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Damnati: Liebe gegen jede Vernunft
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eBook569 Seiten7 Stunden

Damnati: Liebe gegen jede Vernunft

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Über dieses E-Book

Frisch geschieden und in Irland nach einem Neuanfang strebend, wird die gut sortierte Welt von Dr. Vincent Malinov gehörig auf den Kopf gestellt, als er bei einem Spaziergang zu Vollmond seinem Schicksal begegnet.

Als erklärter Realist glaubt er nicht an die Liebe auf den ersten Blick, wird aber eines Besseren belehrt. Er trifft auf eine einzigartige Frau, die ausgerechnet ein zu groß geratener Wolf hinter sich her schleift.

Dummerweise ist es dessen Biss, der sie in verschiedene Welten katapultiert. Vincent muss damit klarkommen, sich als angehender Werwolf einem Rudel anzuschließen und seinem Alpha zu unterwerfen. Jaxon ist eine Damnati und dazu bestimmt, Werwölfe zu jagen und zu töten.

Zu allem Überfluss hat ihr Boss Rian ein Auge auf die junge Jägerin geworfen. Ihr Versuch, Vincent zu schützen, führt dazu, dass sich das Netz immer enger zusammenzieht.

Werwölfe vs. Jäger.

Liebe vs. Vernunft.

Dieser Roman enthält Szenen, die für Zartbesaitete nicht geeignet sind. Die Handlungen in diesem Buch sind für Leser ab 18 Jahren.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum17. März 2019
ISBN9783743896406
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    Buchvorschau

    Damnati - Harper Johnson

    Kapitel 1 – Vollmond

    Jaxon lauschte angestrengt in die Dunkelheit des Haines. Der Vollmond warf nur vereinzelt sein sanftes Licht durch die Baumkronen. Das erzeugte eine einzigartige Stimmung, wie in einem wunderschönen Märchenwald. Ein Anblick, der einen trügen konnte, denn heute war eine besondere Nacht: Die Nacht der Werwölfe.

    Der Wald war in Stille getaucht. Kein Knacksen, kein Rascheln der Blätter im Wind, selbst die Waldbewohner schienen lieber den Atem anzuhalten.

    Die Wärme des Tages konnte man noch immer auf der Haut spüren. In der Luft lag ein Hauch von Spannung, der ein bevorstehendes Gewitter ankündigte.

    »Kannst du was erkennen, Jaxon?«, polterte ihr junger Kollege unerwartet, direkt neben ihrem Ohr los.

    Sie hatte Mühe, nicht vor Schreck aufzuschreien.

    Seine karottenroten Haare standen wild und stachelig von seinem Kopf ab. Vermutlich hatte er ein inniges Verhältnis mit seinem Haargel, denn solche Kunstwerke bedurften steter Fürsorge. Ob man damit einen Wolf aufspießen konnte? Zudem war er ein Anhänger von Piercings. Nicht nur seine Ohren waren von unzähligen Ringen durchbohrt. In seiner Augenbraue steckte ein winziger Drache, und seine Unterlippe war mit einem Ring durchstochen, an dem ein Kreuz baumelte. Vermutlich protestierte er auf diese Art gegen gewisse Konventionen. Das wunderte sie nicht mal, wenn man bedachte, wer sein Vater war.

    Desmond Dunn, ein Damnati, der im Tribunal über Leben und Tod entschied. Ein sehr dominanter Mann.

    »Dummkopf. Rede noch lauter, dann können uns die Wölfe nicht nur riechen, sie brauchen nur entspannt dem Krach folgen«, flüsterte sie ihm zu.

    »Tschuldigung«, murmelte er und duckte sich. Sie hockten in der Deckung eines umgefallenen Baumstamms am Waldrand. Jaxon fragte sich noch immer, was sie wohl verbrochen haben könnte, dass Rian MacCahan, ihr Boss und Anführer der Belfaster Damnati, ihr gerade an Vollmond einen solchen Jungspund an die Seite stellte. Sie hatte Casey Dunn nicht nach seinem Alter gefragt, aber er kam frisch aus der Ausbildung, und sie schätzte ihn auf siebzehn, vielleicht achtzehn Jahre. Damit war sie fünf Jahre älter als er und seit dieser Zeitspanne aktiv im Einsatz. Es war aus ihrer Sicht verfrüht, ihn sofort an der Front einzusetzen.

    »Ich will endlich einen Werwolf aus der Nähe sehen«, erklärte er leise und trommelte dabei ungeduldig mit den Fingern auf dem morschen Holz herum. Casey warf dabei gefährliche Blicke in den Wald, als könnte er damit einen anlocken.

    Jaxon verdrehte leicht die Augen. Achja, sie vergaß. Er war übermotiviert und sollte seine Jungfernnacht mit ihr verbringen. Na, hoffentlich hatte er das nicht wortwörtlich verstanden. Ihr reichte es schon, dass sie momentan nicht nur auf die Wölfe achten musste, sondern auch noch den Babysitter für Casey zu spielen hatte.

    Auch wenn er sich das sicherlich nicht selbst ausgesucht hatte. Sie kannte die Ansprüche, die ihr Boss an den Tag legte, dazu erinnerte sie sich zu gut an ihr eigenes ›erstes Mal‹.

    »Nur zu deiner Information, Casey. Du solltest lieber froh sein, wenn du zu Vollmond keinen zu Gesicht bekommst. Die Wölfe verlieren in einer solchen Nacht den Verstand und erweisen ihrem Ruf, eine rasende Bestie zu sein, alle Ehre«, erklärte sie ihm leise und warf ihm einen kurzen Blick zu. Sie sah, wie Casey die Augenbrauen hob und nickte.

    Er konnte sich glücklich schätzen, diese Nacht in einem Stück zu überleben, ebenso wie sie. Erfahrung war auch nicht alles. Die Wölfe wussten um ihren Fluch und zogen sich in dieser einen besonderen Nacht in entlegene Gegenden zurück. Dennoch passierte es immer mal wieder, dass einer von ihnen sich zu nahe an die Stadtgrenzen verirrte. Hier kamen sie ins Spiel. Die Damnati waren zum Schutz der Menschen da. Eine Jägerrasse, die für Ordnung zu sorgen hatte. Sie verhinderten, dass weder die Wölfe noch die Vampire aus der Reihe tanzten, und sie waren den Wesen gegenüber gewappnet. Sie waren widerstandsfähiger, kräftiger und schneller als Menschen und dazu mit der Fähigkeit ausgestattet, Wesen auch zu erkennen, wenn sie, wie im Fall der Wölfe, nicht gewandelt waren.

