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Novisapiens
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eBook447 Seiten5 Stunden

Novisapiens

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Über dieses E-Book

Band II der Trilogie

Nachdem die Zeitung ausführlich über die Ereignisse auf dem Schulhausdach berichtet hat,
bricht für Leisa eine schwere Zeit in der Schule an.
Obendrein kehrt Timon an sein Institut zurück und Leisa muss
jederzeit damit rechnen, verschleppt zu werden.

Weitere Bücher der Autorin

Fabolon

Band I – FarbelFarben
Band II – Goldenes Glück
Band III – StaubNebelNacht

In der gleichen Welt: Romantasy

 

Seelenfeuer
Ein fantastisch-feuriger Liebesroman

 

Lichtertanz
Band I – Die Magie der Glanzlichter
Band II – Die Magie der Goldwinde
Band III – Die Magie der Lichtkristalle (Finale)

Flammentanz
Band I – Funken
Band II – Flammen
Band III – Feuer
Band IV – Brand
Band V – Glut (Finale)

WandelTräume


 

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum18. Mai 2020
ISBN9783748741855
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    Buchvorschau

    Novisapiens - Isabella Mey

    Nacht der Lichter - Band 2 - Novisapiens

    NACHT DER LICHTER

    NOVISAPIENS

    Isabella Mey

    Trilogie, Band 2

    Gib niemals die Hoffnung auf, denn hinter allem steht ein Sinn, den wir oft erst sehr viel später erkennen können.

    Neid und Eifersucht

    Leisa Blum

    Waldstadt

    Es kommt, wie es kommen muss: Die Gerüchteküche brodelt und mir ist bislang keine plausible Ausrede eingefallen, was mich in einer Gewitternacht zusammen mit meinem Lehrer auf das Schulhausdach verschlagen haben könnte. Scheinbar gibt es niemanden in Waldstadt, der diese Fakten nicht der Lokalzeitung entnommen hat und da sowohl Timon als auch ich nach der Unwetternacht nicht in der Schule aufgetaucht sind, benötigt man keinen hohen Intelligenzquotienten, um zu erraten, um welchen Lehrer und um welche Schülerin es sich bei denen vom Blitz getroffenen Personen handelt.

    * * *

    Nach drei Tagen Krankenhaus bin ich wieder fit für die Schule, zumindest körperlich. Dennoch haben die Erlebnisse Spuren hinterlassen. Ich wage mich kaum aus dem Haus, ohne mich wachsam umzusehen und vermute in jedem denkbaren Versteck eine schwarz gekleidete Gestalt. Die Nacht vor dem Unterricht habe ich in meinem eigenen Bett verbracht, doch die Ängste in der Dunkelheit haben solche Ausmaße angenommen, dass ich meine Schreibtischlampe als Nachtlicht missbrauchen musste, um endlich einzuschlafen.

    So betrete ich also noch etwas mitgenommen von meinen Ängsten am nächsten Tag den Pausenhof und da passiert das Unvermeidliche: Die Schüler verstummen, sobald ich mich nähere, und stecken ihre Köpfe zusammen. Die neugierigen Blicke bohren sich penetrant bis in mein Innerstes, vor allem, da sie häufig mit Missfallen, Verachtung oder Neid durchmischt sind. Noch nie zuvor habe ich mich so unwohl in meiner Haut gefühlt.

    Positiv aufzufallen war mir schon unangenehm, doch gewöhnt man sich relativ leicht an Bewunderung, im Gegensatz zu dieser boshaften Schaulust. Am liebsten würde ich mich unsichtbar machen, eine Gabe, die im Moment wesentlich hilfreicher wäre, als Strom zu erzeugen. Vielleicht ist ein gutes Stück davon auch nur pure Einbildung, aber es fühlt sich an, als bohrten sich die Blicke jedes Einzelnen bis zum Grund meiner Erinnerungen. Mein System ist permanent auf Flucht ausgerichtet, was ich natürlich nicht umsetze, der Drang fortzulaufen bewirkt jedoch, dass mir jeder Schritt wie in Zeitlupe vorkommt. Immerhin habe ich die beste Freundin der Welt, die sich keinen Deut um die Gerüchteküche schert. Auf dem Schulhof kommt mir Laura freudestrahlend entgegen. Dankbar blende ich alles um sie herum aus und strahle sie erleichtert an.

    »Hallo Leisa! Wie geht’s? Bist du denn schon wieder fit genug für den täglichen Schulterror?«, fragt sie, während sie mich in die Arme zieht.

    »Danke, mir geht’s gut«, antworte ich und versuche, die gaffenden Mitschüler auszublenden.

    Dennoch entgehen mir die lauernden Blicke nicht.

    »Habt ihr euch geküsst?«, platzt Christiane unverblümt heraus. Alle Augenpaare sprühen vor Neugier und ich spüre sofort, dass niemand mir glauben würde, ganz gleich, was ich behaupte.

    »Nein, haben wir nicht«, antworte ich dennoch wahrheitsgemäß.

    »Gib’s zu! Da läuft doch was zwischen euch!«, stochert Tiffy.

