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Die Legenden der Spiralwelten - Die obere Spirale
Die Legenden der Spiralwelten - Die obere Spirale
Die Legenden der Spiralwelten - Die obere Spirale
eBook454 Seiten5 Stunden

Die Legenden der Spiralwelten - Die obere Spirale

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Über dieses E-Book

Die Einheit der Spiralwelten ist in ein Mosaik von Splittern zerbrochen und dunkle Mächte sind im Vormarsch. Legenden weissagen deren Schicksal. Fremde Mächte teleportieren die Geschwister Daria und Micha, die ihre verschollenen Eltern suchen, auf die obere Spirale. Dort erwarten sie Einhörner, Drachen, Vogelmenschen, Runen, Zwerge und ein sprechendes Buch. Aber das Labyrinth, das der dunkle Herrscher spinnt, kennt keine Gnade.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum30. Okt. 2014
ISBN9783737513715
Die Legenden der Spiralwelten - Die obere Spirale

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    Buchvorschau

    Die Legenden der Spiralwelten - Die obere Spirale - Kim S. Talejoy

    Kim S. Talejoy

    Die Legenden der Spiralwelten - Die obere Spirale

    Roman

    Impressum

    ISBN 978-3-7375-1371-5

    © 2014 by Kim S. Talejoy

    www.kimtalejoy.com

    Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Cover: © Kim S. Talejoy

    Lektorat und Herstellung: Kim S. Talejoy

    epub Gestaltung: Albert Ringhofer jr.

    Alle Rechte vorbehalten.

    Sämtliche Dokumente in digitaler und gedruckter Form unterliegen dem Urheberrecht. Für deren Richtigkeit und Aktualität übernehmen wir keine Haftung. Kein Teil dieser Publikation darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, verbreitet oder in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, einschließlich Fotokopien, Tonaufnahmen oder anderen elektronischen oder mechanischen Verfahren übertragen werden.

    Widmung

    Dieses Buch ist

    all jenen gewidmet,

    die das Unmögliche

    für möglich halten

    Danksagung

    Ich danke meiner Familie, meinem Mann Gerhard und meinen Töchtern Kornelia und Katarina, ohne deren Unterstützung und konstruktive Kritik ich meinen Wunsch, dieses Buch zu schreiben, niemals verwirklicht hätte. Die langen Gespräche mit ihnen haben meine Ideen und meine kreative Ader maßgeblich angestachelt.

    Weiters gilt mein besonderer Dank meinen Testlesern, Kornelia, Karin, Helga, Eva Maria, Luzia und Beatrix, die mich durch ihre hervorragenden Korrekturen weiter getrieben und motiviert haben.

    Ein ganz großes Dankeschön auch an meinen Computerspezialisten Albert, der mit seinen hervorragenden Kenntnissen diesem digitalen Werk sein Aussehen verliehen hat.

    Ganz besonders möchte ich mich bei meinen jugendlichen Testlesern, Theresa, Hannah, Stephanie und Katharina bedanken, die ihre wertvollen Ferien geopfert haben, um mein Werk voran zu treiben.

    Inhaltsverzeichnis

    Impressum

    Widmung

    Danksagung

    Who is who

    Mittlere Spirale (Erde)

    Obere Spirale (Buntopia)

    Prolog

    Das fremde Leben

    Aufbruch

    Bei den Guildhar

    Die Zeit ist reif

    Flügel des Vergessens

    Magische Ängste

    Drachenzungen

    Tarnflügel

    Im Reich der Magie

    Xalhor gegen Iletir

    Bei den Veculaten

    Das Volk der Batoniden

    Mutprobe mit Folgen

    Bei den Skratoren

    Das Geheimnis der Skratoren

    Ort der Veränderung

    Magische Flucht

    Bei den Cormaten

    Unerwartete Hilfe

    Ragmal mischt mit

    Die Entscheidung

    Die Legende

    Damata und Zoe

    Der silberne Schlüssel

    Zu diesem Buch

    Über die Autorin

    uebersichtskarte

    Who is who

    Mittlere Spirale (Erde)

    Daria

    Micha

    Samantha und Keter

    Arno und Hrüdiger

    Obere Spirale (Buntopia)

    Guildhar: Zunftköpfige

    Tangamen: Buntdrachen

    Floriaden: magische Blumen

    Equinien: Einhörner

    Veculaten: Vogelmenschen

    Batoniden: Fischartige

    Skratoren: Gnomtrolle

    Cormaten: Basilisken

    Pleonatoren: Schwarzdrachen

    Kuduceren: schwarze Einhörner

    Lacariaden: Buntköpfige

    IRGENDWANN

    IM GOLDENEN ZEITALTER,

    VOR LANGER,

    LANGER ZEIT

    Prolog

    Bunter Nebel füllte die Täler und Schluchten Buntopias. Die Gipfel des weißen Gebirges ragten stolz in die farbigen Wolken und reckten sich der untergehenden Sonne entgegen.

