Weihnachten und Neujahr im alten Vorpommern
Von Gunnar Möller
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Über dieses E-Book
Gunnar Möller
Gunnar Möller ist Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde der Hansestadt Stralsund.
Ähnlich wie Weihnachten und Neujahr im alten Vorpommern
Titel in dieser Serie (12)
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Rezensionen für Weihnachten und Neujahr im alten Vorpommern
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Buchvorschau
Weihnachten und Neujahr im alten Vorpommern - Gunnar Möller
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern
Für die Historische Kommission für Pommern
herausgegeben von
Gerd Albrecht, Felix Biermann, Nils Jörn, Michael Lissok
und Haik Thomas Porada
Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte
Band 57
Gunnar Möller
Weihnachten und Neujahr
im alten Vorpommern
Böhlau Verlag Wien Köln
Für die Unterstützung dieses Vorhabens dankt die Historische Kommission für Pommern herzlich:
Sparkasse Vorpommern
Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst
Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte
Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland
Die Arbeit der Historischen Kommission für Pommern wird gefördert durch das Land
Mecklenburg-Vorpommern und das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg an der Lahn.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe
(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)
Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress.
Umschlagabbildung: August Ludwig Most, Weihnachtsbescherung, 1839, Muzeum Narodowe w Szczecinie/Nationalmuseum Stettin, Inv. Nr. MNS/Rys/651/18.
Korrektorat: Anja Borkam, Jena
Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien
EPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISBN 978-3-412-52276-6
Inhalt
Vorwort
Einführung
Andreas, Nikolai und „singende Misse" –
Advent im alten Vorpommern
„Wode, „Kindsvoot
und „Nig-Jaars"-Asche –
Abergläubische Gebräuche zur Weihnachts- und Neujahrszeit in Vorpommern
Von Christkronen, Pyramiden und buntverzierten Tannenbäumen –
Der Weihnachtsbaum und anderes Adventsgrün
„Genicksbraden, „krudenes Brot
und „Pelze" –
Essen und Trinken im alten Vorpommern zur Weihnachtszeit
„Klapperbock, „Bullkater
und „Erbsbär" –
Heischeumzüge zu Weihnachten und Neujahr im alten Vorpommern
Von Niklas, „Wihnachtsmann und „hylge Kerst
–
Der weihnachtliche Gabenbringer im alten Vorpommern
„Julklappen, „Kinnjes
und andere Gaben –
Die Geschenke zur Weihnachtszeit
„Lasst die Kinder zu mir kommen" –
Weihnachten im Stralsunder Kinderarmenhaus
Nikolaimarkt, Kinderjahrmarkt und kleiner Bazar –
Der Stralsunder Weihnachtsmarkt
Vom „Nijohrswunsch" und lauten Silversterabendfeiern –
Silvester und Neujahr im alten Vorpommern
„Ungebührlich herumblauffen", verbotene Neujahrsgeschenke und missfallene Christspiele –
Behördliche Reglementierungen zur Weihnachtszeit
„Stirnkikers, „Lotschmaus
und „heilige drey Konnige" –
Der Dreikönigstag
Zusammenfassung
Anhang
Anhang Nr. 1~n
Liedtext „Ein Kindelein so löbelich"
Anhang Nr. 2
Franz Wessel „Vom Advent, Weihnachten und Neujahr"
Anhang Nr. 3
Rezepte
Anhang Nr. 4
Verbot des „Herumlauffens mit dem Christ-Kindelein"
Anhang Nr. 5
Heischeumzüge im historischen Vorpommern
Anhang Nr. 6
Wunschzettel von 1619
Anhang Nr. 7
Stralsunder Weihnachtsmarkt 1838
Anhang Nr. 8
Auszug aus Arnold Ruge „Aus früherer Zeit"
Anhang Nr. 9
Auszug aus Edmund Hoefer „Schwanwieck"
Anhang Nr. 10
Auszug aus Theodor Fontane „Meine Kinderjahre
Literatur
Abbildungsnachweis
Ortsregister
August Ludwig Most,
Weihnachtsbescherung, 1839
Vorwort
Heimat ist, was allen in die Kindheit scheint.
