Undercover ins Herz: Liebe unbewaffnet: Bodyguard-Romance
Von Alica H. White
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Über dieses E-Book
Er soll sie beschützen – doch wird er zu ihrer Bedrohung?
Die New Yorker Konzernerbin Melissa Wyatt hat sich schon immer in Arbeit gestürzt, um sich selbst von ihrem Pech in der Liebe abzulenken. Doch es schmerzt, dass alle um sie herum nach und nach ihr Glück finden. Sogar ihre geltungssüchtige Mutter hat sich neu verlobt und möchte nun auch ihre Tochter standesgemäß unter der Haube wissen. Das nervt Melissa gewaltig!
Und dann ist da noch ihr unwiderstehlicher neuer Bodyguard Henry. Er sieht zwar extrem gut aus, benimmt sich aber äußerst seltsam. Melissa ahnt nicht, welches Geheimnis er verbirgt. Obwohl bei ihr alle Warnlampen im Kopf auf höchster Stufe leuchten, fühlt sie sich zu ihm hingezogen …
Wer soll bei solch einem heißen Typen noch bei klarem Verstand bleiben?
Sexy, geheimnisvoll, romantisch – eine unwiderstehliche Bodyguard-Romance von Erfolgsautorin Alica H. White.
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Buchvorschau
Undercover ins Herz - Alica H. White
Undercover ins Herz
Liebe unbewaffnet
ALica H. White
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Totgesagte leben länger
Eine warme Brise weht durch die Häuserschluchten von New York, während ich mich auf den Weg zur Inquisition mache. Ich schätze, diese Mittagspause wird anstrengender als der Rest des ganzen Arbeitstages. Ich bin fast am Restaurant angekommen, da klingelt mein Smartphone.
»Hi Vivie, was gibt’s?«, frage ich meine Schwester.
»Ich habe gerade in deinem Büro angerufen und erfahren, dass du mit Mom essen gehst.«
Ich seufze. »Ja, leider. Ich treffe mich mit ihr in Sparks Steak House. Ich kann sie schließlich nicht immer abwimmeln.«
»Da? Wieso denn da? Da ist sie doch früher nie gewesen. Weißt du nicht, was das Restaurant für eine Geschichte hat?«
»Doch, natürlich. Da haben sich 1985 ein paar Mafiabosse die Kugeln um die Ohren geschossen. Aber wieso wundert dich das?«
»Ach, nur so. Bei Mom wundert mich gar nichts«, kommt es zögernd durchs Telefon.
»Ich denke, da es den Laden immer noch gibt, wird er gute Steaks haben und damit auch guten Salat. Das ist die Leibspeise unserer Mutter.«
»Was will sie denn? Wenn Mom Kontakt sucht, will sie doch immer was.«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich will sie mich mal wieder befragen, warum ich die Einzige bin, die noch nicht unter der Haube ist. Und vermutlich hat sie zufällig ein paar gute Kandidaten kennengelernt. Wie immer.«
»Echt jetzt? Wer kann das sein?«
»Keine Ahnung. Aber soweit ich weiß, hat sie einen neuen Freund. Da scannt sie doch gleich alle möglichen Kandidaten aus der Familie. Ein Geschwisterchen werden wir ja wohl kaum bekommen.«
Ein helles Lachen erklingt am anderen Ende der Leitung. »Bist du dir sicher? Bei unserer Mutter weiß man nie.«
»Ich werde dir berichten, worum es ging. Sei froh, dass du gerade in Texas bist und eine Ausrede hast, die Einladung abzulehnen. Ich beneide dich.« Ich seufze ins Telefon.
»Nicht, dass ich mich nach meiner Mutter sehne, aber sie hat mich überhaupt nicht eingeladen«, antwortet Vivienne nachdenklich.
Überrascht bleibe ich stehen. Warum lädt meine Mutter nur mich allein ein? Das ist unüblich, aber stärkt die These, dass sie mich mal wieder verkuppeln will. Dass sie meinen Bruder nicht einlädt, ist klar. Die beiden sind mittlerweile wie Hund und Katze. Immerhin ist Vivienne für Moms Vorstellungen einigermaßen gut versorgt. »Vielleicht wusste sie gar n…«
Rums! Irgendjemand ist mir hinten aufgelaufen, obwohl die Straßen gar nicht so belebt sind.