    »Wieder ist ein Spiralumlauf in dieser elenden Hitze geschafft«, grummelte Agor‘A, ein Zwerg aus dem Clan der Meißelschwinger, missmutig vor sich hin und kletterte in eine orangegrüne Kugel. Seine Augen brannten und tränten. Erschöpft fiel er auf einen lilafarbenen Hocker und schob seine Mütze aus der Stirn. Wie alle Zwerge hasste auch Agor‘A das gleißende Sonnenlicht, aber dem Auftrag des Batonidenkönigs hatte er nicht widerstehen können. Er, Agor‘A, war dazu auserkoren, das Wahrzeichen der Fischartigen zu erschaffen!

    Begeistert hatte er den Auftrag angenommen, aber die ganze Sache hatte einen Haken: Agor‘A musste sein Werk an der Oberfläche meißeln, Höhlen und Stollen gab es bei den Batoniden nicht. Schon oft hatte Agor‘A seine Entscheidung bereut, denn seit vielen Spiralumläufen brannte die Sonne erbarmungslos auf seine höhlengegerbte Haut, saugte sich Schweiß in seine Mütze und tropfte zwischen den langen Barthaaren auf die knöchelhohen Schuhe. Ein dünner Salzrand verunstaltete seine Zipfelmütze und seine Stiefel. Unwirsch schüttelte Agor'A seinen Kopf; diese Kleidung war eines Zwerges unwürdig!

    »Wie wird das Medaillon wohl unter Wasser aussehen? Vielleicht sind die Spiralen zu schwach gemeißelt, vielleicht habe ich etwas vergessen? Ist die Statue wirklich perfekt?«, wirbelten die Gedanken in seinem Kopf. Ein tiefer Seufzer schlüpfte aus seiner Kehle. Agor‘A freute sich nun auf sein gemütliches Zuhause, tief verborgen in einem kühlen dämmrigen Stollen.

    Schwaches Zittern erfasste die Kugel. Die Wände pulsierten und flimmerten, der Boden wölbte sich unter Agor‘As Füßen und löste sich auf. Ein bunter Plasmastrahl erfasste den Zwerg. Er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und stemmte seine Beine gemütlich ins Nichts. Dann raste er, eingehüllt in einem regenbogenfarbigen Plasmastrahl, los in Richtung untere Spirale.

    »Bald bin ich daheim«, gähnte Agor‘A erschöpft, schloss seine Augen und genoss die steife Brise des Fahrtwindes, die sein verschwitztes Gesicht kühlte und den widerlichen Geruch von Sonnenlicht vertrieb. Ein zufriedenes Lächeln glitzerte unter seinem dichten Bart. Bald drang zufriedenes Grunzen aus seiner Kehle. Der Zwerg döste.

    Lautes Flügelschlagen unterbrach Agor'As Nickerchen. Zwei Drachen, ein obsidianschwarzer und ein in allen Farben schillernder, waren im Anflug.

    »Habt ihr euer Werk auch schon vollbracht?«, rief Agor‘A den beiden zu und gähnte herzhaft.

    »Klar doch! Wir sind immer fleißig«, neckte der schwarze Drache den Zwerg, dessen Zipfelmütze schlaff herunterhing. »Du bist wohl genauso müde wie deine Mütze, Agor‘A?«

    »Die Sonne und die Hitze auf Buntopia machen mich fix und fertig!«, brummelte der Zwerg vor sich hin und gähnte nochmals.

    »Wir sind auch froh, wenn das Labyrinth endlich fertig wird. Morgen ist es soweit. Ein paar Felsbrocken fehlen noch, aber dann ist es geschafft!«

    »Ein Labyrinth? Was für ein Labyrinth?«, fragte Agor‘A und spitzte seine Ohren. Seine Müdigkeit war schlagartig verflogen. Neugierig reckte sich die Quaste seiner Mütze den beiden Drachen entgegen.

    »Typisch Agor'A aus dem Clan der Meißelschwinger«, ätzte der Schwarzdrache belustigt. »Wenn ihr einen Meißel und einen Stein in der Hand habt, hört und seht ihr gar nichts. Seit mehreren Monaten schuften die Batoniden an ihrer Verteidigungsanlage, dem Unterwasserlabyrinth. Die besten Ingenieure der Fischartigen haben sich über das Aussehen und die Größe ihre Köpfe zerbrochen. Und deine Statue, Agor‘A , wird die Krönung!«

    »Eine Verteidigungsanlage? Die Fischartigen leben im Wasser, wozu brauchen sie eine Verteidigungsanlage? Keiner von uns, und wir Zwerge schon gar nicht, kommen ihnen in den abscheulichen Fluten zu nahe!«

    »Stimmt, Agor‘A. Aber man munkelt, dass der Batonidenkönig einen Traum hatte. In diesem Traum ist ihm der dunkle Herrscher erschienen.«

    »Der dunkle Herrscher? Den gibt‘s doch gar nicht!«, knurrte Agor'A unwirsch und schüttelte den Kopf. »Das sind alles nur Legenden und Mythen! Seit Jahrhunderten leben die Völker unserer Spiralen in Frieden; viele auf der oberen, wie ihr Drachen und die Einhörner. Auf der mittleren sind die Lebewesen, die sich Menschen nennen, zuhause und wir Zwerge auf der unteren Spirale. Die Äste der Lebensbäume sind eng miteinander verschlungen. So war es, so ist es und so wird es immer bleiben! Der König der Batoniden muss sich irren. Vielleicht hat er nur schlecht geträumt!«

    »Vielleicht aber auch nicht! Was passiert, wenn unsere Spiralen zerbrechen?«, warf der Buntdrache ängstlich ein.