(Ernst Bloch 1959)
Wenn sich im Advent das Jahr seinem Ende entgegenneigt, das anheimelnde Licht von Kerzen und der Duft von gebackenen Plätzchen, Tannengrün und Orangen die Stuben erfüllen, erinnern wir uns gern an unsere Kindheit zur Weihnachtszeit. Fast alle werden den Worten Theodor Storms zustimmen: „Weihnachten – Es war immer mein schönstes Fest." Aber wie war es vor unserer Zeit, wie beging man früher dieses Fest?
Bereits 1998 hat der Mecklenburger Volkskundler, Historiker und Hagenower Museumsdirektor Henry Gawlick festgestellt, dass, abgesehen von einem Aufsatz zu dem Hiddenseer Bügelbaum/Bögelboom, keine neueren wissenschaftlichen Forschungen zu vorpommerschen Weihnachtsbräuchen vorliegen. Die letzten diesbezüglichen Arbeiten erschienen in den 1930er und Anfang der 1940er Jahre, ohne die Weihnachtsbräuche in ihrer ganzen Fülle erschöpfend betrachtet zu haben. Neuere Publikationen konnten dieses Desiderat auch nicht beheben bzw. übernahmen unkommentiert teilweise wissenschaftlich nicht haltbare und ideologisch verklärte volks- und heimatkundliche Arbeiten aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Auch Henry Gawlick konnte sich überwiegend nur auf die Ergebnisse der mecklenburgischen Forschungen zu den dortigen Weihnachtsbräuchen stützen, da ihm aus verschiedenen Gründen die (vor)pommerschen Quellen nicht in Gänze zur Verfügung standen. Das „ganze Spektrum der in Mecklenburg und Vorpommern bekannten Weihnachtsbräuche vermochte er nicht aufzuzeigen, wie er in seinem Buch „Schimmelreiter, Knapperdachs und Weihnachtsmann. Weihnachtsbräuche in Mecklenburg und Vorpommern
betonte. Selbiges gilt auch für die Ausführungen seiner Kollegin Heike Müns.
Mit dem vorliegenden Buch soll diesem Ungleichgewicht für den vorpommerschen Raum zwischen Darß und Oder abgeholfen werden. Darüber hinaus wird deutlich, dass in der Volkskundeforschung, die in Vorpommern in den zurückliegenden letzten Jahrzehnten vernachlässigt wurde, noch Potential steckt. Ausgehend von Gehörtem und Gelesenem als Jugendlicher ist das Interesse an volkskundlichen und geschichtlichen Überlieferungen zu Sitten und Bräuchen in der vorpommerschen Heimat zur Weihnachtszeit bis heute beim Autor bestehen geblieben. Entsprechende Nachrichten und Veröffentlichungen notierend und nach dem Lesen von Büchern über die Weihnachtszeit aus dem übrigen Norddeutschland entstand die Idee, all die vielen nicht bekannten oder vergessenen Überlieferungen aus den Archiven und regionalen Publikationen über die „schönste Zeit des Jahres" aus Vorpommern einer breiten, interessierten Leserschaft vorzustellen. Ein Anspruch auf eine gänzlich wissenschaftlich erschöpfende Betrachtung des Themas kann mit der gewählten Publikationsform nicht erhoben werden, dies bleibt eine zukünftige Aufgabe der Volkskunde.