    »Habt ihr sie noch alle? Wird das ein Verhör, oder was?«, verteidigt mich Laura. Sie stemmt die Hände in die Hüften und lässt ihren Blick erbost durch die Runde schweifen. »Was geht euch das überhaupt an?«

    »Schließlich ist Herr Trawor unser Lehrer. Wenn er wegen Leisachen von der Schule fliegt, weil er was mit ihr anfängt, geht uns das wohl was an«, protestiert Jochen, wobei er grimmig die Augenbrauen zusammenzieht.

    »Was habt ihr Frauen eigentlich immer mit diesem Mister Supermann Timon Trawor? Also echt! Ich kapier das nicht, dass du tatsächlich was mit diesem Schleimer anfängst, Leisa«, knurrt Mario. Er verdreht theatralisch die Augen und schüttelt durch die Lippen pustend den Kopf. »Da hättest du echt was Besseres bekommen können.«

    »Du meinst wohl dich selbst, oder was?«, spottet Laura.

    Mir wird das ganze Gerede langsam zu blöd.

    »Ich hab gar nichts mit ihm!«, protestiere ich. »Wir haben nur die gleichen Interessen.«

    Obwohl ich mittlerweile mehr wütend als genervt klinge, trifft mein Herausredeversuch auf taube Ohren.

    »Sterne gucken, oder was?«, giftet mich Julia an.

    Es klingt dermaßen bösartig, dass ich erschrocken zusammenzucke. Unvermittelt hebt sie die Hand, um meinen Zopf zu packen, doch Laura reagiert beinahe reflexartig und schlägt ihren Arm geschickt zur Seite. Julia weicht keuchend zurück.

    »Jule, was soll das?«, schimpft meine Freundin. »Du bist doch nur eifersüchtig! Du würdest doch alles darum geben, mit Timon auf dem Schulhausdach in die Sterne zu schauen.«

    »Pah, hab ich doch gar nicht nötig«, schnaubt Jule mit erhobener Nase.

    »Leisa hat nichts verbrochen und so auf ihr rumzuhacken, nur weil ihr eifersüchtig seid, find ich gemein«, wettert Laura.

    Vor lauter Rührung, wie sehr sie mich verteidigt, kämpfe ich gegen feuchte Augen. Der Schulgong läutet, was den Strom Richtung Schulgebäude in Gang setzt. Ich ziehe meine Freundin beiseite.

    »Danke, Laura. Du bist eine echte Freundin.«

    »Kein Thema! Jemand muss den Nasen doch mal den Kopf waschen. Außerdem kann es dir nun wirklich niemand verdenken, dass du in Timon verknallt bist. Und ein tolles Paar seid ihr auf jeden Fall.«

    Ein leiser Seufzer entweicht meiner Kehle.

    Ein Paar! Sind wir das denn überhaupt? Dass er mich sehr mag, hat er mir zwar gezeigt, aber etwas Offizielles ist das doch nicht, oder? Geküsst haben wir uns jedenfalls nicht und wie soll es denn jetzt überhaupt weitergehen? Eine heimliche Affäre?

    »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob wir tatsächlich ein Paar sind oder ob wir eines werden können«, flüstere ich, obwohl der Hof schon ziemlich leer gefegt ist.

    »Ach, mach dir keinen Kopf. Ich weiß, dass das jetzt alles unmöglich aussieht, aber du liebst ihn und es spricht einiges dafür, dass er das gleiche fühlt. Alles andere wird sich schon ergeben.«

    Doch ihre zuversichtlichen Worte können die Schatten über meiner Seele nicht auflösen. In der folgenden Mathestunde fällt mir das Konzentrieren unendlich schwer und ich bilde mir immer wieder ein, dass alle Augen nur auf mich gerichtet sind. Frau Summer hat sich krank gemeldet und wird in Deutsch durch Frau Maibaum vertreten. Die Deutschstunde verläuft aber auch nicht besser, vor allem, weil ich bemerke, wie Frau Maibaum mir immer wieder kritische Blicke zuwirft. Zwar geschieht das nur kurz und kaum merklich, doch auch ihre Stimme klingt seltsam verändert, als sie mich aufruft:

    »Leisa, lies bitte deine Hausaufgabe vor!«, fordert sie mich mit spitzer Stimme auf.

    »Ich war im Krankenhaus«, erwidere ich und beäuge meine Lehrerin mit kritisch verwundertem Blick.

    »Hat dir niemand die Aufgaben mitgebracht?«, fragt sie, wobei ihre Tonhöhe beinahe um eine komplette Oktave nach oben schnellt. Ihr Ausdruck und das bleiche Gesicht erinnern mich an Fräulein Rottenmeier aus der Kinderserie Heidi – fehlt lediglich die Brille auf der Nase. Der Vergleich hinkt natürlich, weil Frau Maibaum wesentlich jünger ist und die braunen Haare offen trägt. Auch das blaue Kleid, das für die Schule einen Tick zu elegant wirkt, erinnert wenig an die strenge Haushälterin.

