist, dann bist du das!«

    »Gut so«, Raoul tätschelte Samira die Hand, »lass dir von ihm ja nichts einreden. Bei so einem miserablen Lehrer würde ich auch eine Ewigkeit brauchen, um durchzublicken.« 

    »Wenn ich so ein miserabler Lehrer bin«, meinte Chris beleidigt, »dann unterrichte du sie doch.« 

    Zur Überraschung aller, schüttelte Samira heftig den Kopf. 

    »Du hast es begonnen«, gestikulierte sie hastig, »und du wirst es auch beenden!«

    »Na schön«, gab sich Chris geschlagen, »das ist wohl mein ganz persönlicher Fluch.« 

    Lilly folgte dem Gespräch nur noch mit einem Ohr, da sie in einer der hinteren Ecken Henry sitzen sah, der allein und still vor sich hin grübelte. Sie entschuldigte sich bei den anderen und machte sich auf den Weg zu ihm. »Hey.« 

    Seine Lippen brachten lediglich ein zurückhaltendes Lächeln zustande. »Hallo.« 

    Lilly zog einen Sessel zu sich heran und ließ sich ihm gegenüber nieder. 

    »Du wirkst so niedergeschlagen, was ist los mit dir?« 

    Henry warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Du weißt ganz genau, was los ist.« 

    Ja, sie wusste es, und das machte sie traurig. Vom ersten Moment an hatte sie Henry ins Herz geschlossen. Er war stark und konsequent, wie es sein Amt verlangte, aber auch ehrlich und gütig, und hatte für jeden der Hilfe brauchte ein offenes Ohr. 

    Seine grauen Augen waren sehr ausdrucksstark, weshalb er nur schwer verheimlichen konnte, was in ihm vorging. Lilly hatte vom ersten Moment an gewusst, dass Henry in ihre Schwester verliebt war. Laura hingegen schien dies nicht zu bemerken. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt einem Mann nachzutrauern, der sie nicht einmal annähernd verdient hatte und der sie niemals glücklich machen würde. 

    »Schläft sie?« 

    Lilly war völlig in Gedanken versunken und brauchte einen Moment, bevor sie ihm antworten konnte. 

    »Ja, sie war ziemlich fertig.« 

    Henry nickte. »Das wundert mich nicht. Sie ist wie besessen. Wenn sie so weitermacht, wird sie irgendwann vor lauter Erschöpfung einen Fehler begehen, der sie das Leben kostet.« 

    »Ja, ich weiß. Ich habe versucht, sie zu überreden die Sache etwas ruhiger und weniger impulsiv anzugehen, doch sie hat nichts für meine Ratschläge übrig. Sie lebt nur noch für den Kampf.« 

    Lillys Gedanken schweiften wieder ab. Sie erinnerte sich an die unzähligen Male, in denen sie ihre Schwester auf die »Jagd« begleitet hatte. Die Jagd nach dem Feind, wie Laura es immer nannte. Es bedurfte nur eines Gerüchtes, dass Khorus‘ Spitzel, Kaubuks oder Satyrn, in der Nähe der Stadt gesichtet wurden, und Laura reagierte sofort. 

    Doch nie ließ Lilly zu, dass sie allein loszog. Mindestens zwei von ihnen begleiteten sie regelmäßig auf ihren Streifzügen, um sicher zu gehen, dass Laura sich nicht unnötig in Gefahr brachte. Und ein jeder von ihnen hatte dabei schon etwas abbekommen. Doch zumindest war ihre Schwester dadurch immer noch am Leben. 

    »Du solltest jetzt schlafen gehen«, meinte Henry und strich sich erschöpft übers Gesicht, »morgen wird eine anstrengender Tag.« 

    »Wie viele Frauen sind seit gestern verschwunden?« 

    »Vier.« 

    »Und du glaubst, wir finden sie noch rechtzeitig?« 

    »Ich hoffe es.« 

    »Wer wird uns begleiten?« 

    Eine Hand legte sich auf Lillys Schulter. »Wir werden alle mitgehen.« 

    Lächelnd blickte sie zu Raoul auf, der gemeinsam mit Chris und Samira zu ihnen gestoßen war. 

    »Wie Henry schon sagte, es wird ein anstrengender Tag, wir sollten schlafen.« 

    Sie verabschiedeten sich voneinander und gingen getrennt in ihre Zimmer zurück. 

