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Die Chroniken von Nyúmel: Drachenblut
Die Chroniken von Nyúmel: Drachenblut
Die Chroniken von Nyúmel: Drachenblut
eBook393 Seiten4 Stunden

Die Chroniken von Nyúmel: Drachenblut

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Über dieses E-Book

Blaues Feuer, ein gieriger König und zwei frisch vermählte, die ihre Geheimnisse hüten.
Nyúmel vereint in diesen schweren Zeiten viele unterschiedliche Schicksale. Keiner von ihnen ahnt, welche Hindernisse ihnen noch bevorstehen.
Neue Gefühle erwachen, während alte Gefühle faulen.
Ein neuer Verbündeter könnte die Schlacht entscheiden, doch keiner weiß, ob man ihm trauen kann.
Wird er sein Wort halten?

*Reihenfolge*
Band 1 - Götterblut
Band 2 - Drachenjagd
Band 3 - Zwillingsbürde
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. März 2022
ISBN9783347593671
Die Chroniken von Nyúmel: Drachenblut
Autor

Stefanie Gerken

Stefanie Gerken was born in December 1989 in northern Germany. Since 2013 she published her novels as T.E. Lind, Hanna Swillerman and Lee Walker. After several number 1 places in the bestseller lists of Amazon.de and her bestseller Love me - Like nobody's watching, she decided in 2021 to write under her real name. In 2021 she opened her own publishing house.

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    Buchvorschau

    Die Chroniken von Nyúmel - Stefanie Gerken

    0

    Prolog

    Die Sonne schien mit ihrer gesamten Kraft auf das Deck des Schiffes. Bei jedem seiner Schritte, spürte er das erhitzte Holz unter seinen Füßen. Fast schon erwartete er, dass er sich die Fußsohlen verbrennen würde, dennoch lächelte er. Immerhin konnte er endlich die frische, salzige Seeluft genießen.

    Die Ketten seiner Handfesseln hingen nach all den Tagen schwer an seinen Armen, doch noch mehr machte ihm dieser massive Halsring zu schaffen. Seine Haut war von seinem Schweiß und dem Salzwasser gereizt und brannte wie Feuer, wenn er sich bewegte. Tamris versuchte die Ruhe zu bewahren, bald würde er ihn ablegen können.

    Die vergangenen Tage unter Deck hatten ihm viel Zeit zum Nachdenken gegeben. Diese Zeit hatte er genutzt und schließlich hatte er verstanden, dass er seine Entscheidung nicht bereute, dennoch hatte er um den Preis getrauert, den er zu zahlen hatte.

    Jetzt war Tamris wieder hier, das allein zählte.

    Das allein, war die richtige Entscheidung gewesen.

    Ein harter Schlag mit der Peitsche erwischte seinen Rücken. Für einen kurzen Augenblick biss er seine Zähne zusammen, während er scharf die Luft einsog. Auch wenn der Schmerz wie flüssiges Feuer durch seinen Körper jagte, so würde er sich nicht die Blöße geben und sein Gesicht verziehen. Sein Besitzer sollte wissen, dass er die Wahrheit gesagt hatte.

    »Los, Bewegung! Ich will endlich von diesem verfluchten Schiff herunter!«

    Er stieß Tamris die Planken hinunter, bis er auf dem sandigen Stein des Docks stand. Um ihn herum wurden die Schiffe entladen und die neuen Sklaven wurden, aneinander gekettet und verängstigt, wie sie waren, zu den Prüfern gebracht.

    Die Prüfer kontrollierten die Zähne der Ankömmling, untersuchten sie auf äußere Krankheiten und rasierten ihnen die Köpfe. Mit diesen Maßnahmen wollten die Bewohner der Insel verhindern, dass sich unter ihrer teuren Ware Krankheiten ausbreiteten.

    Die Huren der Insel standen bereits am Hafen. Sie amüsierten sich über die neuen Sklaven und versuchten die Sklavenhändler für eine Nacht für sich zu gewinnen. Dabei entging Tamris nicht, dass die eine oder andere Dame, eher einen stattlichen Sklaven anschmachtete, als den fast zahnlosen, kahlköpfigen Sklavenhändler. Die neuen Sklaven hatten für dieses Spektakel keine Zeit. Verängstigt klammerten sie sich an die Hoffnung hier eines Tages lebend herauszukommen. Tamris konnte sich noch gut an sein erstes Mal auf der Insel erinnern, auch er hatte Angst. Doch dieses Mal, schien das alles vergessen, zu sein.

