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MORD AM STACHUS - EIN KRIMINAL-ROMAN AUS MÜNCHEN
MORD AM STACHUS - EIN KRIMINAL-ROMAN AUS MÜNCHEN
MORD AM STACHUS - EIN KRIMINAL-ROMAN AUS MÜNCHEN
eBook265 Seiten3 Stunden

MORD AM STACHUS - EIN KRIMINAL-ROMAN AUS MÜNCHEN

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Über dieses E-Book

Viel Tröstliches in Bezug auf meinen Mandanten konnte ich nicht entdecken.

Nach den Ermittlungen der Polizei war die Tat etwa gegen fünf Uhr abends verübt worden. Dellborg war in seinem Büro durch einen Schuss aus nächster Entfernung niedergestreckt worden. Die Kugel musste fast augenblicklich den Tod herbeigeführt haben. Nach dem Plan, den ich bei der Akte fand, lagen die Verwaltungsbüros von Dellborg und Schimmer auf der einen Seite eines langen Ganges im 6. Stock eines modernen Hochhauses, das Dutzende von Büros und Privaträumen enthielt. Gegenüber den Büros der Immobilienfirma gab es einige Türen, die zu den Toiletten und Waschräumen sowie zu zwei kleinen Apartments führten, die von einem gewissen Andrew Nosakoff, einem russischen Emigranten, und einem Arzt namens Pulter bewohnt wurden...

 

Der Roman Mord am Stachus von Harry Genter erschien erstmals im Jahr 1967 und wurde mit dem Edgar-Wallace-Preis ausgezeichnet.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum14. Feb. 2023
ISBN9783755432401
MORD AM STACHUS - EIN KRIMINAL-ROMAN AUS MÜNCHEN

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    Buchvorschau

    MORD AM STACHUS - EIN KRIMINAL-ROMAN AUS MÜNCHEN - Harry Genter

    Das Buch

    Viel Tröstliches in Bezug auf meinen Mandanten konnte ich nicht entdecken.

    Nach den Ermittlungen der Polizei war die Tat etwa gegen fünf Uhr abends verübt worden. Dellborg war in seinem Büro durch einen Schuss aus nächster Entfernung niedergestreckt worden. Die Kugel musste fast augenblicklich den Tod herbeigeführt haben. Nach dem Plan, den ich bei der Akte fand, lagen die Verwaltungsbüros von Dellborg und Schimmer auf der einen Seite eines langen Ganges im 6. Stock eines modernen Hochhauses, das Dutzende von Büros und Privaträumen enthielt. Gegenüber den Büros der Immobilienfirma gab es einige Türen, die zu den Toiletten und Waschräumen sowie zu zwei kleinen Apartments führten, die von einem gewissen Andrew Nosakoff, einem russischen Emigranten, und einem Arzt namens Pulter bewohnt wurden...

    Der Roman Mord am Stachus von Harry Genter erschien erstmals im Jahr 1967 und wurde mit dem Edgar-Wallace-Preis ausgezeichnet.

    Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur .

    MORD AM STACHUS

    Erstes Kapitel 

    »Ich nehme noch eine Karte«, sagte ich entschlossen.

    Daniela Weyring schien meine Verbissenheit zu bemerken. Sie lächelte mir freundlich zu und schob mir mit ihrer sorgfältig manikürten Hand die oberste Karte des Päckchens zu. Mit einer hastigen Handbewegung wendete ich das Blatt.

    Herz sieben!

    Resigniert warf ich den ganzen Kartenhaufen auf den Tisch. Ich war Zeit meines Lebens kein allzu flinker Rechner gewesen. Doch dass die lausige Sieben, die ich eben von Dany erhalten hatte, zusammen mit den Karten in meiner Linken mehr als einundzwanzig ausmachten, konnte auch ich mir mühelos zusammenaddieren. Ich hatte wieder verloren.

    »Wollen wir weiterspielen oder möchten Sie lieber aufhören?«, fragte das Mädchen. Ich bemühte mich, kühl zu bleiben.