    *** 

    Am nächsten Morgen fanden sich alle gemeinsam in der von ihnen angelegten Waffenkammer ein. Während die anderen noch ihre Rüstungen anlegten, war Laura bereits fertig. Sie trug eine eigens für sie angefertigte Plattenrüstung, gefertigt aus einem kostbaren Rohstoff genannt Perlmantium. Dieses Edel-Erz war sehr selten und nur in der Gegend rund um das Perlgebirge vorzufinden. 

    Henry hatte Agranten, ein sehr geschicktes Volk, das nördlich von Amuna an einem Ort namens Kramek lebte, damit beauftragt, die Rüstungen für Laura und Lilly anzufertigen. Als die Agranten erfuhren, für wen der Auftrag gedacht war, erklärten sie sich bereit, einen Teil ihres gehorteten Perlmantiums dafür zu opfern. 

    Und sie schufen ein Meisterwerk der Rüstungsschmiedekunst: einen Panzer, der so leicht und flexibel war, dass er sich jeder Bewegung seines Trägers anpasste. Gleichzeitig aber war er zusammen mit dem Kettengeflecht, das ebenfalls aus Perlmantium bestand, nahezu undurchdringbar und bot damit den bestmöglichen Schutz, den man sich nur vorstellen konnte. Außerdem schimmerte die Rüstung, als bestünde sie aus reinstem Silber, und war darüber hinaus noch mit aufwendigen Goldornamenten verziert. 

    Ein wirklich wertvolles Geschenk. Darüber trug Laura einen Umhang in einem satten dunklen Rot – der Farbe Memorias – verziert mit goldenen Stickereien. Ebenfalls ein Geschenk an die Hüter, die in Amuna gebührend gefeiert wurden. All das jedoch war unbeachtet an Laura vorbeigegangen. 

    Sie lehnte sich mit verschränkten Armen an einen Tisch und beobachtete ihre Freunde. Mit Wehmut verfolgte sie ihre gegenseitigen Sticheleien und wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder dazuzugehören. 

    Doch es ging nicht. Sie fühlte so eine schreckliche Leere in sich, die niemand zu füllen vermochte. Eine Leere, die es ihr zwar nicht erlaubte glücklich zu sein, die sie dafür aber davor bewahrte erneut verletzt zu werden. Zumindest redete Laura sich das ein, um die Kälte in ihrem Inneren leichter zu ertragen. Mit jedem Tag fiel es ihr jedoch schwerer, diesen Irrglauben aufrecht zu erhalten. 

    Wie gerne würde sie ihren Freunden die Liebe geben, die sie verdienten. Laura warf einen Blick auf Henry. Wie gerne würde sie das für ihn sein, was er sich von ihr erhoffte. Als Henry ihren Blick spürte, sah er zu ihr auf. Abrupt wandte sie sich ab. 

    Im selben Moment kam Angel in die Kammer gestürmt. Das kleine blonde Mädchen rannte so schnell ihre Beinchen sie tragen konnten auf Laura zu und öffnete dabei ihre Arme. Laura fing sie auf und hob sie in die Höhe. Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie dem Kind die Locken aus dem Gesicht strich. 

    »Angel, was soll denn das? Ich hab dir doch gesagt, du sollst bei Merla bleiben bis wir wieder da sind.« 

    Lilly, die nun ebenfalls fertig war, warf dem Mädchen einen tadelnden Blick zu. Genau wie Laura trug sie eine Plattenrüstung, nur hatte ihr Umhang die blaue Farbe Mutaras und war mit entsprechenden Stickereien aus Silber verziert. Angel versteckte schmollend ihr Gesicht in Lauras Halsbeuge. 

    »Angel, da bist du ja.« 

    Eine stämmige, um die fünfzig Jahre alte Frau kam schnaufend in die Kammer gerannt. Es war die Wirtsfrau Merla. Sie war von Anfang an mehr als gastfreundlich gewesen und ihnen eine gute Freundin geworden. 

    »Tut mir leid Schätzchen, aber wir müssen jetzt los.« 

    Laura gab Angel an Merla weiter und ging augenblicklich wieder auf Abstand. Sie liebte Kinder über alles, dachte Lilly betrübt, doch nicht einmal die kleine Angel konnte Laura auf andere Gedanken bringen. 

    »Das glaub ich nicht, du schummelst doch!« 

    Merla war mit Angel verschwunden und die Freunde machten sich daran herauszufinden, wer dieses Mal den Lockvogel für die Satyrn spielen sollte. Sie standen im Kreis und hielten dabei alle ein Stäbchen in der Hand. Chris guckte betrübt auf seines hinab. Er hatte offensichtlich das kürzere gezogen. 