    »Das ist unmöglich! Nichts und niemand kann die Einheit der drei Spiralen zerstören«, antwortete Agor'A ärgerlich. »So steht es im Codex geschrieben!«

    »Ein Wächterbatonide hat mir erzählt, dass der Codex ...!«

    »So einen Quatsch will ich gar nicht erst hören!«, unterbrach Agor‘A den Buntdrachen und schnaubte zornig. »Der Codex ist und bleibt Buntopias Gesetz! Und das ist unantastbar, selbst für den dunklen Herrscher.«

    Der Drache nickte zufrieden, kleine Flammenzungen tänzelten keck um seine Nüstern.

    »Morgen stellen wir das Labyrinth fertig und deine Statue wird die Krönung! Hat dein Sohn nicht morgen Geburtstag? Nimm doch Aga mit! Die Batoniden werden die Fertigstellung des Wasserirrgartens bestimmt groß feiern!«, rief der Schwarzdrache und schlug kräftig mit den Flügeln. Damit rauschten die beiden an Agor‘A vorbei.

    Agor'A schmunzelte. Morgen war tatsächlich Agas hundertster Geburtstag. Aus dem Kleinen war ein stattlicher junger Zwerg geworden, er war der ganze Stolz seines Vaters.

    Leise raschelten die Blätter von Omu und Umo. Das Geäst der beiden Lebensbäume trug die Worte der Drachen und des Zwergs tief in das Erdinnere.

    »Der Codex hält mich nicht auf. Nichts hält mich auf! Doch ich werde noch vorsichtiger sein«, murmelte die dunkle Gestalt und rüttelte an den Ketten. »Dieser elende Zauberer! Bestimmt hat er den Fischartigen die Befestigungsanlage eingeredet. Magier, unterschätze mich nicht, noch bin ich schwach, aber meine Kräfte kehren zurück!«

    IM HIER

    UND JETZT

    DIESE GESCHICHTE

    KÖNNTE 

    DURCHAUS WAHR SEIN

    Kapitel eins

    spirale

    Das fremde Leben

    Ihr könnt froh sein, dass euch euer Onkel aufgenommen hat, ihr undankbaren Bälger!«, schimpfte Frau Belheim, die Haushälterin, und riss die Tür des Kinderzimmers auf. »Widerwärtiges Gesindel, etwas Besseres haben eure Eltern euch wohl nicht beigebracht! Hier werden andere Seiten aufgezogen! Samantha, eure Mutter, hat immer geglaubt, sie sei etwas Besonderes und euer Vater, Keter, na ja, der hat wohl nicht anders können. Aber jetzt seid ihr hier! Herr Hrüdiger kann endlich vernünftige Menschen aus euch machen! Wird auch Zeit, immerhin seid ihr schon Teenager!«

    Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss.

    »Diese Jugend von heute!«, meckerte Frau Belheim weiter und stapfte davon. »Aus dem Mädchen wird nie etwas. Sie ist schon sechzehn und fürchtet sich vor allem! Und der Bursche: gerade mal zwei Jahre jünger als seine Schwester, aber immer oberschlau und weiß alles besser! Das gabs zu meiner Zeit nicht!«

    Darias Augen glitzerten zornig, leise Tränen rannen über ihre geröteten Wangen.

    »Sind wir wirklich so schrecklich?«, stammelte Daria tränenerstickt.

    »Sicher nicht! Der Hausdrachen mag uns eben nicht! Stimmt, du bist zwar älter, aber du hast vor allem Angst. Ist doch egal, solange ich bei dir bin, ich habe dich immer beschützt!«

    »Danke, Micha«, hauchte Daria und rieb ihren Arm. »Meine Schulter tut höllisch weh!« Ein heftiges Pochen und Pulsieren hob die zarte Haut ihrer Schulter. Es war, als wolle irgendetwas in ihr sich einen Weg nach außen bahnen.

    »Mum fehlt uns eben!«

    »Auch mein Arm ist so eigenartig heiß und geschwollen. Glaubst du, das ist jener Steinsplitter, den Mum manchmal erwähnt hat?«

    »Quatsch nicht so einen Unfug, Micha, magische Steine oder Splitter gibt es nicht!«

    »Aber Mum hat dir gegenüber doch öfters ...«

    »Ich will nichts davon hören!«, unterbrach Daria ihren Bruder unwirsch. »Mum und Dad sind verschwunden, wir sind Gefangene in diesem fürchterlichen Haus. Onkel Hrüdiger ist ein Kotzbrocken und Frau Belheim ist um nichts besser! Lass mich in Ruhe!«

    Zornig fischte sie ihr einziges Andenken, Samanthas regenbogenfarbiges Medaillon, aus der Lade und warf sich auf ihr Bett. Mit Tränen in den Augen strich sie über den bunt schillernden Anhänger. Ihre Gedanken wanderten zu jenem unseligen Tag zurück, an dem das Unglück geschehen war.

