Der Junge: Eine indianische Reise
Von Arminia Igelbach
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Über dieses E-Book
Als nach dem Tod seiner letzten Verwandten auch noch sein letzter Freund sich von ihm abwendet, beschließt ein kleiner Indianerjunge, sein Dorf zu verlassen.
Auf der Suche nach großen Taten stößt er auf seltsame Spuren und folgt ihnen.
Damit beginnt eine weite und gefährliche Reise...
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Buchvorschau
Der Junge - Arminia Igelbach
Allein
Langsam löste sich der silbergraue Nebel aus dem Nachtschatten des Tales und wich in den nahe gelegenen Wald zurück. Schemenhaft lösten sich die Umrisse der runden Dächer der verstreut stehenden Holzhütten und spitzen Zelte aus dem einheitlichen Grau. Ein Hund bellte und wurde von einer mürrischen Stimme zum Schweigen gebracht. Das Dorf erwachte. Die ersten Frauen kamen aus ihren Zelten, ganze Bündel von leeren und schlaffen Wasserblasen an Schnüren gebündelt in den Händen und gingen im grauen Licht der Morgendämmerung den Weg hinunter durch die noch kargen Maisfelder zum nahen Flussufer. Ein einzelner Mann ging den schmalen Pfad in die entgegen gesetzte Richtung durch die Pflanzen den Hügel hinauf. Bald erreichte er die Anhöhe, von der aus man das ganze Dorf und die umliegenden Täler überblicken konnte und drehte sich nach Osten. Dann hob er die Arme, in denen er einen mit Federn und bunten Schnüren geschmückten Stab hielt, und begann mit langem Atem melodisch zu singen. Als endlich die ersten Sonnenstrahlen über die Ausläufer der nahen Berge kletterten, und die Spitze seines Stabes sich vom Licht der aufgehenden Sonne golden färbte, stieß der Mann einen letzten Jubelschrei aus, beendete seinen Gesang und stieg wieder ins Dorf hinunter.
Inzwischen waren alle Dorfbewohner wach, auch der Junge, der in dem Zelt am Rand des Dorfes wohnte. Es war ein altes Reisezelt und es hatte eindeutig bessere Tage gesehen: Die Lederhäute, die es bedeckten waren dünn geworden und ließen stellenweise bereits Feuchtigkeit hindurch. Die Lederklappe, die den Eingang verschloss, war zerrissen. Sie flatterte im leichten Wind, der nun aufkam und ließ die kühle Morgenluft herein. Murrend kniff der Junge unter seiner Decke die Augen zu und versuchte zu ignorieren, dass er allein in seinem Zelt war. Aber er wusste, es war sinnlos. Niemand würde kommen, das Feuer anmachen und warme Suppe für ihn kochen. Und wenn er nicht selber die Wasserblasen füllen würde, würden sie leer bleiben. Er vermisste die Zeiten, in denen er vom Geruch warmer, frischer Suppe aufgewacht war. Seit dem frühen Tod seiner Eltern hatte seine Großmutter für ihn gesorgt, und sein Großvater hatte ihm mit viel Geduld und Weisheit die Dinge beigebracht, die ein guter Jäger wissen musste. Die Tage waren angefüllt gewesen mit der Pflege des kleinen Maisfeldes der Familie, aufregenden Jagdausflügen in die Umgebung und wilden Spielen mit den anderen Kindern des Dorfes. Aber der letzte Winter war zu lang und zu kalt gewesen und hatte seine Großeltern in die nächste Welt gerufen. Ein Stück von ihm selbst war mit ihnen gegangen und hatte eine Wunde in seinem Herzen hinterlassen, die nur langsam heilte. Am Schlimmsten war es, wenn er von seinen Großeltern geträumt hatte, so wie diese Nacht.
Er wischte sich mit den Handrücken das Gesicht trocken und seine Einsamkeit verwandelte sich in Wut über seine eigene Schwäche. Mit einer mürrischen Handbewegung warf er das Fell von sich, das ihn bedeckt hatte und zog sich seine Beinlinge und die Jacke an, die über seiner Schlafstelle lagen. Das Leder war steif und von der Kühle der Nacht klamm. Er schauderte, fachte zitternd die Glut der Kochstelle wieder an und legte ein paar Äste nach, als die Flamme stärker wurde.