    »Nein, das tue ich nicht!«, rief Raoul mit gespielter Empörung. »Das Schicksal scheint es nur einfach nicht gut mit dir zu meinen.« 

    Chris verzog missmutig das Gesicht. »Aber das ist jetzt schon das fünfte Mal hintereinander.« 

    »Hör auf zu jammern und sag mir in wen ich dich verwandeln soll.« 

    Lilly hatte sichtlich Spaß daran den anderen eine neue Gestalt zu verpassen. Eben erst hatte sie Samira wieder in eine Leopardin verwandelt, da diese ihnen als solche am besten helfen konnte. Bedauerlicherweise war Lilly nicht dazu in der Lage, ihre Gabe uneingeschränkt einzusetzen, wie sie während einiger Kämpfe gegen Satyrn und Kaubuks hatte feststellen müssen. Lilly konnte nur jemanden verwandeln, der es zuließ, der von ihr überrascht wurde, oder keinen eigenen Willen besaß, wie zum Beispiel Khorus‘ Sklaven. 

    Setzten sich ihre Widersacher jedoch mental gegen eine Verwandlung zur Wehr, konnte sie nicht durchgeführt werden. 

    Als sich die Gerüchte verbreiteten, dass Mutaras Hüterin gefunden worden war, begannen sich ihre Gegner auf diese Form des Angriffs vorzubereiten. Khorus trainierte seine Kreaturen regelrecht darauf, weshalb es Lilly nur selten gelang, sie zu verwandeln. Bei einer ihrer Überraschungsangriffe jedoch hatte sie es geschafft, gleich eine ganze Meute von Khorus‘ Hunden in harmlose Mäuse zu verwandeln. 

    Auch Gegenständen konnte sie eine andere Form geben, wobei sie das nicht sehr oft tat. Erstaunlicherweise erforderte das viel mehr Zeit und auch Kraft, weshalb es nicht viel brachte, wenn Lilly schnell handeln musste.  

    Chris tippte sich aufs Kinn: »Hm, na gut, lass mich kurz überlegen, wie wäre es mit … ah ja, ich wäre gerne Mila Kunis.« 

    »Okay.« 

    Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil und schon schien es, als würde die Schauspielerin tatsächlich vor ihnen stehen. Samira gluckste amüsiert. Chris, der eigentlich nichts für diese Verwandlungen übrig hatte, sah an sich hinunter und nickte zufrieden. 

    »Wow, ich glaube ich bin gerade dabei, mich in mich zu verlieben.« Er tastete sich gründlich ab, natürlich nur um sicher zu gehen, dass alles saß wo es hingehörte. 

    Wenn Lilly einem Menschen die Gestalt eines anderen Menschen gab, war es für diesen relativ einfach sich an sein neues Ich zu gewöhnen. 

    Wenn sie jedoch jemandem in ein Tier oder eine andere Kreatur verwandelte, dauerte es ziemlich lang, bis derjenige mit seiner neuen Gestalt umgehen konnte. Daher war eine Verwandlung während eines Kampfes nicht ratsam, was Raoul einmal auf schmerzhafte Weise erfahren musste. Nur Samira hatte kein Problem damit, wieder zur Leopardin zu werden, da sie lange als solche gelebt hatte.  

    »Los jetzt, wir haben schon genug Zeit vertrödelt, lasst uns endlich gehen«, meinte Laura schließlich ungeduldig und stürmte allen voran aus der Kammer. 

    An der Stadtmauer angekommen, überquerten sie, wie schon viele Male zuvor, einen der vier Stege, die, jeder in eine andere Himmelsrichtung weisend, bis zum Rand des Felsens führten. Auf halbem Wege glitt Mutara von Lillys Hals, schwebte langsam Richtung Wasser und nahm dabei nach und nach die Gestalt eines Schwanes an. Ebenfalls aus Wasser, war er kaum mehr zu erkennen, als er die Oberfläche des Sees erreichte. Bis zum Ende des Stegs schwamm er neben Lilly her und schlug dabei übermütig mit den Flügeln. 

    »Hey, Chris, geh lieber etwas auf Abstand«, Raoul gluckste vergnügt, »Mutara sieht aus, als hätte er Hunger.« 

    Chris fuhr herum und zwar gerade noch rechtzeitig, da Mutara gerade dabei war seinen Hals zu recken, um nach seinem Hintern zu schnappen. 