    Micha hockte sich auf den Boden und vergrub sein Gesicht in den Händen. Auch er war verzweifelt und unglücklich.

    »Tut mir leid«, stammelte Daria entschuldigend und wischte ihre Tränen ab. »Aber ich denke oft an früher. Wir hatten so ein schönes Leben und waren glücklich. Mum wäre niemals mit uns so umgegangen wie diese eingebildete Kuh!«

    Daria hasste dieses Haus - es war fremd und unpersönlich. Die Eltern waren ein paar Wochen zuvor im Wald Holz fällen und wurden seither vermisst. Suchtrupps hatten sich aufgemacht, um Samantha und Keter zu finden, aber alle Bemühungen waren erfolglos. Die beiden waren wie vom Erdboden verschluckt. Seitdem lebten die Geschwister bei Onkel Hrüdiger. Er war unnahbar und streng, Widersprüche duldete er nicht. Bisher hatten Daria und Micha mit ihren Eltern in einem bescheidenen Häuschen gelebt; jetzt war alles anders. Onkel Hrüdiger logierte in einem kleinen Palast, den ganzen Tag wieselte Personal geschäftig umher und las ihnen jeden Wunsch von den Augen ab. Nur Frau Belheim, die Hausdame, war fies und kaltherzig und genauso widerlich wie Onkel Hrüdiger. Sie ließ keine Gelegenheit aus, um Daria und Micha unter die Nase zu reiben, dass sie Eindringlinge in ihrer heilen Welt waren.

    Die Geschwister hatten eigene Zimmer, die mehr als doppelt so groß wie ihre alten waren. Die Einrichtung war luxuriös, aber kalt und befremdlich. Verstohlen wischte sich Micha eine Träne ab, schnappte die Zeitung, die am Boden herumlag und blätterte lustlos darin. Ein kurzer Artikel erweckte sein Interesse.

    »Hier steht wieder etwas über ein verschwundenes Kind. Ein Junge, der in dieselbe Schule geht wie wir!«

    »Kinder verschwinden nicht einfach«, murmelte Daria. »Wahrscheinlich sind die Eltern irgendwohin gezogen.«

    »Das habe ich auch gedacht, aber gestern in der Schule habe ich ein Gespräch zwischen dem Sven und Emilia mitgehört. Es wird gemunkelt, dass immer wieder Kinder und auch Erwachsene verschwinden. Angeblich gibt es eine Maschine, die Menschen irgendwohin schickt.«

    »So ein Unsinn! Du willst mir doch nicht weismachen, dass du diesen ...«

    Lautes Donnergrollen unterbrach Daria. Der Himmel war schwarz. Ein Gewitter zog auf.

    Daria sprang auf und verriegelte das Fenster. Sie hasste Gewitter! Ein greller Blitz stach in die Wolken.

    »Ein Blitz hat in die Wolke eingeschlagen«, hauchte Daria dünn.

    »Unfug, Blitze zucken aus den Wolken und schlagen in Bäume ein. Du siehst wohl Gespenster!«

    »Schau doch, Micha, dort wo der Blitz in die Wolke eingeschlagen hat, schält sich ein schwarzes Etwas heraus!«

    Wulstige Klauen mit spitzen Krallen quollen aus dem geballten Nebelgrau. Das Zwitschern der Vögel erstarb, Tiere flüchteten in ihre Höhlen, stumm hingen die Äste der Bäume herab. Ein zweiter Blitz zuckte in der Nebelmasse, ein schwarzes Gesicht quoll hervor, leblose Augen irrten suchend in der Landschaft umher.

    Noch glitzerten vereinzelt, da wo die Helligkeit stärker als die Finsternis war, die Gipfel der Berge im Sonnenlicht – noch!

    Eine kurze Windböe trieb den dunklen Atem der schwarzen Nebelwand über die Bergspitzen, das Glänzen der Felsen erlosch. Gierig verschlang das Schwarz die Sonnenstrahlen, die Farben des Himmels erkalteten.

    Einer der Gipfel des nahen Bergmassivs, der Berg der Legenden, fauchte und stöhnte.

    Er öffnete seine Spitze. Gesteinsbrocken wirbelten wie kleine Papierkügelchen durch die Luft, ein Lichtstrahl bahnte sich einen Weg aus dem Inneren des Berges und raste auf die schwarze Gewitterwand zu. Die Wolken ballten sich zusammen, sie verdichteten sich zu einer festen Kugel. Die Fratze zeichnete sich in der dichten Masse nun deutlicher ab. Sie lachte hämisch, packte das Licht und schleuderte es in den Krater zurück. Der Berg brummte. Zornig spie er Brocken für Brocken in die Finsternis. Die Fratze grinste erneut, hob ihre Klauen und stieß die Felsen von sich. Der Berg der Legenden grollte, knirschend schoben sich die Felswände zusammen, dicke Rauchschwaden drangen aus dem Berginneren.

