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Die Kicker von Lindchendorf
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eBook150 Seiten1 Stunde

Die Kicker von Lindchendorf

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Über dieses E-Book

Humorvoll schreibt Manfred Ende, ehemaliger Hörspielautor, über seine Kindheit 1949 in einem kleinen Dorf der damaligen »Ostzone«. Geprägt von Kriegsjahren, führen Kinder zweier benachbarter Dörfer mit Holzschwertern und Schutzschildern aus Kuchenblechen einen Krieg gegeneinander, ehe sie ihre Leidenschaft für das Fußballspielen entdecken, sich zu einer Kicker-Mannschaft entwickeln. Armut ist allgegenwärtig und der Hunger ein täglicher Begleiter. Für den elfjährigen Walter, mit der Mutter aus Schlesien vertrieben, ist die Zeit in der neuen Heimat auch eine Zeit des Wandels, in der Fantasie, Einfallsreichtum und Erfindungsgabe zum Alltag gehören. Die Begegnung mit dem Zopfmädchen; Ein Fräulein als Direktorin und Pionierleiterin in einer Person; Weiße Mäuse, die zum Landfilm des Kintopp-Fritzen gehören; und vieles mehr lesen sie in diesem unterhaltsamen Buch des im Land Brandenburg beheimateten Autors.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Nov. 2016
ISBN9783960145974
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    Buchvorschau

    Die Kicker von Lindchendorf - Manfred Ende

    1 Mit Schwert und Streusel-Kuchenblech 

    Ich war elf und es war der Sommer 1949, als ich mit Holzschwert und dem umgebörtelten Kuchenblech meiner Mutter ins Feld zog. Vor Jahren hatte es schlesischen Streuselkuchen getragen, den ich manchmal noch zu riechen glaubte. Nun sollte es mir als Schutzschild gegen die Schleudergeschosse der Kinder aus dem Nachbardorf dienen. In eine Schlaufe aus Kunstgummi »Igelit« steckte ich meinen einst zum Führergruß erhobenen Arm. 

    Mit einem Handwagen, beladen mit Kochtöpfen, Suppenschüsseln, Bettzeug und einem Nachtgeschirr, wurden wir aus dem schlesischen Waldenburg vertrieben. Angekommen sind wir in Lindchendorf, unserer neuen, von den Siegermächten verordneten Heimat.  

    Später zogen wir mit dem Wägelchen, wie Mutter es nannte, durch die märkischen Wälder, um es mit Sammelholz für den Winter zu beladen.

    Durch die Kiefernwälder schlängelten sich noch die mit Heidekraut bewachsenen Schützengräben, in denen wir Kriegsüberbleibsel fanden:  

    Stahlhelme, Stiefel, Aluminium-Essgeschirr und stinkende Uniformen, an denen Heldenabzeichen an dünnen Fäden hingen.  

    Aber auch scharfe Munition, mit der wir Kinder ahnungslos und ohne Furcht spielten, als wäre der Krieg ein »Räuber und Gendarm-Spiel«. Die heroischen Gesichter des Krieges hingen noch wie vertraute Stuben-Bilder in unseren Kinds-Köpfen. Infiziert vom Heldenspiel unserer Vorfahren, konnten wir uns lange nicht von ihnen trennen.  

    Daran änderte sich vorerst auch nichts durch die propagierte Friedenspolitik in der sowjetischen Besatzungszone, (Ostzone) die sich bald in einen »Arbeiter,- und Bauern-Staat« verwandeln sollte. 

    Wir wurden, nach sowjetischem Vorbild, in Pionier Hemden gesteckt, mit blauen Tüchern umhalst und im Auftrag der allgegenwärtigen Partei zur Friedensliebe erzogen. Aber die Saat, einmal gesät, haftete lange auf fruchtbarem Boden. 

    Ich lief barfuß über das aufgeheizte Pflaster der Dorfstraße. Über mir hing ein Sonnenball, der es seit Beginn der Schulferien besonders gut mit uns meinte.  

    Es machte mich stolz, von den Erwachsenen hinter Gardinen bestaunt zu werden. Mit einer unerklärlichen Vorfreude marschierte ich über die Felder, vorbei an Alleen mit Knupper-Kirschen, die für mich tabu waren. Erst nach der siegreichen Schlacht wollte ich sie mir pflücken.  

    Jetzt trachtete ich nach höheren Zielen, nach der hohen Strohmiete am Dorfende, die uns als Hauptquartier diente.  

