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Der Fels der schwarzen Götter: Ein Roman aus Movenna
Der Fels der schwarzen Götter: Ein Roman aus Movenna
Der Fels der schwarzen Götter: Ein Roman aus Movenna
eBook330 Seiten4 Stunden

Der Fels der schwarzen Götter: Ein Roman aus Movenna

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Über dieses E-Book

Hochaufragende Felswände, darin eingemeißelt weit über tausend furchteinflößende Fratzen, die drohend nach Norden blicken: Einer Legende zufolge sind die schwarzen Klippen das letzte Bollwerk Movennas gegen die Eisdämonen aus dem Gletscherreich.
Doch dann begeht der junge Ask bei einer Mutprobe einen folgenschweren Fehler: Er schlägt einem der schwarzen Götter die Nase ab. Der unscheinbare Dreiecksstein wird Auslöser eines der blutigsten Kriege, die das Land jemals erlebt hat. Und die Völker des Berglandes wissen bald nicht mehr, wen sie mehr fürchten sollen: die schwarzen Götter, die weißen Dämonen oder die sonnenverbrannten Reiter aus den fernen Steppen ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Juni 2016
ISBN9783738072297
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    Buchvorschau

    Der Fels der schwarzen Götter - Petra Hartmann

    Erstes Buch: Die Nase

    Ask zuckte zusammen, als der lautlose Schatten über ihn hinwegstrich. Der Nachtvogel glitt zwischen den Eichenstämmen dahin und war sofort wieder im Dunkel verschwunden. Erst in der Ferne stieß das Tier einen heiseren Ruf aus, ein helles Aufquietschen zerriss die Nacht, als der gebogene Schnabel das dünne Genick durchschlug, dann eisige Stille, in der der Todesschrei der Maus beängstigend nachhallte. Ein Schauer fuhr dem Jungen über den Nacken. Seine Finger krampften sich um den dünnen Kaninchenbogen. Die Waffe war gut geeignet, um kleine Pelztiere zu erlegen, doch gegen die Gespenster des nördlichen Waldes waren die leichten Pfeile machtlos, das wusste er.

    „Das war nur ein Käuzchen, sagte er laut und hoffte, die anderen würden das Zittern seiner Stimme nicht bemerken. Die Töne kamen falsch und quiekend aus seiner Kehle. Wie der Todesschrei einer Maus. „Ein ganz kleiner Nachtvogel, nicht viel größer als eine Maus. Ein geschickter Jäger könnte ihn im Flug treffen.

    „Das wagst du nicht", flüsterte Rowan. Der braune Wuschelkopf seines kleinen Bruders tauchte neben ihm im Mondlicht auf und warf einen Schatten wie ein gewaltiger Höhlenbär. Sagitta, die Schwester, sagte nichts. Aber Ask wusste, dass sie einen Pfeil an die Sehne ihres Kaninchenbogens gelegt hatte und nach der kleinen Eule Ausschau hielt.

    Ask holte tief Luft. „Es wird nicht wiederkommen, sagte er. Entschlossen richtete er sich auf und zog sein dünnes Jäckchen aus Kaninchenfell enger um sich. Das Laub raschelte unangenehm laut unter seinen nackten Füßen. „Wir gehen weiter, bestimmte er und stapfte in die Richtung, in die das Käuzchen geflogen war. „Ein echter Waldwohner kennt keine Angst."

    „Genau, der kennt keine Angst", echote Sagitta und warf Rowan einen trotzigen Blick zu.

    Zum wiederholten Male überlegte Ask, ob es nicht ein Fehler gewesen war, die Fünfjährige mitzunehmen. Aber die kleine Schwester schlief im gleichen Raum wie er und Rowan und hätte sie ganz sicher verpetzt, wenn er nicht versprochen hätte, dass sie dabei sein durfte. Außerdem, das musste er ihr zugestehen, die Kleine hielt sich weitaus besser als Rowan im unheimlichen Nordwald. Und wenn er etwas ehrlicher mit sich selbst gewesen wäre, hätte er zugeben müssen, dass das Mädchen als einziges der drei Kinder keine Angst zeigte.