    »Micha, ich habe Angst! Was ist hier los?«, flüsterte Daria ängstlich und klammerte sich an ihren Bruder.

    »Keine Ahnung, du bist doch die große Schwester und solltest es wissen!«

    »Es sieht wie ein Vulkanausbruch aus, aber der Berg der Legenden ist kein Vulkan!«, flüsterte Daria geschockt.

    Plötzlich öffneten die Wolken ihre Schleusen. Sie erbrachen das Wasser, das sie auf ihrem langen Weg gesammelt hatten. Wind kam auf, orkanartige Böen trieben die Blätter des Laubwaldes wie Spielbälle vor sich her. Äste knickten wie Zündhölzer. Der Sturm rüttelte am Hausdach und beutelte die Fensterläden.

    Blätter und kleine Äste klatschten an die Fensterscheibe. Große Regentropfen trommelten gegen den Holzrahmen. Das Klopfen wurde lauter. Daria kniff die Augen zusammen und fixierte das Fenster. Da war etwas! Irgendetwas hämmerte gegen das Glas. Vorsichtig schob sie den Riegel zur Seite. Das Fenster sprang auf. Nasse Blätter schwebten ins Zimmer, es waren Blätter - eines Buches!

    Eine Seite nach der anderen landete auf der trockenen Bettdecke, zwei dicke Buchdeckel stießen an den Fensterrahmen und flogen unbeholfen auf Darias Polster.

    Die Seiten rückten zusammen, sie sortierten und schlichteten sich. Die Buchdeckel warteten geduldig, bis die Seiten zwischen ihnen verschwanden.

    »So ein Sauwetter«, schimpfte eine tiefe Stimme leise. »So eine schlechte Behandlung haben wir uns nicht verdient!«

    »Hat das Buch eben gesprochen?«, fragte Micha erstaunt.

    Weises Buch der Legenden‹ flammte in glühenden Buchstaben auf dem vorderen Deckel auf. Die spiralförmige Schrift drehte sich, zuerst langsam, dann immer schneller. Die Buchstaben flossen ineinander, ein buntes Medaillon wirbelte auf dem Einband umher.

    »Wow, das ist ja cool«, kommentierte Micha trocken und griff nach dem Buch. Unwirsch rümpfte das Buch sein braunes Leder und rückte weg.

    Daria starrte das Buch an.

    »Micha, siehst du das?«, fragte sie leise ohne ihren Blick von dem Buch zu wenden. »Schau, dieses Medaillon schaut genauso aus wie jenes Amulett, das Mum um ihren Hals trug. Glaubst du, das hat etwas zu bedeuten?«

    »Stimmt!«, murmelte Micha und streckte seine Hand nochmals aus. Doch wieder verzog sich der Buchdeckel ärgerlich und kroch langsam unter Darias Kopfkissen.

    »Lass deine schmutzigen Finger von mir«, meckerte das Buch verärgert. Hastig zog Micha seine Hand zurück.

    »Es kann tatsächlich sprechen!«, flüsterte Micha und stellte sich schützend vor seine Schwester. Wer wusste schon, was das Buch sonst noch alles konnte.

    »Versuch du es mal!«, forderte Micha seine Schwester auf.

    Daria streckte ihren rechten Arm aus. Ihre linke Schulter pulsierte heftig. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Arm bis in die Finger. Schmerzverzerrt zuckte sie zurück und fasste mit der rechten Hand auf die schmerzende Stelle. Langsam kam das Buch unter dem Polster hervor. Der Schmerz in ihrer Schulter ließ nach. Daria trat näher an ihr Bett und legte vorsichtig ihre rechte Hand auf den warmen braunen Ledereinband. Das Buch blieb liegen. Es schmiegte sich in ihre Hand. Behutsam fuhr das Mädchen über den Einband. Die Falten wurden glatter, der Einband wärmer. Daria setzte sich auf das Bett und nahm das Buch. Ein Gefühl von Wärme und Stärke durchflutete ihren Körper, ihre linke Schulter pulsierte heftig. Das Medaillon blitzte kurz auf, es drehte sich langsamer und versank im Einband. Behutsam öffnete Daria das Buch. Faltige Pergamentseiten kamen zum Vorschein.

    »Da steht ja gar nichts!«, stellte Micha unwirsch fest. »Dieses Buch ist kein Buch, es tut nur so!«

    Dünne Striche flackerten auf, das Blatt glättete sich und wurde weicher. Farben blitzten auf. Die Striche verschmolzen zu Figuren - ein Bild entstand!

    »Schau mal«, flüsterte Daria und deutete auf die Zeichnung, »sind das nicht wir?«

    Micha warf einen Blick auf die Seite. Tatsächlich, die Seite war nicht mehr leer, er sah zwei junge Menschen, ein Mädchen und einen Jungen, die wohl gewisse Ähnlichkeiten mit Daria und ihm hatten.