Als Quellen dienten dabei die Bestände der Stadtarchive Stralsund und Greifswald sowie des Landesarchivs Greifswald, die zeitgenössischen Zeitschriften, die im Archiv der Universität Greifswald verwahrten Fragebögen der Pommerschen Forschungsstelle für Volksunde, Veröffentlichungen in den „Baltischen Studien, die „Blätter für pommersche Volkskunde
, Aufzeichnungen von Thomas Kantzow (um 1505–1542) sowie die Autobiografien von Franz Wessel (1487–1570), Nikolaus Gentzkow (1502–1576), Johann Christian Müller (1720–1772) und Otto Wobbe (1868–1945), ergänzt um Briefe, Aufsätze und Erzählungen unter anderem von Ernst Moritz Arndt (1769–1860), Philipp Otto Runge (1777– 1810), Arnold (1802–1880) und Ludwig Ruge (1812–1897), Theodor Fontane (1819–1898), Edmund Hoefer (1819–1882) und Friedrich Daniel Schleiermacher (1768–1834) sowie weiteren Persönlichkeiten. Volkskundliche Abhandlungen von Alfred Haas (1860–1950) sowie Fritz Adler (1889–1970) lieferten ebenso ihren Beitrag wie diverse kleine Beobachtungen verschiedener Zeitgenossen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Dankend möchte ich folgende Personen und Institutionen nennen, die in unterschiedlichem Maße Informationen und Unterstützung beisteuerten wie Ingrid Schmidt, Dr. Dirk Schleinert, Dr. Andreas Neumerkel, Peter Koslik, Dorina Kasten in Stralsund, Dr. Dirk Alvermann in Greifswald, Henry Gawlick in Hagenow, Dr. Beate Bugenhagen in Hamburg, das STRALSUND Museum, das Ernst-Moritz-Arndt-Museum in Garz auf Rügen, das Muzeum Narodowe in Stettin, das Pommersche Landesmuseum Greifswald, das Stadtarchiv Stralsund sowie die Firmen Kemm aus Hamburg, Woitinek aus Nürnberg und Kopernik aus Toruń. Mein Dank gebührt auch Andre Kobsch und Wilfried Reiher, die mir aus ihren Postkartensammlungen historische Stralsunder und Greifswalder Postkarten zur Weihnachtszeit für das Buch zur Verfügung stellten.
Und nicht zuletzt möchte ich meiner Frau Anke danken, die mich unterstützte und das Manuskript kritisch gegenlas. Danke für alles!
Mein besonderer Dank gilt der Historischen Kommission für Pommern, die mit einem nicht geringen Druckkostenzuschuss zum Zustandekommen des Buches beitrug, und hier speziell ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Haik Thomas Porada, der nicht nur das Manuskript prüfend gegengelesen, sondern auch die Arbeit von Anfang an befördert hat. Und nicht zuletzt möchte ich dankend die Sparkasse Vorpommern, die Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst, die Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte sowie die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland nennen, die den Druck gefördert haben.
Greifswald, zu Weihnachten 2020
Geburt Christi, Altar in der Kirche Wusterhusen 1510
Einführung
Viele Bräuche in der Advents- und Weihnachtszeit waren in den letzten Jahrhunderten einem Wandel unterzogen, in jeder Epoche kam Neues hinzu und bis dahin Althergebrachtes verschwand. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen und zeigt, dass das in der Bevölkerung gelebte Brauchtum zum Ende des Jahres nach wie vor lebendig ist.
Zu den vorchristlichen Überlieferungen und den christlichen Traditionen kamen im Verlauf des 19. Jahrhunderts bürgerliche Vorstellungen und Sitten hinzu. Insbesondere durch das sich nach 1800 durchsetzende bürgerliche Familienbild gelangten neue Weihnachtsbräuche in der Advents- und Weihnachtszeit zunächst in den Städten regional und zeitlich unterschiedlich in alle sozialen Schichten. In den nachfolgenden 100 Jahren wurden die neuen Bräuche im Zuge einschneidender sozialer Veränderungen ebenso auf dem flachen Land zum Ideal.
