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Aldemakros: Das Ende der Zukunft
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eBook386 Seiten4 Stunden

Aldemakros: Das Ende der Zukunft

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Über dieses E-Book

Im Oktober 2027 sind auf der ganzen Welt seltsame Erscheinungen zu beobachten. Eine riesige Gnuherde im Ngorongoro Krater ist kreisrund angeordnet und verschwindet auf mysteriöse Weise, ebenso verschwinden Taucher im Great Bluehole, das zuvor rot aufleuchtete, und in Stonehenge erscheint eine kreisrunde, schwarze Scheibe am Himmel, als gäbe es zwei Sonnen. Regierungen reduzieren diese Ereignisse auf natürliche Phänomene und die Anhänger von Verschwörungstheorien geben wie erwartet, ihre Ansichten zu den Ursachen der Vorkommnisse bekannt. Nur ganz wenige wissen allerdings wirklich, was die Ursache der unerklärlichen Phänomene ist. Dr. Lavoisier versucht ein uraltes Geheimnis zu lüften und die Menschheit vor der Vernichtung zu bewahren.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum17. Apr. 2020
ISBN9783752941593
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    Buchvorschau

    Aldemakros - Dubhé Vaillant

    Kapitel 1: Ngorongoro Krater

    Tansania, Oktober 2027

    Gegen Mitternacht trat Gorden Mathews, Wildhüter im Serengeti Nationalpark, missmutig, mürrisch und leicht betrunken wie immer am Samstagabend auf die Terrasse seiner Beobachtungsstation. Es roch nach Staub, Bier und Alkohol. Zuständig für einen Teil des Ngorongoro Kraters, überwachte er die Tierbewegungen und vor allem die Wilderer, die nach wie vor brutal vorgingen und für einen verlockenden Gewinn vor nichts zurückschreckten. Im Krater, der seit 2010 zum Weltkulturerbe gehörte, herrschte eine gewisse Unruhe. Er konnte es förmlich spüren. Irgendwie übertrug sie sich auch auf ihn.

    »Verflucht sollt ihr sein, ihr elenden Dreckswilderer«, schrie er laut in die finstere Nacht. Vor zwei Wochen hatten sie eine junge Spitzmaulnashornkuh bestialisch getötet und die beiden Hörner mit einer Säge abgetrennt, um auf dem Schwarzmarkt einen satten Gewinn dafür einstreichen zu können. Wenn er könnte, würde er denen auch was mit einer Säge abschneiden, dachte er. Seine Betrunkenheit verleitete ihn in letzter Zeit öfters zu solchen Gedankengängen - oder war es die bald bevorstehende Pensionierung?

    »Hol mal die Nachtsichtgeräte«, bat er Na-Soma, die auf dem Weg nach unten war.

    »Spürst du es auch?«, fragte sie.

    »Ja, ich habe ein ungutes Gefühl, Gefahr und Unbehagen liegen in der Luft.«

    Gorden Mathews verschwieg, dass er in den letzten 32 Jahren, seit er hier als Wildhüter arbeitete, noch nicht annähernd ein so mieses Gefühl hatte. Obwohl er gross gewachsen und kräftig gebaut war, hatte er ein ausgesprochenes Sensorium für die Landschaft und die Tiere im Park. Er erkannte viele Dinge, die anderen verborgen blieben. Eine Legende besagte, dass er sogar einen Löwen mit ruhigem Zureden zum Rückzug gebracht habe. Deshalb wurde er auch von vielen, sogar von seinen Feinden, als »Lion Gordon« betitelt. Vor allem die Massai, die in unmittelbarer Nähe zur Station lebten, zollten ihm deswegen grossen Respekt.

      »Die Stimmung bedrückt mich«, sagte Na-Soma.