    Irgendwo vor ihnen rief wieder das Käuzchen. Ask schritt gleichmäßig weiter und bemühte sich, möglichst fest aufzutreten. Ein trockener Zweig knackte unter seiner Fußsohle. Da besann der Junge sich und wechselte wieder in den leisen, federnden Schritt über, den er von seinem Vater gelernt hatte. „Die Waldwohner sind ein Teil des Waldes, und sie rühren das Laub nicht auf, hatte er gesagt. „Sacht wie ein fallendes Blatt ist der Schritt des Jaran-Dem. Der Hase hört ihn nicht, der Uhu sieht ihn nicht, der Hirsch wittert ihn nicht, bis ihm sein Pfeil ins Herz dringt.

    „Und wenn es nun doch der Waldalte war?", flüsterte Rowan.

    Ask fuhr zusammen, als der Bruder lautlos neben ihm auftauchte. „Schleich nicht so, zischte er. „Um ein Haar hätte ich dich erschossen.

    Er senkte den Kaninchenbogen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Die Nächte waren schon empfindlich kühl geworden. Trotzdem war seine Hand schweißnass, als er sie wieder zurückzog, und er wischte sie sorgsam an der Jacke ab, bevor er die Sehne wieder berührte. Nicht auszudenken, was passierte, wenn die Bogensehne feucht würde.

    „Ask?, wiederholte Rowan. „Was, wenn es doch der Waldalte war?

    „Den Waldalten gibt es nicht, knurrte Ask. „Das ist nur ein dummer Aberglaube.

    „Ja, das ist ganz dummer Aberglaube, bestätigte Sagitta ernsthaft. „Ich wette, ich kann den Waldalten erschießen, wenn er kommt. Ask, glaubst du, dass ich ihn treffen kann, wenn er kommt, der dumme alte Aberglaube?

    „Still jetzt, fuhr Ask sie an. „Ich glaube, wir sind jetzt ganz nahe dran. Wenn ich mich nicht irre, muss da vorne schon die Felswand anfangen.

    Eine dunkle Wolke schob sich vor den Mond, und plötzlich war es stockfinster. In der Ferne schrie wieder das Käuzchen.

    „Ihr wartet hier, bestimmte Ask und schubste die beiden Geschwister hinter einen breiten, knotigen Eichenstamm. „Rowan, pass auf Sagitta auf, befahl er. Dann rückte er seinen Köcher mit den leichten Kaninchenpfeilen zurecht und huschte davon. Lautlos wie ein Schatten verschwand er im Unterholz.

    „Glaubst du, er kriegt den Stein?, fragte Sagitta. Sie spähte neugierig hinter dem Bruder her. „Ich glaube ganz bestimmt, dass er ihn kriegt.

    „Still."

    Rowan schob sie tiefer in die Mulde hinein. Ängstlich lugte er über den Rand ins Dunkel. Wieder schrie das Käuzchen. Es schien, als komme der Ruf wieder näher.

    „Guck mal, ich kann auch wie ein Käuzchen machen, sagte Sagitta. „Hu-hhuuuh, hu-hhuuuh. Sie hatte mit beiden Händen eine Hohlkugel geformt und blies aus vollen Backen gegen die Daumenknöchel. Es klang nicht besonders eulenähnlich, aber doch unheimlich genug, um Rowan einen Schauer über den Rücken zu jagen.

    „Still, sonst hört dich der Waldalte", fauchte er die Schwester an.

    „Ask hat gesagt, das ist nur ein dummer Aberglaube, begehrte sie trotzig auf. „Und Aberglauben haben keine Ohren.

    „Ach, Ask weiß auch nicht alles. Ärgerlich schob Rowan das Laub zur Seite. Es machte ihn wütend, dass die kleine Schwester gar keine Angst zeigte. „Der Waldalte ist fürchterlich, raunte er mit heiserer Stimme. „Und wer ihn des Nachts im Wald trifft, der wird seines Lebens nicht mehr froh. Die wahnsinnige alte Ulma hat ihn gesehen in der Nacht, als sie ihren Verstand verloren hat. Und Kedwig muss ihn auch getroffen haben, damals, als sie ihn gefunden haben, das Gesicht auf den Rücken gedreht, mit grausam entstellten Zügen."