    Leider neigten zu viele ihrer Kollegen dazu, dieser Aufgabe zu akribisch nachzugehen. Sie hatten es sich zur Pflicht gemacht, die Welt gänzlich von den magischen Geschöpfen zu befreien. Etwas, das ihren Boss immer wieder zu Bluthochdruck und Schreikrämpfen vom Feinsten verleitete. Insgeheim liefen schon Wetten, wann er sich selbst in einen Schlaganfall brüllte, wenn mal wieder einer seiner Leute Mist gebaut hatte. Letzten Endes waren den Damnati gewandelte Wölfe jedoch haushoch überlegen. Einen fairen Kampf würde keiner von ihnen überleben und zu Vollmond erst recht nicht.

    Ein entferntes Flattern weckte Jaxons Aufmerksamkeit. Sie blinzelte wachsam in die Dunkelheit. Irgendetwas hatte ein paar Vögel aufgeschreckt. Das musste nichts bedeuten, konnte es aber. Konzentriert schaute sie in die Richtung. Die Stille, die folgte, hatte etwas Aufreibendes. Wie die Ruhe vor einem Sturm.

    »Glaubst du, dass das ein Wolf war?«, wollte Casey kaum hörbar wissen. Der Junge lernte schnell, zumindest was die Lautstärke anging.

    »Wäre möglich. Vielleicht war es auch nur ein Fuchs, der ein paar Vögel aufgescheucht hat.«

    Es war besser, ihn zu beruhigen. Sollte es anders sein, würden sie beide das früh genug bemerken. Sie konnte keinen Neuling gebrauchen, der in Panik wild um sich schoss.

    Erneut knackte es, diesmal lauter und zwar von links. Okay, da kam eindeutig Etwas oder Jemand näher.

    »Mach das Netz fertig, Casey«, flüsterte sie nach rechts zeigend. Jaxon erhob sich, um geduckt in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Sie legte ihre Hand auf ihre Automatik und starrte gebannt in die Dunkelheit.

    Casey sollte wissen, was seine Aufgabe war. Er hatte es bestimmt tausend Mal geprobt, wie man ein Netz vorbereitete. Sie hörte ihn rascheln, als er sich in Position begab.

    Was wollte man einem irrsinnigen Werwolf auch entgegensetzen? Die Wölfe waren wie von Sinnen, und wenn man auf sie schoss, machte sie das nur noch wütender. Wolfswurz wirkte eher schlecht als recht in dieser besonderen Nacht. Sie erkannten gerade mal ihre eigene Sippschaft, um sich nicht gegenseitig anzufallen. Das sagten zumindest die Lehrbücher, und zerfleischte Wölfe, die sich somit selbst dezimierten, hatten die Damnati bisher nicht aufgefunden.

    So gab es nur Netze und Nebelbomben, die sie möglichst unauffällig von ihrem Weg in eine belebte Gegend und damit von den Menschen abhielten. Wenn man mal von der Alternative absah, sie mit Silber vollzupumpen und zu töten. Aber auch das brachte einen Wolf nicht schnell genug zur Strecke, um selbst nicht zwischen seine Fänge zu geraten.

    Jaxon griff zum Funkgerät, das an ihrer Schulter befestigt war und drückte auf Senden.

    »John, wie sieht es bei euch aus?«, fragte sie leise und ließ den Schalter wieder los. John und sein Partner befanden sich weiter südlich. Ein leises Rauschen war zu hören.

    »Hier ist alles ruhig, Jaxon.« Sie schaute angestrengt in die Dunkelheit. Der Knopf in ihrem Ohr arbeitete zuverlässig.

    »Doug?«, funkte sie das Team weiter nördlich an.

    »Alles im grünen Bereich«, folgte prompt eine Antwort.

    »Bei mir tut sich etwas«, flüsterte Jaxon ins Funkgerät.

    Hoffentlich nur ein besoffener Camper, der sich im Wald verirrt hatte und einen nächtlichen Spaziergang unternahm. Es grenzte ohnehin glatt an Selbstmord, in einer solchen Nacht in der Landschaft herumzukraxeln. Aber woher sollten die Menschen es auch wissen? Warnungen konnte man schlecht abgeben, ohne damit die Existenz der Werwölfe zu verraten.

    So könnte man es auch gleich ans schwarze Brett nageln oder im Fernsehen ausstrahlen. Eine solche Massenpanik wollte sich niemand antun. Nicht mal die Wesen selbst, denn auch Menschen hatten effektive Waffen, um den Wesen das Leben zu nehmen. Besser, wenn sie unwissend blieben.

    »Ich schicke ein paar Drohnen vorbei«, meldete sich ihr Anführer über Funk. Er kreiste irgendwo im Hubschrauber über Belfast und hörte mit. Rian MacCahan koordinierte alles von oben, und sollte ein Wolf durchkommen, war er Plan B.

    So zumindest in der Theorie.

    »Jaxon, was machen wir denn jetzt?«, zischte es von Casey zu ihr, doch bevor sie antworten konnte …

    Ein Trampeln, wie von einem Elefanten, der im vollen Galopp gegen ein Hindernis rannte, ließ sie herumfahren. Knackendes Holz und wildes Geraschel ging durchs Unterholz, als ein Baum dieser Wucht nachgab und auf den Boden krachte.

    Oh nein, das war sicher kein angeschickerter Nachtspaziergänger. Wieder Stille.

    »Ich brauche Verstärkung«, funkte Jaxon durch. Sie schnappte sich ein Nachtsichtgerät, duckte sich hinter einen Stein und zoomte in den Wald. Suchend glitt ihr Blick zwischen den Schemen der Bäume hindurch, und sie zuckte erschrocken zurück, als sie frontal in zwei silberne Wolfsaugen schaute. Die Lefzen des Viehs waren gefährlich hochgezogen, und es setzte sich in Bewegung. Und zwar in ihre Richtung.

    »Shit!«

    Jaxon ließ achtlos das Gerät fallen und kam strauchelnd auf die Beine. Ein dunkles, rhythmisches Knurren näherte sich schnaufend.

    »Casey, komm her«, brüllte sie ihren Schützling an. Jetzt war es ohnehin zu spät, leise zu sein. Jaxon hob ihre Waffe und schoss zwei Rauchgranaten in den Wald vor sich, um dann zu Casey zu rennen, der sich mit dem Seil abmühte.