    Ihr konnte Mathews nichts vormachen. Zu gut kannten sie sich. Seit sie vor 18 Jahren zu ihm auf die Station kam, hatten sie viele schwierige Aufgaben gemeinsam gemeistert. Sie war in der Station nicht wegzudenken. Sie kam aus Umoja, einem Dorf nahe der Stadt Archers Post im Samburu County in Kenia. Dort leben nur Frauen und ihre Kinder. Sie waren von ihren Männern verstossen worden oder hatten sie verlassen. Na-Soma sprach nie über die Hintergründe, wie sie dorthin gekommen war. Aber manchmal, wenn sie neben ihm im Bett lag und die Alpträume der Vergangenheit sie nicht loszulassen schienen, konnte er erahnen, dass etwas Teuflisches ihr widerfahren sein musste. Ihr Name heisst aus dem Swahili übersetzt »ich lese«, was wohl mit ihrer Vergangenheit zu tun haben musste. Sie bedeutete ihm alles und ihre gegenseitige Zuneigung war sehr gross. Aber dennoch war sie nie frei, und dem Schatten der Vergangenheit konnte sie nicht entfliehen.

    Sie brachte die Nachtsichtgeräte auf die Terrasse, und sie begannen den Krater, so gut es ging, zu observieren. Der Krater war riesig. Er entstand, als vor langer Zeit ein Vulkan in sich zusammenbrach. Er hat noch heute einen Durchmesser von ca. 18 km. Es begann heftig zu winden und erste Blitze erhellten den Nachthimmel, gefolgt von fernem Donnergrollen.

    »In wenigen Tagen wird die Regenzeit beginnen. Die Tiere sind wohl deshalb unruhig.«

    »Siehst du was?« fragte Mathews.

    »Nichts Aussergewöhnliches«, antwortete Na-Soma.

    »Du?«

    »Ja, schau Richtung Zentrum des Kraters. Siehst du es?« entgegnete Mathews.

    »Was um Himmelswillen geschieht da? Siehst du die Löwen?«

    »Sowas habe ich noch nie gesehen. So viele Löwen habe ich niemals zuvor gesichtet. Sie scheinen Angst zu haben.«

    »Aber wovor?«

    »Ich kann es nicht glauben. Da ist ein rundes Ding in der Mitte des Kraters.«

    »Ja, es scheint ein Kreis auf dem Boden zu sein. Aber dieser muss sehr gross sein.«

    Sehr starke Windböen bliesen ihnen entgegen und weitere Blitze zuckten.

    »Da schau, es sind rote Blitze über dem Krater«, rief Mathews aufgeregt Na-Soma zu.

    »Ja, ich sehe sie. Was hat das zu bedeuten?«

    »Keine Ahnung.«

      Die Windböen wurden stärker und es machte den Anschein, dass ein wahrhaftiger Wirbelsturm wie aus dem Nichts entstehen könnte.

    Na-Soma nahm ein weiteres Spezialnachtsichtgerät zur Hand, mit dem Distanzmessungen und Fotografieren möglich waren.

    »Was denkst du, wie gross der Kreis ist?«, fragte sie Mathews.

    »Ich schätze, dass der Durchmesser so gegen 3 km misst.« Sie musste schon lauter rufen, damit er sie verstand. Immer heftiger blitzte und donnerte es. Auch begann es leicht zu regnen.

    »Gut geschätzt«, das Gerät zeigt etwas mehr als 3140 Meter an«, bestätigt er.

    Na-Soma zoomte mit dem Spezialnachtsichtgerät den Kreis in der Mitte des Kraters näher heran, fotografierte mehrmals und gab sprachlos das Gerät an Mathews weiter.

    »Was hast du?«, fragte Mathews

    »Der Kreis, er bewegt sich! Ich weiss, woraus er besteht, du wirst es nicht glauben. Schau selber!«

    Ungläubig nahm Mathews das Gerät und sah, dass sich tatsächlich der Kreis bewegte.

    »Das ist absolut unmöglich«, gab er zur Antwort.

    »Wie viele sind es?«

    »Ich schätze ca. 10‘000 Stück«, antwortete er.

    »Wie ist es möglich, dass 10‘000 Gnus mitten im Krater sich nahezu perfekt kreisrund ausrichten und sich dann gleichmässig im Kreis bewegen können?«, fragte Na-Soma.

    »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«

    Auch er fotografierte die Szene, bevor er ins Haus zurückging, um mit seinem Smartphone Kontakt zu seinem Chef aufzunehmen, der in der Regionshauptstadt Arusha lebte. Aber er stellte fest, dass kein Mobilenetz zur Verfügung stand. Ein Festnetz gab es hier draussen sowieso keines.

      »Ich erreiche niemanden, die Mobilenetze sind nicht im Betrieb. Vermutlich sind dafür die Blitze verantwortlich. Ich muss in den Krater, näher an den Kreis heran«, erklärte Mathews.