    »Nein.«

    »Seit wann muss man Hausaufgaben machen, wenn man krank ist?«, platzt Laura dazwischen.

    Doch Frau Maibaum würdigt sie keines Blickes, stattdessen fixiert sie mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen.

    »Das kommt ganz auf den Schweregrad einer Krankheit an. Dir scheint es ja wieder ganz gut zu gehen, oder?«

    »Ja«, antworte ich verhalten.

    »Das freut mich«, erwidert sie so spitz, dass von der angeblichen Freude nichts herauszuhören ist. »Dann kannst du die Aufgaben ja nachholen.«

    Was könnte ich darauf schon entgegnen?

    Mangels einer schlagkräftigen Antwort schweige ich. Vor meinem Krankenhausaufenthalt war Frau Maibaum immer freundlich zu mir und jetzt sprüht sie vor Kälte. Deutlicher kann eine Verhaltensänderung gar nicht ausfallen. Insofern wundert mich das nicht, weil ich ja einmal mitbekommen habe, wie sie für Timon schwärmt, was zwar den meisten Frauen genauso geht, aber vielleicht leidet meine Lehrerin unter Liebeskummer der übelsten Sorte.

    Kann es sein, dass sie sich in ihrem Stolz verletzt fühlt, von einer Schülerin ausgebootet zu werden?

    Mit mulmigem Gefühl kämpfe ich mich durch die Deutschstunde. Aus Angst vor weiteren Angriffen, wage ich nicht mehr, mich zu melden. Wie in alten Zeiten verkrieche ich mich zunehmend in meiner Gedankenwelt – ein deutlicher Rückschritt.

    In der großen Pause treibt es mich wie früher in meine einsame Hofecke, doch das lässt Laura nicht zu. Sie legt einen Arm um meine Schulter und zieht mich zu den anderen aus unserer Klasse, während sie auf mich einredet:

    »Es kommt gar nicht in Frage, dass du dich versteckst. Das käme einem Schuldeingeständnis gleich und du hast nichts verbrochen. Je offensiver du mit den Gerüchten umgehst, desto besser.«

    »Okay. Bestimmt hast du Recht«, lenke ich seufzend ein und lasse mich ein wenig widerstrebend in die andere Richtung geleiten. »Aber es fällt mir nicht leicht.«

    Wir füllen die Lücke in der Runde unserer Mitschüler und ich stelle erleichtert fest, dass das neugierige Starren nachgelassen hat. Lediglich Julia versieht mich mit giftigen Blicken, bevor sie sich wortlos umdreht und die Gruppe verlässt. Ich schaue ihr unglücklich hinterher. Auch wenn ich sie nicht zu meinen Freundinnen zähle, verletzt mich ihr Verhalten.

    »Lass sie, die beruhigt sich schon wieder. Genau genommen macht sie sich dadurch nur selbst lächerlich«, kommentiert Laura.

    Nach der Pause folgt die Stunde bei Timon, vor der ich mich schon den ganzen Tag gefürchtet habe. Es kommt mir vor, als würde mein Herzklopfen durch den ganzen Physiksaal hallen. Sämtliche Augenpaare starren mich an. Jeder wird genau beobachten, wie wir uns ansehen oder ob wir irgendeine Veränderung in unserem Verhalten zeigen. Sogar wenn Timon mich ignoriert, wird das auffallen. Ich beschließe, möglichst still dazusitzen, zuzuhören und mitzuschreiben.

    Dann ist es so weit: Timon tritt durch die Tür, ich halte unwillkürlich die Luft an und die Klasse verstummt abrupt.

    »Guten Morgen«, grüßt er wie immer.

    Seine dunkelgrünen Augen sehen mich nicht an, als er zur Tafel geht.

    Warum muss dieser Mann nur so verdammt gut aussehen, mit seinem Dreitagebart und den halblangen Haaren?

    Ich ertappe mich dabei, wie eine Szene durch meinen Kopf rauscht, in der er mich stürmisch in die Arme zieht, seine Finger besitzergreifend über meinen Rücken und durch die Haare in meinen Nacken streifen, um von meinen Lippen den lang ersehnten Kuss zu fordern.

    O verflixt! Haben die anderen etwas davon bemerkt? Haben sie überhaupt wie üblich mit »Guten Morgen, Herr Trawor« geantwortet, oder war es peinlich still?

    Nichts davon habe ich mitbekommen, dafür spüre ich die Blicke meiner Mitschüler. Wie schon lange nicht mehr, verstecke ich mich hinter meinem Haarvorhang. In meinem Geist sehe ich förmlich, wie meine Wangen in einem satten Pink zu leuchten beginnen.

    Timon klappt die Tafel auf, was einen neuen Schwall heißes Blut in mein Gesicht treibt, denn auf dem grünschwarzen Untergrund prangt ein formatfüllendes rotes Kreideherz. Im Inneren hat jemand mit dicken weißen Kreidestrichen »Leisa + Timon« gemalt. Gelächter und Rufe des Erstaunens werden von Kichern und Tuscheln der Klasse abgelöst. Ich verstecke mich noch tiefer hinter einem Vorhang aus langen blonden Haaren.