    Was zur Hölle machte er da?

    Er war komplett darin verheddert.

    »Warum knallen wir den nicht ab?«, fragte Casey panisch und zerrte an dem verschlungenen Seil. Der Einfluss seiner Kollegen ließ sich nicht verleugnen.

    »Nicht, wenn wir das vermeiden können!«, antwortete Jaxon harsch.

    Der Boden vibrierte unter den näher kommenden Tritten des schweren Wolfes, und fast schon konnte Jaxon den heißen Atem in ihrem Nacken spüren. Ein höchst beunruhigender Gedanke. Endlich befreiten sie Casey aus dem Wirrwarr des Seils. Im letzten Moment schafften sie es, das Netz zu spannen und sich mit einem beherzten Sprung zur Seite in Sicherheit zu bringen.

    Der Wolf rauschte mit voller Geschwindigkeit in die Maschen. Ein lautes Ratschen war zu hören, bevor ein Ruck Jaxon von den Füßen riss und sie mitgeschleift wurde.

    »Fuck!«, brüllte sie.

    Jaxons Blick heftete sich auf Casey, der sich von ihr entfernte. Er setzte sich geschockt auf den Hosenboden. Mit aufgerissenem Mund schaute Casey dem Wolf hinterher, der mit ihr im Schlepptau im Geäst verschwand.

    Wie konnte das passieren? Das Seil sollte an einem Baum befestigt sein, um den Wolf zu fangen. Stattdessen wurde sie wie ein unbemerktes Anhängsel durch den Dreck gezogen. Ihr Fuß hing unerbittlich in der Schlinge fest.

    Ihr Griff zum Funkgerät ging ins Leere.

    Verdammt, es war verschwunden.

    Ebenso wie ihre Waffe.

    Der aufgewirbelte Staub nahm ihr die Sicht, und sie knallte mit voller Wucht gegen einen umgefallenen Baum.

    Instinktiv suchte sie an einem Ast Halt und klammerte sich fest. Der Baumstamm bewegte sich mit einem Ruck, als der Wolf gegen den Widerstand anzog. Jaxon stöhnte, denn es fühlte sich an, als würde sie das zweifelhafte Vergnügen mit einer Streckbank haben. Die Freude, ihn zu stoppen, währte nicht lange, denn sie konnte spüren, wie der morsche Ast nachgab. Im nächsten Moment verlor sie den Halt, und diese unbequeme Reise ging weiter.

    Schüsse peitschten durch die Nacht. Sie hörte die Kugeln durch die Luft zischen.

    Ein unheilvolles Knurren folgte, und sie krachte gegen einen Widerstand, als der Wolf die Richtung wechselte.

    Au, verflucht!

    Ein Stöhnen kam ihr über die Lippen, und Kastanien regneten auf sie herab. Sie stand nicht auf schmerzhafte, blaue Flecke. Der Wolf steuerte wieder in Richtung Wald, und der Grund war nicht zu übersehen.

    Unweit von ihr befand sich die angeforderte Verstärkung. John und sein Partner standen mit angelegten Knarren und ungläubigem Blick da. Ihre Blicke folgten ihr, als sie an ihnen vorbeigezogen wurde und der Nebel sie verschluckte.

    Schon mal versucht, ein Rennen mit einem in Panik geratenen Werwolf zu gewinnen? Selbst wenn der so etwas wie einen Bremsanker hinter sich herschleifte, verlor er nicht an Kraft.

    Langsam machte sich Wut in ihr breit. Ihre Laune war auf einem Tiefpunkt, und jeder, der sie kannte, wusste, dass man ihr dann am besten aus dem Weg ging.

    Wann immer sie meinte, jetzt könnte sie sich befreien, zog der Wolf erneut das Tempo an, und die Schlinge zog sich wieder fest um ihren Fuß. Unter ihrer Kleidung sammelten sich Eicheln, Blätter und jede Menge Dreck an. Dazu kam das Gefühl, auf dem Höllenritt ihres Lebens unterwegs zu sein. So fühlte es sich also an, zu Tode geschleift zu werden. Eine höchst zweifelhafte Erfahrung. Jetzt in Panik auszubrechen würde ihr nur nichts nützen.

    Leider verlor sie nicht das Bewusstsein, sondern kam in den vollen Genuss dieser Spritztour. Jede hochgelobte Attraktion in einem Vergnügungspark war der reinste Witz dagegen. Äste und Gestrüpp kratzten ihr ins Gesicht, über ihre Arme und Beine. Sie spürte die Kratzer selbst durch das Leder ihrer Montur. Der raue Boden ging nicht nett mit ihr um. Jeder Stein oder Ast, der sich ihr in den Weg legte, fügte ihr Blessuren zu.

    Ihr schwindelte zunehmend. Der Wolf rannte durch ein Flussbett und strömendes Wasser. Das nasse Element war zwar für einen kurzen Moment erfrischend kühl, doch jetzt klebte der Dreck erst recht an ihr. Wo blieb die erlösende Ohnmacht, um diesem Albtraum zu entfliehen? Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Wolf stehen blieb und bemerkte, dass er sein Pausenbrot bereits im Gepäck hatte. Zeit, um mit ihrem kümmerlichen Leben abzuschließen. Zukünftig musste sich ihr Chef wohl alleine damit herumschlagen, ihre Kollegen davon abzuhalten, willkürlich Wölfe und Vampire zu dezimieren. Trotz aller Missstände konnte sie immerhin ihrem Job gerecht werden, denn der Wolf rannte von der Stadt weg. Als er sie herumschlitterte, zeigte sich ein harter Schlag mit der Stirn gegen einen Felsen endlich gnädig. Ihr gingen zuverlässig die Lichter aus.

    Kapitel 2 – Ein idyllischer Nachtspaziergang

    »Dr. Malinov. Wie erfreulich, Sie zu sehen«, lächelte Mrs Sweeney, nachdem sie die Tür fast aus den Angeln gerissen hatte.

    »Mrs Sweeney.«

    Vincent deutete eine leichte Verbeugung an.

    »Haben Sie sich in den letzten Wochen schon ein wenig einleben können?«, strahlte sie noch mehr.

    Wow, erstaunlich, dass noch eine Steigerungsmöglichkeit bestand. Sie war seine Vermieterin und musste zu ihm hochschauen, obwohl sie selber um die eins siebzig groß war.

    »Ja, das Haus ist wirklich schön. Vielen Dank, dass Sie auf meinen Liebling aufpassen«, erwiderte er.