    Na-Soma wollte ihn überreden, da zu bleiben. Aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass Mathews in den Krater und damit näher an den Kreis heran gehen würde. Er bestieg den Jeep und nahm ein Nachtsichtgerät und ein geladenes Gewehr mit, für alle Fälle, wie er meinte. Sie wollten über das Funkgerät in Verbindung bleiben. Er fuhr los Richtung Kreis. Na-Soma beobachte seine Fahrt durch das Nachtsichtgerät. Immer weiter entfernte er sich, bis er nicht mehr sichtbar war.

      Und in der Tat verschwand er etwa 2 Kilometer vor dem Kreis, der aus 10‘000 Gnus bestand, und zwar für immer! Auch von den Gnus fand man keine Spur mehr. Später gab es keine Erklärung für sein Verschwinden. Auch den Jeep fand man nicht. Er wurde förmlich vom Erdboden verschluckt. In der lokalen Tageszeitung von Arusha und auf der entsprechenden Internetseite gab es einen kurzen Hinweis auf dieses Ereignis. Mehr aber nicht. Der verantwortliche Redaktor kommentierte den Vorfall als ein zufälliges Wetterphänomen, das im Zusammenhang mit der kurz bevorstehenden Regenzeit stehe.

    Kapitel 2: Great Blue Hole

    Belize, am gleichen Tag

    Dolores Domingo beendete am frühen Nachmittag den Anfängertauchgang am Rande des kreisrunden Great Blue Hole. Ihre Schüler waren heute irgendwie nicht so bei der Sache. Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie hoffte, dass die nächste Gruppe, die der halbprofessionellen, konzentrierter ans Werk ginge, denn es stand ein schwieriger Tauchgang vor ihnen. In den 12 Jahren, die Dolores - sie hiess eigentlich Betty Smith - dieses Tauchunternehmen leitete, regte sie nichts mehr auf als Taucher, die nicht bei der Sache waren. Seit sie als 32-jährige Investmentbankerin ihre Karriere bei der Wells Fargo Bank in Seattle beendet hatte, lebte sie in Belize und verwirklichte ihren Traum als Tauchlehrerin mit einer eigenen Tauchschule. Die winterliche Kälte im Nordwesten der USA war letztlich ausschlaggebend für sie, so dass sie ihre Zelte im Süden, in Belize neu aufschlug. Sie war im Beruf recht erfolgreich, was man von ihren zahlreichen Beziehungen nicht sagen konnte. Obwohl man sie als äusserst attraktiv bezeichnen konnte, klappte es nie lange mit ihren Liebhabern. Sie sei zu langweilig oder zu pingelig, ja geradezu pedantisch, meinten einige ihrer Ehemaligen.

      »John, noch eine halbe Stunde, wirst du fertig?«, rief sie ihrem Mitarbeiter und seit einem halben Jahr ihrer neuen Flamme zu, der für das Füllen der Tauchflaschen verantwortlich war.

    »Alles im grünen Bereich, Honey«, antwortete John. Jede Flasche war nummeriert, und er trug die Füll- und Mischmengen ins entsprechende Logbuch ein. Seine lockere Art hinterliess oftmals den Eindruck, dass er mit seinen Gedanken nicht so bei der Sache war. Dies täuschte aber sehr. John Kennedy, der aus Hawaii stammte und gemäss seinen Angaben Kanaka Maoli als Vorfahren hatte, wusste, wie wichtig das Abfüllen und das Kontrollieren der Tauchflaschen war. Ein Fehler bei seiner Arbeit könnte in 70 Metern Tiefe zu einer lebensbedrohlichen Situation führen. Seit er bei den United States Navy Seals vor vier Jahren als Commander den Dienst quittiert hatte und auf der Tauchbasis arbeitete, war ihm kein einziger Fehler unterlaufen. Das wird auch heute so sein, dachte er. John, gross gewachsen wirkte mit seinem durchtrainierten, kräftigen Körperbau als jemand, den man nicht als Feind haben möchte. Die zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen schwarzen Haare verliehen ihm aber eine freundliche und hilfsbereite Note.

    »Honey, das Ventil des T-Stücks und der Schraubverschluss sind geprüft. Ich bringe die Flaschen aufs Boot«, rief John Dolores zu.