    »Lilly, ich schwöre dir, wenn du das Vieh nicht unter Kontrolle hältst, dann …« 

    »Ja, schon gut«, Mutara verwandelte sich zurück in einen Stein und schlang sich als Kette wieder um ihren Hals, »du verstehst aber auch gar keinen Spaß.« 

    »Unter Spaß verstehe ich zumindest etwas anderes, als ständig in den Allerwertesten gezwickt zu werden.« 

    Sie betraten eine Plattform aus Holz, von der aus, man einen wunderbaren Ausblick über das ganze Land hatte. Die Luft war so klar, dass man im Westen sogar das Meer sehen konnte. Weiter im Norden hingegen, waren mit Schnee bedeckte Baumkronen zu erkennen. An jenem Ort versteckten sich die wenigen Stellarie, die vor Khorus hatten fliehen können, damals, als er ihr Land eingenommen hatte. Henry hatte seinen Freunden versprochen, dass sie sie irgendwann besuchen würden, doch bisher war dafür keine Zeit gewesen. Stattdessen ging es wie immer nach Osten. Zum Nachtwald, der unsichtbar unter einer dichten Nebeldecke begraben lag.  

    Lilly lehnte sich über das Geländer, das zur Sicherheit an der Plattform montiert worden war, damit niemand hinunterfallen konnte, und warf einen Blick hinab auf den See. Die Schiffe, die ihn befuhren, wirkten winzig, so weit waren sie entfernt. Links und rechts floss Wasser über den Rand des Felsens und stürzte in die Tiefe. Es war gefährlich, aber auch wunderschön. 

    »Lilly, bitte komm zurück. Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du dich so weit nach vorne lehnst.« 

    Grinsend drehte sie sich zu Raoul um, der ihr einen tadelnden Blick zuwarf. Sie fand es schrecklich süß, wenn er sich Sorgen machte. Dabei war dies gar nicht nötig. Wenn er wüsste, dass sie schon einmal vom Geländer gesprungen war, würde er wahrscheinlich durchdrehen. Während des freien Falls hatte sich ihr Körper allmählich in Wasser verwandelt. Es war ein tolles Gefühl gewesen, so als würde sie fliegen, und am Ende war sie mit dem See verschmolzen. 

    Sie liebte ihre Gabe, sie liebte es eine Hüterin zu sein, ganz im Gegensatz zu Laura, die es als Bürde und Pflicht empfand. Für sie selbst fühlte es sich vielmehr so an, als wäre sie endlich frei. 

    Ein leises Summen holte sie aus ihren Gedanken. Zwei riesige Pusteblumensamen kamen auf sie zugeschwebt. 

    »Na endlich, ihr seid spät dran.« 

    Die Tepis, die die Samen lenkten, landeten geschmeidig auf der Plattform. Einer von ihnen war Marion, ein freundlicher kleiner Kerl, der ihnen zum ersten Mal in Keth Salvara begegnet war. »Entschuldigt, dass es so lange gedauert hat«, meinte er mit seiner piepsigen Stimme, »das gute Stück will heute nicht ganz so wie es soll.« Er tätschelte beiläufig sein Gefährt. 

    »Es ist doch nichts Ernstes, oder?« Laura klang besorgt. Ihre Höhenangst machte es ihr so schon nicht leicht, eines dieser Dinge zu besteigen. Wenn dann auch noch technische Probleme hinzukamen … 

    »Keine Bange, es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.« 

    Nicht gerade überzeugt, ließ sie sich auf einem der Stühle nieder und gurtete sich an. Henry und Chris nahmen neben ihr Platz, während Samira sich der Länge nach auf dem Boden ausstreckte. Lilly und Raoul schwangen sich in das andere Gefährt. 

    Im nächsten Moment hoben sie auch schon ab. Wie befürchtet, lief die Fahrt nicht so reibungslos wie sonst. 

    Als sie ungefähr die Hälfte ihres Weges hinter sich gebracht hatten, fiel kurzzeitig der Rotor aus. Sie verloren ruckartig an Höhe, was Laura in schiere Panik versetzte. Reflexartig schnappte sie sich Henrys Hand und hielt sie verkrampft fest. 

    Erst als Marion den Flugapparat wieder unter Kontrolle gebracht hatte, entspannte sie sich ein wenig. Als sie merkte, dass sie dabei immer noch Henrys Hand hielt, ließ sie ihn verlegen wieder los. 