Für einen Moment hielt er seine Hände und die kalten Zehen an die Flammen und schloss seufzend die Augen. Dann wickelte er eine Decke um seine schmalen Schultern und packte die Schnüre der leeren Wasserblasen um zum Fluss zu gehen. Einige Frauen murmelten ihm einen flüchtigen Gruß entgegen, als er mit schnellen Schritten und gesenktem Blick an ihnen vorbeiging, um Wasser vom Fluss zu holen. Er antwortete leise und beeilte sich.
Aber auf dem Rückweg hatte er weniger Glück: Die schweren Wasserblasen zogen an dem Stirnband, mit dem er sie trug und er musste mit gesenktem Kopf gehen, um das Gewicht auszugleichen. So sah er nur seine eigenen Füße. Plötzlich stieß er mit jemandem zusammen. „Pass doch auf!, tadelte ihn eine ärgerliche Stimme. Der Junge taumelte kurz, um sein Gleichgewicht wieder zu finden und murmelte eine Entschuldigung. Doch der Zusammenstoß war kein Versehen gewesen. Als er weiter gehen wollte, stellte sich ihm Pfeilsucher, der berüchtigtste Rabauke der Jungs des Dorfes, wieder in den Weg. Auch die beiden Freunde von Pfeilsucher, Erdschläfer und Taubenfänger, waren natürlich mit von der Partie und bauten sich vor dem Jungen auf, der unter dem Gewicht der Wasserblasen wankte. Ein paar andere Kinder standen um die Szene herum oder kamen herbei, in Erwartung des Schauspiels. Sie verspotteten ihn, weil er wie ein Mädchen Wasserblasen schleppte und versuchten, sie ihm wegzureißen. Jeden Morgen war es das Gleiche! Konnten sie ihn nicht in Ruhe lassen? War nicht sein Verlust und seine Einsamkeit genug? Meistens entkam er ihnen, wenn sie ihn ärgern wollten, denn er war ein guter Läufer. Heute war er ihnen mit den schweren Wasserblasen jedoch ausgeliefert. Es war schwierig, gute Wasserblasen herzustellen, er wollte sie nicht aufgeben. „Lasst mich durch!
versuchte es der Junge, aber die anderen lachten nur. „Er hat Angst! Seine Hosen sind ja nass! Ob das wirklich nur Flusswasser ist?" spotteten sie und schubsten ihn. Mit zusammengepressten Lippen wich er aus.
Er kannte Pfeilsucher und seine Freunde gut und wusste, sie würden nicht nachgeben, bis sie ihren Spaß gehabt hätten. Aber dann sah er Wolkenfänger, seinen Freund und schöpfte Hoffnung. „Wolkenfänger? Der Junge hoffte, dass seine Stimme sich nicht so zittrig anhörte, wie er sich fühlte. Der Freund jedoch tat, als ob ihn die ganze Geschichte nichts anginge und sah ihn mit kaltem Blick an. Der Junge begriff und stöhnte unwillkürlich auf. Er hatte bemerkt, dass sich sein Freund von ihm fernhielt, seit er zur Last des ganzen Dorfes geworden war. Aber dass er mitmachte, wenn die anderen ihn verspotteten, traf ihn sehr. „Oh, jetzt hofft er auf Hilfe von seinem Freund...
spottete Pfeilsucher, der ihm noch näher kam. „Was ist, Wolkenfänger, sag ihm, dass du nicht mehr sein Freund bist! befahl er. Wolkenfänger strich sich verlegen mit der Hand über den Scheitel. Dann atmete er entschlossen ein und stieß ihm an die Brust. „Ja, ich bin schon lang nicht mehr dein Freund. Hast du nicht gemerkt, wie peinlich du mir bist? Niemand hier will dich! Ich wünschte, du würdest gehen und nie wieder kommen!
Das war eindeutig. Der Junge biss die Zähne zusammen, schluckte seinen Schmerz hinunter. Niemand würde ihm helfen, jetzt war er völlig allein. Plötzlich stieg ihm die Wut in den Kopf. Er würde nicht klein beigeben! Mit einem wütenden Schnauben ließ er die Wasserblasen bis auf eine fallen. „Ihr Feiglinge! Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt! Verrotten sollt ihr! Die Raben sollen euch fressen! schrie er ihnen zornig zu. Unbändiger Hass erfüllte ihn und brannte wie Feuer in seiner Brust. Sollte Wolkenfänger doch ersticken an seinem Verrat! „Die Würmer sollen dich fressen!