    Der Sklave vor ihm wurde zum nächsten Prüfer gezogen. Ein kurzer Blick in den Mund und in die Augen genügte, dann wurde ihm der Schädel rasiert. Auch Tamris musste diese Prozedur über sich ergehen lassen. Während ihm der Kopf rasiert wurde, sah er hinauf zu den Häusern.

    Die untersten waren aus Holz. Hier lebten die ärmsten der Bewohner. Neue Sklavenhändler, die noch keinen Favoriten hatten, einige der freien Huren und die, die sich bei den Wetten verschätzt hatten. Sie alle hatten weniger, als die meisten Sklaven besaßen, dennoch führten sie sich auf, als ob ihnen die Insel gehören würde.

    In der Nacht war hier niemand mehr sicher, man wurde schneller einer der Sklaven, als einem lieb war, niemand würde nach der Herkunft des Sklaven fragen. Die hohen Schulden und die ärmlichen Lebensbedingungen ließen die Menschen hier alle zu Tieren werden. Jeden den sie erwischen konnten, legten sie in Ketten und versuchten ihn als Sklaven zu verkaufen.

    Der Hafen war gefährlich.

    Er kannte das bereits alles, deswegen schüchterte ihn diese Insel nicht mehr ein.

    Sein Herr lebte im mittleren Ring der Insel, hier konnte man in der Nacht noch vor die Haustür treten, ohne in Eisenketten in der Arena zu landen. Im mittleren Ring lebten viele der Händler. Sie versorgten die Insel mit allem, was man zum Leben brauchte. Hier gab es die Bordelle, die Mediziner und die bekannteren Sklavenhändler. Je näher die Häuser der Arena waren, desto massiver und größer wurden sie. Doch dafür musste der Sklavenhändler Sklaven besitzen, die in der Arena überlebten und ihn zu einem geachteten Mann machten. Dann erst, würde der Sklavenhändler an Ansehen gewinnen und Reichtum anhäufen können.

    Und genau darauf hatte es sein Herr abgesehen.

    Ein steinernes Haus, mit dem Blick auf die Arena gegen das Leben als Sklave, gegen die Gewissheit, dass er niemals wieder einem Menschen oder Elfen in Nyúmel schaden musste und gegen die Freiheit der anderen gefangenen.

    Dafür hatte Tamris das Versprechen gegeben, Kewan zum Ruhm zu verhelfen.

    Das war ihr Preis gewesen.

    Und Tamris war bereit ihn zu zahlen.

    1

    Neue Wege

    Er kniff die Augen zusammen, als der Diener von Sommerly erneut mit dem Rohrstock ausholte. Das Geräusch würde Ser Eland sein restliches Leben lang nicht mehr vergessen. Genauso, wie die Schreie der jungen Frau, die Sommerly foltern ließ.

    »Sommerly, ich flehe dich an! Lass dieses unschuldige Kind gehen. Ich schwöre dir, dass ich nicht weiß, wo sie ist!«

    »Das sagst du seit Monaten. Ich habe es dir damals im Wald gesagt. Du bist daran schuld, wenn du ein weiteres Leben an deinen Händen kleben hast. Wo ist sie, Eland?«

    »Ich weiß es nicht!«

    »Wer sind eure Verbündeten?«

    »Das weißt du, Sommerly. Sie sollte den Prinzen der Sonnlunds heiraten. Das hat sie aber nie, ich weiß nicht, ob dieses Bündnis noch besteht!«

    Königin Sommerly ging vor ihrem Bruder auf und ab. Seit Monaten versuchte sie aus ihm ein Wort herauszubekommen. Starrsinnig wie sie war, wollte sie nicht einsehen, dass Eland wirklich nicht wusste, wo sich seine Enkelin versteckt hielt.

    »Sommerly, bitte. Es ist Monate her, seit diesem Vorfall. Dein geliebter Ehemann, König Rej, ist schon lange bei den Göttern. Was meinst du, was er für dich empfinden würde, wenn er dich jetzt sehen würde?«

    Sommerly fuhr herum und schlug Eland mit ihrer flachen Hand in sein Gesicht. Der Schmerz des Schlages verebbte schnell, doch länger würde er den Schmerz in seinem Herzen behalten.