    »Tut mir leid.« Sie rückte ein Stückchen von ihm ab. 

    Henrys Hand ballte sich vor Frustration zur Faust, doch er gab sich gelassen. »Kein Problem, ich weiß doch, wie dir diese Höhen zu schaffen machen.« 

    Laura nickte abwesend. »Ja, natürlich, danke.« 

    Als sie endlich am Ufer landeten, warteten bereits Pferde auf sie. Die Gefährten vertrödelten keine Zeit. Nachdem sie sich von den Tepis verabschiedet hatten, machten sie sich auf den Weg. Der Nachtwald war an seiner Grenze nicht allzu dicht, weshalb er mit den Pferden einigermaßen gut zu durchqueren war. 

    Nach einer Weile fanden sie eine geeignete Stelle, um ihren Plan umzusetzen. Eine kleine Lichtung, in deren Mitte ein dicker Baumstumpf aus dem Boden ragte. Chris ließ sich darauf nieder und zupfte übertrieben an seinem Kleid herum. Die anderen versteckten sich, mit genug Abstand hinter den Bäumen. 

    Nur Samira blieb unmittelbar in Chris‘ Nähe und machte sich unter einem Strauch ganz klein. Mit angelegten Ohren lauschte sie und stieß dabei hin und wieder ein leises Grollen aus. Ansonsten war es völlig still. 

    Chris wusste genau was er zu tun hatte, doch tat er es nur ungern. Er begann zu singen, und zwar so hoch und lieblich wie möglich, wobei falsch wohl eher zutraf. Zeitgleich kämmte er sich mit seinen Fingern durchs Haar. Raoul drohte fast zu ersticken, während er krampfhaft versuchte nicht zu lachen. 

    Lilly grinste und gab ihm einen Stoß in die Rippen. »Hör auf, er macht es doch ganz gut«, flüsterte sie so leise wie möglich. 

    »Scht, seid still«, zischte Laura von ihrem Versteck aus, »sie kommen!« 

    Und tatsächlich, obwohl Chris immer noch lautstark seine Arie zum Besten gab, konnte man das leise Geräusch von Hufen hören. Die Satyrn hatten den Köder geschluckt. Laura zog ihre Schwerter. Memoria glühte tiefrot, genau wie ihre Augen. Es zeigte, dass auch er sich auf den Kampf freute – genau wie seine Hüterin. Die anderen taten es ihnen gleich und machten sich ebenfalls kampfbereit. 

    Einer der Satyrn hatte sich aus den Schatten gelöst, schlich sich von hinten an Chris heran und streckte seine Klauen nach ihm aus. Auch der Rest des Rudels trat, einer nach dem anderen, zwischen den Bäumen hervor, mit gebleckten Zähnen und einem hämischen Grinsen auf dem Gesicht. Ihre schwarzen Augen leuchteten vor lauter Vorfreude auf die frische Beute. 

    Die Krallen des ersten waren nur noch Zentimeter von Chris‘ Kopf entfernt, als Samira plötzlich aus ihrem Versteck sprang und sich auf ihn stürzte. Sie schlug ihre Zähne in seinen Arm und riss ihn zu Boden. 

    Im selben Moment stürmte Laura los und streckte den ersten Satyr, der ihr in die Quere kam, mit einem gut platzierten Hieb nieder. Memoria löste sich von ihrem Hals und stürzte sich in Gestalt eines großen Wolfes auf einen anderen, der gar nicht wusste wie ihm geschah, als er auch schon zu Boden ging. Dabei gingen rundherum einige trockene Äste in Flammen auf. Chris war aufgesprungen und fing das Schwert, das Raoul ihm zuwarf, geschickt auf, wobei er jedoch beinahe über seinen Rocksaum gestolpert wäre. Wütend zupfte er sich die langen Haare aus dem Gesicht. 

    »Oh Mann, wie ich das hasse.« Er ließ seinen Frust an dem nächsten Satyr aus, der ihm über den Weg lief. 

    An allen Ecken wurde gekämpft. Mit einem kurzen Blick zum Himmel, ließ Lilly es regnen, um das Feuer zu bändigen, das sich mehr und mehr auszubreiten drohte. Memoria, immer noch in Gestalt eines Feuerwolfes, war darüber gar nicht erfreut. Knurrend verwandelte er sich zurück und legte sich um Lauras Hals. Nicht mehr lange und der Kampf fand ein Ende. 