    Ihre dunkle Silhouette im Licht der Flurbeleuchtung zeigte eine etwas fülligere, furchtbar herzliche und patente Mitfünfzigerin, die mit ihrem Mann und ihren Töchtern diesen Hof hier bewirtschafteten. Sie züchteten Schafe und betrieben Ackerbau, neben dem Vermietungsgeschäft. Es war nett von ihr, so lange aufzubleiben, damit er nach seiner Schicht in der Klinik noch seinen Hund abholen konnte.

    Sie überreichte ihm die Leine, an dem sich sein Langhaarcollie gerade ein Loch in den Bauch freute. Stürmisch sprang er an Vincents Beinen auf und ab und leckte ihm über die Hände, als hätte er befürchtet, ihn nie wieder lebend anzutreffen.

    Vincent schmunzelte darüber.

    »Sie haben ihn doch nicht etwa schlecht behandelt«, machte Vincent zwinkernd einen Scherz, den wohl jeder Hundebesitzer nachvollziehen konnte. Mrs Sweeney hatte selbst zwei Hunde.

    Sie grinste vergnügt.

    »Unbedingt. Bestimmt ist er froh, meiner Fürsorge entfliehen zu können. Er hat sicherlich schon Magendrücken, weil er heute zu viel frische Leber hatte«, grinste sie.

    Vincent lachte leise.

    »Wow, Sie sind ja eine Heilige.«

    Dieser Vorzug gehörte zum Mietvertrag gewissermaßen dazu. Sie hatte ihm ein abgelegenes, freistehendes Häuschen an der Küste vermietet. Mit einem sensationellen Blick über das Meer. Die Option bestand, dieses Haus und das zugehörige Land zu kaufen. Exakt das, was er nach dieser stressigen Scheidung gesucht hatte.

    Ruhe, Abgeschiedenheit, dazu ein neuer Job, in einem neuen Land. Hier konnte er endlich Abstand gewinnen, neu anfangen und vergessen, was er in Paris hinter sich gelassen hatte.

    Von anstrengenden Frauen hatte er die Nase gestrichen voll. Er hätte sich niemals in Fabienne verlieben dürfen und sie schon gar nicht heiraten. Er war frisch nach seiner Doktorarbeit und seinem Abschluss an der Bostoner Universität in Paris auf sie getroffen. Eine verhängnisvolle Reise. Anfänglich war sie unkompliziert gewesen. Der Eindruck, dass man mit ihr zusammen Pferde stehlen konnte, verflüchtigte sich schnell. Nichts im Leben würde auch nur ansatzweise ein Problem darstellen, wenn man nur zusammenhielt, richtig?

    Ja, ja.

    Bis sich ihr wahres Gesicht nach der Hochzeit offenbart hatte. Ihr Vater war ein sehr vermögender Botschafter und sie von Beruf Tochter. Unter seiner Fuchtel wurde ihnen von ihrem Vater, gegen seinen Willen, alles finanziert, und es grenzte buchstäblich an Selbstmord, ihm etwas abzuschlagen.

    Das Penthouse hatte von der Größe her an einen ausgewachsenen Fußballplatz erinnert. Sauna mit Pool, eine eigene Bar, Privatkino, begehbare Kleiderschränke und eine Aussicht über Paris, die ohnegleichen war. Der Luxus war für einen Moment lang sogar nett gewesen. Fabienne hatte einen Narren an ihm gefressen, bis ihr aufgegangen war, was es bedeutete, mit einem Arzt verheiratet zu sein. Ständig lange Schichten und jederzeit abrufbereit. Aber er liebte seinen Beruf als Chirurg. Es fühlte sich tatsächlich sehr viel echter an, nicht in einen Chefarztposten gedrängt zu werden, wenn er nur seiner Berufung folgen konnte. Außerdem waren seine Wurzeln irischer Natur. Der Grund, warum er hier in Belfast eine Stellung angenommen hatte.

    Mrs Sweeney holte ihn aus seinen Gedanken.

    »Möchten Sie morgen vielleicht zum Kaffee vorbeikommen? Meine beiden Mädchen würden sich unheimlich freuen, sie wiederzusehen.«

    Vincent lächelte entschuldigend.

    »Das ist wirklich nett von Ihnen. Aber habe ich immer noch einiges auszupacken, zu streichen und zu erledigen. Ein andermal vielleicht«, versuchte er dem zu entgehen, denn so nett die jungen Frauen auch waren, er mochte es nicht, verkuppelt zu werden.

    Auf nichts anderes lief dies hinaus.

    »Ich nehme Sie beim Wort«, lächelte Mrs Sweeney und zwinkerte ihm zu.

    Vincent nickte ergeben. Das war zu erwarten gewesen.

    »Es ist schon recht spät, und ich möchte Sie nicht noch länger in Beschlag nehmen. Gute Nacht, Mrs Sweeney, und noch mal vielen Dank. Ich bringe Herakles Ende des Monats wieder her.«

    Sie nickte zustimmend.

    Erst mal ein wenig seinen Urlaub genießen, den er sich erkämpft hatte. Insofern das möglich war, denn im Haus war tatsächlich noch einiges zu tun.

    »Gern, und kommen Sie gut nach Hause. Heute Nacht ist Vollmond, da gehen die Geister um«, warnte sie ihn einträchtig und winkte noch mal, als er zu seinem Geländewagen ging. Er hatte den protzigen Mercedes gegen einen praktischen Nissan Pick-up eingetauscht. Vielleicht war das seine Art, der auf Statussymbole bedachten französischen High Society nachträglich den Stinkefinger zu präsentieren. Fabienne wäre darüber entsetzt, und das gefiel ihm. Neben der Tatsache, dass der Wagen ordentlich Bums unter der Haube hatte und viel besser zu ihm passte.

    Zum Glück glaubte Vincent weder an Geister noch an anderen Aberglauben. Auch wenn er jetzt in dem Land lebte, das von Mythen und Geschichten beseelt war. Irland galt nicht nur als grüne sondern auch als magische Insel und ja, er mochte die Geschichten um Götter und deren Vorzüge. Egal, welche.

    Sein Hund war nicht umsonst nach einem griechischen Gott benannt. Herakles, der Sohn von Zeus und der schönen Alkmene. Er war Orakel und auch ein Heilgott, bevor er in den Olymp aufgenommen wurde und bei den Göttern sitzen durfte.