    Seine eigene Schwester hatte es gewagt ihn zu schlagen.

    Bevor er noch etwas zu ihr sagen konnte, beugte sie sich zu ihm herunter und funkelte ihn an.

    »Wage es noch einmal den Namen meines Mannes in den Mund zu nehmen.«

    »Sommerly, ich…«

    »Nein, schweig. Ich habe genug für heute.«

    Sie stellte sich wieder aufrecht hin und wandte sich an ihren Diener. Diese falsche Schlange von Elf befolgte jeden ihrer Befehle mit Genugtuung. Oft hatte sich Eland gewünscht, einmal mit ihm alleine zu sein. Jedoch wollte er sich frei bewegen können. Dieser Elf, war das Böse in Person.

    »Nerzul? Beende dein Werk. Danach kommst du zu mir.«

    »Sehr wohl, Minherrin. Soll ich vorher den Gefangenen zurück in den Kerker bringen?«

    »Nein. Er soll dir bei deiner Arbeit zusehen. Anschließend werden wir ihn hier auf diesem Stuhl lassen. Vielleicht bringt ihn der Anblick einer toten Frau dazu, zu reden.«

    »Wie Ihr wünscht, Minherrin.«

    Eland wollte seinen Ohren nicht trauen.

    »Sommerly!?«

    »Nein, Eland. Du wolltest dieses Schicksal. Du kannst froh sein, dass ich nicht dich in die geschickten Hände meines Dieners übergebe. Ich habe erst in den letzten Monaten gelernt, zu was dieser Künstler fähig ist.

    Du solltest mich nicht provozieren, ich kenne noch nicht alle seiner Fähigkeiten.«

    Ser Eland sah mit an, wie Sommerly ruhig die Folterkammer verließ und ihn mit dieser Bestie alleine ließ.

    »Hätte sie mich doch nur auf die Himmelsscheibe gebracht.«

    Der Elf lachte, während er eine Zange in seine Hände nahm.

    »Wer einmal auf die Himmelsscheibe kommt, kommt nie wieder herunter. Außer er springt. Hast du das vergessen, alter Mann? Meine Königin braucht deine Informationen. Du solltest ihr endlich antworten, sonst werden noch mehr Menschen und Elfen deinetwegen sterben.«

    Während er dies sagte, stellte er sich über die Frau, die erschöpft auf dem Boden lag. Ohne Gnade zu zeigen, stemmte der Elf seinen Fuß zwischen ihre Schulterblätter, zog ihren Arm hinauf und begann damit Stück für Stück ihr die Nägel auszureißen. Elands Magen drehte sich herum und er versuchte wegzusehen. Die Schreie der jungen Frau würden ihn sein Leben lang begleiten.

    Der Wind blies über den Berg hinweg. Lyria streckte sich aus und drehte sich auf ihren Rücken. Fugl regte sich neben ihr und drehte sie schließlich zu ihr herum.

    »Du bist wach?«

    »Nun, ich habe mir diese Wache freiwillig ausgesucht. Und auch, wenn du mich kurz abgelenkt hast, beachte ich meine Pflichten.«

    Fugl drehte sich gänzlich zu ihr herum und legte seine Hand zwischen ihre Brüste. Langsam begann er damit sie auf ihrem Brustbein zu streicheln.

    »Du sitzt hier jeden Tag, seit er uns verlassen hat. Wann willst du endlich wieder ein normales Leben führen?«

    »Er war mein normales Leben.«

    »Nein, du hattest vor ihm noch eines. Kannst du dich noch an die Zeit erinnern, als wir mit Lorenonn auf dem Festland gelebt haben? Als er der Botschafter der Sonnlunds war? Und als wir seine Wachen waren? Wir wollten danach eine Familie gründen und zusammen auf den Sonnlunds leben. Was ist aus diesem Plan geworden?«

    Lyria setzte sich hin und sah zu Fugl hinunter.