Mit aller Kraft spuckte er seinem ehemaligen Freund ins Gesicht. Für einen Moment fühlte er grimmige Genugtuung, doch dann sah er die Gefahr in den Augen Wolkenfängers, der sich mit einer drohend langsamen Bewegung den Speichel abwischte. Mit Schwung zog sich der Junge die Decke von den Schultern und warf sie Wolkenfänger und Pfeilsucher ins Gesicht, die beide gleichzeitig einen Sprung auf ihn zu machten. Sie prallten aneinander, stolperten über die Decke und fielen in einem Knäuel aus Armen und Beinen zu Boden. Die Angst gab dem Jungen die Kraft, über beide Angreifer drüber zu springen und durch die Reihe der anderen Jungen durchzubrechen. Die letzte seiner Wasserblasen in der Hand rannte er zu seinem Zelt, so schnell er konnte. Das ärgerliche Geschrei der Jungen dröhnte in seinen Ohren, die Stimme Wolkenfängers war die lauteste von allen, aber er hatte genug Vorsprung gewonnen. Haken schlagend hängte er sie ab und stand bald keuchend und schwitzend vor seinem Zelt.
Die Verfolger hatten aufgegeben. Bevor er durch die Zeltklappe ins Innere sprang, drehte er sich noch einmal um: Er sah gerade noch, wie Wolkenfänger unter dem Gelächter seiner Freunde die Decke mit einem langen Stock auf ein benachbartes Zelt warf, wo sie sich verfing und in unerreichbarer Höhe hängen blieb. Die Wasserblasen hatten sie in die Äste der Bäume geworfen, wo sie leer und zerrissen im Wind wehten. Pfeilsucher schlug Wolkenfänger auf die Schulter und Arm in Arm verschwanden sie mit den anderen Kindern lachend zwischen den Hütten.
Wütend schüttelte der Junge seine Faust in ihre Richtung, wischte sich ärgerlich die Tränen aus dem Gesicht und bückte sich in sein Zelt hinein. Wolkenfängers Verrat hatte ihn zutiefst getroffen. Mit Wolkenfänger hatte er seine gesamte Kindheit verbracht und sie teilten so viele schöne und auch gefährliche Erlebnisse, dass er immer das Gefühl gehabt hatte, sie wären so etwas wie Brüder. Aber er war nicht der erste Freund, der sich von ihm abwandte, seit seine Familie vom Unglück heimgesucht worden war, wenn auch der, dessen Verrat am meisten schmerzte. Er war der letzte, der noch zu ihm gehalten hatte. Jetzt war er völlig allein.
Nach der Trauerfeier für seine Großeltern war die Hütte seiner Großeltern verbrannt worden um ihren Geistern eine Rückkehr zu verleiden. Aus demselben Grund lag auch das kleine Feld der Familie seitdem brach. Eine Zeitlang hatte der Junge abwechselnd bei verschiedenen Familien gelebt, und ihr Mitleid und ihre Geschenke hatten ihn am Leben erhalten. Aber keiner fühlte sich wirklich für ihn zuständig, und so war er eigentlich sich selbst überlassen. Er war es leid, immer der Bittsteller zu sein, der, der die Reste der Familien bekam und die abgelegten Kleider. So hatte er das alte Reisezelt seiner Familie aufgebaut, und lebte nun bereits seit einigen Mondzyklen allein. Er wollte nicht länger als Bettler von der Barmherzigkeit des Dorfes abhängen. Anstatt zu spielen, wie die anderen Jungen seines Alters, verbrachte er seine Tage mit Jagen und Fallenstellen und suchte weggeworfene Kleidung, die er noch reparieren und benutzen konnte. Doch obwohl er dadurch viel selbstständiger geworden war als seine Altersgenossen, und sich mit seinen knapp 10 Jahren beinahe selbst versorgte, hatte niemand für ihn ein lobendes Wort oder einen stolzen Blick.
Er hatte noch nicht einmal einen Namen - und keinen Menschen, der ihm einen