    Als sich die Gefährten umblickten, konnten sie keinen Satyr mehr entdecken, der noch am Leben war. 

    Chris nickte zufrieden. »Gut, das wäre geschafft.« 

    »Noch nicht ganz«, meinte Laura und rannte zu ihrem Pferd. 

    Einer war ihnen entkommen. Mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen verschwand der Satyr provozierend langsam zwischen den Bäumen. Henry hatte ihn auch gesehen, meinte jedoch: »Lass ihn laufen, er ist es nicht wert.« 

    Laura schüttelte stur den Kopf. »Nein, er führt uns vielleicht zu den verschwunden Frauen.« 

    Lilly schnaubte: »Ja, oder direkt in eine Falle. Wer weiß, wie viele sich noch da draußen rumtreiben.« 

    Die Warnung ihrer Schwester ignorierend, nahm Laura die Verfolgung auf. Henry stieg blitzschnell auf sein Pferd und ritt ihr nach, direkt hinter ihm folgte Samira. Die anderen drei brauchten etwas länger, da ihre Pferde weiter abseits standen. Als sie begannen, die Verfolgung aufzunehmen, waren ihre Freunde schon längst nicht mehr zu sehen. 

    Laura trieb ihr Pferd durch das Dickicht so gut es ging, den flüchtenden Satyr nicht aus den Augen lassend. Er war flink, kannte jeden Stock und jeden Stein in diesem Bereich des Waldes, weshalb Laura Mühe hatte, an ihm dran zu bleiben. Irgendwann wurde das Vorankommen mit dem Pferd zu mühsam und Laura musste zu Fuß weiterlaufen. Henry und Samira blieben ihr dabei dicht auf den Fersen. 

    Sie gelangten an eine Lichtung. Um diese herum waren in gleichmäßigen Abständen brennende Fackeln in den Boden gesteckt worden, was die verkümmerten Bäume in geisterhafte Gestalten mit bösen Gesichtern verwandelte. Trotz der Fackeln wirkte der Ort kühl. Es lag keine Wärme in den Flammen, sie waren tot, wie alles um sie herum. 

    Laura wagte nicht, die Lichtung zu betreten. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Satyr war verschwunden, doch nahm sie deutlich die Anwesenheit von jemandem wahr. Henry trat hinter sie und betrachtete die Umgebung mit ebenso viel Misstrauen. 

    »Wir sollten besser umkehren.« 

    Laura nickte, ihre Aufmerksamkeit speziell auf die Mitte der Lichtung gerichtet. Irgendetwas war da. Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Da lag jemand und dieser jemand trug eindeutig ein Kleid. 

    »Das ist eine der Frauen«, flüsterte Laura Henry zu. Ein leises Wimmern drang wie zur Bestätigung, an ihre Ohren. »Wir müssen ihr helfen.« 

    Sie wollte schon einen Schritt nach vorne machen, als Henry sie am Arm packte. 

    »Das gefällt mir nicht«, er warf einen Blick auf die Fackeln, »das ist bestimmt eine Falle.« 

    Samira grollte zustimmend. Laura warf einen sturen Blick auf das vermeintliche Opfer. »Du willst sie also einfach ihrem Schicksal überlassen?« 

    »Nein, natürlich nicht. Ich finde nur, wir sollten auf die anderen warten.« 

    »Das dauert zu lange!« 

    Sie versuchte erneut voranzukommen, doch Henry packte noch fester zu. »Hör mir zu! Wenn das eine Falle ist, kommen wir ohne die anderen nicht weit. Willst du wirklich das Leben dieser Frau riskieren, nur weil du zu stur warst, um vernünftig zu handeln?« 

    »Okay«, sie schaffte es endlich sich loszureißen und knurrte, »dann warten wir eben.« 

    Henry wandte sich an Samira. »Tu mir einen Gefallen und sieh dich bitte kurz um, wir bleiben solange hier. Aber sei vorsichtig«, fügte er noch hinzu, als die Leopardin sich abwandte. 

    Sie schnaubte und verschwand in der Dunkelheit. Die Gestalt vor ihnen nicht aus den Augen lassend, begaben sich Henry und Laura in Deckung. 

    »Dieser Ort ist so schrecklich trostlos«, meinte Laura nach einer Weile des Schweigens, »er strahlt so viel Einsamkeit und Kälte aus. Es ist als würde der Tod seine Arme um einen legen

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