    Aber das waren nur nette Geschichten, die einem übernächtigten Arzt den Feierabend versüßten. Denn Vincent hatte noch nie den Zorn der Götter zu spüren bekommen, wenn er Mist gebaut hatte. Der Himmel war schließlich noch keinem auf den Kopf gefallen. Was deren Existenz also infrage stellte. Wenn er falsch parkte, verhaftete ihn eher eine teuflisch anmutende Beamtin mit zu straffen Haaren, zu strengem Blick und zu harten Paragrafen. Da wurde man automatisch an eine Domina erinnert.

    War das eigentlich Zufall?

    Oder stellte Zeus solche Damen als Erfüllungsgehilfen ein? Seine Ex-Frau wurde ihm vielleicht vom Göttervater persönlich auf den Hals gehetzt? Womöglich war das tatsächlich seine Strafe gewesen, weil er sich auf diese Farce eingelassen hatte. Der Einfluss von Fabiennes Vater hatte ihm beruflich ein paar Türen geöffnet. Letzten Endes war es, als hätte er seine Seele an den Teufel verkauft.

    Es war müßig, darüber nachzudenken.

    Seiner Erfahrung nach gab es so etwas nicht. Weder Geister noch Götter noch Schicksal. Er war Realist, und Ereignisse waren das Ergebnis der Entscheidungen, die man traf. Auch wenn diese falsch waren.

    Ihm war jetzt nach einem ausgiebigen Spaziergang. Nach einer 24-Stunden-Schicht kam er selten sofort zur Ruhe, und der volle Mond sah faszinierend aus.

    Er stellte den Wagen am Waldrand ab und ließ Herakles von der Leine. Entspannt ging Vincent ihm nach, als er ins Geäst schoss und schnüffelnd einen Kaninchenbau unter die Lupe nahm. Vincent blieb auf dem Weg und schlenderte unbeschwert durch die Nacht. Der Mond warf sein Licht auf diese unberührte Natur, und die Ruhe war einzigartig, bis auf die gelegentlichen Geräusche von Herakles. Hier hatte Vincent endlich das Gefühl, durchatmen zu können. Als das Rascheln im Unterholz lauter wurde, schaute er irritiert auf. War sein Hund nicht gerade noch rechts gewesen?

    »Herakles?«, rief er argwöhnisch in die Dunkelheit, denn das hörte sich an, als würde sein Hund einen ganzen Baum entwurzeln und durch die Botanik schleifen.

    Was logischerweise unmöglich war, jedoch … Dieser Tumult kam näher?

    Vincent rieb sich nachdenklich über die Bartstoppeln.

    Irritierend war, dass sein Hund zeitgleich winselnd und mit eingekniffenem Schwanz aus dem Gebüsch zu seiner Rechten schlich.

    Äääh, was zur … Er hörte das näher kommende, knurrende Schnaufen, und stumm schaute Vincent in die Nacht.

    Okay, abhauen klang augenblicklich wirklich verlockend. Er verpasste nur seinen Einsatz.

    Animalisch leuchtende Augen, die aus dichtem, tiefschwarzem Fell mit spitzen Ohren schauten, tauchten aus dem Dunklen auf, kamen schnell näher und sprangen ihn wie in Zeitlupe an. Einen Moment lang war sein Blick auf monströse Zähne gerichtet.

    Das Blut gefror ihm in den Adern, und er versuchte, etwas bestimmt total Sinnfreies zu sagen. Es kam jedoch kein einziger Ton aus seinem Mund.

    Nässte er sich gerade ein?

    Dieses Ding krallte sich in seine Schulter und warf ihn von den Füßen. Hart krachte er auf den weichen Waldboden, bevor das (was auch immer es war) Etwas von ihm abließ. Sein Hund fiepte jämmerlich und wich zurück.

    Dieses Monstrum drehte sich von ihm weg und trottete zu seiner Last, welche er hinter sich hergeschleift hatte.

    In der ersten Reihe zu sitzen klang gerade weniger verlockend, als die Werbung es versprach. Seine riesige Pranke kratzte über das Bündel und Stoff zerriss. Das Knäuel stöhnte sogar, und dunkle Flüssigkeit glänzte im Licht des Vollmondes.

    Blut!

    Vincent starrte ungläubig auf diese Szene. Passierte das hier gerade wirklich? Er erkannte, dass dieser stöhnende Anhang ein Mensch war.

    War der irre? Hatte der versucht, dieses Ungetüm mit einem Netz zu fangen? Kein Wunder, dass dieses Ding eher mit dem Hänfling Gassi ging. Zumindest ließ der Aufzug des verhedderten Tieres keinen anderen Schluss zu.

    Der übergroße Körper hatte das Netz zerrissen und trug es wie einen Overall. Der Kopf und die Beine waren durch die Maschen gedrückt, und der Rest glitt wie ein stattlicher Umhang über seinen Rücken. Das straff gezogene Netz drückte sein Fell an seinen Körper, sodass der Eindruck entstand, man stünde einem Nilpferd im Korsett gegenüber.

    Vincent konnte dennoch einen viel zu groß geratenen Wolf erkennen, der an seiner Beute schnüffelte. Er schien irritiert zu sein. Immer wieder versuchte er, sich aus den Maschen zu befreien.

    Na gut, er hatte bestimmt nicht am Medikamentenschrank genascht, auch wenn er kurz versucht war, hysterisch zu lachen. Das hier war zu krass. Sein Gehirn nahm seine Funktion wieder auf, wenn auch in abstruse Richtungen.

    Ja, er hatte den Film American Werewolf gesehen. Innerlich klopfte er sich einen Moment lang selbst für sein umfangreiches Wissen auf die Schulter.

    Strauchelnd kam er auf die Beine. Mann, was für ein mieser Trip. Ob seine Kollegen ihm etwas in den Kaffee geworfen hatten? Unwillkürlich griff er nach seinem silbernen Kreuz, welches er um den Hals trug. Entstammend der Metalszene, die neben dem Motorradfahren eine seiner Leidenschaften bedeutete. Nachdem er es ausgiebig in einer Auslage bewundert hatte, bekam er es als Geschenk von Fabienne. Es sollte wohl verdeutlichen, wie viel er ihr bedeutete. Er Volldepp hatte es nie abgelegt, denn egal, was auch zwischen ihnen gewesen war, er hielt an Werten fest. Gerade war er froh darum. Er liebte das Schmuckstück und seinerzeit auch Fabienne, die ihn mit ihren großen, unschuldigen Rehaugen zu fast allem überreden konnte. Die Zeiten waren aber vorbei.