    »Wieviel schulde ich Ihnen eigentlich, Kindchen?«

    »Gestern Nachmittag waren es sieben Mark achtzig. Heute...«, sie addierte flink die Zahlen auf ihrem Block, »...zwölf Mark und einige Pfennige. Und natürlich...«

    »Ja, ich weiß.«

    Bei dem Gedanken an die für meine gegenwärtigen Verhältnisse astronomische Zahl, welche Danielas Gehalt für die verflossenen vier Wochen ausmachte, musste sich mein Gesichtsausdruck unwillkürlich verändert haben, denn Fräulein Weyring sagte vorwurfsvoll: »Aber ich habe Sie doch in keiner Weise gedrängt, Herr Garner. Wirklich, ich weiß doch...«

    Natürlich – sie wusste.

    An und für sich ist es gewiss eine recht ungewöhnliche Situation, wenn ein ehrenwerter junger Anwalt mit seiner tüchtigen und vor allem ausnehmend hübschen Sekretärin am helllichten Nachmittag Siebzehn und Vier spielt. Dass es trotzdem so weit gekommen war, hatte viele Gründe, vor allem aber zwei: Wir hatten Zeit, unendlich viel Zeit. Und außerdem hoffte ich, auf diese Weise von meinem hohen Schuldenstand einige Mark abbuchen zu können. Allerdings hatte ich nicht mit Danys sagenhaftem Glück im Spiel gerechnet...

    Ich saß in meinem wenig repräsentativen Büro im dritten Stock eines wenig repräsentativen Hauses in einer wenig repräsentativen Straße, die zudem weit vom Justizpalast entfernt lag – und wartete. Aber leider gab es in dieser miesen Gegend wenige Leute, die als Klienten in Frage gekommen wären. Wenn ich in dem düsteren Zimmer umher sah, das mir und meiner Sekretärin als Büro diente, konnte ich es den Leuten gar nicht einmal verdenken, dass sie den Gedanken, Rechtsanwalt Robert Garner, neunundzwanzig Jahre alt, eins-achtzig groß, in Rechtsfragen zu konsultieren, schon im Treppenhaus aufgaben.

    Dabei hatte ich auf Grund meines Studiums und meiner Zulassung das Recht, jedermann vor den Gerichten der schönen Stadt München zu vertreten – aber offenbar machte niemand von dieser Möglichkeit Gebrauch. Mein letzter Klient war ein mürrischer Ausländer gewesen, der ein paar Ecken weiter einen gut florierenden Schnapsausschank betrieb. Seine Frage, wie oft seine Frau zu verprügeln ihm das hiesige Gesetz gestatte, konnte ich vermutlich nicht so beantworten, wie er sich das erhofft hatte. Als ich für eine eingehende, geduldige Beratung von etwa zwei Stunden – ich erwähnte bereits, dass ich über Zeit in Überfluss verfügte – zwanzig Mark von ihm wollte, bekam er einen Tobsuchtsanfall und teilte mir gehässig mit, dass er bei diesen Preisen in Zukunft davon Abstand nehmen werde, seine Frau zu verhauen. So sehr ich mich über meinen Beitrag zum künftigen Eheglück des Mannes freute, war ich mir darüber im Klaren, dass mich dieses erhebende moralische Gefühl keine zehn Minuten lang sättigen würde. Nach einer energischen Aufforderung durch Dany zahlte er endlich verdrossen acht Mark, wobei er mir zugleich anheimstellte, seine Bar künftig zu meiden. Ich war nicht beleidigt, nahm das Geld und rächte mich mit der leicht hingeworfenen Bemerkung, mein Gesundheitszustand verbiete mir ohnehin den weiteren Besuch seines Raritätenkabinetts, da mir mein Arzt die Einnahme flüssiger Gifte ausdrücklich untersagt habe. Nach einem unheildrohenden Blick auf mich und einer schnellen, wenngleich gründlichen Musterung von Danielas beachtlicher Figur schmiss der ergrimmte Klient die Tür hinter sich zu – ich hatte wieder einen Kunden weniger. Das war am Montag passiert. Heute war Freitag. In der Zwischenzeit war niemand, aber auch gar niemand hier gewesen. In Anbetracht dessen, dass ich von meinem Job eigentlich leben wollte, war dies ein Zustand, der einem auf die Nerven gehen konnte.

    Der einzige Lichtblick in meiner Misere war meine Sekretärin. Die Vorstellung, statt dieses entzückenden Geschöpfs in kurzer Zeit vielleicht nur mehr die leeren Aktenregale gegenüber anstarren zu müssen, flößte mir gelindes Grauen ein.