In der Zeit der Romantik vom ausgehenden 18. bis ins 19. Jahrhundert hinein entstand mit dem Aufstieg des Bürgertums das, was wir heute als „deutsche Identität" bezeichnen. Teil eben dieser Identität ist das zum Allgemeingut gewordene Brauchtum um Weihnachten.¹ In dieser Epoche, vor allem im sogenannten Biedermeier (ca. 1815–1848), entwickelten und verbreiteten sich viele der noch heute gebräuchlichen Elemente des Weihnachtsfestes wie der Tannenbaum, die Tannenbaumkugeln, der Adventskranz, der Weihnachtsmann und die Form der Bescherung. Neue, stimmungsvolle Weihnachtslieder und zahllose andere kleine Dinge, die uns die Adventszeit vergnüglich machen, sind heute noch feste Bestandteile unserer gelebten Traditionen zum Fest um Christi Geburt.²
Manches uns heute so anheimelnd und besinnlich Erscheinende war ursprünglich alles andere als heiteres und friedliches Brauchtum. Bereits vor der Einführung des Christentums pflegten die Menschen in den Tagen um die Wintersonnenwende verschiedene Bräuche, die im Zeitalter der Aufklärung auch das Interesse der Zeitgenossen auf der Suche nach den nationalen Ursprüngen fanden. Das Pommersche Archiv der Wissenschaften und des Geschmacks aus dem Jahre 1786 wusste von „dem ehemaligen Juel-Fest der alten Pommerschen Völker" zu berichten:
Die Geschichtsschreiber erwähnen eines Festes unserer Vorfahren, welches sie Juel-Fest nannten. Sie rechneten ihr Neujahr von der Sonnenwende im Dezember an. Dieses Neujahrsfest währte sieben Tage. Da aß und trank man herrlich, wie denn das von jeher wohl ein Hauptstück der Festtage gewesen ist. Man spielte und tanzte und opferte den Göttern … theilte Neujahrs- oder Juel-Geschenke aus, bat die Götter um ein fruchtbares Jahr.³
Im 19. und erst recht im frühen 20. Jahrhundert wurde nach den vorchristlichen Wurzeln vieler Feste und Bräuche gesucht. Solche vielfach völkischen Forschungsansätze versuchten auch, einzelne Weihnachtsbräuche in eine mythische, „germanische Zeit zurückzuverfolgen. Haben einige Elemente, wie die „wilde Jagd
mit dem „Wode (Wotan) zwischen Weihnachten und „Heilige Drei Königs Tag
, durchaus einen Bezug zu vorchristlichen, heidnischen Traditionen, so sind andere diesbezügliche Behauptungen vielfach wissenschaftlich nicht haltbar und wohl auch jünger.
Mit der Durchsetzung des Christentums verbanden sich heidnische Vorstellungen mit der Botschaft von der Geburt Jesu, der als Gottes Sohn Hoffnung und Licht in die Welt bringt und den Menschen Frieden und die Gewissheit der Erlösung von allem irdischen Mühsal und der Vergebung aller Sünden verheißt. Es waren und sind sehr das Gemüt bewegende Bilder der christlichen Weihnacht, die selbst der Kirche fernstehende Menschen rührt. Dazu zählt auch die Musik. Im Spätmittelalter entstanden viele der schönsten Weihnachtslieder. So sang man nicht nur in Stralsund in der frühen Reformationszeit im Advent den Kirchenchoral „Veni Domine visitere nos in pace („Komm, o Herr, und besuch uns in Frieden
). Zu Weihnachten war es vor allem der gregorianische Gesang „Puer natus in Bethlehem („Ein Kind gebor’n zu Bethlehem
). Dieses in der Reformationszeit in neuer Form vierstimmig vorgetragene Lied nach Michael Praetorius (1571–1621) wurde ebenso auf Deutsch gesungen und war auch in Pommern unter dem Titel „Ein Kindelein so löblich eines der beliebtesten Weihnachtslieder, ehe im 19. Jahrhundert neue Lieder hinzukamen (Anhang Nr. 1). Weitere hier im 15./16. Jahrhundert verbreitete und heute noch bekannte Weihnachtslieder waren „In dulci jubilo
(„Nun singet und seid froh), „Resonet in laudibus
(„Josef, lieber Josef mein) sowie „Nunc anglorum Gloria
(„Den die Hirten lobet sehr bzw. „Kommt und lasst uns Christum ehren
).⁴
Letzteres Lied ist ein Wechselgesang, ein „Quempas. Auch der Reformator Martin Luther fügte einige Weihnachtslieder dem allgemeinen christlichen Liedgut hinzu. Das bekannteste ist „Vom Himmel hoch, da komm ich her
, das ausdrücklich als weihnachtliches Kinderlied von Luther betitelt wurde. Alle diese Lieder sind auch im protestantischen Katechismus des 16. Jahrhunderts für Pommern als Lieder in der Advents- und Weihnachtszeit vorgeschrieben worden und werden im Gottesdienst bis heute gesungen. Sie wurden in den städtischen Kirchen nicht nur zum Vespergottesdienst am Sonnabend durch Schüler der Stadtschulen unter Leitung der Kantoren vorgetragen, sondern beispielsweise reihum an hohen Festtagen in den Stralsunder Stadtkirchen zu Gehör gebracht. Auf den Dörfern traten wohl keine Schüler auf.⁵ Zumindest von zwei in Stralsund wirkenden und bekannten Kirchenmusikern des 17. Jahrhunderts, Johann Vierdanck (1605–1646) sowie Johann Martin Rubert (1614–1677), sind auch geistliche Weihnachtskonzerte für Gesang und Violine bzw. Viola da Gamba, Cornett und anderen Instrumenten überliefert⁶.