    »Danke, in 10 Minuten kommen die Gäste.«

      »Du, ich habe ein eigenartiges Gefühl, das Great Blue Hole sieht zwar wie immer aus, aber etwas missfällt mir. Ich kann es aber nicht deuten«, sagte John.

    »Woran denkst du?«

    »Es ist nur so ein Gefühl, ich kenne das von meinen früheren Kampfeinsätzen bei den Navy Seals. Es riecht nach Gefahr. Aber ich sehe keine. Der Wetterbericht ist bis auf Weiteres gut«, antwortete er.

    »Mach dir keine Sorgen, es wird schon schiefgehen. Ich leite noch diesen Tauchgang und dann gönnen wir uns einen gemütlichen Abend«, rief sie augenzwinkernd John zu.

    »Nein!«, sagte John in ernsthaftem Ton.

    »Was, nein?«

    »Nein, du wirst diesen Tauchgang nicht leiten. Ich werde das tun.«

    »Doch, das werde ich«, empörte sich Dolores ein wenig.

    »Das solltest du auf keinen Fall tun!«

    »Ich streite nicht mit dir John. Ich leite den Tauchgang und damit hat es sich!«

    »Ich habe dich noch nie um was gebeten, aber ich flehe dich an, geh heute da nicht raus. Das Gefühl wird stärker und es hat mich noch nie getäuscht«, erklärte er ihr.

      Nachdenklich beobachtete ihn Dolores und spürte, dass sie ihn wirklich noch nie so erlebt hatte. Die Nasenflügel seiner etwas zu gross geratenen Nase bewegten sich unrhythmisch und das beunruhigte Dolores.

    »Was ist mit dir los, John? Fühlst du dich nicht gut? Wirst du krank?«

    »Nein, überhaupt nicht. Mir sträuben sich alle Nackenhaare, aber ich weiss nicht, warum. Schon mein Grossvater hatte so eine Art Vorahnung, wenn es sehr gefährlich zu werden schien. Er hat sich auch nie getäuscht. Glaube mir, es wird sehr, sehr gefährlich, und ich will nicht, dass du da raus gehst.«

    »Sollen wir den ganzen Tauchgang absagen?«, fragte Dolores besorgt.

    »Ich weiss es nicht«, antwortete John.

    »Also gut, wenn es sein muss, dann übernimmst du den Tauchgang«, erklärte Dolores.

    Irgendwie war ihr die ganze Sache etwas unheimlich, aber die Gäste hatten gutes Geld für den Tauchgang bezahlt. Nur wegen einer Vorahnung wollte sie nicht alles abblasen. Sie war ja auch auf das Geld angewiesen.

    Der angemietete Bus fuhr direkt vor die Tauchbasis und zehn Gäste stiegen mit ihren eigenen Tauchausrüstungen aus. Sechs Männer und vier Frauen. Dolores hoffte insgeheim, dass keine Paare dabei wären. Der Stress bei Tauchgängen in dieser Umgebung führte oftmals anschliessend zu grossen Ehekrisen. Meistens waren es nur die Männer, die begeistert waren. Oftmals überredeten sie ihre Frauen, damit diese mitmachten. John nickte ihr zu, als könnte er ihre Gedanken lesen.

    »Hey John, gibt es eigentlich eine Scheidungsstatistik nach Tauchgängen?«, rief Dolores ihm zu.

    »Keine Ahnung, aber es wäre mal interessant, dem nachzugehen«, erwiderte er.

    Auf der Teilnehmerliste war ersichtlich, dass vier Amerikaner, zwei Kanadier, zwei Norweger und je ein Deutscher und Franzose den Tauchgang bestreiten wollten. Nachdem sie die angekommen Gäste begrüsst hatten, erklärten sie die Regeln und dass den Anweisungen von John Kennedy, dem heutigen Tauchleiter, strikt Folge zu leisten sei. Mit Ausnahme der Amerikaner kannten sich die Teilnehmer nicht. Alle nickten, und wie üblich unterzeichneten die Teilnehmer ein paar Formulare, damit später keine juristischen Schwierigkeiten zu erwarten wären. Jedem Teilnehmer wurde,  wie immer bei solchen Tauchgängen, ein Body zugewiesen. Das hiess, dass immer zwei Personen gegenseitig füreinander verantwortlich sein würden. Die vier Paare entschieden schnell, dass sie sich gegenseitig als Body dienen wollten. Der Franzose, der Deutsche und John bildeten ein Dreierteam. Jeder Taucher war selber für seine Ausrüstung zuständig. Alle brachten diese in einem bereitgestellten Korb aufs Tauchschiff. Flossen, Tauchbrille, Tauchmesser, Neoprenanzug, Manometer, Oktopus in doppelter Ausführung, aufblasbares Jackett und sonst noch das eine oder andere.