    Rowan holte tief Luft. Sagitta sagte nichts. So, jetzt hatte die kleine Nervensäge endlich auch begriffen, dass dies hier kein fröhlicher Waldspaziergang war. Triumphierend fuhr er fort:

    „Der Waldalte war ein mächtiger Fürst und hat damals über all dies Land geherrscht. Das war in den alten Zeiten, als es hier noch keine Bäume gab. Nur die grausigen Geisterklippen, wo Ask jetzt ist, mit ihren schrecklichen Dämonenfratzen, die starrten damals schon drohend nach Norden. Aber das Land ringsum war kahl und nackt. Und nur der Waldalte, der damals noch der Bergfürst hieß, hockte auf seiner himmelhohen steinernen Burg und sah weit übers Land." Rowan räusperte sich. Ein unangenehmes Kratzen in seiner Kehle hinderte ihn am Sprechen. Doch nun, da er Sagitta Angst machen konnte mit seiner uralten Schauergeschichte vom Waldalten, war er schon wesentlich mutiger geworden. Die Kleine neben ihm sagte nichts. Gut so. Leise fuhr er fort:

    „Eines Tages sah der Alte in seinen Zauberspiegeln die Sonnentochter. Sie war so wunderschön, dass er sich sofort in sie verliebte. Da stieg er hinunter zu den schwarzen Felsen, wo die Dämonen am grausigsten und am scheußlichsten in den Himmel starren, und rief den Bösen an. Dreimal rief er seinen geheimen Namen, und als er ihn das dritte Mal gesagt hatte, da teilten sich die schwarzen Klippen, und der Böse kam heraus – aaah!!!"

    Ein weicher, lautloser Flügel hatte ihn gestreift. Gleich darauf glommen über ihm im Geäst der alten Eiche zwei bernsteingelbe Augen auf. „Hu-hhuuuh?, klang es fragend. Rowan riss den Bogen hoch, packte in fiebernder Hast seinen Köcher und verschüttete dabei seine sämtlichen Pfeile. Als er endlich einen der dünnen Schäfte an die Sehne gebracht hatte, war das unheimliche Augenpaar verschwunden. „Das war nur das Käuzchen, Sagitta, flüsterte er. „Der Waldalte ist längst tot. Glaube ich."

    Wieder räusperte der Junge sich. „Weißt du, Sagitta, der Alte, er wollte die Sonnentochter unbedingt haben. Darum hat er den Bösen gerufen. ‚Schaffe mir das Mädchen her‘, verlangte er von dem furchtbaren Geist. ‚Ich will dir geben, was immer du von mir verlangst.‘ ‚Der Preis ist deine Seele‘, sagte der Böse. Und jener erwiderte: ‚So sei es. ‘ Da flog der Böse in seinem Drachenwagen durch die Nacht bis in den höchsten Himmel hinein, holte die Sonnentochter auf die Erde und brachte sie ins steinerne Schloss des Alten.

    Der Bergfürst war glücklich, als er seine Braut in die Arme schloss. Aber das Glück währte nicht lange. Denn auf der Fahrt durch den Himmel hatte der giftige Atem der Drachen die junge Frau gestreift, sie trug den Keim des Todes bereits in sich. Am Tag nach der Hochzeit war sie blass und sprach nicht. Drei Tage später war sie zu schwach, um auch nur das Bett zu verlassen. Die Zauberer schüttelten traurig den Kopf und gaben sie auf. ‚Sie muss sterben‘, sagten sie dem Alten. ‚Wenn sie morgen noch am Leben ist, dann wäre das schon ein großes Wunder. ‘ Da weinte der Alte.

    Doch dann ging er wieder zu den Dämonenfelsen und rief zu den schwarzen, steinernen Fratzen den Namen des Bösen hinauf. Und wieder teilten sich die Berge. ‚Was willst du denn nun noch?‘, grollte der Böse. Und der Alte bat, er solle die Sonnentochter wieder gesund machen. ‚Das kann ich wohl‘, zischte der Böse. ‚Doch wenn ich’s tue, dann werde ich morgen Nacht schon zu dir kommen und deine Seele und dein Leben von dir fordern.‘ ‚So sei es‘, sagte der Alte. Und er schlich sich traurig nach Hause."