    »Diesen Plan gab es, bevor Tamris geboren wurde. Warum verlangst du von mir ihn zu vergessen?«

    »Weil er erwachsen ist.«

    »Beinahe.«

    »Lyria, diese paar Jahre interessieren uns Elfen nicht, das weißt du. Er ist nur noch nicht alt genug, dass ihm eine wichtige Position zugeteilt wird. Aber er ist durchaus in der Lage alleine zu überleben.«

    »Aber auch nur, weil ihr ihn alle verdrängt. Bei den Göttern, Fugl. Er ist unser Prinz und dazu noch mein Schützling. Ich lasse ihm diese Freiheit, die er sich wünscht, jedoch werde ich ihn finden und ihm danach den Kopf waschen!«

    Fugl ließ sich zurück auf seinen Rücken gleiten.

    »Du solltest ihm nach allem, was passiert ist, diesen Abstand eingestehen.«

    »Du hast ja recht.«

    Lyria legte sich wieder zu ihm und schmiegte sich an seine Seite.

    »Ich mache mir Sorgen um ihn.«

    Fugl zog sie enger an sich heran und gab ihr einen Kuss auf ihre Haare.

    »Ihm wird es gut gehen. Er hat schon einmal alleine auf dem Festland überlebt. Was soll schon schiefgehen?«

    Die Fackeln erhellten die Zellen, auch tief in der Nacht. Für die Neuankömmlinge bedeutete dies, dass sie die ersten Nächte nicht schlafen konnten. Doch Tamris hatte sich auf sein steinernes Bett gelegt, die Augen geschlossen und schlief bereits halb, als er von einer anderen Zelle her Stimmen vernahm.

    »Verstehe ich nicht.«

    »Unmöglich.«

    »Als ob nichts passiert ist.«

    »Wer ist das bloß?«

    »Ich kenne ihn nicht. Und ich habe alle Elfenreiche besucht.«

    »Da hättest du bleiben sollen. Genauso, wie wir anderen.«

    Er konnte deutlich hören, dass über ihn gesprochen wurde. Genervt spannte er seinen Kiefer an, um sie zu verdrängen. Dieses Mal schaffte er es nicht die neugierigen Fragen auszublenden, deswegen konfrontierte er sie.

    »Was wollt Ihr von mir?«

    Die Stimmen erstarben.

    Tamris glaubte bereits, dass er nun endlich schlafen konnte, als sich schließlich ein Sklave traute und ihn direkt ansprach.

    »Ihr könnt schlafen, Minherr?«

    »Nein, Ihr seid zu laut.«

    »Wir wundern uns nur, Minherr.«

    Tamris setzte sich auf und suchte mit seinen Augen den Sprecher. In der Zelle, die ihm gegenüber war, stand eine kleine Gruppe, die ihn gebannt beobachtete. Tamris zog seine Beine an und legte seine Unterarme auf seine Knie.

    »Weshalb wundert Ihr Euch?«

    »Nun, wir kamen heute alle zusammen an. Jeder von uns hat Angst, außer Ihr. Könnt Ihr Euer Geheimnis mit uns teilen?«

    »Es gibt kein Geheimnis.«

    »Aber, Minherr, bitte. Mein Sohn, Sulvinnur. Er ist doch erst zwölf.«

    Als Tamris den Jungen sah, sammelte sich in seinem Mund saurer Speichel. Er hatte Mühe damit, mit ruhiger Stimme weiterzusprechen.

    »Weshalb ist er nicht bei den anderen Sklavenjungen?«

    »Der Sklavenhändler wollte ihn nicht weitergeben. Sulvinnur kann nicht sprechen.«

    Durch die Adern von Tamris floss kein Blut mehr, sondern Eis. Vorsichtig fragte er, in der Hoffnung mit seinen Herren reden zu können, nach.

    »Seit wann schweigt dein Junge? Erst, seit er gefangen wurde?«

    »Nein, schon immer. Er wurde so geboren, Minherr.«

    Am liebsten hätte Tamris alles dafür getan, dieses Kind zu retten. Doch er wusste, wie die Zukunft für ihn aussah. Die Kinder der Sklaven und Huren, wurden in den Dienst der Arena geschickt. Sie sollten als Pagen jeden noch so kleinen Wunsch der Besucher erfüllen.

    Oder sie wurden zum Verkauf angeboten.

    So ersparten sie sich den Weg in die Arena, jedoch war dies ihr Weg in die private Sklaverei. Ein Leben als Diener, klang dennoch für viele verlockender, als dem Tod in der Arena in die Augen zu sehen.

    Wenn ein Kind unbrauchbar für diese Dienste war, wurde es gleich in die Arena gebracht. Zur Belustigung der Besucher.