    »Warum heisst das Atmungsgerät eigentlich Oktopus?«, dachte John bei jedem Tauchgang. Aber eigentlich war es ihm egal.

    »Hauptsache, sie funktionieren, und wenn nicht, hat ja jeder Taucher noch einen zweiten«, dachte er.

      Nachdem bei jedem Taucher das Jackett an der Flasche festgeschnallt und mit dem entsprechenden Hakenverschluss gespannt worden war, wurden beide Oktopus an der gleichen Seite des T-Stücks an der Flasche angeschraubt. Ein Oktopus wurde in der Tasche mit einem Klettverschluss befestigt. Anschliessend wurde das Jackett an der anderen Seite des T-Stücks für das Luftgemisch angeschraubt. Das lose Ende mit dem Manometer für die Druckanzeige wurde in die Tasche gesteckt. Nachdem alle weiteren Handgriffe ordnungsgemäss durchgeführt worden waren, nahmen die Teilnehmer auf den zugewiesenen Sitzen im Schiff Platz. Bevor der eigentliche Tauchgang begann, ging John nochmals seine Checkliste durch und kontrollierte, ob die Gäste ihre Neoprenanzüge auch richtig angezogen hatten. Er hatte mal einen Anfänger, der doch tatsächlich den Anzug verkehrt angezogen hatte. Noch heute fragte er sich schmunzelnd, wie er das nur geschafft hatte. Aber hier waren zertifizierte Taucher am Werk und jeder Handgriff sass. Wenn auch der eine oder andere sich bevormundet fühlte. Vor jedem Tauchgang machte sich John ein Bild von den Teilnehmern. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte. Dies hatte er sich schon während seiner Zeit bei den Navy Seals angewöhnt. Er schätzte die Lage jeweils anhand der Persönlichkeitsprofile ein und entschied dann, wie der Tauchgang ablaufen sollte. Da war Roy Meyer, der mit seiner Frau Kate aus Boston und mit einem befreundeten Paar, Neville und Linda aus New York, angereist war. Roy kommandierte seine Frau herum, was John missfiel. Er schien ein Wichtigtuer zu sein und zeigte jedem, der es wissen oder auch nicht wissen wollte, seine Baseballmütze mit einem »R« und einem »M«, den Initialen seines Namens. Patrick und Susan, die aus einem Kaff aus Ontario hergereist waren, schienen ihm ganz in Ordnung zu sein. Olaf und Andrine aus Kristiansand, Norwegen und Jacques aus Narbonne und zu guter Letzt Rudi aus Düsseldorf, komplettierten das Team. »Neville und vor allem Roy muss ich im Auge behalten«, dachte John.

      Nun fuhr das Tauchschiff Richtung Great Blue Hole.

    »Das Great Blue Hole«, begann John zu erklären, während seine langen Haare vom Fahrtwind durchgewirbelt wurden, »ist annähernd kreisrund und hat einen Durchmesser von fast 300 Metern.«

    »Wie tief ist es?«, wollte Neville wissen.

    »An der tiefsten Stelle etwa 125 Meter«, antwortete John.

    »Es ist ein eigentliches Wunder der Natur. Es entstand vor etwa 12500 Jahren«, erläuterte John.

    »Damals war der Meeresspiegel fast 120 Meter tiefer als heute, und in den Kalksteinschichten bildeten sich unterirdische Höhlensysteme.«

    »War bei allen Meeren damals der Meeresspeigel so viel tiefer?«, wollte Rudi wissen.

    »Ja, alle damals verbundenen Meere hatten wie heute den gleich hohen Meeresspiegel«, antwortete er.

    »Als dann das Meer anstieg, überflutete es die Höhlensysteme«, erklärte John weiter.

    »Wieso sind wir so sicher, dass damals das Meer viel tiefer lag«, wollte Neville wissen.