    Rowan lauschte. Für einen Augenblick hatte er geglaubt, schleichende Schritte im Laub zu hören. Aber es war wohl nur der Wind gewesen. Der Wind oder der Waldalte.

    „Am nächsten Morgen, flüsterte er, „war die Frau gesund und munter, und sie lachte und sang fröhliche Lieder. Aber der Alte war blass und grämlich, er konnte sich gar nicht mehr freuen. Er dachte nur immer an die Mitternacht und daran, dass der Böse ihn holen würde. ‚Ach wo‘, lachte da die Sonnenfrau, als er ihr erzählte, was er getan hatte. ‚Gräme dich nicht, Mann, ich will schon mit ihm reden.‘ Und als die Mitternacht kam und der Böse den Alten holen wollte, da stellte sich die Frau ihm entgegen. ‚Es ist nicht recht, dass wir, wo wir doch gerade erst geheiratet haben, gleich wieder auseinander sollen. Höre, Böser, diesen Vorschlag will ich dir machen: Lass uns noch solange zusammen leben, wie wir für eine Saat und eine Ernte brauchen, und wenn die Ernte eingebracht ist, dann magst du uns beide haben.‘ ‚Das ist mal ein Wort‘, lachte der Böse. Und er fuhr mit lautem Jubel wieder in die schwarze Felswand zurück.

    Sagitta atmete tief und ruhig neben ihm. Sie hatte den Kopf an den Eichenstamm gelehnt. Irgendwo in der Ferne strich der Wind um die Dämonenfelsen, es klang wie Klagerufe der verlorenen Seelen.

    „‚Bist du nicht klug, Frau?‘, jammerte der Bergfürst, als der Böse verschwunden war. ‚Nun hast du alles noch tausendmal schlimmer gemacht. Was ist gewonnen mit diesem einen Jahr Aufschub? Wenn die Ernte eingebracht ist, wird er wiederkommen. Dann wird er nicht nur mich, sondern uns beide holen.‘ ‚Ach was, Mann‘, lachte die Sonnenfrau da. ‚Ist erstmal ein Aufschub erreicht, lässt sich der Rest auch gewinnen. Ein Jahr, das ist lange hin.‘"

    Wo mochte nur Ask bleiben? Was, wenn die Felsendämonen doch mehr waren als grausige Steingesichter in der schwarzen Wand? Und was, wenn der Waldalte kam? Rowan lauschte. Doch so sehr er sich auch anstrengte, die Schritte des älteren Bruders konnte er nicht hören. Nur die Geräusche des Waldes. Des Waldes, der dem Waldalten gehörte.

    „Und er hat ihn doch ausgetrickst, den Bösen, hörst du, Sagitta?" flüsterte Rowan. „Als er am nächsten Tag rastlos durch sein Land streifte, da traf er einen Bauern, der gerade sein Feld bestellte. Aber der tat das nicht, wie man normalerweise auf seinem Acker sät. Nein, er drückte Eicheln in die Furchen. Eine neben der anderen, das ganze Feld entlang. ‚Was tust du da?‘, fragte der Bergfürst verwundert, denn er hatte so etwas noch nie gesehen. ‚Ich arbeite für die Zukunft‘, sagte der Landmann. ‚Oh, nicht für meine eigene und auch noch nicht für meine Kinder und Enkel. Aber meine Urenkel werden einst einen stattlichen Wald besitzen und eine reiche Ernte haben. Sie werden mich segnen, wenn erst meine Eichen in die Höhe gewachsen sind. Genauso, wie ich es meinem Urgroßvater zu danken habe, dass ich jenes reiche Waldstück dort hinten besitze.‘ ‚Segnen, das will ich dich auch, guter Mann‘, freute sich der Bergfürst. Und er überschüttete den verdutzten Bauern mit Gold und Silber. Und dann, dann begann er, das ganze Land längs der Berge umzupflügen. Und überall, wo nur eine Handbreit Erde sich fand, da senkte er eine Eichel in den Boden. Hörst du, Sagitta, er hat ihn ausgetrickst, den Bösen. Denn als der ein Jahr darauf kam und die beiden holen wollte, da hatten die jungen Eichenbäume nur gerade erst den Kopf aus der Erde gestreckt. ‚Eine Saat und eine Ernte war ausgemacht‘, lächelte der Bergfürst dem Bösen entgegen. ‚Und die Zeit der Ernte ist noch lange nicht heran.‘ Da schrie der Böse auf vor Zorn und riss die Felswände auseinander. So laut war der Wutschrei, dass die Berge noch lange nachzitterten. ‚Und holen werde ich dich doch!‘, schrie er. ‚Und gehn auch Jahre drüber hin, zittern sollst du vor dem Tag, an dem der letzte Baum fällt.‘