    Meine Uniform bestand aus einem Turnhemd und einer speckigen Lederhose, die meine Mutter im Tausch von der Nachbarin erstanden hatte, deren Junge an Typhus gestorben war.  

    Sie war mir zwei Nummern zu groß, aber verstellbare Hosenträger verhüteten Schlimmeres. Der Stahlhelm rutschte mir über die Ohren und manchmal fielen Rostpartikel in meine Augen.  

    Dennoch war ich fest entschlossen, die Ehre Lindchendorfs gegen die Bannewitzer zu verteidigen, die uns als »Maiköppe« beschimpften. Dafür nannten wir sie »Sandlatscher«.  

    Über die Gründe unserer Feindschaft war man später geteilter Meinung, am Ende schoben wir uns, wie die Erwachsenen so oft in der Geschichte, die Schuld gegenseitig in die Schuhe.  

    Schuhe waren eine Rarität, wer sie besaß, durfte sich Offizier nennen. Den Barfüßigen zählte man zum gemeinen Fußvolk.  

    Viele von uns trugen Holzpantinen, die Sattler Meister Kunz herstellte. Das Besondere an ihnen war ein an der Sohle befestigter Einweckgummi. Um die Ferse gespannt, gab er zusätzlich Halt. Der Meister ließ sich seine Erfindung mit einer Rubbel Kartoffeln pro Fuß bezahlen. Wem es nicht gelang, ausreichend Kartoffeln zu klauen, musste die Dorfschule einfüßig pantint besuchen.  

    Am Rande des Krämer-Waldes erkannte ich bereits die Strohmiete. Auf ihr flatterte die Fahne mit dem aufgemalten Maikäfer als Wappen.  

    Den Maikäfer hatte ich in der Zeichenstunde entworfen. 

    »Walter, nur du kannst das.«  

    Denn die Versuche der anderen ähnelten eher einer keimenden Kartoffel. Mich quälte jetzt der Hunger, die Fusselsuppe, gekocht aus rohen, geriebenen Kartoffeln und mit Süßstoff veredelt, konnte mich nicht satt machen, und Fett bekam ich ohnehin selten in den Bauch. Für ein Glas mit Mehl gestrecktem Schmalz vom Bauern musste meine Mutter schwere Feldarbeit verrichten. Einmal brachte man sie auf der Trage nach Hause. Kreislaufkollaps. Am anderen Morgen war sie wieder auf dem Feld.. 

    Die letzten Häuser lagen jetzt hinter mir, einzige Abwechslung boten die alten, den Jahren trotzenden Linden.  

    Ich bog in den Feldweg ein, der zur Strohmiete führte. Deutlich sah ich die Fahne mit dem Käfer. Auch die Wachen schienen mich bemerkt zu haben, sie wedelten mit den Armen, schwenkten Knüppel und Schwerter. Dazu grölten sie, als würde General Rommel persönlich zu ihrer Verstärkung anrücken. Doch auch der Rekrut mit dem Holzschwert und dem Kuchenblech war willkommen.  

    Ich begann zu rennen, es zog mich förmlich zur Strohmiete. Immerhin war ich der Zweitschnellste unserer Schule, - aber viel schneller noch war an diesem Tag meine Mutter.  

    Genau in dem Augenblick, da ich mein Schwert zog und zum Endspurt ansetzen wollte, packte mich ihre Faust im Nacken.  

    »Dir werd ich dos Krieg spielen austreiba!«, polterte sie im schlesischen Restdialekt.  

    Sie zog mich derartig heftig zurück, dass ich nach hinten fiel und Helm und Hose verlor. Sie ließ mir noch Zeit, die Hose hochzuziehen, um sie wieder an den Trägern befestigen zu können, dann aber entwaffnete sie mich.  

    »Kehrt und Morsch!«, sagte sie und bohrte mir die Schwertspitze ins rückwärtige Teil der Lederhose.  

    Als sie ihr demoliertes Kuchenblech sah, erhielt ich einen Ritterschlag auf die Schulter.  

    Ich heulte. Ich fand es ungerecht, wegen eines Kuchenbleches geschlagen zu werden. Auch war es mir peinlich wegen der Kämpfer auf der Strohmiete, die in Gelächter ausgebrochen waren.  

    Ich stampfte trotzig meine Füße in den Sand und für Augenblicke verschwand Mutter in einer Staubwolke. Als sie mich wieder sichtete, drohte sie mir mit Lehrer, Pfarrer und Bürgermeister, als ob die Herren mich auf einen guten Weg bringen könnten.  