    Irgendwer hatte ihm mal prophezeit, dass er sich eines Tages mit diesem Kreuz verteidigen könnte. Immerhin war es fast so groß wie ein Schwert. Okay, er übertrieb.

    Der Wolf kaute an dem Seil herum, das zwar ein paar Fasern ließ, bedauerlicherweise jedoch standhielt. Vielleicht wäre der Wolf versucht abzuhauen, wenn nur das Seil sich löste. Aber so? Er fand zurück zu seinem Opfer und leckte genüsslich an dem Blut, bevor dieser Albtraum mit einem infernalischen Knurren sein beachtliches Gebiss präsentierte.

    Vincent stand der Mund offen, und er reagierte nur noch. Ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken, hechtete er zu dem Schauspiel. Er hämmerte das Kreuz mehrmals heftig gegen die pelzige Stirn, als dieses Monstrum sich über sein regloses Opfer hermachen wollte. Beim dritten Schlag blieb es im Auge stecken, und der Wolf jaulte gequält auf.

    Man hatte das Gefühl, mitten in einem Megaphon zu stecken, nur ohne Hörschutz. Vincent zuckte beiseite. Schüttelnd und knurrend versuchte der Wolf, den er übrigens gerade in seiner vollen Pracht bewundern konnte, das Silber loszuwerden. Vincent bückte sich und löste instinktiv die Schlinge vom Fuß des Burschen. Kein Wunder, dass er sich kneifen wollte. Das konnte kaum wahr sein!

    Der Wolf trollte sich jaulend fort und verschwand im Unterholz, mitsamt seinem Schmuckstück, dafür aber ohne seine anhängliche Fracht.

    Zum Glück war seine Hose noch trocken, wie er feststellte. Perplex starrte er dieser Parade einen Moment nach. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, denn das fühlte sich unwirklich an.

    Hauptsache, dieses Monstrum war weg.

    Vincent bückte sich zu dem blutigen Bündel Mensch, welches kaum als solcher identifizierbar war.

    Hatte er gerade wirklich auf einen Wolf eingeschlagen? Ihm mussten ein paar Gehirnwindungen durchgebrannt sein. Waren das die Nebenwirkungen, wenn man vor seiner Ex-Frau flüchtete?

    Das Etwas vor ihm war von Dreck übersät und beim näheren Hinsehen, als er den Körper vorsichtig umdrehte, glaubte er kurz, ein Kind vor sich zu haben. Aber nein, es handelte sich um keinen Jungen, sondern um eine zierliche Frau. Sie keuchte leise, und er legte seinen Zeigefinger auf ihren Puls am Hals.

    »Bleiben Sie ruhig. Ich bin Arzt und werde Ihnen helfen. Wie heißen Sie?«

    Er tastete vorsichtig über ihre Arme, Beine, ob die Knochen unversehrt waren. Ihre Stirn blutete, und vermutlich hatte sie auch innere Blutungen.

    Dass seine eigene Schulter taub war, spürte er kaum. Sicher, weil er selbst noch unter Schock stand. Sein Arm funktionierte, somit konnte es nicht schlimm sein.

    Nur ein Kratzer.

    »Jaxon«, antwortete sie flüsternd. »Kein Krankenhaus«, verlangte sie.

    Verwunderlich, dass sie die Kraft hatte, überhaupt etwas zu sagen. Sie hielt die Augen geschlossen und sah aus, als würde sie versuchen, die Schmerzen mit Gewalt unter Kontrolle zu halten. Ihre Vitalfunktionen waren zum Glück kräftig.

    Allein das war schon erstaunlich. Er hatte schon Polytraumen gesehen, wo die kräftigsten Kaliber Mann oder Frau schnell am Ende gewesen waren. Deren Schreie verfolgten ihn manchmal bis in seine Träume. Verkehrsunfälle und das besonders in Fällen, bei denen Knautschzone ein Fremdwort war, waren prädestiniert dafür, oder wenn jemand aus einem höhergelegenen Stockwerk fiel.

    Darauf zu bestehen, nicht in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden, war jedoch absolut daneben. Sie musste versorgt werden, brauchte ein starkes Schmerzmittel, ein MRT und Blutkonserven.

    Dazu jemand, der sie auf Herz und Nieren untersuchte.

    »Wäre bei Ihrem Zustand allerdings besser. Wo haben Sie überall Schmerzen?«, fragte er und sah schon einen Moment später die Spitze eines Messers, die auf sein linkes Auge gerichtet war.

    Vincent erstarrte und hob verdutzt die Brauen an. Damit hätte er jetzt nicht gerechnet. Ihre Hand zitterte leicht. Die hellen Augen, die ihn aus der Dunkelheit fixierten, deuteten keinesfalls auf einen Scherz hin.

    »Kein Krankenhaus!«, betonte sie ihre Worte stur. Konnte er das verantworten? Auf gar keinen Fall.

    »Wie können Sie nur so unvernünftig sein?«, wagte er zu widersprechen. »Sie könnten sterben, wenn man Ihnen nicht entsprechend hilft.«

    Jaxon schüttelte beharrlich den Kopf und zog dabei verbissen die Brauen zusammen.

    »Dort bin ich viel eher in Gefahr«, widersprach sie.

    In Gefahr? In einem Krankenhaus? Das konnte unmöglich ihr Ernst sein. Verständnislos schaute er sie an.

    »Wohnen Sie allein?«, folgte eine Frage.

    Vincent nickte verdutzt, und ihm schwante Furchtbares.

    »Bringen Sie mich zu sich nach Hause«, forderte sie und schaute ihn so eindringlich an, dass sie ihm damit wirklich Respekt abverlangte.

    Was hatte das alles zu bedeuten? Ein Wolf, den es statistisch gesehen in einer solchen Größe gar nicht geben dürfte, und dazu sie, die sich mit Händen und Füßen gegen ein Krankenhaus wehrte. So wie sie darauf bestand, war er für den Moment bereit, Fünfe gerade sein zu lassen. Es war ihr Leben und sie schien zumindest zu wissen, was sie nicht wollte.

    »Okay, ich verspreche es, wenn Sie jetzt das Messer runternehmen«, gab er nach.

    Jaxon nickte, senkte ihre Hand und schloss die Augen.