    Ich hatte meinen Beruf mit Illusionen begonnen. Immerhin, Illusionen sind das Vorrecht der Jugend. Und ich war damals sehr jung. Damals – als ich meinen Vater mit der Mitteilung überraschte, ich wolle studieren. Mein alter Herr hatte zu dieser Zeit einen – nun, heute würde man sagen: ambulanten Handel. Er zog die Woche über mit allerlei Krimskrams über das Land. Wenn er pro Tag drei Mark verdiente, war er Ende der Woche gut aufgelegt, und die Familie lebte in Luxus.

    Mein seinerzeitiger Wunsch bewegte Vater nur sehr wenig. Normalerweise hätte er mir wahrscheinlich stillschweigend eine Ohrfeige gegeben, aber gerade in diesem Augenblick kam eine Nachbarin zu uns in die Wohnung, um drei Meter Gummiband zu kaufen. Das Geschäft lenkte Vater ab und erst, nachdem er seine Kundin freundlich verabschiedet hatte – damals wurde Kundenpflege noch großgeschrieben –, brummte er, offenbar mehr belustigt als ergrimmt: »Studium? Ach nein! Würde dir Cambridge genügen? Oder soll’s was Besseres sein?«

    Ich konnte mir unter Cambridge nichts vorstellen und deshalb verpuffte Vaters feiner Sarkasmus. Ich wusste allerdings, dass es nur besser sein konnte als die dunkle Ein-Zimmer-Wohnung, in der ich aufwuchs – und jedenfalls unendlich besser als die Aussicht, später vielleicht ebenfalls einmal wie Vater loszuziehen und auf dem flachen Land mit Hosenträgern zu hausieren. Wenn ich allerdings meine gegenwärtige Situation betrachtete, konnte ich gewisse Zweifel nur mit Mühe unterdrücken...

    Nun, trotz der Skepsis meines Vaters schaffte ich mein Studium. Ich musste zwar nebenbei hart arbeiten, aber das war mir nichts Neues. Abends spielte ich damals außerdem in einer Tanzkapelle und lernte auf diese Weise eine Reihe skurriler Schwabinger Clubs von innen kennen, was meinen soziologischen Kenntnissen ungemein zustattenkam.

    Ich wollte partout Anwalt werden.

    Freilich waren meine Vorstellungen von der Anwaltschaft weitgehend durch das Bild einiger Staranwälte geprägt, deren sensationelle Prozesse ich als Junge mit Interesse und Begeisterung in den Zeitungen verfolgt hatte. Ein behagliches, eichengetäfeltes Büro in der Innenstadt, eine Sprechanlage, die mich mit meiner Sekretärin verband, im Wartezimmer die ungeduldig meines Rates harrenden Klienten...

    Die Praxis sah dann freilich anders aus. Die Tatsache, dass eine neue Leuchte der Rechtspflege in München amtierte, musste sich in einschlägigen Kreisen noch nicht so recht herumgesprochen haben.

    Trotzdem warf ich die Flinte nicht ins Korn. Im Gegenteil, in einem Anfall von Größenwahn engagierte ich Daniela Weyring. Sie war eine ausnehmend tüchtige Sekretärin, obschon ich gestehe, dass ich bei ihrer Einstellung mehr auf ihre attraktiven Beine als auf ihre Zeugnisse gesehen hatte. Aber trotz meiner reizenden Schreibkraft besserte sich meine finanzielle Situation um keinen Deut. Im Gegenteil – nach vierzehn Tagen begann ich, Dany gelegentlich abends auszuführen, was zur Vertiefung unserer menschlichen Kontakte beitrug, aber meiner Kasse absolut abträglich war. Immerhin, das Mädchen hielt mir die Treue, auch als ich anfangen musste, ihr das Gehalt schuldig zu bleiben.

    Meine Betrachtungen wurden dadurch unterbrochen, dass mir Fräulein Weyring eine Tasse Kaffee auf den Schreibtisch stellte und meinen Aschenbecher leerte.

    »Sie rauchen entschieden zu viel, Herr Rechtsanwalt.«

    Dieser Feststellung konnte ich nicht gut widersprechen. Während ich zusah, wie das Mädchen flink herumhantierte, drängte sich mir plötzlich die Frage auf: »Sagen Sie mal, Schätzchen: Warum tun Sie das eigentlich alles für mich? Sie könnten doch überall eine prima Stellung finden...«

    Daniela zog ihren Pulli stramm und sagte dann wütend: »Hören Sie, Herr Garner – ich bin viel gewöhnt. Schließlich bin ich ja nun einige Zeit bei Ihnen. Ich habe es mit Humor hingenommen, dass ich meine Nachmittage damit verbringen muss, mit Ihnen in dieser lausigen Bude Karten zu spielen...«

    »Ich könnte mir eine üblere Beschäftigung vorstellen«, warf ich matt ein, aber sie ließ sich nicht beirren.