    »Es gibt zwei Erklärungen dafür. Eine werden wir heute selber sehen können. Die andere hat damit zu tun, dass wir in etwa 110 Meter Tiefe Überreste von Süsswassermuscheln gefunden haben. Diese konnten nicht im Meer leben. Auch anderswo auf unserem Planeten hat man solche Funde getätigt.«

    »Was können wir denn sehen?«, wollte Andrine wissen. Bei ihr konnte John ein echtes Interesse an ihrem Gesicht ablesen.

    »Wir werden an der Südwand in einer Tiefe von knapp 40 Metern in ein unterirdisches Höhlensystem eintauchen«, antwortete er.

    »Und was finden wir dort?«, meldete sich Malcon eher gelangweilt?

    »Einen Teil der Geschichte unseres Planeten«, antwortete John schon fast andächtig.

    »Dort unten hat es eine Galerie in der Felswand. Bevor das Meer angestiegen ist, bildeten sich dort Tropfsteine. Sowohl Stalaktiten und, wenn auch nur wenige, Stalagmiten.«

    »Und wen interessiert der Unterschied?«, unterbrach ihn Malcon leicht herausfordernd.

    »Die einen Tropfsteine wachsen von oben nach unten, die andern gerade umgekehrt. Jacques aus Frankreich meldete sich und erklärte, dass die Stalaktiten, von oben nach unten wachsen.

    »Stalaktiten habe ich mir so gemerkt, dass Stalak-titen also von t wie tomber abgeleitet ist. Im Französischen heisst das »fallen« und Stalak-miten also m wie monter, was wiederum steigen heisst«, erklärte er.

    »Interessante Herleitung«, sagte John.

    »Stalaktiten könne er sich anders merken«, entgegnete Neville vorlaut.

    »Ich denke dabei an die Titten einer Frau, die zeigen ja auch nach einer gewissen Zeit nach unten«, stellte er lachend fest, was vor allem bei den Frauen nicht gut ankam. John dachte, dass er es da mit zwei amerikanischen Angebern zu tun hatte. Er musste sowohl Roy als auch Neville gut im Auge behalten.

      »Wie dem auch sei. Die grössten Stalaktiten haben eine Höhe von fast acht und einen Durchmesser von fast zwei Metern.«

    »Wie alt sind die etwa?«, wollte Susan wissen.

    »Alt genug, um uns zu langweilen«, fuhr Roy dazwischen.

    »Hör doch langsam auf mit deinen Bemerkungen, du verdirbst uns ja die ganze Freude«, fuhr ihn Susan an.

    »Das kann ja noch heiter werden. Vielleicht sollte ich wirklich mal eine entsprechende Scheidungsstatistik nach Tauchgängen im Internet suchen«, dachte John.

    »Eine generelle Daumenregel besagt, dass ein Stalaktit in 10000 Jahren etwa einen Meter wächst«, erklärte John, als sei Roy gar nicht ausfällig geworden.

    »Wow, dann sind die grössten ja fast 80000 Jahre alt!«, rief Susan begeistert.

    »Ja das ist so, deshalb sagte ich auch, dass wir eine Reise in die Geschichte machen«, erklärte John abschliessend.

    »Na und, das ist ja schon lange her, wen interessiert das schon«, maulte Roy, als müsse er die ausfälligen Bemerkungen von Neville noch übertrumpfen.

      Zum Glück hatte das Tauchschiff das Ziel in der Mitte des Great Blue Hole erreicht.

    »Wir nehmen uns heute folgenden Tauchgang vor«, begann John seine Ausführungen.

    »Wir tauchen zuerst auf 15 Meter«, sagte er.

    »Können wir nicht direkt auf 30 Meter«, unterbrach ihn Roy. John hätte eine Wette abgeschlossen, dass Roy ihn unterbrechen würde.

    »Nein, wir werden alle gemeinsam auf 15 Meter gehen«, hielt John fest.

    »Dort bleiben wir kurz, kontrollieren ob alles in Ordnung ist, und tauchen danach auf 25 Meter ab. Dort verbleiben wir für einen letzten Kurzcheck. Wir bewegen uns an der Südwand und bleiben zusammen«, erklärte John.

    »Wann gelangen wir ins Höhlensystem«, wollte Rudi wissen.