    Aber Vertrag ist Vertrag, und er hat den Alten nicht angetastet bis heute. Jahre kamen und gingen. Und höher und immer höher wölbte sich das Blätterdach des Bergwalds. Längst sind die Kinder und Enkel des Bergalten dahingesunken. Menschengeschlechter kamen und gingen. Nur der Alte streift noch immer als ruheloser Geist durch den Wald, den er gesät hat. In hellen Mondnächten, heißt es, hat man ihn rufen hören. Und wer immer seinen Wald antastet, den wird er strafen. Denn noch immer wartet der Böse im schwarzen Felsen darauf, dass der letzte Baum des Bergwaldes fällt. Dann wird er kommen und holt den Waldalten in sein Reich unter den Felsen."

    Sagitta gab leise Schnarchlaute von sich. Eng an den Stamm des Eichenbaums geschmiegt, war das Mädchen eingeschlafen. Missmutig starrte Rowan ins Dunkel. War das eine Art, ihn ganz allein zu lassen? Er tastete nach seinem Kaninchenbogen.

    Plötzlich stob das Laub auseinander. Wie eine Rotte flüchtender Wildschweine brach Ask durch das Unterholz und stürmte auf die Geschwister zu.

    „Weg hier!, schrie er. „Rowan! Sagitta! Schnell weg!

    Müde taumelte Sagitta in die Höhe. Schon hatten Ask und Rowan sie bei den Händen gefasst und stürzten mit der Schwester in der Mitte davon.

    „Die Berge!, keuchte Ask. „Die Dämonen erwachen!

    In wilder Flucht jagten die drei Kinder durch das Laub und wagten es erst nach mehreren Meilen zu verschnaufen.

    *

    Ask trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Grenoak, der erste der Jungen Dachse, war kaum zwei Sonnen älter als er, doch er ließ den Jüngeren deutlich spüren, wer hier im Jugendbund das Sagen hatte. Der breitschultrige Anführer der jugendlichen Jaran-Dem hatte mit überkreuzten Beinen am Lagerfeuer Platz genommen, hatte die Decke aus Kaninchenfell um sich drapiert wie einer der würdevollen alten Häuptlinge und sog betont langsam an seiner kokelnden Rohrpfeife. Gut fünfzehn junge Waldwohner musterten Ask schweigend, und der einzige Laut, der von Zeit zu Zeit die Stille durchbrach, war das Knacken des Feuers.

    „Nun, Ask, nahm endlich Grenoak das Wort, „hast du den Stein?

    Ask schluckte. Er griff hastig ins Innere seiner Kaninchenfelljacke. Als er die Hand wieder hervorzog, lag ein fast faustgroßer Felsbrocken darin. Schwarzer, harter Nachtstein aus den Dämonenfelsen spiegelte das Zucken der Flammen wider. Damit mochten die Jungen Dachse wohl zufrieden sein.

    Mit einem kurzen, stummen Kopfrucken nickte Grenoak zu einem der Jungen hinüber, der sprang auf, nahm Ask den Stein ab und trug ihn zum Feuer. Grenoak wog ihn prüfend in der Hand und ließ ihn im Schein der Flammen aufblitzen. „Ja, bestätigte er nach einer Weile. „Es ist ein Stein aus den Dämonenklippen. – Emblar? Der Angesprochenen erhob sich. „Was hast du uns zu berichten?"