    Tamris ekelte dieses Verhalten an, doch im Augenblick wusste er nicht, wie er dieses Kind unter diesen Umständen retten sollte.

    »Nehmt ihn in Eure Arme, summt ihm ein Lied vor.«

    »Das soll helfen?«

    Die nächsten Worte rutschten Tamris heraus. Zwar sprach er nur die Wahrheit aus, dennoch wollte er es eigentlich nicht.

    »Es ist nicht für lange.«

    Auf dem Kindergesicht erschien ein breites Lächeln. Während der Vater seinen Sohn an sich herandrückte, konnte Tamris deutlich die Tränen in seinen Augen sehen. Er hatte Angst um seinen Sohn und er sollte Recht behalten.

    Dies war eine harte Welt. Und auch, wenn Tamris freiwillig hier war, so hatte er im Augenblick nicht die Macht, um diesen Jungen zu retten.

    Es klopfte an der Tür. Robyn erhob sich vorsichtig und wollte die Tür öffnen, doch ihre Mutter trat bereits ein.

    »Bleib ruhig sitzen.«

    Dankbar setzte sich Robyn wieder hin und versuchte das weiche Kissen wieder in eine angenehme Position zu rutschen. Ihre Mutter setzte sich zu ihr und stellte ihr ein Brett auf den Tisch, auf dem ihr Frühstück lag. Robyn wollte ihren Augen nicht trauen, ihre Mutter bemerkte ihren Blick.

    »Du solltest ausreichend essen.«

    »Das ist doch viel zu viel.«

    »Ich weiß, dass du so denkst. Deswegen habe ich es übernommen deine Speisen anzufertigen.«

    »Mir hat das Essen von Helvar gereicht.«

    »Du isst nicht mehr alleine, Robyn.«

    »Das weiß ich, aber, wenn ich satt bin, bin ich satt.«

    »Du bringst einen zukünftigen König zur Welt, er wird dir schon sagen, wenn er etwas braucht.«

    Robyn sah dankbar zu Cassia hinauf. Sie wusste, dass ihre Mutter nur ihr Bestes wollte. Ihre dunklen Augen leuchteten sie mit ihrer typischen Wärme an.

    Sie war glücklich.

    Wenn Robyn ihr nur die Wahrheit erzählen könnte.

    Zwar wollte Robyn lächeln, stattdessen spürte sie aber selbst die Träne, die an ihrer Wange hinab rollte. Hastig wischte Robyn sie weg und entschuldigte sich.

    »Es tut mir leid.«

    »Das muss es nicht. Ich kenne viele Frauen, die während ihrer Schwangerschaft geweint haben.«

    »Das ist es nicht, ich sollte nicht weinen.«

    »Sei nicht so hart zu dir. Selbst ich habe ab und an geweint.«

    Dankbar legte Robyn ihre Hand auf die ihrer Mutter. Cassia drückte ihre Hand sanft und lächelte ihr aufmunternd zu.

    »Schon gut, das ist ganz normal.«

    Robyn atmete noch einmal tief ein, um ihre Nerven zu beruhigen.

    »Bestimmt hast du recht.«

    »Brauchst du mich noch?«

    »Nein, ich denke, dass ich noch alleine essen kann.«

    »Natürlich, aber, wenn du etwas brauchst, kannst du es mir sagen.«

    »Das werde ich.«

    Ihre Mutter stand auf und verließ sie wieder. Robyn blieb auf ihrem Stuhl sitzen und sah aus dem Fenster. Wie so oft in den letzten Wochen, seit man ihre Umstände sah, saß sie hier und dachte über sich und dieses Kind nach. Natürlich wusste sie, dass die Fragen, die sie quälten, ihre eigene Schuld waren. Jedoch konnte sie noch immer nicht vergessen, was sie gehört hatte. Seit sie wusste, dass sie ein Kind erwartete, hatten sich ihre Ansichten geändert. Sie musste ihre Ängste und ihre Wünsche aussortieren. Einige waren berechtigt, andere konnte sie sich nicht mehr erlauben. Egal, wie ihr Leben nun aussah.

    Für die Menschen und Elfen machte sie alles richtig.

    Sie war verheiratet und anschließend wurde sie schwanger. Alles verlief in seinen gewohnten Wegen. Alles, bis auf die Tatsache, dass Robyn wusste, dass nichts so war, wie alle dachten.