    »...aber wenn Sie jetzt plötzlich anfangen, moralische Bedenken zu wälzen, dann...«

    »Mein Gott, Dany!« Ich lächelte gequält. »Wirklich, ich bin allmählich verdammt schlecht bei Kasse. Und da ist noch die Sache mit Ihrem Gehalt. Ich fürchte, ich kann das nicht länger verantworten...«

    In diesem Augenblick schrillte das Telefon. Seufzend sagte ich: »Wenn es der Ministerpräsident ist, um mir den Posten des Justizministers anzutragen, sagen Sie ihm, ich sei beschäftigt. Und wenn etwa der Hauswirt wegen seiner Miete...«

    Während mir Daniela zuwinkte, den Mund zu halten, hob sie den Hörer ab.

    »Kanzlei Rechtsanwalt Garner Junior, guten Abend!«

    Wirklich, Fräulein Wey ring machte das zauberhaft. Übrigens, das mit Garner Junior war meine Erfindung. In Wirklichkeit hatte es in der hiesigen Anwaltschaft niemals einen Garner Senior gegeben. Aber ich fand, das Junior klang bedeutender. So nach Familientradition.

    Daniela Weyring hörte unterdessen angestrengt zu. Offenbar doch nicht der Hauswirt. Jetzt machte das Mädchen sogar eine Notiz auf ihren Block.

    »Ja, ich habe verstanden, gnädige Frau. Wie bitte? Hm – der Herr Rechtsanwalt ist eben in einer wichtigen Besprechung. Gut, ich sehe nach, ob ich ihn stören kann.«

    War die Kleine verrückt geworden? Ich sprang wie von der Tarantel gestochen hoch und raste zum Telefon. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Dany die Hörmuschel zuhielt, flüsterte ich ihr zu: »Sind Sie übergeschnappt? Wer ist es denn?«

    »Eine Klientin – eine Frau Dellborg. Aber Sie müssen sie einen Augenblick warten lassen. Es macht einen schlechten Eindruck auf die Kundschaft, wenn ein Anwalt sofort Zeit hat.«

    Meine Sekretärin war also auch eine kleine Psychologin. Ich musste ihr zwar recht geben, hatte aber gleichzeitig höllische Angst, dass der Anruferin meine Besprechung zu lange dauern würde. Deshalb scheuchte ich Dany mit einem schrecklichen Blick zurück und riss den Hörer an mich.

    »Hallo, hier Rechtsanwalt Garner. Frau Dellborg? Was kann ich für Sie tun, gnädige Frau?«

    Ich hörte eine dunkle, klangvolle Stimme aus dem Apparat.

    »Hier spricht Corinne Dellborg. Herr Garner, ich möchte Sie in Ihrem Büro aufsuchen. Es handelt sich um eine dringliche Sache.«

    Krampfhaft überlegte ich, woher ich den Namen Dellborg kannte. Aber schließlich war es ja gleichgültig. Hauptsache, jemand war im Begriff, mir eine Beschäftigung zu geben. Meine Aufregung war durchaus verständlich. Dennoch zwang ich mich dazu, möglichst gleichgültig zu fragen: »Können Sie mir nicht kurz ein paar Einzelheiten mitteilen, Frau – äh – gnädige Frau?«

    Die Stimme klang ungeduldig: »Ich werde Ihnen alles persönlich mitteilen, Herr Rechtsanwalt. Sie kennen doch meinen Namen? Mein Mann, Hans Dellborg, war Mitinhaber der Firma Dellborg und Schimmer – Deschi, Immobilien.«

    »War?«, hüstelte ich nicht sehr geistreich, aber mir fiel nichts Besseres ein. Ich erinnerte mich nun wieder – Dellborg und Schimmer – waren Grundstücksmakler en gros – in der heutigen Zeit ein Beruf, der ebenso gewinnbringend ist wie der Handel mit purem Gold.