    Emblar überragte Ask fast um Haupteslänge. Ask mochte den aalglatten und wieselflinken Unteranführer Grenoaks nicht sonderlich. Und doch durchrieselte ihn ein warmes, freudiges Gefühl, als der Jugendliche neben ihn trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. „Ja, er war da, ich kann es bestätigen", näselte Emblar.

    Eine unsägliche Spannung fiel von Ask ab. Es war geschafft. Nun mussten sie ihn wohl aufnehmen.

    „Sprich", forderte Grenoak den Berichterstatter auf.

    „Ich habe getan, wie du mir befohlen hast, Grenoak. Schon am frühen Morgen habe ich am Baumhaus des Häuptlings auf Posten gelegen. Erst kam die alte Linda heim, und bald nach Sonnenuntergang auch Ask, Rowan und Sagitta. Toxaris selbst kam erst zur Zeit des dritten Sterns, er blieb noch bis kurz vor Mitternacht im Türrahmen sitzen und rauchte Pfeife. Er hat Sitang-Kraut geraucht, der Geruch zog bis herüber in die Baumkrone, in der ich mich versteckt hielt. Endlich ging auch Toxaris hinein. Wenig später verlosch das Licht. Es dauerte eine Weile, bis sich im Haus wieder etwas regte. Emblar machte eine kurze Pause, deutete dann auf Ask. „Dann habe ich ihn gesehen. Er war sehr leise, im Schleichen ist er schon recht gut. Er ließ sich am Seil auf den Boden hinab, aber dann trat er auf trockenes Laub. Der Kleine tauchte oben im Eingang auf und fing an zu rufen: ‚Ask, wo willst du hin?‘

    Gutmütiges Lachen wurde laut. Viele der Jungen Dachse hatten selbst kleinere Geschwister. Ask errötete.

    „Rowan kam also hinterher geklettert, lachte Emblar. „Und als er am Seil halb nach unten gekommen war, ist auch noch Sagitta wachgeworden und hat gedroht, sie würde das ganze Dorf zusammenschreien, wenn sie nicht mit dürfte.

    Jetzt gab es für die Jungen Dachse kein Halten mehr. „Da ist uns ja eine tolle Mutprobe eingefallen. Nicht einmal Babys haben mehr Angst vor dem Waldalten und seinen schwarzen Klippen", lachte Grenoak.

    „Oh, was das betrifft, schmunzelte Emblar, „da war Sagitta bestimmt die Tapferste von den dreien. Ihr hättet sie laufen sehen sollen, Ask und Rowan meine ich, als sie wieder aus dem Wald herauskamen. Wie ein Wisent mit einem Kaninchenpfeil im Hintern ist er gelaufen, unser Ask, sein Gesicht war weiß wie Kreide. Wahrhaftig, noch niemals habe ich einen Menschen so schnell rennen sehen. Er ist durchs Unterholz gebrochen, als ob der Waldalte persönlich ihm auf den Fersen war, ich bin kaum hinterhergekommen.

    Gelächter belohnte den humorigen Bericht des Unterhäuptlings. Emblar grinste und blickte aus blitzenden Augen in die Menge, während Ask verlegen auf seine Fußspitzen starrte. „So war es nicht", murmelte er leise und bohrte mit dem Zeh im weichen Waldboden.

    Eine Handbewegung Grenoaks brachte die Jungen zum Schweigen. Er nickte zu einem der Büsche hinüber. „Vielleicht möchte uns Rowan ja auch noch etwas dazu mitteilen", sagte er mit erhobener Stimme.

    Aus dem raschelnden Laub tauchte Rowans zerzauster brauner Wuschelkopf auf. „Ask ist mutig, stieß der Junge hervor, seine Stimme überschlug sich fast, als er die Worte herausschleuderte. „Sag ihnen, was du gesehen hast, Ask. Sag ihnen, dass die Götter erwacht sind.