Abb. 1: Franz Wessel, Sammlung Bürgermeisterporträts im Rathaus Stralsund
Der Gesang wurde natürlich auch außerhalb der Kirche in vielen Familien zur Weihnachtszeit gepflegt. In Vorpommern glaubte man, wenn sieben Weihnachtslieder am Heiligabend gesungen würden, flöge beim siebenten Lied „ein Engelein übers Haus".⁷ Der mehrere Jahrzehnte in Stettin wirkende Organist und Komponist Johann Carl Gottfried Loewe (1796–1869) machte sich Mitte des 19. Jahrhunderts verdient, indem er die alten weihnachtlichen lateinischen Kirchenlieder durch Doppelchöre in Stettin wiederaufleben ließ.⁸ In der Zeit des Nationalsozialismus versuchte man an alte Weihnachtstraditionen anzuknüpfen, indem ab 1938 wieder zur Frühmesse des ersten Weihnachtstages diese sogenannten Quempaslieder, nun allerdings auf Deutsch, gesungen wurden.⁹
Die frühesten Nachrichten zum Brauchtum um Weihnachten im Norden von Deutschland haben uns die beiden Stralsunder Franz Wessel (1487–1570) (Abb. 1) und Thomas Kantzow (1505–1542) aus dem ausgehenden Spätmittelalter hinterlassen. So wird von Kantzow erstmalig die Sitte, in Schuhe Weihnachtsgaben für die Kinder zu legen, genannt. Dieser Brauch ist noch heute zum Nikolaustag verbreitet. Nirgends werden die vorreformatorischen Gottesdienste und Gebräuche zum Advent, zu Weihnachten und zu Neujahr so lebendig geschildert wie in den Aufzeichnungen des damaligen Bürgermeisters Franz Wessel. Wessels Berichte dazu finden sich in den nachfolgenden Kapiteln und vollständig im Anhang 2.
Pommern leistete auch auf anderen Gebieten seinen Beitrag zum weihnachtlichen Brauchtum. Nach Braunschweig hatte Stralsund den ältesten und lange Zeit den größten Weihnachtsmarkt im Norden vorzuweisen. Der Wolgaster Romantiker Philipp Otto Runge hatte um 1800 Anteil an der Popularisierung der Sitte, zu Weihnachten einen geschmückten Baum in der Stube aufzustellen. Im Gegensatz zu der mitunter geäußerten Annahme, dass erst im Biedermeier der Heiligabend zum Fest der Bescherung für die Kinder wurde, liegen aus Vorpommern deutlich frühere Zeugnisse für das Beschenken am Weihnachtsfest vor.¹⁰ Von Schweden, über das damalige Schwedisch-Vorpommern kommend, verbreitete sich bis nach Hinterpommern, Mecklenburg und Teile Holsteins der Brauch der lustigen „Julklapp"-Geschenke. Heischeumzüge mit verkleideten Burschen an Heiligabend oder Silvester waren bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein fester Bestandteil von volkskundlich gut dokumentierten Bräuchen in Pommern genauso wie im benachbarten Mecklenburg. Bei allen norddeutschen Gemeinsamkeiten gab es in Pommern im Ess- und Trinkverhalten sowie im Aberglauben in der Weihnachtszeit doch auch Eigenarten.