    Frau Dellborgs Geduld schien erschöpft zu sein. Sie sagte kurz: »Allerdings – war. Mein Mann ist vor einer Stunde ermordet worden. Und deshalb benötige ich Ihre Dienste, Herr Rechtsanwalt – und zwar umgehend.«

    Mir blieb die Luft weg. »Du meine Güte – jetzt verstehe ich – Sie haben...?«

    Ein kurzer, ärgerlicher Ausruf unterbrach meinen verständlichen und nach der Sachlage durchaus logischen Gedankengang.

    »Aber nein, was denken Sie! Die Polizei beschuldigt einen meiner Bekannten, die Tat verübt zu haben. Natürlich ist das absurd. Also, ich komme bei Ihnen vorbei. Wie war doch die Adresse?«

    Ich war nahe daran loszuheulen. Da war ein sensationeller Fall zum Greifen nahe, die Witwe des schwerreichen Dellborg wollte mich aufsuchen – und nun diese Bruchbude von Büro! Das Loch sehen und verschwinden würde für Frau Dellborg eins sein! Verzweifelt stotterte ich: »Eh – gnädige Frau – mein eigentliches Büro – es trifft sich verteufelt ungünstig – dort wird gerade alles renoviert. Ich sitze augenblicklich in einem kleinen Raum im Westend, Pusterstraße 3. Eine bedauerliche Notlösung, aber Sie wissen ja, wie das heute ist. Ich kann Ihnen wirklich nicht zumuten...«

    Meine Stimme muss bei dieser dummen Ausrede nicht sehr überzeugend gewirkt haben. Aber zu meiner großen Erleichterung sagte die Frau nur kurz: »Unsinn! Ich brauche Sie und nicht Ihr Büro. Also, Pusterstraße 3? Ich hoffe es zu finden und bin in etwa zwanzig Minuten bei Ihnen.«

    Ich hörte ein Knacken in der Leitung und legte mit einem unbehaglichen Gefühl auf.

    Daniela war natürlich schrecklich neugierig.

    »Haben wir nun eine Klientin oder nicht, Herr Garner?«

    Ich dachte eine Weile nach und kam dann zu der Überzeugung, dass diese Frage im derzeitigen Stadium weder mit Ja noch mit Nein beantwortet werden konnte. So brummte ich: »Es sieht so aus... Dany, dieser Rettungsanker, der da eben an der Strippe war, ist die schwerreiche Witwe von Dellborg – Immobilien en gros, kapiert?«

    Fräulein Weyring schien offensichtlich unbeeindruckt. »Da kann man Ihnen ja gratulieren. Und was will die Dame ausgerechnet von Ihnen?«

    Für Betonungen habe ich ein feines Gefühl. Meine berufliche Erfolglosigkeit wollte ich mir selbst von Daniela nicht vorwerfen lassen, auch wenn ich ihr das Gehalt schuldete und sie im Übrigen sehr schätzte. Deshalb sagte ich gereizt: »Das ausgerechnet will ich lieber nicht gehört haben. Sie braucht eben anwaltschaftlichen Rat. Ist das so ungewöhnlich?«

    Aber Dany war nicht nur ein nettes Mädchen, sie hatte auch Verstand. Deshalb konnte ich mich der Logik ihrer nächsten Frage nicht entziehen: »Und warum kommt sie dabei ausgerechnet – es tut mir leid, Herr Rechtsanwalt, aber ich kann es nicht anders ausdrücken – auf Ihr Büro? Ich möchte doch annehmen, dass die Anwälte von Dellborg und Co. mehr in der Umgebung der Kaufingerstraße beheimatet sind?«

    Fröhlich grinsend erwiderte ich: »Wie Sie gehört haben werden, habe ich Frau Dellborg weisgemacht...«

    »Ja, ich bin nicht schwerhörig. Ich glaube nur nicht, dass sie diese dicke Lüge fressen wird.«

    »Sie sind aber wirklich eine schreckliche Miesmacherin!«

    Meine schlechte Laune kam nur daher, dass ich mir im Geist bereits dieselbe Frage gestellt hatte wie die kluge Daniela – weshalb nämlich Frau Dellborg mit ihren offenbar doch erheblichen Sorgen gerade zu mir kommen wollte!

    Trotzdem – es war keine Zeit mehr zu verlieren.