Wer ist mir so dicht auf den Fersen, dass er mit mir kollidiert, sobald ich stehen bleibe? Gerald, ist mein erster Gedanke. Ob ich meinem Bodyguard doch nicht entwischen konnte? Neugierig drehe ich mich um und schaue gegen die breite Brust eines heißen Typen mit Lederjacke.
Sein Anblick verwirrt mich, denn seine hellblauen Augen sehen mich ziemlich durchdringend an, bevor er sich verlegen durch die dunkelblonden, kurzen Haare fährt. Die Lederjacke spannt an den Ärmeln und deutet darauf hin, dass er ziemlich muskulös ist.
»Sorry, ich muss mit den Gedanken woanders gewesen sein«, sagt er erschrocken.
Sein Duft, der vom Leder dominiert wird, weht in meine Nase. Ich schnuppere unauffällig und schlucke, denn er gehört zu der Sorte Mann, die man sofort an sich reißen und küssen möchte.
»Kein Ding«, murmle ich konfus und weiß nicht, wohin mit meinem Blick. Am liebsten würde ich ihn damit verschlingen. Bloß weg hier! »Ähm … ich muss dann mal weiter.«
Der Typ nickt lächelnd und zeigt dabei eine Reihe ebenmäßiger Zähne.
Eilig setze ich mich in Bewegung und bin froh, dass ich bald das Restaurant erreicht habe. Ein Perserteppich mit großen beigefarbenen Ornamenten empfängt mich. Ich war noch nie in diesem für Touristen sicher sehr anziehenden Lokal. Goldgerahmte Bilder an den Wänden, eine dunkelrote Decke und die weißen Tischtücher mit farblich abgestimmten Stühlen geben dem Raum eine ganz besondere Atmosphäre.
Meine Mutter sitzt an einem Tisch, der beim Hereinkommen sofort ins Auge fällt. Wo auch sonst? Heute ist sie mal wieder so sehr mit Schmuck behängt, dass es sicherlich ihre Bewegungsfreiheit einschränkt. Sie hat schon immer gerne gezeigt, was sie hat.
»Hi Mom.«
»Da bist du ja endlich, Darling. Du bist zu spät«, säuselt sie, als ich ihr ein Begrüßungsküsschen gebe.
»Fünf Minuten. Ich bin nicht so schnell aus der Sitzung rausgekommen«, verteidige ich mich.
»Na, ist ja egal. Setz dich«, antwortet sie schnippisch.
Ich atme durch und folge.
»Was willst du essen?«, fragt sie gleich darauf, denn der Kellner steht schon neben uns und reicht uns die Karten. Entweder ist der Service hier sehr zuvorkommend, oder Mom ist neuerdings Stammkundin. Während ich einen kurzen Blick auf die angebotenen Speisen werfe, wartet die Bedienung geduldig neben uns.
»Was ich im Steakhaus essen will? Ein Steak, denke ich. Vielleicht ein einfaches kleines Rumpsteak … so zweihundert Gramm, nur mit Gemüse.«
Der Kellner nickt. »Sehr wohl.«
»Einen Caesar Salad«, bestellt meine Mutter. »Und eine Flasche italienisches Mineralwasser mit zwei Gläsern, bitte.«
Nach einer angedeuteten Verbeugung eilt die Bedienung davon.
»Was gibt es Neues, Mom? Mach's kurz, ich kann mir keine lange Pause erlauben.« Dabei sehe ich demonstrativ auf mein Smartphone.
»Da trifft man sich nach Monaten das erste Mal wieder, und du hast keine Zeit für deine Mutter? Will jetzt auch noch meine zweite Tochter nichts mehr mit mir zu tun haben?«
Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe. Was soll ich antworten? Meine Mutter hat sich unserer Familie gegenüber schon immer sehr egoistisch verhalten. Wochenlang hat sie sich nicht mehr bei uns gemeldet. Es fällt mir sehr schwer, sie überhaupt zu treffen. Doch sie ist nun mal meine Mutter ...
»Nein, Mom. Daran liegt es nicht«, beruhige ich sie und rutsche nervös auf meinem Stuhl herum.