    »Blätter weiter«, forderte Micha seine Schwester auf, »ich will wissen, was da noch so alles in dem Buch ist.«

    »Glaubst du wirklich, dass wir das sind?«, fragte Daria und schüttelte den Kopf

    »Wie sollten wir in das Buch kommen?«

    »Klar seid ihr das, du Schlaumeier!«, meckerte die Stimme. »Wer außer euch sollte das sonst sein?«

    Daria fuhr zurück und sprang auf. Polternd landete das Buch auf dem Boden.

    »Das ist doch wirklich das Letzte! So eine Behandlung habe ich nicht verdient!«

    »Wer bist du und warum kannst du sprechen?«

    »Hast du geglaubt, ich bin stumm? Alle Bücher können sprechen, aber ihr Lebewesen der mittleren Spirale hört uns nie. Deshalb sind wir stumm.«

    »Ich bin kein Lebewesen der mittleren Spirale, ich bin ein Mensch und lebe auf der Erde. Ich bin Micha und das ist ...«

    »Ich weiß, wer du bist«, kicherte das Buch und klapperte belustigt mit dem Deckel, »aber ihr wisst nicht, wer ich bin!«

    »Sei doch nicht so unhöflich«, mischte sich eine zweite Stimme ein. »Die Menschenkinder haben noch nie ein sprechendes Buch gesehen!«

    »Manchmal vergesse ich, wo ich bin, tut mir leid! Ich bin Riada, das weise Buch der Legenden aus dem goldenen Zeitalter.«

    »Und wer war die zweite Stimme?«

    »Ähm, nun ja, ihr würdet es als Gewissen bezeichnen. Aber mein Gewissen, meldet sich nur selten, fast nie.

    Nun zu euch: ihr lebt auf der Erde, aber für mich ist es nicht die Erde, sondern die mittlere Spirale. Irgendwann werdet ihr beiden es verstehen. Ich bin jedenfalls froh, dass ich heute mein Versteck verlassen durfte, in dem ich so lange gefangen war. Es war zwar ganz nett im Berg der Legenden, aber frische Luft glättet meine Falten. Ich bin froh, bei euch zu sein. Ach ja, ich habe eure Unterhaltung mit angehört, als ich hierher geflogen bin. Es kann schon vorkommen, dass Menschen einfach verschwinden.«

    »Wie bitte? Du hast unsere Unterhaltung mitgehört? Und Menschen können so einfach verschwinden? Das glauben wir dir nicht!«

    »Dann passt mal auf!«

    Riada öffnete sich. Micha rückte näher zu seiner Schwester.

    »Wow, hier sind eigenartige Lebewesen. Wesen, die ich nur aus Sagen und Märchen kenne!«, staunte Daria und blätterte um. Sie sahen hauptsächlich Zeichnungen, Bilder von Fabelwesen wie Drachen und Vogelmenschen. Irgendwo stieß Micha auf einen Basilisken, der zwischen kleinen Wesen, einer Mischung aus Gnomen und Trollen, stand.

    »Siehst du, hier auf der ersten Seite sind noch immer dieselben zwei Bilder, die uns ähnlich sind. Was hat es damit auf sich?«, fragte Daria und fasste an ihre Schulter, die wieder zu rumoren begann.

    »Hier, ganz unten stehen zwei Wörter ›Teleportation‹ und ›Plasmakapsel‹.«

    Michas Neugierde war geweckt.

    »Es muss einen Grund haben, dass Riada zu uns gekommen ist. In irgendeinem Film habe ich schon mal das Wort ›Teleportation‹ oder so ähnlich gehört. Vielleicht verschwinden doch Menschen, vielleicht gibt es doch diese geheimnisvolle Maschine?«

    »Micha, red nicht so einen Unsinn! Das kommt davon, weil du dir jeden Schund im Fernsehen ansiehst!«, ätzte Daria und boxte ihrem Bruder auf den Oberarm.

    »Aber Riada hat doch gesagt, dass Menschen einfach so verschwinden können. Riada, sind die Kinder wirklich verschwunden?«, fragte Micha und lauschte angestrengt.

    Das Buch gab keine Antwort, es blieb stumm.

    »Sag uns, was es mit Teleportation und Plasmakapsel auf sich hat!«

    Riada antwortete wieder nicht.

    »Eigensinniges Ding!«, schimpfte Micha und nahm wieder die Zeitung zur Hand. Wenn das Buch nicht reden wollte, dann eben nicht!

    Es klopfte an der Tür. Riada verschwand unter dem Bett.

    »Kommt ja nicht auf die Idee, irgendjemandem von mir zu erzählen!«, hämmerte es in Darias und Michas Kopf. Riada war in die Gedanken der beiden eingedrungen und schärfte ihnen diese Warnung ein.

    »Und was, wenn wir es doch tun?«, fragte Micha leise.

    »Dann ist alles verloren. Alles, was euch lieb und teuer ist!«

    »Hallo Kinder, darf ich reinkommen?« Onkel Arno stand im Türrahmen. Er stützte sich auf einen schwarzen Stock mit einer Metallkappe. Sein ausgeleierter Mantel hing bis zum Boden, ein großer Buckel verunstaltete Arnos schmächtige Gestalt. Arno, Hrüdigers Bruder, hatte es nie zu etwas gebracht. Er lebte in sehr armen Verhältnissen, manchmal hatte er nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Aber er war immer freundlich und nett. Liebevoll nahm er seine Nichte in den Arm.