    Schützend legte Robyn ihre Hände um ihren Bauch, als sie den Reitern zusah, die in den Berg einritten. Bereits von weitem, hatte sie gesehen, dass dies Elfen waren. Ihre schillernden, dunklen Rüstungen mit den zahlreichen Verzierungen, hatte sie verraten. Und dass Lyria ihnen vorweg ritt, zeigte Robyn, dass diese Männer wichtiger Besuch waren. Neugierig beobachtete sie die Gruppe, die in die Stadt einritt. Die Männer sahen sich nicht um, geschweige denn, dass sie den Menschen ihre Aufmerksamkeit schenkten. Stattdessen war ihr Blick starr auf den Rücken von Lyria gerichtet.

    Robyn spürte eine warme Hand auf ihrer Schulter. Sie musste nicht mehr hochsehen, um zu erkennen, dass sie von Lorenonn war. Seit er wusste, dass sie ein Kind erwarteten, berührte er sie so oft es ging. Er war glücklich und stolz darauf, bald Vater zu werden.

    »Wer sind sie?«

    »Krieger von den Sonnlunds. Und sie sind Freunde. Wir sollten sie begrüßen.«

    Gemeinsam gingen sie auf die Gruppe zu und begrüßten sie.

    »Bealon!«

    Ein Mann mittlerer Statur sprang aus dem Sattel und lief mit großen Schritten auf Lorenonn zu. Freundschaftlich umarmten die Männer sich und klopften sich dabei auf ihre Rücken.

    »Mein Prinz, wir hoffen, dass es Euch gut geht.«

    »Mir geht es sehr gut. Ich möchte Euch jemanden vorstellen.«

    Lorenonn drehte sich zu Robyn herum und reichte ihr seine Hand. Sie wusste, dass sie diese Hand annehmen und zu ihm gehen musste, deswegen tat sie es auch.

    »Ser Bealon, das hier ist meine bezaubernde Ehefrau, Prinzessin Robyn.«

    Ser Bealon sah zwischen ihr und Lorenonn hin und her. Bevor er etwas sagte, verneigte er sich vor Robyn.

    »Prinzessin. Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Ich bin Ser Bealon. Ein Offizier des Königs. Und ein alter Freund Eures Mannes.«

    Robyn nickte ihm freundlich zu und legte ihre Hand wieder auf ihren Bauch.

    »Willkommen, Ser Bealon.«

    Bealon betrachtete von Neuem Robyn, bevor er sich an Lorenonn wandte.

    »Mit dieser reizenden Frau, hast du wirklich Glück gehabt. Vor kurzem waren wir auf den Eiklunds, dort haben wir die neue Ehefrau von König Trimoreal getroffen. Königin Viveria ist wirklich bezaubernd, aber nicht annähernd so erhaben, wie deine Königin.«

    »Bealon, kaum bist du angekommen, verbreitest du schon wieder den neusten Tratsch.«

    »Natürlich, du warst lange nicht mehr zu Hause. Und wie ich sehe, dürfen wir noch einmal gratulieren.«

    Lorenonn legte stolz seinen Arm um Robyns Rücken.

    »Das darfst du, mein Freund.«

    Ser Bealon verneigte sich vor Robyn.

    »Unseren tiefsten Segen für Euch und Euer Kind, meine Prinzessin.«

    »Ich danke Euch, Ser Bealon.«

    Er stellte sich wieder aufrecht hin und lächelte Lorenonn an.

    »Mein Prinz, darf ich fragen, wie lange Eure Ehefrau noch Zeit hat?«

    »Noch ein paar Monate, wir werden die Reise gut überstehen.«

    »Gut, wenn wir das aber gewusst hätten, hätten wir eine Amme mitgenommen.«

    »Wir werden zurechtkommen, Ser Bealon.«

    »Wie Ihr es wünscht, meine Prinzessin.«

    Robyn half anfänglich dabei die Männer in ihre Unterkünfte zu bringen, bis Lorenonn sie von ihrer Arbeit abzog. In den letzten Wochen hatten die Frauen aus der Stadt an ihrer Aussteuer gearbeitet. Lorenonn bestand darauf, dass sie damit begann ihre Kleider in eine Kleidertasche zu packen. Mordecay hatte sich mehrmals bei ihr entschuldigt, dass sie ihre Kleider nicht wie die anderen Frauen, in Koffern transportieren konnte. Jedoch waren die geheimen Tunnel der Banditen zu eng dafür. Koffer würden sie aufhalten und im schlimmsten Fall ihr Leben gefährden. Robyn störte sich nicht daran. So wusste sie doch, dass Harel ihre Tasche tragen würde. Sie war sich sicher, dass der Freund ihrer Mutter lieber eine Tasche, als einen schweren Koffer voller Tand tragen wollte.