»Versteh' schon.« Sie kräuselt beleidigt ihre Lippen, soweit das die zahlreichen Schönheitsbehandlungen zulassen. Sie weiß genau, wie sie bei mir ein schlechtes Gewissen erzeugt.
»Es ist nicht leicht für mich, dass ihr mich so kaltgestellt habt. Ich wollte immer nur das Beste für dich … für euch alle«, jammert sie.
Ja, schon klar. »Schon gut, Mom. Lassen wir die Vorfälle beiseite.«
»Ich hoffe, du meinst, was du sagst«, erwidert sie säuerlich.
Wir werden sehen, denke ich und nicke.
»Also, ich habe gute Neuigkeiten. Ich weiß nicht, ob du es schon mitbekommen hast, aber es gibt einen neuen Mann in meinem Leben.«
»Ja, ich habe davon gehört«, sage ich, während der Kellner das Wasser für uns hinstellt.
»Es ist mir ernst mit ihm, und ihm ist es ernst mit mir.«
»Freut mich für dich. Ehrlich«, versichere ich, bevor ich einen Schluck nehme.
»Deshalb wollen wir unsere Beziehung jetzt auf eine neue Stufe heben.«
Oh je. Na ja, wenigstens scheint sie nicht schwanger zu sein. »Du willst dich verloben?«
»Genau. Und danach wollen wir so schnell wie möglich heiraten. Da rechne ich fest mit dir als Trauzeugin. Du tust mir doch den Gefallen, oder?«
Ihre Frage verursacht mir Beklemmungen. »Ähm … ja«, krächze ich. »Aber willst du dich nicht erst mal verloben?«
»Natürlich. Alles andere macht ja keinen Sinn, du Dummerchen«, flötet sie kopfschüttelnd.
»Wo ist denn dein Neuer? Was für einen Beruf hat er? Wie sieht er aus?«
»Du wirst ihn am Wochenende kennenlernen. Dann ist die Verlobungsfeier«, sagt Mom. Ihre zahlreichen Armreifen rasseln, während sie einen Schluck Wasser nimmt.
»Ist das nicht ein bisschen überstürzt?«, frage ich und versuche meine Skepsis zu verbergen.
»Ich wüsste nicht, wie du das beurteilen willst«, fährt sie mir über den Mund.
»Da hast du natürlich recht«, muss ich kleinlaut zugeben.
»Also kommst du nun zu unserer Party?«
»Nächstes Wochenende?«
»Hast du Probleme mit deinem Gedächtnis?«, spottet sie, obwohl sie weiß, wie ich das hasse.
»Nein. Ich überlege nur, dass ich mich dann mit Madison treffen wollte. Aber das kann ich natürlich auch absagen.«
»Ja, das ist wohl besser so. Ich weiß sowieso nicht, was du an diesem farblosen Trampel findest. Wenn du dich in solchen Kreisen bewegst, wirst du nie einen angemessenen Partner ergattern.«
Mein Puls pocht in den Schläfen.
»Madison ist lieb, hilfsbereit und aufrichtig«, zische ich. Doch das waren für meine Mutter noch nie Argumente, sich mit jemandem abzugeben. »Ihre Kreise sind mir allemal lieber als die, in denen du mich gerne sehen würdest«, setze ich nach. Angestrengt versuche ich mein Temperament runterzufahren. Egal, ob ich mich aufrege oder nicht. Es kratzt sie nicht.
Ich hole tief Luft. Sie ist meine Mom. Sie ist meine Mom. Sie ist meine Mom.
Meine Mutter lächelt zuckersüß und stupst ihre Frisur zurecht. Sie setzt an, als ob sie etwas sagen wollte, was sie aber Gott sei Dank nicht tut.
»Wie heißt er denn, dein Verlobter?«, frage ich versöhnlich.
»Oh, er heißt Bertoldo Siciliani und ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Aber nicht nur das, er ist sehr großzügig und trägt mich auf Händen«, schwärmt sie versonnen.