    Timon dagegen lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er sieht sich das Herz gelassen an.

    »Ein gelungenes Kunstwerk muss ich sagen. Allerdings hat es nicht sehr viel mit dem heutigen physikalischen Thema zu tun, deshalb muss es leider entfernt werden. Jochen, wischst du bitte die Tafel, während ich die neuen Arbeitsblätter verteile?«

    »Okay«, erklärt er und fängt den Schwamm auf, den Timon ihm zuwirft.

    Die Situation entspannt sich merklich und ich atme erleichtert auf. Timon hat mich weder verleugnet noch in eine peinliche Lage gebracht. Als er an meinem Tisch vorübergeht und mir dabei das Arbeitsblatt hinlegt, treffen sich unsere Blicke für den Bruchteil einer Sekunde und ich bilde mir ein, dass ein verschmitztes Lächeln über seine Augen huscht.

    Ob es jemand bemerkt hat, außer mir?

    Heiße und kalte Schauer wandern durch meinen Körper. Mit klopfendem Herzen wende ich mich dem Arbeitsblatt zu. Vergeblich versuche ich, mich auf den Inhalt zu konzentrieren. Wie wild gewordene Bienen surren Gefühle und Gedanken durch mein Hirn. Ich bringe gerade mal die Hälfte der Aufgaben zu Ende, über die zweifelhaften Ergebnisse denke ich lieber nicht näher nach. Ansonsten verläuft die Schulstunde ruhig.

    Als der Gong den Unterricht schließlich beendet, atme ich auf. Um weiterem Gerede aus dem Wege zu gehen, verlasse ich den Physiksaal rasch und ohne Timon anzusehen, am liebsten hätte ich jedoch genau das Gegenteil getan. So wandele ich gedankenverloren durch die Flure zurück zum Klassenzimmer, lausche nur mit halbem Ohr, was Laura mir über das Abi-Abschlussfest erzählt.

    Wenn ich doch noch einmal seine Hand halten könnte … Warum auch muss er ausgerechnet ein Lehrer sein? Macht das eine Beziehung nicht komplett aussichtslos? Wenn überhaupt etwas läuft, würde daraus doch nur ein elendes Versteckspiel.

    Ich wälze meine Gedanken mühsam hin und her und überhöre dabei das Tuscheln auf den Gängen und übersehe den Fünftklässler, der mit dem Finger auf mich zeigt und mir dabei die Zunge rausstreckt. Die Englischstunde verbringe ich damit, die Galaxie Andromeda in mein Heft zu zeichnen, während ich mir in meiner Fantasie von Timon die Sterne zeigen lasse, unter der Kuppel auf dem Schulhausdach. Dort oben waren wir uns so nah und vertraut. Das kommt mir jetzt unerreichbar weit entfernt vor.

    »Leisa, was machst du da eigentlich?«, unterbricht Laura meine Träumereien, wobei sie mich in die Seite stupst. »Wir schreiben gerade einen Englisch-Aufsatz, falls dir das entgangen sein sollte.«

    »Oh«, bringe ich erschrocken hervor.

    Tatsächlich habe ich nicht mitbekommen, dass wir heute eine Arbeit schreiben und statt des Aufsatzes habe ich eine Galaxie in mein Heft gemalt. Die Sterne wirbeln um ein leuchtendes Zentrum, in dem Timons Name prangt. Ich setze gerade an, das Blatt herauszureißen, als Herr Mittmann an meinen Tisch tritt, um die Hefte einzusammeln.

    Muss er ausgerechnet bei mir damit anfangen?

    Hektisch klappe ich das Heft zu, damit er die Zeichnung nicht sieht, und lasse es mir widerwillig aus den Händen ziehen. Dabei stöhne ich lauter als gewollt, was bewirkt, dass ich mal wieder zur Zielscheibe aller Blicke werde. Jeder hier weiß von Timons Begeisterung für die Sterne und wenn Herr Mittmann meine Zeichnung entdeckt, käme das sicher einer Bestätigung aller Gerüchte gleich. Ich widerstehe dem Drang, mir verzweifelt die Haare zu raufen und starre stattdessen auf den anwachsenden Heftestapel in den Händen meines Lehrers. Im Geiste sehe ich bereits, wie er meine Galaxie im Kollegium herumzeigt und wünsche mir einmal mehr an diesem Tag, im Keller des Schulgebäudes abzutauchen.

    Der Gong läutet zur Pause und Herr Mittmann verschwindet mit den Heften unterm Arm.

    »Leisa, was ist los?« Laura mustert mich mit besorgter Miene. »Geht’s dir gut? Du bist so blass.«

    »Ich bin so blöd«, wispere ich durch die Zähne, ohne sie dabei anzusehen.