    Ask schluckte. Dann nahm er Grenoak fest ins Auge. „Es ist wahr, Grenoak. Ich habe sie gesehen. Die alten Götter sind erwacht."

    Unruhe breitete sich aus, doch Grenoak schnitt die hastigen Flüstertöne mit einer Handbewegung ab.

    „Ich habe sie gesehen, bestätigte Ask noch einmal. „Als ich den schwarzen Stein aus der Wand schlug, öffneten sich ihre Augen. Überall in der Felswand flammten sie auf. Hunderte und Aberhunderte Dämonenaugen. Und alle starrten mich an aus der schwarzen Felswand heraus mit gelben Feueraugen.

    Grenoak schwieg. Niemand am Feuer sprach ein Wort. Nur Asks Herz hämmerte wie die Hirschfelltrommel des alten Schamanen.

    Endlich stand Grenoak auf. Er warf die Kaninchenfelldecke ab und kam mit würdigen, feierlichen Bewegungen um das Lagerfeuer herum auf den Jungen zugeschritten. Er nahm einen feuchten, weißen Kreideklumpen und drückte ihn fest gegen Asks Stirn. Kühl ruhte der Stein auf seiner Haut, dann zog Grenoak eine breite Linie vom Haaransatz bis hinunter auf Asks Nasenspitze. „Eine Pfeilspitze für einen Jungen Dachs, murmelte Grenoak und malte zwei weitere Linien über die Wangen des Jungen, von den Augenwinkeln bis zur Nase. Als er nun die Flächen zwischen den breiten weißen Streifen mit einem Kohlestück einfärbte, bekam Asks Gesicht tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem großen Marder, der der Schutzpatron des Bundes war. „Ask hat uns den Stein gebracht, und die Aufgabe ist erfüllt, stellte Grenoak fest. „Von nun an ist er einer der unseren. Wer ihn kränkt, wird es mit den Jungen Dachsen zu tun bekommen."

    Aufmunterndes Schulterklopfen und Händeschütteln hieß den Neuling willkommen, als er sich nun ans Feuer zu den anderen niedersetzte. Während Rowan sich davonstahl, schob Grenoak Ask die Rohrpfeife hinüber, die der Junge mit einem mulmigen Gefühl an die Lippen setzte. Tränen schossen ihm in die Augen, als sich das beißende Kraut in seine Lunge hineinfraß. Doch gelang es ihm, den Hustenreiz zu unterdrücken. Dann gab er die Pfeife an Grenoak zurück.

    Der Dachshäuptling räusperte sich. „Dinge sind geschehen, murmelte er. „Dinge, von denen die Jaran-Dem noch nichts gehört haben. Wenn es wahr ist, was Ask sagt, und ein Junger Dachs spricht immer die Wahrheit, dann geht dort an den Dämonenklippen etwas vor sich. Wir müssen nachdenken, was zu tun ist.

    *

    Entsetzlich. Ask starrte aus blutunterlaufenen Augen in den Bach, aus dem ihm sein eigenes hohlwangiges Gesicht höhnisch entgegen grinste. Die verwaschene Kohle hatte sich bis weit in seine hellblonden Kraushaare hinauf geschmiert, weiße und schwarze Schlieren hatten sich die Wangen hinuntergezogen und sich mit seinen Tränen zu aschengrauem Schleim vermischt. Wieder krampfte sich sein Magen zusammen. Ein brauner, klumpiger Brei brach sich Bahn durch seinen Rachen und spritzte ins Wasser. Ask wand sich in Krämpfen auf dem Boden, spuckte kräftig hinter dem Erbrochenen her, noch einmal und noch einmal. Nein, wahrhaftig, die Sitang-Pfeife würde er nicht noch einmal anrühren. Erneut ballte sich sein Magen zur Faust. Schmerzhaft zogen sich seine Eingeweide zusammen, vergebens, leer, ganz leer waren sie, und der Brechreiz wollte noch immer nicht aufhören. Nur ein wenig braunes Wasser spie er aus, dann nichts mehr. Entsetzlich, wie das stank.