    »Wie habt ihr euch bei Hrüdiger eingelebt?«

    »Nicht so toll, das Haus ist riesengroß, es fehlt uns eigentlich an nichts, aber Onkel Hrüdiger lebt so ganz anders, als wir es gewohnt sind.«

    »Onkel Arno, hast du schon gelesen? Angeblich sind wieder Menschen verschwunden!«

    Arno riss die Zeitung an sich und las den kurzen Artikel mit versteinerter Miene.

    »So ein Quatsch«, schimpfte Arno zornig, warf die Zeitung auf Darias Bett und stürmte aus dem Zimmer.

    Daria schloss leise die Tür.

    »Was war das jetzt?«

    Sie hörten Stimmen aus dem Erdgeschoß. Arno und Hrüdiger diskutierten lautstark. Daria und Micha drückten ihre Ohren an die Tür.

    »... glaubst du wirklich, dass alles geheim bleiben kann, wenn man in den Medien darüber munkelt, dass Menschen verschwinden?«

    Jetzt war Michas und Darias Interesse endgültig geweckt.

    »... Samantha und Keter ... nicht vermisst ... in Buntopia ... immer werden deine Dämpfe nichts nützen!«

    Samantha, Keter, nicht vermisst, Buntopia, Dämpfe - welche Dämpfe, und was hatten ihre Eltern damit zu tun? Micha zog sein Lexikon aus dem Rucksack. Vielleicht fand er etwas über Buntopia. Schwacher, fast unsichtbarer Dunst, stieg aus dem Nachschlagewerk auf und drang in Michas Nase und Ohren. Seine Augen veränderten sich, seine Pupillen wurden weit, fast starr, die Iris glänzte tiefschwarz. Der Junge starrte ins Nichts.

    »Micha, was ist los mit dir?«, rüttelte Daria ihren Bruder und drückte ihn auf einen Stuhl.

    »Ich weiß nicht, alles ist irgendwie eigenartig. Ich fühle mich benebelt, ich kann nicht wirklich klar sehen, aber ich weiß, dass wir heute Nacht unsere Chance bekommen.«

    »Welche Chance? Wovon sprichst du?«

    »Hast du gehört, unsere Eltern werden nicht vermisst! Sie leben irgendwo anders, nämlich auf Buntopia! Schlag das Buch auf«, befahl Micha seiner Schwester und starrte weiter ins Nichts. Daria zog Riada unter dem Bett hervor. Das weise Buch der Legenden öffnete sich von selbst. Wortlos setzte sich Daria neben ihren Bruder. Mit starrem Blick, ohne auf die Bilder zu schauen, deutete Micha auf die einzelnen Zeichnungen.

    »Es gibt eine Maschine, die Menschen nach Buntopia teleportiert. Wir müssen dorthin, wir müssen nach Buntopia, wir müssen unsere Eltern retten!«

    Der Glanz aus Michas Augen verschwand. Er schüttelte sich.

    »Micha, was war los mit dir? Was ist Buntopia, und was ist mit unseren Eltern?«

    »Ich habe keine Ahnung, was mit mir geschehen ist. Ich weiß nur, dass wir irgendetwas machen müssen.« Schmerzverzerrt rieb er an seinem Unterarm, auch Darias Schulter hämmerte wild.

    » ... sonst wirst du deine Frau nie wiedersehen ...«, hörten Daria und Micha neue Wortfetzen von Onkel Arno und Hrüdiger.

    Welche Frau? Die beiden verstanden gar nichts mehr.

    »Micha, ich habe Angst«, flüsterte Daria und schmiegte sich an ihren Bruder.

    »Lass uns alles genau überdenken. Vielleicht hilft uns Riada.«

    »Ich helfe euch immer, ihr müsst mir vertrauen, auch wenn ihr so manches noch nicht versteht«, meldete sich Riada zu Wort. »Es ist meine Aufgabe, euch, das Geschwisterpaar, zu unterstützen! Darauf habe ich lange im Berg der Legenden gewartet!«

    Zwei Bilder flammten auf. Das erste Bild zeigte zwei Trauerweiden, eine wuchs vom Boden in den Himmel, die andere vom Himmel in den Boden. Die Äste und Zweige waren ineinander verschlungen; es gab keinen Anfang und kein Ende. Dieselben Trauerweiden zuckten auf dem zweiten Bild auf; aber diesmal waren ihre Äste auseinander gerissen, die Blätter schwarz, teilweise vertrocknet. Eine Träne quoll aus der Buchseite und rann über die getrennten Trauerweiden. Die Bilder verschwanden.

    »Noch versteht ihr den Sinn nicht«, flüsterte Riada traurig, »aber von euch beiden hängt alles ab. Das ist euer Schicksal, eure Mission!«

    »Mission? Welche Mission?«

    »Nur so eine Redensart«, antwortete Riada. »Schau dir lieber die Bilder an!«

    Micha studierte die Zeichnungen, die auf Riadas Blättern entstanden.