    Als sie jetzt mit Lyria in ihrem Zimmer stand und ihre Kleidertasche packte, hielt sie mitten in ihrer Arbeit inne.

    Lyria bemerkte, dass Robyn reglos in ihrem Zimmer stand, deswegen erkundigte sie sich, nach ihrem Wohlbefinden.

    »Geht es Euch gut, Prinzessin?«

    »Mir geht es gut, danke. Aber ich habe mich gerade gefragt, wenn wir jetzt abreisen, woher weiß Tamris dann, dass wir nicht mehr hier sind? Und findet er im Augenblick ein Schiff, dass ihn auf die Sonnlunds bringt? Was ist, wenn wegen dem Krieg niemand einen Elfen dabeihaben möchte?«

    Lyria legte das Kleid wieder auf die Truhe und sah Robyn lange schweigend an. Robyn bemerkte ihren harten Gesichtsausdruck. Mittlerweile kannte sie Lyria so gut, dass sie wusste, dass sie das, was die Elfin dachte, nicht hören wollte.

    Und trotzdem musste sie es hören.

    »Sprecht mit mir, Lyria.«

    »Ihr solltet wissen, dass wir Elfen die Zeit anders erleben, als ihr Menschen. Wir altern, genauso wie ihr, ja. Aber viel langsamer. Während ein Mensch nur wenige Jahrzehnte hat, hat ein Elf mehrere tausend Jahre. Wenn ein Elf für eine gewisse Zeit geht, ist es nicht gesagt, dass Ihr als Mensch ihn wiedersehen werdet.«

    Lyria schwieg und versuchte die Regung in Robyns Gesicht zu deuten. Doch selbst Robyn konnte nicht sagen, wie es ihr ging. Lyria hatte ihre größte Angst ausgesprochen, dennoch hatte Robyn genau das erwartet.

    »Es tut mir leid, Prinzessin. Ich hätte Euch auch gerne etwas Anderes erzählt. Aber Tamris hat sich für diesen Weg entschieden. Niemand weiß, ob wir ihn jemals wiedersehen werden. Die Welt ist zu groß dafür.«

    »Die Welt…«

    Robyn wiederholte diese beiden Wörter leise für sich. Dann fiel ihr wieder etwas ein, dass sie Lyria fragen wollte.

    »Lyria?«

    »Ja, Prinzessin?«

    »Ser Bealon sprach vorhin von dem Königreich Eiklunds. Wo genau ist das?«

    »Dies wird zu Euren Aufgaben gehören, wenn Ihr auf den Sonnlunds seid. Aber so viel kann ich Euch bereits sagen. Die Karte der Menschen, Nyúmel, geht bis zu den Sonnlunds. Das liegt daran, dass die Elfen vor vielen Jahren mit den Menschen zusammen gegen die Drachen gekämpft haben. Die Menschen zeigten sich erkenntlich und nahmen die Sonnlunds in Nyúmel auf. Wir Elfen hingegen haben viele Königreiche. Oft sind es Inseln, doch es gibt auch größere Flächen auf einem anderen Festland. Selten ist ein Mensch so weit gesegelt. Das liegt daran, dass einige Elfen das Wetter oder den Ozean befehligen können. Unsere Schiffe sind schneller als Eure und somit können wir größere Strecken bewältigen. Es gibt viele Königreiche der Elfen. Die Sonnlunds sind nur eines davon.«

    »Werde ich die anderen Königreiche besuchen?«

    »Nun, Ihr seid ein Mensch, deswegen weiß ich das nicht. Unsere Nachbarländer werdet Ihr wahrscheinlich besuchen. Aber unser Festland wohl nicht. Alleine die Reise dorthin dauert bald ein paar Monate.«

    »Monate?«

    »Das sagte ich.«

    »Verhungern die Elfen auf der Reise nicht?«

    »Nein, wir haben Möglichkeiten gefunden Lebensmittel länger zu lagern.«

    Robyn nickte, als sie das hörte. Dieses neue Wissen bedeutete, dass sie niemals eine vollwertige Königin sein würde, die mit ihrem Ehemann ihr Land repräsentieren würde.