    »Wenn die Situation vor Ort es erlaubt, sollten wir nach weiteren fünf Minuten zum Eingang gelangen. Er liegt bei 37 Metern.«

    »Wie lange bleiben wir im Höhlensystem?«, wollte das norwegische Paar wissen.

    »Geplant wären 25 Minuten, aber ich werde zu gegebener Zeit darüber befinden. Anschliessend ist freies Tauchen angesagt, jedoch nicht tiefer als 50 Meter. Danach kehren wir wieder Step by Step an die Oberfläche und zum Schiff zurück«, erklärte John.

    »Gibt es weitere Fragen?«

    »Können wir auch tiefer tauchen?«, wollte Roy wissen.

    »Bei diesem Tauchgang nicht«, war seine kurze und etwas unterkühlt klingende Antwort.

    Roy verzog mürrisch das Gesicht.

    »Wir werden ja sehen«, dachte er insgeheim. »50 Meter war ja nichts für ihn. Die anderen Paare und auch der Deutsche und der Franzose schienen soweit in Ordnung zu sein«, dachte John.

      Aber bei den beiden Amerikanern war grosse Vorsicht geboten. Insgeheim fragte er sich, wie oft Roy wohl schon geschieden war. Nachdem nun auch die Bleigurten befestigt waren und jeder sein eigenes Ritual mit dem Anziehen der Flossen und der Taucherbrille vor dem Start durchgeführt hatte, watschelten alle zum Absprungpunkt. Nachdem sich auch John fertig angezogen hatte, warf er wie vor jedem schwierigen Tauchgang einen Blick auf seinen Talisman, sein Special Warfare Insignia, eines der seltensten und begehrtesten Qualifikationsabzeichen der US-Streitkräfte, welches er im Rahmen seiner Einsätze verliehen bekommen hatte. Er nahm es kurz in die Hand, drückte es und legte es zurück in eine kleine Schachtel in seinem Spind. Es bestand aus einem goldenen Adler mit einem Marineanker, Dreizack und einer Pistole in seinen Klauen. In den meisten Einheiten wurde es auch als »Budweiser« bezeichnet.

    »Nach dem Tauchgang würde er ein Bier trinken«, dachte er.

      Nun waren alle bereit. Ein letzter grosser Ausfallschritt und alle Taucher waren im Wasser. Nachdem alle signalisiert hatten, dass sie startklar waren, gingen sie unter der Leitung von John als erstes auf 15 Meter Tiefe. Es hatte wenige Fische, jedoch fiel John auf, dass sie sehr unruhig herumschwammen. Später würde er sich erinnern und erklären, dass ihm dort zum ersten Mal aufgefallen war, dass etwas nicht stimmte. Nach einem kurzen Stopp prüfte er bei jedem Taucher, ob alles in Ordnung war. Dabei wurde nicht mit dem sonst üblichen Daumenhoch Zeichen signalisiert, dass alles OK war, sondern eine Hand bildete mit dem Daumen und dem Zeigefinger einen Kreis, während die restlichen Finger gestreckt blieben. Bei allen schien alles in Ordnung zu sein, und er signalisierte mit dem Daumen nach unten, dass sie auf 25 Meter Tauchtiefe gelangen wollten. Auch hier wiederholte John seine Kontrolle und sämtliche Rückmeldungen waren positiv. Nach weiteren drei Minuten sanken sie zum Eingang des Höhlensystems ab. Das Meerwasser war auch noch in dieser Tiefe sehr klar und von wunderschöner Färbung. Schwebend glitten sie in den Eingang, als ihnen harmlose Trompeten- und Papageienfische entgegen schwammen. Die Taucher erfreuten sich an dem Anblick, nur John gefiel die Art, wie sie schwammen, nicht.

    »Was stimmt heute nicht?« dachte er.

      Er zeigte ihnen die Stalaktiten und die wenigen Stalagmiten, die gut sichtbar waren.

    »Schon unheimlich, wenn man bedenkt, dass einige von ihnen fast 80000 Jahre alt waren«, philosophierte John.