»Das hört sich doch super an! Ich freu' mich für dich! Und was macht er so?«
»In Immobilien … Investment und irgendwelche Online-Geschäfte. So genau weiß ich das gar nicht. Im Gegensatz zu eurem Vater redet er nicht ständig von der Arbeit.«
»Aha, klingt interessant. Aber so viel hat man von ihm noch nicht gehört, oder? Ich kenne ihn nicht.«
»Ja, er steht nicht gerne in der Öffentlichkeit. Willst du mal ein Foto sehen?« Meine Mutter kramt in ihrer Tasche und zieht ein Foto heraus, das einen aknenarbigen Anzugträger zeigt. Seine Augen wirken merkwürdig teilnahmslos, fast kalt. Wegen des Aussehens hat sie sich den Kerl nicht geangelt, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Mit Sicherheit hat er ziemlich viel auf dem Bankkonto.
»Der sieht … interessant aus«, stammle ich.
»Nicht wahr? Er ist italienischer Abstammung. Ich liebe das. Den Italienern bedeutet Familie noch etwas.«
Ich nicke. »Wo ist sie denn? Die Verlobung, meine ich.«
Mom sucht noch einmal in ihrem Shopper und holt einen Umschlag heraus, den sie mir mit wichtiger Miene zuschiebt. »Da steht alles drin.«
»Hast du eigentlich auch Vivienne dazu eingeladen?«, erkundige ich mich.
»Nein, die ist doch in Texas. Da kann sie meinetwegen auch bleiben.«
»Was soll das denn heißen? Hat sie dir etwas getan?«
»Nein, nichts. Aber genau das ist es ja. Sie hat nicht mehr mit mir geredet, seit sie ihr Studio aufgemacht hat«, erklärt meine Mutter beleidigt.
»Na ja, sie war nicht im Wyatt Tower, aber immerhin in New York. Du hättest sie also durchaus mal besuchen können.«
»Um mich dann von einer genervten Tochter abkanzeln zu lassen?«, grummelt sie.
Oh Mann, wie erkläre ich bloß meiner Mutter, dass nicht immer nur die anderen schuld sind. Ich fürchte, sie ist ein hoffnungsloser Fall.
»Warum seufzt du?«, fragt sie.
»Nichts, Mom, das Essen kommt.«
Während des Essens reden wir zu meiner Erleichterung nicht mehr. Das hätte mir sicher den Appetit verdorben. Kauend schaue ich mich ein wenig im relativ leeren Lokal um. Fast verschlucke ich mich, als ich etwas abseits den sexy Typen vom Zusammenstoß sitzen sehe. Als er mich erkennt, guckt er sofort auf sein Smartphone. Obwohl er nur kurz nach mir ins Restaurant gekommen sein muss, hat er noch nicht einmal ein Getränk vor sich stehen und wir haben schon das Essen. Ob wir hier eine Sonderbehandlung genießen? Ich verkneife es mir, meine Mom danach zu fragen. Es gibt Dinge, die will man nicht wissen.
Ich kann es nicht lassen, der Kerl bleibt unter meiner Beobachtung. Immer wieder treffen sich unsere Blicke. Er hat inzwischen seine Ärmel nach oben geschoben, was ein paar heiße Tattoos zum Vorschein bringt. Zusammen mit den dicken Silberringen sieht er aus wie ein Bad Boy. Ich bin verrückt, dass ich auf solche Typen stehe, schließlich habe ich schon so viele schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht.
Ob er mit mir flirtet? Besser nicht, denn das endet meistens in einer Katastrophe.
»Wo siehst du eigentlich die ganze Zeit hin?«, erkundigt sich meine Mutter und folgt meiner Blickrichtung. »Um Gottes willen! Du himmelst doch nicht etwa diesen tätowierten Trash da an? Kennst du den etwa?«, fragt sie naserümpfend.
Fast verschlucke ich mich. »Nein! Natürlich nicht. Wie kommst du darauf?«
Mom mustert mich skeptisch. Verlegen weiche ich ihrer kritischen Begutachtung aus und wende mich hochinteressiert dem lauwarmen Steak auf meinem Teller zu.
Als ich das Restaurant verlasse, hat die Sahneschnitte gerade erst das Essen bekommen. Schade, dann wird er mir bestimmt nicht mehr folgen.