Für uns heute erscheint das Weihnachtsfest deutschlandweit ziemlich übereinstimmend hinsichtlich der damit einhergehenden Riten und Überlieferungen. Dabei war Weihnachten in früheren Zeiten in (Vor)Pommern keineswegs von gleichartigen, einheitlichen Traditionen bestimmt. Es gab Familien, die mehr in sich gekehrt und auf den Inhalt der christlichen Weihnacht konzentriert den Advent und die Weihnachtszeit ohne besondere Feiern begingen, während andere diese Zeit zu groben, lauten Lustbarkeiten und derben Feierlichkeiten nutzten. Andere wiederum feierten gesittet mit der Familie und Nachbarn, ganz wie es noch 1832 in der Stralsunder Zeitschrift „Sundine betont wurde: „Am heiligen, oder Vorabend ging es in manchen Häusern ebenso ernst und religiös, als in andern munter und ausgelassen zu. Hier wurden geistliche Lieder gesungen, dort kamen Julklappen geflogen, oder es hausete der Ruprecht
.¹¹
Die rasche Verbreitung der bürgerlichen Sitten beim Weihnachts- und Silvestergeschehen bewirkte auch ein Verdrängen der alten, derben, mit Aschebeutel und Lärm verbundenen Heischeumzüge in der fraglichen Zeit. „Es scheint so, daß diese spaßige Art der Übermittlung von Geschenken (die ,Julklappen‘ oder ,Julklappse‘) … die vom Bürgertum bevorzugte Alternative zum rauen Treiben der vermummten Umzugsgestalten war",¹² sodass „Rug’Klaase, Schimmelreiter und Knapperdachse nicht mehr in die guten Stuben der vornehmeren Gesellschaft mit Biedermeiermöbeln, Klavier und aufgeputztem Weihnachtsbaum (passten)".¹³
Wie Weihnachten im alten Vorpommern begangen wurde und was die hiesigen Eigenarten waren, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Mit dem alten Vorpommern ist der Zeitraum vom Spätmittelalter bis etwa 1900 gemeint. In dieser Spanne entstanden die wesentlichen weihnachtlichen Bräuche und Sitten vom Advent bis zum „Heiligen Drei Königs Tag. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte sich ein in großen Teilen Norddeutschlands, ja sogar darüber hinaus, in groben Zügen uniformes Weihnachtsbrauchtum herausgebildet, nachdem von den alten regionalen Bräuchen vieles abhanden gekommen war. Bereits 1897 wurde mit Blick auf den gesamtdeutschen Raum bedauert, dass „in der Gegenwart … viele der alten Bräuche verschwunden (sind), selten nur noch begegnet man in entlegenen Dörfern den vermummten Gestalten, die einst die Phantasie des Volkes erdichtet hatte, dafür ist Weihnachten zum hohen Fest der Liebe geworden
.¹⁴
Eine systematische und wissenschaftliche Erfassung von weihnachtlichen Gebräuchen erfolgte erst nach dem Ersten Weltkrieg, als viele der gerade im ländlichen Raum überdauerten Sitten und Überlieferungen im Zuge einer veränderten gesellschaftlichen, industriellen Entwicklung in Stadt und Land schon im Aussterben begriffen waren. Dies war in Pommern nicht anders.