    Und dies bedeutete auch, dass Tamris überall sein könnte.

    Lyria hatte recht, die Möglichkeit ihn wiederzusehen, sank mit jeder Sekunde.

    Listus korrigierte die Körperhaltung von Vey’lon, als dieser mit dem Pfeil zielte.

    »Nein, warte. So erlegst du nur einen Wurm, wenn du ihn triffst. Du musst den Pfeil höher halten. Ganz straff. Richtig, jetzt weißt du es, gut, jetzt passt deine Körperhaltung.«

    Vey’lon drehte sich leicht zu Listus herum und ließ aus Versehen den Pfeil los. Mit großen Augen beobachtete Listus, wie sich der Pfeil in den Erdboden bohrte.

    »Ich gratuliere dir. Du hast etwas Dreck erlegt.«

    »Da saß ein Vogel.«

    Listus sah zu ihm und zog seine Augenbraue hoch, danach fing er an hellauf zu lachen.

    »Lass das Fugl nicht hören.«

    Aus Vey’lons Gesicht wich das Blut, als er bemerkte, was er gesagt hatte.

    »Oh, stimmt ja.«

    Listus bemerkte das schuldbewusste Gesicht von Vey’lon. Freundschaftlich legte er seine Hand auf die Schulter des jungen Co‘adz und versuchte ihn aufzumuntern.

    »Das passiert und Fugl wird dich nicht umbringen. Er mag solche Scherze nun einmal nicht. Also, holen wir den Pfeil und versuchen es erneut.«

    Vey’lon holte ihn und stand kurz darauf wieder neben Listus.

    »Und jetzt noch einmal.«

    Listus half Vey’lon, indem er seine Arme um ihn herumlegte und seine Körperhaltung erneut korrigierte. Als sie dieses Mal den Pfeil losließen, erwischten sie ihr Ziel.

    Ungläubig sah Vey’lon zu dem Pfeil hinüber, der noch immer fest in dem Baumstamm steckte.

    »Ich habe den Baum erwischt.«

    »Großartig! Siehst du, du kannst es doch.«

    Vey’lons Gesicht strahlte vor Stolz.

    »Ich habe ja auch einen hervorragenden Lehrer.«

    »Das ist Unsinn. Ich schaffe es gerade ein verletztes Tier zu erlegen. Im Kampf bin ich wertlos.«

    »Sagt der Elf, der brillante Ideen hat?«

    »So brillant sind sie nun auch nicht.«

    »Doch, das sind sie. Ich habe gesehen, wie deine Einfälle in den letzten Monaten das Leben dieser Menschen verbessert hat.«

    »Dennoch…«

    Die beiden schwiegen urplötzlich und sahen sich an. Als sie das Geräusch erkannten, weiteten sich ihre Augen. Listus war der Erste, der reagierte.

    »Schnell, folge mir.«

    Sie liefen ein paar Schritte weiter, bis sie am dichten Unterholz ankamen. Listus kniete sich hin und öffneten die Luke, die im Unterholz der Sträucher versteckt war und kletterten hinein. Vey’lon folgte ihm und verschloss von innen heraus die Luke. Anschließend zog er vorsichtig mit Listus an den beiden Fäden des alten Fischernetzes, dass über der Luke lag. So wurde die Luke wieder von einer falschen Laubschicht bedeckt.

    Wenige Herzschläge später, hörten sie die Schritte, die sie zuvor gehört hatten, nur dieses Mal waren sie noch deutlicher zu hören. Die Wachen hielten in der Nähe ihres Versteckes an und unterhielten sich.

    »Sie könnten überall sein.«

    »Die Königin verlangt, dass wir sie finden.«

    »Hat sie sich diesen Wald schon einmal angesehen? Ich dachte, dass sie jetzt mit dieser Katze zusammenarbeitet. Warum laufen die nicht los? Die können doch die Fährte aufnehmen.«

    »Das sind doch keine Hunde! Los, suchen wir weiter, bevor

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