    Er betrachtete sie mit einem sorgenvollen Zug um den Mund. Die Wunden, die sich über ihre Schulter und den Rücken hinweg in ihr Fleisch gegraben hatten, klafften auseinander. Sie war dreckig und blutüberströmt. Er zog sein Shirt aus und drückte dieses bestimmend auf die ohnehin schmutzigen Wunden, um die Blutungen zu stoppen.

    Erneut keuchte sie schmerzerfüllt auf.

    »Wo ist der Wolf?«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

    Zum Glück schien sie sich noch an das Geschehene erinnern zu können, was schon mal gut war.

    »Weg«, erwiderte er knapp. Was sollte er auch sagen? Er hatte keinen Schimmer, wo der sich jetzt mit dem Netz und seinem Schmuck herumtrieb. Möglich, dass er sich bereits wieder anpirschte oder hinter dem nächsten Baum hockte. Vielleicht überfiel er auch den nächsten Kiosk.

    Er setzte sie vorsichtig auf und sah seine eigenen Hände zittern. Sie schnappte stöhnend nach Luft, als er seinen Arm um ihre Taille legte. Vermutlich waren auch noch einige Rippen gebrochen. Geprellt auf jeden Fall.

    »Ich bringe Sie in Sicherheit«, sagte er und lud sich dieses Fliegengewicht behutsam auf seine Arme. Er trug sie zum Auto und bettete sie zusammen mit einer Decke auf die Ladefläche seines Pick-ups. Herakles fand seinen Platz vorne im Fußraum. Am Horizont zog ein Gewitter auf. Ein helles Blitzen, gefolgt von einem leicht versetzten Grummeln durchdrang die Nacht, bevor die ersten Tropfen den Boden berührten. In der Ferne hörte man einen Wolf heulen.

    Kapitel 3 – Morphium für alle, bitte!

    Schmerz beherrschte ihr Sein. Wie träge Tropfen, die sie quälten und dickflüssig wie Honig ihre Nerven malträtierten. Stetig und unaufhaltsam. Ihr Rücken brannte wie Feuer, und ihr ganzer Körper fühlte sich wie eine einzige Wunde an. Ihr Kopf hämmerte unwirsch, und sie schmeckte Blut. Es grenzte an ein Wunder, dass sie noch etwas schmecken konnte. Den Fakten nach müsste sie tot sein. Ein Werwolf zu Vollmond, der einen erwischte, ließ höchst zuverlässig nichts von einem übrig. Ein schneller Tod wäre da gnädig. Im schlimmsten Falle wandelte er einen in einen Werwolf, wenn er zubiss.

    Aber sie taumelte aus der Bewusstlosigkeit hoch und war verwundert, noch zu leben.

    Lebte sie denn? Oder war das nur ein Hirngespinst ihres überstrapazierten Geistes? Sie spürte feuchte Wärme, die sanft über sie strich, und als sie die Augen aufschlug, sah sie auf mehrere Umzugskartons, die achtlos übereinander gestapelt waren. Regentropfen prasselten beharrlich gegen die Fensterscheibe, und Wind pfiff hörbar um das Haus. Ein Blitz erhellte für einen Moment das Fenster, an dem eine dunkelgrüne Jalousie hing.

    Das hier war kein Krankenhaus.

    Das war beruhigend.

    Dieser Mann schien sein Wort zu halten. Sie schloss erschöpft wieder die Augen. Warmes, belebendes Wasser perlte über ihren nackten Körper, und der Geruch von Desinfektionsmitteln drang ihr in die Nase. Dazu eine sanfte männliche Stimme, die beruhigend sprach. Er schien nicht mitzubekommen, dass sie wach war.

    »Wie kann man nur so dreckig sein? Mit dem Zeug, was Sie alleine in ihrer Kleidung hatten, könnte man glatt ein Beet anlegen«, eröffnete er ihr murmelnd.

    Gut zu wissen. Zum Teufel, was tat das weh, wenn er immer wieder über ihre Wunden strich, aber augenblicklich fehlte ihr selbst die Kraft zu stöhnen.

    »Gleich haben wir es«, fuhr er beharrlich fort, und Jaxon fühlte, wie er seine Finger prüfend auf ihren Hals legte.

    »Keine Ahnung, wie Sie das hinbekommen. Ich habe unter solchen Umständen noch nie so stabile Vitalwerte erlebt«, wunderte er sich und schlug mehrere Handtücher um sie.

    Jaxon driftete wieder weg, bevor sie sich an dem Gespräch beteiligen konnte.

    Ihr eigenes Stöhnen holte sie aus den Tiefen. Sie wurde auf einem sauberen Laken abgelegt, und ihre Rippen protestierten vernehmlich, als er sie auf den Bauch drehte. Mühsam blinzelnd öffnete sie die Augen und sah … ein Kissen. Das Motiv war irgendwie schräg. Sie schaute in das Gesicht von Audrey Hepburn? Sie setzte eine überlange Zigarettenspitze an ihre Lippen und … Sie trug ein Diadem.

    Oh, ihr Götter! Frühstück bei Tiffany?

    Sie liebte diesen Film.

    Es war ohnehin alles irgendwie wattig. Der Schmerz beruhigte sich und schien meilenweit entfernt zu sein. Dumpf und friedlich pochte er vor sich hin, solange sie nicht versuchte, sich zu bewegen. Erst als ein kühles Tuch auf die Wunde an ihrer Schulter gedrückt wurde, spürte sie ein scharfes Brennen.

    »Zum Teufel noch mal«, fluchte sie gepresst.

    »Oh, Sie sind wach. Das ist schade. Ich konnte Ihnen nur etwas Morphium geben. Ich hatte gehofft, Sie verschlafen, dass ich Sie nähen muss.«

    Morphium? Oh, heiliger Mist. Sie stöhnte erneut. Diesmal, weil er sie mit Opiaten betäubte. Das war sicher ehrenvoll gemeint, dennoch torpedierte er damit ihre Selbstheilung, die zwar nicht den Vampiren oder Wölfen gleichkam, jedoch deutlich erhöht war. Wie sonst sollte man in der Lage sein, Wesen jagen zu können?

    »Keine Schmerzmittel für mich«, nuschelte sie bestimmend.

    »Kein Krankenhaus, keine Schmerzmittel …«, echote er. »Soll ich Sie quälen und draufgehen lassen?«

    »Ja«, stöhnte sie entschlossen.

    »Sind Sie so was wie eine Schwerverbrecherin? Sie haben nicht mal eine Schussverletzung, die ich den Behörden melden müsste. In einem Krankenhaus wären Sie besser versorgt. Ich habe nur eine stümperhafte Ausrüstung hier. Was haben Sie zu befürchten?«

    Irgendwie klang er sauer.