    »Schau, Daria, das sind wir beide. Wir steigen in eine Kapsel - siehst du dieses Bild hier? Irgendwo landen wir. Wir müssen gegen Drachen und Basilisken kämpfen. Siehst du, wie du dich gegen dieses Ungeheuer stellst?«

    »Ich kann nicht kämpfen. Ich kann auch nicht in einer Kapsel fliegen. Du weißt doch, ich mag es gar nicht, wenn es eng und schmal um mich ist, wenn ich keinen Platz habe!«

    »Heute Nacht werden wir die geheime Maschine suchen!«

    » ... im Labor im Keller, wo denn sonst ...«, hörte Micha Hrüdigers harte Worte.

    »Vielleicht steht diese Maschine in einem Labor im Keller!«, grinste Micha aufgeregt und klopfte seiner Schwester auf die Schulter. »Heute Nacht suchen wir das Labor!«

    Stockend langsam, fast lähmend rückten die Zeiger der Uhr vorwärts. Nervös ruckelte Micha auf seinem Stuhl hin und her. Das Abendessen verlief quälend wie immer. Onkel Hrüdiger war fies und gemein – ein richtiger Kotzbrocken!

    »... und im Übrigen erwarte ich mir, dass ihr euch immer wie Erwachsene benehmt. Euer Jugendkram interessiert mich nicht!«, bellte Hrüdiger und würgte den letzten Bissen hinunter.

    »Onkel Hrüdiger, warum bist du Lehrer geworden? Du kannst Kinder und Jugendliche nicht ausstehen!«, platzte Micha wütend heraus und legte klirrend seine Gabel auf den Teller.

    Hrüdiger kniff seine Augen zu Schlitzen zusammen, Zornesröte färbte seine Wangen.

    »Micha, ich glaube, dass uns das nicht zu interessieren hat. Wir können froh sein, dass uns Onkel Hrüdiger ein Dach über dem Kopf angeboten hat«, versuchte Daria die Situation zu retten. »Vielen Dank für das wunderbare Mahl! Komm Micha, wir gehen. Gute Nacht, lieber Onkel!«

    Widerstrebend erhob sich Micha. Eigentlich hätte er noch gerne auf eine Antwort gewartet, aber wahrscheinlich war Darias Entscheidung, das Speisezimmer zu verlassen, klüger.

    Wortlos nickte Hrüdiger und die beiden verschwanden.

    »Blödmann!«, schalt Daria ihren Bruder. »Du weißt, dass Hrüdiger eigenartig ist. Du musst lernen, deinen Mund nicht immer nur aufzureißen. Manchmal muss man auch klein beigeben. Willst du alles versauen? Willst du heute nicht mehr das Labor suchen?«

    »Du hast ja Recht! Ich bin schon so aufgeregt!«, antwortete Micha kleinlaut und ließ seinen Kopf hängen.

    »Ich auch, aber wir müssen warten, bis alle schlafen. Wenn uns irgendjemand erwischt, sind wir geliefert!«

    »Wann ist es denn endlich soweit?«, murmelte Micha nervös und hypnotisierte die Zeiger seiner Uhr. Aber diese krochen nur im Schneckentempo vorwärts.

    »Blöde Dinger!«, grummelte er weiter und wäre am liebsten sofort los gesprintet, um das Labor und die geheimnisvolle Maschine zu suchen.

    Die Sterne und der Mond glitzerten vom Himmel, es war eine klare Nacht. Daria blätterte nach wie vor in ihrem geheimnisvollen Buch und betrachtete jedes einzelne Bild.

    Im Haus war es ruhig geworden, nichts war mehr zu hören.

    »Ein paar Minuten noch, dann können wir los«, sagte Daria leise und klappte Riada zu.

    Das Buch wurde kleiner und kleiner, es schrumpfte auf die Größe eines zusammengefalteten Papiertaschentuchs und verschwand in Darias Hosentasche.

    Die Geschwister streiften einen dünnen Pullover über, schlüpften in ihre Sneakers und öffneten die Tür.

    Das schwache Licht einer Wandlampe erhellte den Flur. Leise schlichen sie zur Treppe, die ins Erdgeschoß führte. Als Micha auf die zweite Stufe trat, knarrte sie laut und plötzlich sank die Treppe ein. Ächzen drang aus dem Keller nach oben und erfasste alle Stufen. Die Treppe wackelte, das Ächzen wurde lauter.

    Eine unsichtbare Kraft zog die Stufe, auf der Micha stand, in die Tiefe. Er krallte sich am Treppengeländer fest, er schwankte und wackelte. Die Stiege pulsierte, ihre Stufen verschmolzen ineinander. Dunkler Nebel quoll aus den Ritzen und umhüllte Micha. Versteinert stand Daria auf der obersten Stufe. Der Geruch von warmen, modrigem Holz vermischte sich mit dem fauligen Gestank des schwarzen Nebels. Die Treppe wurde weich, sie flimmerte, löste sich auf, nur ihre Umrisse wankten schemenhaft. Leise schob sich

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