    »Warum denn? Weil du was in dein Heft gemalt hast, statt den Aufsatz zu schreiben? Mach dir doch deshalb keinen Kopf! Das wird deine Note schon nicht herunterziehen. Du bist halt ziemlich neben der Kappe. Aber das ist doch verständlich. Vielleicht lässt Herr Mittmann mit sich reden, dass du die Klausur wiederholen kannst.«

    »Verstehst du denn nicht?«, flüstere ich zerknirscht, »ich habe nicht irgendwas gemalt, sondern eine Galaxie und im Zentrum steht obendrein Timons Name

    »Oh, okay. Versteeehe!« Das letzte Wort zieht Laura bedeutsam in die Länge. »Dann sollten wir schleunigst versuchen, das Heft zurückzubekommen.«

    »Was? Wie willst du das denn anstellen?«, hauche ich, während ich meine Mitschüler misstrauisch beäuge. Fehlte noch, dass jemand uns belauscht.

    »Du vergisst, dass ich Klassensprecherin bin. Ich gehe einfach unter einem Vorwand ins Lehrerzimmer und schaue nach, ob Herr Mittmann die Hefte in sein Fach gelegt hat. Wenn keiner hinschaut, reiße ich die Seite einfach aus deinem Heft heraus.«

    »Echt, das würdest du machen?«

    »Klar, warum nicht?!«

    »Das ist total lieb von dir, aber ich halte draußen Wache, um dich zu warnen, wenn jemand kommt.«

    Kurz darauf stehen wir wie zufällig neben der Tür zum Lehrerzimmer. Noch bevor der Gong die nächste Stunde einläutet, schwärmen etliche Lehrer wie Bienen zu ihren Klassen aus. Da steuert plötzlich Frau Maibaum auf meine Freundin zu.

    »Ah, Laura! Gut, dass ich dich treffe. Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich: Es geht um die Organisation des Abschlussfestes. Hast du eine Minute Zeit?«, fragt sie Laura.

    Mich übersieht sie dabei völlig.

    »Äh, eigentlich …«, stammelt Laura, doch Frau Maibaum fällt ihr ins Wort.

    »Es geht ganz schnell, begleite mich doch noch ein Stück den Flur entlang, dann kommst du auch rechtzeitig zum Unterricht.«

    Frau Maibaum zieht Laura förmlich mit sich, während diese mir einen entschuldigenden Blick über die Schulter zuwirft. Währenddessen redet die Lehrerin ununterbrochen auf sie ein.

    Ich bleibe allein zurück und schiele hilflos nach der Tür, als zwei Frauen gefolgt von Timon aus dem Lehrerzimmer kommen.

    Wer sind die? Neue Lehrerinnen? Warum strahlen die so?

    Die weiblichen Personen wenden sich zum Hinterausgang, welcher zu den Parkplätzen führt. Meine Verwirrung wird jedoch überlagert von Timons Anblick. Er strahlt mich an und ich kann gar nicht anders, als zurückzustrahlen, was jedoch nicht lange anhält, denn mir fällt wieder der Grund ein, weshalb ich hier bin.

    »Was ist los? Stimmt was nicht?«

    Timon legt die Hände auf meine Schultern und blickt forschend in meine sich verfinsternde Miene. Seine fürsorgliche Geste bringt jedoch all die verdrängten Gefühle verstärkt an die Oberfläche, sodass ich nur mit Mühe die Tränen zurückhalten kann. Unvermittelt bedeutet mir Timon, ihm zu folgen. Wir gehen zur gegenübergelegenen Schulbücherei. Sie ist verschlossen, daher benutzt Timon seinen Schlüssel, um die Tür zu öffnen. Nachdem er hinter uns wieder abgeschlossen hat, wendet er sich mir zu. Obwohl es recht düster ist neben den Reihen an Bücherregalen, scheinen die Sprenkel in seinen dunkelgrünen Augen in einem reinen Goldton zu leuchten. Mein Herz rast. Hier sind wir ganz alleine, ohne lästige Zuschauer.

    Wie es sich wohl anfühlt, diese Lippen auf meinen zu spüren?

    Jetzt bewegen sie sich und ein sanftes Flüstern beduselt mein Hirn.

    »Was ist passiert?«, fragt Timon, während er mit einem Finger zärtlich über meine Wange streicht.

    Statt romantischer Liebesgefühle bringt das jedoch den angestauten Kummer erneut zum Ausbrechen. Je mehr ich mich darüber ärgere und die Tränen zurückzuhalten versuche, desto stärker drängen sie aus meinen Augen.

    Frau Maibaums Attacken und das Gefühl, zum allgemeinen Hassobjekt geworden zu sein, wiegen schwer auf meiner Seele. Ganz zu schweigen vom Missgeschick mit der verpatzten Klausur …

    Unter Schluchzen rinnen wahre Bäche an salziger Flüssigkeit über meine Wangen. Timon zieht mich betroffen an sich und wiegt mich in seinen Armen, so lange, bis mein Schluchzen abgeklungen und alle Tränen versiegt sind.

    »Ich weiß, es ist schwer mit all dem Gerede …«, flüstert Timon leise.