Doch so schade finde ich es dann auch wieder nicht, denn auf der Straße stürmt mein Bodyguard Gerald auf mich zu. Nervös streicht er sich über seine Glatze. Die Adern an seinem Hals sind geschwollen. »Miss Wyatt, ich muss Sie doch sehr bitten, meine Arbeit nicht zu sabotieren! Warum sind Sie schon wieder ohne ein Wort verschwunden?«
»Weil ich zu Fuß in die Mittagspause gehen wollte. Das Wetter ist so schön. Gerald, beruhige dich. Wie habt ihr mich überhaupt gefunden?«
»Natürlich über Ihr Handy, Miss.«
Ich schlucke. »Ihr habt mein Handy getrackt?«
»Was blieb uns anderes übrig? Sie benehmen sich nicht sehr verantwortungsvoll.«
»Es ist mitten am Tag. Da finden auf belebter Straße keine Entführungen statt«, antworte ich betont gelassen.
Mein Bodyguard keucht nervös. »Bei solch einer bekannten Person der New Yorker Society kann alles passieren. Jederzeit. Gerade hier wurden doch auf offener Straße Menschen erschossen. Das ist noch gar nicht so lange her.«
Fast tut er mir ein bisschen leid. Manchmal ertrage ich den goldenen Käfig einfach nicht, in dem ich stecke. Ich tätschle ihm beruhigend die Schulter. »Soweit ich weiß, war das 1985 und ein Mafia-Massaker. Da habe ich doch Glück, dass ich kein Mitglied bin. Außerdem ist die Mafia nach dem Durchgreifen von Giuliani hier in New York Geschichte.«
»Der Boss der Gambino-Familie wurde erst im März 2019 vor seinem Haus in Staten Island niedergeschossen«, warnt Gerald mit erhobenem Zeigefinger.
»Trotzdem hat die Mafia hier in New York keinen nennenswerten Einfluss mehr. Ich denke, die ist faktisch tot.«
»Totgesagte leben länger, Miss Wyatt.«
2
Plan B
Auf der Rückfahrt zu meiner Arbeit geht mir der neue Partner meiner Mutter nicht mehr aus dem Kopf. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, von dem ich noch nichts gehört habe? Gut, er ist anscheinend nicht im Handel tätig, und New York ist groß. Aber wo zum Teufel hat Mom ihn kennengelernt?
Ich werde Ethan fragen, vielleicht ist der ihm ja ein Begriff. Mein Bruder ist Wirtschaftsanwalt und hat seine Kanzlei auch im Wyatt Tower. Ein wirklich erfolgreicher Geschäftsmann müsste ihm bekannt sein.
Gerade fährt meine gepanzerte Limousine in die Tiefgarage. Mein Bodyguard öffnet die Tür und eskortiert mich in das Gebäude.
»Ich denke, Sie können jetzt Feierabend machen, Gerald. Ich werde mich dann vom Fahrdienst nach Hause bringen lassen«, weise ich ihn an.
»Ihre neue Bleibe ist nicht genügend gesichert, Miss Wyatt. Das habe ich schon so oft erklärt. Sie leben in einer zweifelhaften Gegend, da ist es besser, wenn ich Sie bis zum Haus begleite.«
»Gerald, die Diskussion hatten wir doch schon. Es ist ein solides Viertel, in das ich gezogen bin«, antworte ich geduldig.
Ich hatte mein Apartment hier im Tower, aber die zwangsläufige Rufbereitschaft ging mir auf die Nerven. Auch wenn unser Hochhaus direkt am Central Park liegt, fühlte es sich nicht wie Freizeit an, wenn ich dort war. Ich sehne mich nach einem ganz normalen Leben mit einer ganz normalen Familie. Mein neues Zuhause sollte mich an Vermont erinnern, wo ich eine idyllische Kindheit verbracht habe. Hier in New York allerdings kein leichtes Unterfangen.
»Aber deswegen können Sie doch nicht immer ohne Begleitung dort herumspazieren. Ich verstehe nicht, wie Sie so leichtsinnig sein können, Miss.« Gerald tupft sich den Schweiß von der Stirn. Es tut mir leid, dass ich den armen Kerl unter Stress setze, aber manchmal vermisse ich das Gefühl, dass ich ein stinknormaler Mensch bin.