    Als sie nun nach 20 Minuten wieder zurück an den Rand des Great Blue Holes gelangten, sahen sie über sich ein Dutzend karibische Riffhaie schwimmen. John hob die Hand und gab der Gruppe zu verstehen, dass sie anhalten sollten und signalisierte, dass alles OK sei. Er wusste, dass Riffhaie keine Gefahr für sie darstellten. Nun war es an der Zeit, dass die Teilnehmer in dieser Tiefe in Begleitung ihrer Bodys selber nach ihren Vorlieben tauchen durften.

      »Verflucht«, dachte John. »Was ist da unten?«

    Etwa zwanzig Metern unter ihnen sah er, dass sich unzählige Barrakudas tummelten, ja es sah fast so aus, als versammelten sie sich.

    »Genau auf sowas habe ich gewartet«, dachte Roy.

    Als könnte Neville seine Gedanken lesen, signalisierten sie sich gegenseitig, dass sie das näher anschauen wollten. Natürlich schleppten sie ihre Frauen mit. Bevor John Einhalt gebieten konnte, tauchten sie nach unten weg. »Idioten«, dachte er.

    Aber er konnte die restlichen Gruppenmitglieder nicht alleine lassen, also beschloss er, dass die Sicherheit der Gruppe Vorrang hatte. Indem er seine offene Hand hin und her schwenkte, signalisierte er der Gruppe, dass sie auf dieser Tiefe bleiben sollten, während er nachschauen wollte, wo die vier geblieben waren. Als er nach unten schaute, konnte er seinen Augen nicht trauen. Was er sah, überstieg alles, was er schon jemals gesehen hatte. Olaf gesellte sich neben ihn und als er sah, was unter ihnen vorging, wollte er sofort auftauchen. Aber John konnte ihn noch stoppen. Denn auftauchen aus dieser Tiefe könnte tödlich enden. Allen Tauchern signalisierte er, dass sie sich beruhigen sollten und zeigte ihnen auf, dass sie wieder an den Rand des Höhlensystems gelangen sollten.

      Mittlerweile hatten alle gesehen, was unten Unglaubliches passierte. Die Amerikaner sah man nur noch leicht verschwommen. Obwohl sie sehr nahe an den Barrakudas waren, beachteten die Raubfische sie kaum.

    »Das müssen fast 1000 Barrakudas sein. Und wieso in aller Welt bilden sie einen nahezu perfekten Kreis und schauen alle in die Mitte? Und überhaupt, Barrakudas sind Einzelgänger«, dachte John.

    Als er noch zur Schule ging, erklärte ihm sein Vater, dass Barrakudas eigentlich nicht gefährlich waren. Jedoch reagierten sie aggressiv auf glitzernde und blinkende Gegenstände. Barrakudas seien mythische Wesen, die schon vor mehr als 40 Millionen Jahre in den Ozeanen gelebt hatten. Entsprechende Fossilien bewiesen das. John wusste, dass es das Lieblingstier seines Vaters war. Ob er deshalb einen 1972 »Plymouth Barracuda« fuhr, wollte er ihm nie verraten.

    »Du musst mit ihnen gedanklich in Kontakt treten und kommunizieren, dann lassen sie dich in Ruhe«, sagte sein Vater oftmals zu ihm. Er erinnerte sich gut an diesen Satz. Als er vor Jahren auf einem Tauchgang unerwartet hinter einem Riff Auge in Auge mit einem fast zwei Meter langen Barrakuda war, kamen ihm die Worte seines Vaters in den Sinn. Er versuchte damals, gedanklich mit dem Barrakuda zu kommunizieren und teilte ihm mit, dass er ihn respektiere und sich zurückziehen werde. Vielleicht bildete er sich es nur ein, aber er hatte das Gefühl, als ob ihm der Barrakuda signalisierte, dass alles in Ordnung war und er neben ihm vorbei tauchen konnte. Dies tat er damals, obwohl er eigentlich Angst hatte, dass er von diesem Raubfisch gebissen würde. Die grossen und messerscharfen Zähne konnten schon lebensbedrohliche Verletzungen verursachen. Aber es gab damals keine Probleme.

      »Aber was geschieht hier unten?«, dachte er und war wieder in der Gegenwart angekommen. Nun sträubten sich ihm selbst im Neoprenanzug seine Nackenhaare und er wusste, dass sie kaum mehr Zeit hatten, wenn sie hier lebend raus wollten. Er spürte, dass das ruhige, glasklare Meerwasser sich leicht zu verändern schien. Das ganze Wasser im

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