    Mehr als ein »Mhm« bringe ich jedoch nicht hervor. Dafür dringt Timons Nähe verstärkt in mein Bewusstsein, ich spüre seine Arme, die mich tröstend wiegen, nehme seinen männlich-herben Duft auf, ein wenig verschwitzt, was mich ganz und gar nicht stört. Mit einem Male erscheinen mir meine Sorgen ganz unwirklich. Doch bevor ich mich in einem Wohlgefühl verlieren kann, schiebt mich Timon ein Stück von sich fort, um mich anzusehen.

    »Was ist denn passiert?«, will er wissen.

    Ich schließe die Lider und atme tief durch, bevor ich mit heiserer Stimme antworte:

    »Ich-ich habe versehentlich etwas in mein Englisch-Aufsatzheft gemalt, was Herr Mittmann auf keinen Fall sehen sollte«, bricht es schließlich aus mir heraus. »Laura wollte mir helfen, die Seite auszureißen, aber Frau Maibaum hat sie förmlich mit sich fortgezogen.«

    »Ach so! Und ich habe mir schon eingebildet, du wolltest zu mir«, beschwert sich Timon gespielt beleidigt.

    Er streicht sanft über mein Haar, dann wendet er sich entschlossen ab.

    »Warte hier! Ich bin gleich wieder da.«

    Er verschwindet aus der Bibliothek, doch nach kurzer Zeit taucht er wieder auf. Siegessicher lächelnd wedelt er mit einem Blatt in der Hand.

    »Ist dies das Gemälde, das Herr Mittmann nicht sehen sollte?«, fragt er lächelnd.

    Ich nicke und grinse beschämt, indem ich beide Zahnreihen zeige.

    »Eine Galaxie! Sehr schön mit den vielen bunten Farben und meinem Namen in der Mitte. Darf ich das Bild behalten?«

    »Klar«, antworte ich strahlend, während Timon es bereits sorgsam zusammenrollt und in die Brusttasche seines Hemdes steckt.

    »Du hast recht, es wäre sicherlich ein gefundenes Fressen für die Gerüchteküche, wenn Herr Mittmann das Bild gefunden hätte. Müsstest du jetzt nicht im Unterricht sein?«

    »Ja, eigentlich schon«, gebe ich zu. »Und du?«

    »Ich habe heute keinen Unterricht mehr. Aber du solltest dich jetzt besser beeilen.«

    In der Absicht, die Bibliothek zu verlassen, lege ich die Hand auf die Türklinke. Es fällt mir jedoch schwer, mich von ihm zu trennen, vor allem, weil mich Timon, entgegen seiner Worte, förmlich gefangen hält, indem er mir tief in die Augen sieht und eine Strähne meines Haares langsam um den Finger wickelt. Während meine Hand wie automatisch die Klinke runterdrückt, zieht er mich sanft zu sich.

    »Warte noch, Leisa«, flüstert Timon, was sämtliche Schmetterlinge in meinem Bauch in wilden Aufruhr versetzt.

    Ich liege in seinen Armen, atme den männlichen Duft, spüre, wie seine Finger über Rücken und Nacken wandern. Timon vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren und atmet tief durch. Meine Knie wackeln mal wieder, als hätte jemand Gelee in die Gelenke gefüllt.

    »Du musst gehen …«, flüstert er wehmütig.

    Entgegen seiner Worte schließt Timon seine Arme jedoch noch fester um mich.

    »Ja, stimmt …«, antworte ich heiser und schmiege mich an ihn.

    Timon vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren und atmet ihren Duft, was mich an das Schulhausdach erinnert, wo wir ähnlich wie jetzt zusammenstanden.

    Ich schließe die Lider und wünsche mir, die Zeit würde genau jetzt stehenbleiben, um diesen magischen Moment auf ewig zu konservieren. Doch schon ist er wieder vorüber, denn ich bin nicht mehr zufrieden damit, ich wünsche mir mehr, viel mehr, aber vor allem einen Kuss …

    Um mein Gesicht in die richtige Position dafür zu bringen, weiche ich ein wenig zurück, wo ich schier in Timons Blick zu versinken drohe. Er streichelt mit dem Handrücken über meine Wange. Als ich die Lippen erwartungsvoll öffne, huscht ein Lachen über seine Augen. Statt des ersehnten Kusses flüstert er sanft:

    »Du solltest jetzt gehen.«

    Dieses Mal meint er es ernst, denn er lässt mich los, öffnet die Tür für mich, dreht sich dann einfach um und verschwindet zwischen den Regalen.

    Was war denn das?

    Ein wenig enttäuscht, verwirrt, aber dennoch wie auf Wolken schwebend, verlasse ich die Bibliothek und wandele beschwingt die Flure entlang. Jetzt kann mir nichts mehr etwas anhaben – weder die starrenden Blicke der Mitschüler noch die genervte Frage meiner Kunstlehrerin, weshalb ich zu spät komme.

    »Mir war übel«, lüge ich, während ich mich auf meinen Platz fallen lasse.

    »Wo warst du so lange? Hast du das Blatt herausreißen können?«, flüstert Laura und mustert mich forschend.

    »Ja, alles okay.«

    »So? Wie hast du das denn geschafft? Und wer hat dir dieses selige Lächeln ins Gesicht geklebt? Warst du etwa mit Timon zusammen?«, wispert sie, für meinen Geschmack etwas zu laut, aber ich bin noch immer so elektrisiert, dass sich meine Sorgen in Grenzen halten.