    Schwer atmend presste Ask das Gesicht ins kühle Gras. Dünne Speichelfäden liefen auf die Erde, Tränen rannen ihm die Wangen hinab. Als er sich streckte, tauchten beide Fäuste in den Bachlauf. Das herbstlich kalte Eiswasser tat fast gut. Nein, nie wieder Sitang-Kraut, alles nur das nicht.

    Erst nach einer Weile beruhigte sich sein Atem. Das eisige Wasser, das seine Handgelenke zum Erstarren brachte, tat seine Wirkung. Auf dem schweißnassen Rücken tanzten die ersten Sonnenstrahlen.

    „Ich gratuliere dem jungen Dachsjäger."

    Wie eine Laubviper schnellte Ask in die Höhe. Im Aufspringen fuhr seine Hand zu dem dünnen Knochendolch, der in seinem Gürtel steckte. Blut schoss ihm in den Kopf. Aber es war nur Tenella, die sich im lautlosen Schritt der Waldwohner genähert hatte.

    „Meinen herzlichen Glückwunsch zur Aufnahme in den Bund", wiederholte die ältere Schwester.

    Ask wischte sich unwillig eine Locke aus der Stirn und verschmierte die schwarzen und weißen Linien damit endgültig. Er grinste die junge Frau schief an. „Du weißt ...?"

    „Schau dich doch an, du Dreckspatz, lächelte sie. „Das ist wirklich nicht schwer zu erraten, wo du gestern warst. Außerdem ... Sie machte eine kurze Pause. „Außerdem hat gestern Abend zum ersten Mal seit sieben Monden der gute Emblar nicht unter meinem Baumhaus die Flöte gespielt."

    Ask runzelte die Stirn. „Du bist viel zu schade für den", knurrte er.

    Tenella lachte. Wie alle jungen Frauen im heiratsfähigen Alter hatte sie vor einiger Zeit ihr eigenes Baumhaus am Rand des Dorfs bezogen. Ask war stolz auf seine große Schwester. Die schlanke Jägerin mit den sonnenfarbenen Zöpfen war mit Abstand die Schönste aller Jaran-Dem. Sie hatte sich nicht nur als ausgezeichnete Schützin hervorgetan, sondern vor allem auch die Alten als geschickteste Bogenbauerin des Dorfs in Erstaunen versetzt. Der Mann, der die bekam, würde als König der Jäger gefeiert werden, da war Ask sicher. Viel zu schade für eine Ratte wie Emblar.

    Der Junge wischte sich hastig die verschmierte Hand an seinem Kaninchenfellschurz ab. Ein taubes Gefühl wallte in seinem Kopf aufwärts und ließ ihn taumeln, doch er fing sich sofort wieder.

    „Setz dich, befahl Tenella. Aus ihrer Gürteltasche kramte sie einige Pfefferminzblätter hervor. „Da, kau das. Als sie sich Ask gegenüber ins Gras kauerte, hatte sie bereits ein Töpfchen mit Fett und einen Fellstreifen hervorgezogen. „So, nun wollen wir dich mal wieder zu einem ordentlichen Menschen machen", lächelte sie.

    „Danke, stieß Ask zwischen zwei Pfefferminzblättern hervor. „Du glaubst gar nicht, wie hundeelend es einem als Junger Dachs sein kann.

    „Ach was, grinste Tenella. „Was denkst du wohl, haben sie damals mit mir angestellt, als ich zu den Töchtern der Luft kam?

    Tenella hatte ganze Arbeit geleistet, als Ask wenig später im Licht der Morgensonne ins Dorf zurückkehrte. Die Kinder der Waldwohner wichen achtungsvoll vor ihm zurück, und in Rowans Augen glaubte er tatsächlich, so etwas wie Stolz auf den älteren Bruder aufblitzen zu sehen.

    Toxaris, der Häuptling des Dorfes, blickte ihm ernst entgegen, als der junge Mann am dünnen Knotenseil ins Baumhaus geklettert kam. Der Jäger hockte gelassen im Eingang der Hütte und schmauchte genüsslich sein Sitang-Pfeifchen. Mit einer einladenden Handbewegung wies er dem Sohn den Platz neben sich zu.

    Ask sank schweigend auf die polierten Buchenplanken nieder und hoffte

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