    »Los, Kindchen, räumen Sie auf! Legen Sie ein paar Akten auf den Tisch, das macht Eindruck.«

    Ich reichte Dany die Spielkarten und die Kaffeetasse. »Lassen Sie das verschwinden – rasch!«

    In kürzester Zeit hatten wir das Büro so hergerichtet, dass ein unbefangener Besucher meinen konnte, er befände sich bei einem vielbeschäftigten Anwalt. Nur wartende Klienten im Vorzimmer konnte ich leider nicht herschaffen. Nervös blickte ich auf meine Uhr.

    Als endlich die Türglocke schrillte, ging Fräulein Weyring mit aufreizender Lässigkeit hinaus und brachte kurz darauf die Besucherin herein – Frau Corinne Dellborg.

    Ich erhob mich und schritt auf sie zu – vielleicht eine Nuance zu langsam, um meiner beabsichtigten Rolle als gehetzter Anwalt gerecht zu werden – und bot meiner Besucherin einen Platz an. Ich war überrascht angenehm, wie ich mir eingestand. Und meine Überraschung war auch verständlich. Denn da Hans Dellborg meines Wissens – ich hatte einmal ein Bild von ihm in der Zeitung gesehen – ein guter Fünfziger sein mochte, hätte ich seine Frau günstigstenfalls für eine Enddreißigerin gehalten. Meinem ersten, flüchtigen Eindruck nach war Corinne Dellborg aber höchstens Mitte Zwanzig. Zudem hatte ich erwartet, sie in tiefer Trauer vorzufinden. Stattdessen trug sie ein weitausgeschnittenes Cocktailkleid, dem man den Tausender ansah, den es gekostet haben mochte. Mit einem Wort: Frau Dellborg sah hinreißend aus! Aber ich bemühte mich, meine Augen unter Kontrolle zu behalten. Schließlich wollte ich sie nicht heiraten, sondern ich hoffte, durch sie Geld zu verdienen.

    Nachdem ich mich und Dany vorgestellt hatte, sagte Frau Dellborg mit einem eisigen Blick auf meine Sekretärin: »Könnte ich Sie wohl allein sprechen, Herr Rechtsanwalt?«

    Mit einem stummen, aber bedeutungsvollen Augenaufschlag schickte ich Fräulein Weyring hinaus. Daniela erhob sich, folgsam und verschwand hüftenschwingend im Vorzimmer, während die Augen meiner Besucherin die Umgebung musterten, als ob sie mein Büro auf Abbruch erwerben wollte. Ich fühlte, dass ich meiner Klientin eine Erklärung geben sollte. Nachdem ich ihr zunächst mein Beileid ausgesprochen hatte, murmelte ich: »Es tut mir wirklich außerordentlich leid, dass ich Sie hier empfangen muss – aber wie ich schon erwähnte...«

    Corinne Dellborg kreuzte lässig ihre langen, wohlgeformten Beine und zündete sich eine Zigarette an. Dann sagte sie ironisch: »Herr Garner, Sie brauchen mir nichts vorzumachen. Sehen Sie, ich will Ihnen offen gestehen, dass ich unter normalen Umständen unsern Familienanwalt konsultiert hätte – Justizrat Dr. Pickmann. Vielleicht kennen Sie ihn?«

    Und ob ich den alten Pickmann kannte! Er war einer der Staranwälte des Oberlandesgerichtsbezirks und pflegte seine Rechnungen mit einer goldenen Feder zu schreiben. Ich lehnte mich zurück, um die weiteren Erklärungen meiner erfrischend aufrichtigen Besucherin abzuwarten.

    »Schön. Trotzdem komme ich zu Ihnen. Sie sind mir von früher her bekannt. Haben Sie nicht eine Zeitlang im Daiquiri-Club Schlagbass gespielt?«

    Verlegen grinste ich. »Allerdings – eine Jugendsünde. Aber Sie sind mir damals nicht aufgefallen, gnädige Frau. Unverzeihlich, wie ich gestehen muss...«

    »Damals hieß ich noch Palfers – mein Vater war...«

    »Oh ja, Konsul Palfers, jetzt erinnere ich mich wieder. Sie haben sich überhaupt nicht verändert, gnädige Frau...«

    »Danke«, sagte sie kühl. Offenbar war sie geschicktere Komplimente gewohnt. »Nun gut, Herr Rechtsanwalt, ich bin in einer schwierigen Lage. Ich glaube, ich muss Ihnen kurz die Vorgeschichte erzählen. Ich war knapp zwanzig Jahre alt, als ich Dellborg heiratete. Es

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