    Ich brauche auch nicht viel zu antworten, denn ich kann spüren, wie ein seliges Strahlen meine Augen verlässt.

    Jedem, der mich jetzt ansieht, wäre sofort klar, was Sache ist.

    »Mhm«, ist das einzige, was ich zu antworten vermag.

    »Okay, ich denke, die ausführliche Version verschieben wir auf später, wenn du wieder auf dem Erdboden stehst«, bemerkt Laura grinsend.

    Sie schüttelt den Kopf und widmet sich wieder ihrem Bild. Wie die anderen müht sie sich damit ab, die antike Vase abzuzeichnen, die Frau Maisner auf dem Pult platziert hat. Ich ziehe ebenfalls meinen Block aus der Mappe und beginne, die Umrisse abzumessen.

    »Dieses Mal solltest du aber immer an Vase denken, statt an Sterne, okay?«, ermahnt mich Laura. Sie zwinkert belustigt.

    Das Zeichnen bereitet mir große Mühe, weil meine Gedanken immer wieder zu Timon abschweifen. Außerdem will meine Hand lieber Sterne und Galaxien malen, als eine langweilige Vase, die mir nichts bedeutet. Als der Gong mich vom Kunstunterricht erlöst, habe ich etwas gezeichnet, das man eher mit einem Staubsauger verwechseln könnte, als mit der Vorlage auf dem Pult. Das ist mir jedoch egal. Kunst gehört sowieso nicht zu meinen Lieblingsfächern und beim Malen habe ich zwei linke Hände und einen verzerrten Blick.

    Nach der Stunde zieht mich Laura in eine stille Ecke.

    »So, jetzt will ich aber alles ganz genau wissen. Was habt ihr getrieben und hat euch jemand gesehen?«

    »Ach, da gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Timon kam zufällig aus dem Lehrerzimmer. Ich hab ihm erzählt, was passiert ist und dann hat er mir das Blatt geholt und in die Bücherei gebracht.«

    »Soso, ihr wart also zusammen in der Bücherei. Und was dann? Habt ihr euch geküsst?«, haucht sie aufgeregt.

    Eigentlich würde ich die Details lieber für mich behalten, aber ich kann meiner Freundin ansehen, dass sie nicht lockerlassen wird.

    »Nein, wir haben uns nicht geküsst. Timon hat mich getröstet, weil ich so fertig war wegen der Anfeindungen und er hat mich gefragt, ob er mein Bild behalten darf«, flüstere ich, während ich mich wachsam umschaue, ob uns jemand belauscht. Doch die Schüler um uns herum scheinen in ihre eigenen Dinge vertieft zu sein.

    Was Laura wohl darüber denkt, dass Timon mich noch immer nicht geküsst hat?

    Ich warte auf ihre Reaktion, doch sie schaut nur nachdenklich drein. Wahrscheinlich ist sie jetzt enttäuscht. Nach einer unangenehmen Schweigeminute murmelt sie etwas wie: »So wie ich die Dinge einschätze, bedeutest du ihm sehr viel …«

    »Woran willst du das denn erkennen?«, frage ich verwundert wie elektrisiert gleichermaßen.

    »Nur so ein Gefühl«, antwortet sie augenzwinkernd. »So, aber jetzt muss ich los. Französisch haben wir ja nicht zusammen. Bis morgen.«

    »Ja, dann bis morgen. Tschüss!«

    Ich gehe zu meinem Kurs in den zweiten Stock und bringe eine unspektakuläre Spanisch-Stunde hinter mich.

    Froh, den ersten Schultag nach der Gewitternacht unbeschadet hinter mich gebracht zu haben, überquere ich gut gelaunt den Schulhof. Es ist kälter geworden in den letzten Tagen. Das war schon lange überfällig, denn der Herbst hat schon einige Blätter an den Bäumen und Sträuchern bunt gefärbt.

    Da ich heute weder Werner noch Dr. Birkenfeld und seine Arzthelferin fürchten muss, gehe ich ohne Umwege nach Hause. Ein eisiger Schauer wandert mir über den Rücken, beim Gedanken daran, dass sie nun alle tot sind. Zum Glück sind mir der rothaarige und der dicke Freund von Werner heute nicht begegnet. Wer weiß, wie sie jetzt auf mich reagieren.

    Soll Werner nicht heute beerdigt werden? Vielleicht waren seine Freunde deshalb nicht in der Schule …

    Soweit ich mitbekommen habe, wurden ein paar Schüler für die Trauerfeier beurlaubt und es wundert mich nicht, dass ich keine Einladung dazu erhalten habe. Obwohl ich nicht für Werners Tod verantwortlich bin, fühle ich mich irgendwie schuldig. Immerhin hat er die mit Betäubungsmittel versehenen Pralinen gegessen, die für mich bestimmt waren. Daraufhin hat ihn Dr. Birkenfeld getötet, wahrscheinlich vergiftet. Außer mir weiß nur Timon davon und ganz sicher werde ich Laura oder sonst wen nicht auch noch in Gefahr bringen, indem ich davon erzähle. Um nicht weiter in düsteren Grübeleien zu versinken, schiebe ich das Thema beiseite und denke lieber an Timon und mich, wie wir uns in der Bücherei nahegekommen sind.