    Das Schlimmste aber war, sie drohte mir mit dem Entzug der Brennnesselsuppe, die an den kommenden Tagen meine verhasste Fusselsuppe ablösen sollte. 

    »Junge, wos sull nur aus dir werden!«, sagte sie. Aber das wusste ich selbst nicht. Künstler vielleicht, weil die aufdringlichen Tanten mir einreden wollten, ich wäre ein Zeichentalent. Dabei hatte ich mich nie bemüht, sie mit meinen Malstiften zu verschönern. Im Gegenteil, es machte mir Spaß, sie von der Hüfte abwärts in Birnen zu verwandeln und ihre geföhnten Köpfe auf Spatzengröße zu schrumpfen.  

    Ich lief schneller, das herüber tönende Geschrei meiner Kameraden war noch zu hören.  

    Mutter, nun mit Schild und Schwert beladen, hatte Mühe, mir zu folgen, sie geriet zunehmend in Rückstand, zumal sie Pantinen ohne Einweckgummi trug. Den Stahlhelm hatte sie längst weggeworfen.  

    Zu Hause befahl sie: »Stubenarrest!«  

    Durch geschickte Verhandlungen, bei denen ich das Wort »Amnestie« ins Spiel brachte, gelang es mir, ihre angeordnete Gefangenschaft von sieben Tagen auf vier zu verkürzen.  

    Dann schloss sie mich in unser Universum ein. So nannten wir unser Zimmer unterm Dach, das als Wohnstube, Esszimmer, Küche, Schlafstube, Bad und Toilette gleichermaßen diente. Damit war unser Universum überlastet und ein Kiefernstamm musste die Decke stützen.  

    Für den Himmel über uns bestand Einsturzgefahr. An den Wänden schlängelten sich Risse wie Wasserstraßen durch den Wandputz, sie alle mündeten hinterm Wandschoner neben meinem Bett in einem schwarzen, zehn Zentimeter tiefen Loch, das durch heraus bröckelnden Wandputz entstanden war. Ich machte es zu meinem Geheimsafe, verbarg dort meine Schätze: Glasmurmeln, Buntstifte, Maikäfer, Steinschleuder, Abziehbilder und einige Hefte aus der Reihe »Der Landser«. 

    Mutter band sich ihr Kopftuch um, schlüpfte in die Gummistiefel und drehte den Schlüssel zwei mal herum, bevor sie sich wieder ins Rübenfeld machte.  

    Das Fenster zum Hof ließ sich nicht verriegeln. Ich öffnete es, lehnte mich weit hinaus und blickte auf das Gitterfenster der Arrestzelle gegenüber, in die sie Landstreicher und Viehdiebe sperrten, aber auch die Bauern, die ihre Kuh oder Sau ohne die Genehmigung der Behörde schwarz geschlachtet hatten.  

    Rechts sah ich die rote Backsteinkirche mit dem Anhängsel, der Leichenhalle, auf deren Steinstufen in den langen Vollmondnächten die Ärmsten der Armen hockten und ihren selbst gebrannten Rüben-Schnaps soffen. Es war, als warteten sie darauf, eingelassen zu werden.  

    Frank aus meiner Klasse durfte manchmal beim Läuten helfen, dafür besaß er einen Zweitschlüssel zur Leichenhalle. Gegen ein Besichtigungshonorar war er gern bereit, uns Einblicke in die Gesichter der Toten zu gewähren. Mich schauderte es jedes mal, wenn ich auf dem Heimweg dort vorüber musste, dann rannte ich wie um mein Leben. 

    »Bleib Junge, scheiß dir nicht in die Hose!«, riefen mir die versoffenen Stimmen zu. Und ich rannte noch schneller.  

    Ich riss beide Fensterflügel auf, für einen Moment kam mir der Gedanke, einfach hinauszuspringen.  

    Es war seltsam, je länger ich darüber nachdachte, umso stärker wurde das Verlangen, es war wie ein Sog, der mich in die Tiefe zu ziehen drohte.  

    Einfach die Arme ausbreiten und fliegen wie ein Vogel – hin zur Strohmiete, unserem Hauptquartier. Und wenn ich abstürze? Mutter würde bestimmt weinen. Sollte sie doch, sie würde schon sehen...

    2 Ein Zopf-Mädchen im Krämer-Wald

    Ich knotete die Wäscheleine ans Fensterkreuz und ließ mich hinabgleiten. Dieses Mal zog ich ohne den Helm und das Kuchenblech in den Krieg gegen die Nachbardörfler. Nur das Holzschwert, das Mutter in den Kohlenkasten geworfen hatte, trug ich wieder bei mir.  

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