»Sie brauchen keine Verantwortung zu übernehmen. Hier fehlt mir die Luft zum Atmen. Ich möchte mich frei fühlen. Ein Bodyguard lenkt die Blicke auf mich, das mag ich nicht«, erwidere ich.
»Und ich habe Ihnen erklärt, dass das nichts mit dem Personenschutz zu tun hat … haben muss. Keine Verantwortung übernehmen? Wie stellen Sie sich das vor?«
»Sie gehen ja auch nach der Arbeit in ein unspektakuläres Leben zurück«, grummle ich.
»Es macht keinen Sinn, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Aber vielleicht denken Sie mal darüber nach, was los ist, wenn Ihnen tatsächlich etwas passiert. Dann ist mein Leben ruiniert.«
»Sicher. Aber Sie tragen nur so lange die Verantwortung, bis ich Sie nach Hause schicke. Dann übernehme ich sie für mich selbst.«
»Sie wissen anscheinend immer noch nicht, wovon ich rede. Wenn Sie entführt werden, wäre das ein guter Coup für einen Gangster.«
»Doch, natürlich weiß ich das, aber ich habe trotzdem keine Angst davor.«
»Ich aber, Miss Wyatt. Ich aber«, murrt Gerald.
Ich weiß selbst nicht, warum es mir so zuwider ist, mit Bodyguard herumzulaufen. Was andere vielleicht als erhebend empfinden, gibt mir das Gefühl, Außenseiter zu sein. »Schon gut, Sie haben gewonnen. Ich schaue nur schnell bei Ethan rein, um ihn etwas zu fragen. Das ist doch erlaubt, oder? Sie können ja schon zum Büro vorgehen.«
Gerald nickt widerwillig, fügt sich aber in sein Schicksal.
»Mister Wyatt ist in seiner Wohnung. Er kommt heute nicht mehr in die Kanzlei«, verrät mir seine Sekretärin, als ich dort erscheine.
Ethan lebt im Penthouse hier auf dem Wolkenkratzer. Das ist etwas ganz anderes als mein altes Apartment hier im Gebäude. Schon allein wegen der umlaufenden Terrasse, von der man auf den Central Park sehen kann.
Er öffnet mir selbst die Tür, mit seinem Baby auf der Schulter, das in seine Spuckwindel ächzt. Ich unterdrücke den Neid, der bei dem Anblick aufsteigt, und lächle ihn zur Begrüßung an.
»Hi Melissa. Ella lernt gerade für eine Prüfung«, entschuldigt er sich und klopft dem Baby sanft auf den Rücken.
»Hallo Ethan. Ich wollte dich nur ganz kurz etwas fragen. Kann ich reinkommen?«
»Klar. Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn der kleine Scheißer ein bisschen meckert«, sagt er, während er mir die Tür weiter öffnet.
»Es ist toll, wie ihr das macht, so ganz ohne Nanny«, antworte ich lächelnd. Da unsere Mutter sich in unserer Kindheit wenig um uns gekümmert und alle Arbeit meistens den Kindermädchen überlassen hat, ist er in dieser Beziehung wohl besonders motiviert.
»Möglich. Aber ohne die Hilfe der Familie wäre es trotzdem nicht zu schaffen«, erwidert mein Bruder.
»Du weißt ja, ich bin ganz vernarrt in die Kleine und immer für euch da.«
»Danke. Du machst es übrigens auch ganz toll.« Er zwinkert mir zu. »Setz dich.«
Ich folge seiner Einladung und nehme auf einem der schweren Sessel im Wohnzimmer Platz.
»Was gibt’s?«, fragt Ethan und setzt sich ebenso.
»Sag mal, kennst du einen gewissen Bertoldo Siciliani?«
»Ja, schon mal gehört. Ich weiß aber wenig von ihm. Er hält sich im Hintergrund, was natürlich die Gerüchteküche befeuert.«
»Was meinst du mit Gerüchteküche?«
»Na, es heißt, dass seine Geschäfte nicht immer die saubersten sind. Warum?«
»Weil unsere Mutter ihn heiraten wird. Sie hat mich gerade zur Verlobung eingeladen und erklärt, dass sie mit mir