    Jaxon öffnete angestrengt die Lider und blickte in die wohl hübschesten Augen, in die sie jemals gesehen hatte. Ein tiefes Blau, umrahmt von dichten dunklen Wimpern, die für einen Mann unverschämt lang waren. Neben der Tatsache, dass er einen unzufriedenen Ausdruck über der Nase trug. Seine Augenbrauen zogen sich düster zusammen, und er blickte sie vorwurfsvoll an. Mittelblonde, lange Strähnen fielen ihm ins Gesicht, und es war verwunderlich, dass sie noch genug Leidenschaft hatte, seinen Dreitagebart rattenscharf zu finden.

    Bedauerlicherweise fehlte ihr die Kraft, ihm ins Gesicht zu tatschen und zu prüfen, ob er wirklich real war.

    Vielleicht träumte sie ja auch nur und lag bewusstlos und sterbend im Wald, während ihr Gehirn nichts anderes zu tun hatte, als ihr abstruse Dinge vorzugaukeln.

    Wie sollte sie ihm nur verdeutlichen, dass für sie andere Regeln galten? Hey, ich bin eine Damnati, und in einer Klinik können sie mir nicht helfen. Medikamente sorgen eher dafür, dass alles durcheinander gerät. Klar, er würde sich schlapp lachen. Menschen sollten nicht eingeweiht werden, wenn es nicht nötig war. Was er tat, war augenblicklich ausreichend. Ihre Wunden zu reinigen und ihr genügend Zeit zu geben.

    Vincent hatte sie aus der dreckigen Kleidung gepellt und gewaschen. Sogar ihr langes, brünettes Haar. Was er unter dem Dreck fand, war unglaublich hübsch. Wie ein einzigartiger Schatz. Ihre Haut war seidenweich, ihr Antlitz glich dem eines Engels, wenn man mal von den Kratzern und Hämatomen absah. Geschwungene Augenbrauen, ein sinnlicher, naturroter Mund, der zum Küssen einlud, eine Stupsnase, dazu hohe Wangenknochen und eine deutliche Beule auf der Stirn, die mit einer Platzwunde angab.

    Ihre Haare umrahmten ihr Gesicht und fielen ihr in vollen und nassen Wellen über die Schultern. Sie nackt zu sehen, beflügelte seine Fantasie. Sie war klein, unglaublich schlank und definiert in ihren Muskeln und Kurven. Sie wirkte zugleich zierlich und kräftig. Ein Paradoxon, und er war Arzt. Er sah täglich Menschen nackt, aber er hatte noch nie eine so schöne Frau wie sie gesehen.

    Er sollte sich zusammenreißen.

    Was bedeutete Schönheit eigentlich? Seine Ex-Frau war äußerlich auch hübsch anzusehen. Änderte nichts daran, dass sie innerlich hohl und ihre Seele schwarz war. Ok, das war wohl die Enttäuschung, dass er so übertrieb. Fabienne war oberflächlich gewesen, und ihr Fokus lag auf Dingen, die er nur belächeln konnte. Statussymbole, Reichtum, Ansehen.

    Neben der Tatsache, ihm sein Herz herausgerissen zu haben, nur um grob darauf herumzutrampeln. Ihre Ansichten, was eine Ehe angingen, hätten nicht weiter auseinanderklaffen können. Für sie war das Leben eine immerwährende Party gewesen, derweil er versuchte, Leben zu retten und eine gute Ehe zu führen. Fabiennes Abgründe waren zu Anfang unter einem liebreizenden Charme versteckt gewesen. Ihr verwöhnter Charakter hatte sich erst offenbart, als es nicht nach ihrem Willen gelaufen war. Es war erschreckend, erkennen zu müssen, dass es ihr nur darum ging, was sie bei der Scheidung rausholen konnte. Ihn auszunehmen wie eine Weihnachtsgans, als wollte sie ihm beweisen, dass er ohne sie und dem leidigen Geld ihres Vaters ein Nichts war. Dem konnte er nicht folgen.

    Diese Frau hier jedoch war genauso seltsam, wie gleichermaßen unvernünftig, besonders, wenn man bedachte, unter welchen Umständen er auf sie getroffen war. Er versuchte diesen Teil immer noch zu verdrängen. Er war Arzt, der zu funktionieren hatte, und er tat alles, dass sie weder an einer Sepsis draufging noch verblutete. Wären ihre Vitalfunktionen nicht so stabil, hätte er schon längst aufgegeben und einen Krankenwagen gerufen. Vernünftig wäre, sie in die Röhre zu schieben, um zu sehen, was noch alles kaputt war. So konnte er nur die offensichtlichen Wunden behandeln. Eine Rippe schien angeknackst zu sein, musste jedoch nicht gerichtet werden. Dass sie nicht ins Krankenhaus wollte und auch die Schmerzmittel verweigerte, sprach für sich. Einen Moment lang dachte er tatsächlich über ihre Zurechnungsfähigkeit nach, denn sie starrte ihn nur an, anstatt ihm eine Antwort zu geben.

    Sie hatte unglaublich grüne Augen. Vermutlich schaute er sie an, als hätte er seinen Verstand im Wald verloren.

    »Nein«, sagte sie schließlich, und er verpasste mal kurzerhand den Anschluss.

    Er blinzelte verwirrt.

    »Was nein?«

    »Ich bin kein Schwerverbrecher«, antwortete sie und versuchte sich ächzend aufzurichten.

    »Bleiben Sie bitte liegen.«

    Bestimmend drückte er sie zurück auf sein Bett, welches als Operationstisch herhalten musste. Er hatte seine Schreibtischlampe auf sie gerichtet. Jaxon seufzte ergeben, und ihre Augen flatterten erschöpft, bevor ihre Lider verloren und sich schlossen.

    »Wenn Sie mich nähen müssen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie das zu Ende bringen«, sagte sie leise und erlaubte ihm damit endlich, seinem Job nachzugehen.

    Diese Frau verblüffte ihn, und sie hatte recht. Er nahm das Tuch von ihrem Rücken und flickte akribisch und mit feinen Stichen ihre klaffenden Wunden zusammen. Sie hatte vier über die Schulter hinweg verlaufende Risse. Manch einer würde sicher neidisch werden, denn man konnte erkennen, dass eine Tatze ihre Schulter

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