Für das 20. Jahrhundert liegen zu den (weihnachtlichen) Bräuchen Pommerns umfangreiche volkskundliche Untersuchungen aus den 1930er Jahren von den in Greifswald und Stettin wirkenden Volkskundlern Karl Kaiser, Dora Lämke und Walter Borchers vor. An der Universität Greifswald wurde seit 1929 ein „Volkskundliches Archiv für Pommern" erarbeitet.¹⁵ Die hier gesammelten Forschungsergebnisse galten lange Zeit als Verlust, ehe es nach dem politischen Umbruch 1989/1990 zu großen Teilen wiedergefunden wurde. Auf über 20.000 Karteikarten aus 1100 Orten in Pommern und von lokalen Informanten ausgefüllt, befinden sie sich seit wenigen Jahren mehrheitlich digitalisiert einsehbar im Archiv der Universität Greifswald. 1936 gab die bis 1945 existierende Forschungsstelle um den wegen Zweifel an seiner nationalsozialistischen Gesinnung nicht verbeamteten Dozenten Karl Kaiser den „Atlas für Pommersche Volkskunde heraus. In jenem wurden drei weihnachtliche Themen in der Rubrik „Aus dem Jahreslauf
näher vorgestellt: „Julklapps, Grünkohl und Erbsen zu Weihnachten und Neujahr sowie pommersche Gebäcke zu Weihnachten und Neujahr.¹⁶ 1943 konnte die inzwischen verheiratete Dora Scheidt-Lämke noch ihre Forschungsergebnisse zu den „Pommerschen Heischeumzügen in den Zwölften und der Fasnacht
veröffentlichen, nachdem Karl Kaiser 1940 gefallen war.¹⁷ Trotz der erreichten Resultate schlussfolgerte Karl Kaiser im oben genannten Atlas: „Die pommerschen Volksbräuche und Überlieferungen der Zeit um Weihnachten und Neujahr sind heute noch sehr mangelhaft erforscht".¹⁸ Es ist das Verdienst der genannten Personen und zahlreicher Laien, dass uns die damals noch bekannten und in Teilen gelebten Bräuche wenigstens in groben Zügen überliefert worden sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Ende dieser, vielerorts schon im Absterben begriffenen, volkstümlichen Gewohnheiten und Sitten de facto besiegelt. Dies trifft nicht nur auf Hinterpommern mit der Flucht und Vertreibung der dortigen deutschen Bevölkerung ab 1945 zu, sondern auch auf Vorpommern.
Eine Fülle an Informationen und Hinweisen von verschiedenen, meist heimatkundlichen Autoren, unter denen hier insbesondere der Rüganer Alfred Haas genannt sein soll, liegt in den unterschiedlichsten Publikationen zum Thema Weihnachten in Vorpommern vor. Weiterhin fanden sich in den Archiven, regionalen Zeitschriften und noch älteren Publikationen verstreute, vielfach unbeachtet gebliebene Informationen über das Weihnachts- und Jahresendbrauchtum in Vorpommern.
Von mecklenburgischer Seite sind volkskundliche Weihnachtsbräuche durch Heike Müns und Henry Gawlick wissenschaftlich erforscht worden.¹⁹ Sie haben auch ihnen zugängliche vorpommersche Quellen herangezogen.
Zwei Publikationen sind darüber hinaus im Jahre 2012 zum Thema Weihnachten in (Vor)Pommern herausgekommen. Ines Kakoschke hat in ihrem sehens- und lesenswerten Buch „Pommerngans und Lichterglanz" neben vielen zeitgenössischen Geschichten und Anekdoten auch einige historisch neue Aspekte, wie eine Seemannsweihnacht im 19. Jahrhundert, vorgestellt.²⁰ Wolfgang Schneider und Torsten Seegert haben vor allem die Arbeiten der 1920er und 1930er Jahre zu pommerschen Weihnachtsbräuchen in ihrem im damaligen Heimat-Bild-Verlag erschienenen Buch „Pommersche Weihnacht: Rückblick und Wiederentdeckung in einer besinnlichen Zeit" aufgegriffen, ohne eigene Forschungen vorzunehmen. Verschiedene Weihnachts- und Silvesterkochrezepte aus Pommern runden die Zusammenstellung ab.²¹
Die Entwicklung der Bräuche um Weihnachten ist nicht abgeschlossen. Wir erleben derzeit auch vor dem Hintergrund von Klima- und Umweltschutz eine Hinterfragung unserer diesbezüglichen Gewohnheiten. Insofern ist das letzte Kapitel einer zukünftigen Betrachtung von „Weihnachten in Vorpommern" noch zu schreiben.
Robert Eduard Prutz²²
Die Weihnacht (1833)
In blauer Pracht ein goldbesticktes Zelt,
Hängt rings der Himmel auf die Erde nieder;
Viel muntre Sterne glänzen hin und wieder,
Und ruhig prangt im Winterschmuck die Welt.
…
Die heil’ge Christnacht dämmert in der