    Vor der Haustür angekommen, schließe ich kurz die Augen, um ganz in dem Gefühl seiner Umarmung zu versinken, das Prickeln meiner Haut, als er mit dem Finger darüber gestreichelt hat. Ich atme tief ein, im Versuch, mir seinen Duft in Erinnerung zu rufen.

    O Mann, bin ich jetzt komplett bescheuert, wie ich mich benehme? Wie kann man nur so in jemanden verschossen sein? Ich sollte langsam echt mal wieder auf dem Boden landen!, rüge ich mich selbst.

    Verstohlen schaue ich mich um, ob mich jemand beobachtet hat, doch zum Glück ist die Straße menschenleer. Tief durchatmend betrete ich unser kleines Reihenhaus. Beim routinemäßigen Leeren des Postkastens finde ich einen Brief ohne Absender und Briefmarke. Lediglich »Leisa Blum«, steht in schwarzen Druckbuchstaben auf dem weißen 0-8-15 Umschlag.

    Anonymer Brief

    Mein Herz donnert. Mit zittrigen Fingern reiße ich das Kuvert Stück für Stück auf, halte in der Bewegung jedoch inne. Eine schlimme Ahnung macht sich in mir breit:

    Könnte das eine Briefbombe sein? Oder wäre sie in diesem Fall jetzt schon explodiert?

    Ich mustere das gewöhnlich weiße Papier argwöhnisch. Der Inhalt kann kaum mehr als aus einem einzelnen Blatt bestehen, so dünn wie sich das Kuvert anfühlt. Auch ertaste ich keinerlei Unebenheiten. Vorsichtig ziehe ich die Seiten an der bereits aufgerissenen Stelle auseinander und luge durch die Öffnung hinein, kann aber nichts entdecken.

    Ein leerer Briefumschlag, auf dem nichts weiter als mein Name steht? Was soll denn das?

    Etwas mutiger ziehe ich den Finger Stück für Stück unter der oberen Kante hinweg, bis er am Ende des Kuverts anlangt. Auch jetzt finde ich keinen Inhalt, egal wie ich den Umschlag drehe, wende und begutachte.

    Ein blöder Scherz von Werners Freunden oder hat es etwas mit Dr. Birkenfeld zu tun? Komisch …gruselig …

    Es schüttelt mich bei dem Gedanken, dass mir mit dieser Aktion offenbar jemand Angst einzujagen versucht – leider mit Erfolg. Ich betrachte das Papier noch eine Weile unschlüssig, dann stopfe ich es in die unterste Schublade der Kommode und versuche, mich selbst davon zu überzeugen, dass der anonyme »Brief« ganz sicher aufs Konto von Werners Freunden geht.

    Diese Blödmänner können mich mal … Oder hat da jemand einfach vergessen, den Inhalt hineinzustecken?

    Im Kopf hake ich damit das Thema zwar ab, das ungute Gefühl hängt mir jedoch weiter nach.

    Wie so oft bin ich allein, weil meine Mutter Tina noch im Büro arbeitet. Halbherzig wende ich meine Konzentration wieder dem Alltag zu. Als nächstes steht Mittagessen auf dem Programm. Da denke ich mir etwas besonders Exotisches aus: Spaghetti mit Tomatensoße! Zugegeben, ich habe einfach keine Lust auf Kochen, so wird’s heute halt ein Allerweltessen, das ich geistesabwesend zubereite und noch geistesabwesender verzehre. So wundert es wenig, dass das Nudeleinsaugen üble kleine rote Punkte auf meinem weißen Top hinterlässt.

    »Wenn man mit den Gedanken ständig woanders ist, passieren eben viel zu viele Missgeschicke«, kommentiert wenig später mein Affe Bengi das Punktemuster. »Du solltest dich umziehen, bevor Timon-Schatzi dich so sieht.«

    »Ach, wo sollte er mich denn sehen? Ganz bestimmt kommt er nicht hier her.«

    »Was macht dich denn da so sicher?«

    »Keine Ahnung, ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Das ist alles so schwierig und verworren«, murmele ich frustriert. »Ein richtiges Paar sind wir schließlich nicht, oder?«

    »Was fragst du mich? Du musst das doch wissen. Außerdem bin ich nur eine Affenpuppe. Besorg mir doch ein nettes Affenmädchen. Dann könnte ich Beziehungserfahrungen sammeln und dir Tipps geben.«

    »Soweit kommt’s noch …«

    Unwillkürlich schweifen meine Gedanken ab.

    Timon! Ach, wenn wir uns doch zusammen irgendwo auf eine einsame Insel beamen könnten – weit weg von allen Problemen …

    Irgendwie habe ich keine rechte Lust auf Bengi, außerdem sorge ich mich noch

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