Behandlungsabbrüche: Therapeutische Konsequenzen einer Metaanalyse
Von Inge Seiffge-Krenke und Fatima Cinkaya
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Über dieses E-Book
Inge Seiffge-Krenke
Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke ist Professorin für Entwicklungspsychologie und Psychoanalytikerin für Erwachsene, Kinder und Jugendliche, Sprecherin des Beirats der Lindauer Psychotherapiewochen und im Leitungsteam der OPD-KJ. Gegenwärtig ist sie als Dozentin und Supervisorin in verschiedenen Praxiskontexten und in der Ausbildung von Kinder-, Jugendlichen- und Erwachsenentherapeuten tätig.
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Buchvorschau
Behandlungsabbrüche - Inge Seiffge-Krenke
1Praktische Relevanz: Zum Problem von Therapieabbrüchen
Die Psychotherapie ist ein spannender und komplexer Prozess. Immer wieder wird der Therapeut mit Herausforderungen und unvorhergesehenen Ereignissen konfrontiert. Dabei ist der Therapieverlauf nicht immer von dem erwarteten Erfolg gekrönt. Frühe Studien hatten einen recht hohen Prozentsatz von 40% Behandlungsabbrüchen ergeben (Bergin u. Garfield, 1994), bei stationären Psychotherapien lagen die Abbruchquoten teilweise noch höher. So berichten Rüger und Schüssler (1985) von Abbruchquoten um die 50% in stationären Therapien. Damit sind Therapieabbrüche eine recht häufige Erfahrung in der Psychotherapie, eine Erfahrung also, die jeder Therapeut, jede Therapeutin macht. In den letzten Jahren ist die Sensibilität für Therapieschwierigkeiten gewachsen, und die Frage, warum Therapien vorzeitig scheitern (Cinkaya, Schindler u. Hiller, 2011), beschäftigt Therapeuten aller Schulrichtungen. Hat die Beachtung der Qualitätssicherung von Psychotherapien (Wampold, 2001; Steinert u. Leichsenring, 2017) auch dazu geführt, dass sie wirklich effektiver werden, das heißt, dass heute weniger Therapieabbrüche vorkommen als noch vor einigen Jahrzehnten?
Nach Bergin und Garfield (1994) sollte dann von einem Therapieabbruch gesprochen werden, wenn nach den diagnostischen Interviews mindestens eine reguläre Therapiesitzung stattgefunden hat und der Patient trotz weiterer vereinbarter Sitzungen nicht mehr erscheint. Wird dieses Kriterium von allen Therapeuten geteilt, und wie verhält es sich mit Behandlungsabbrüchen, die jeder Therapeut kennt und die deutlich später stattfinden? Schließlich: Nicht jede frühzeitige Beendigung einer Psychotherapie ist als ein Scheitern anzusehen. Neben den tatsächlich frühzeitigen Abbrechern gibt es wohl auch andere Patientinnen und Patienten, die ausreichend Hilfe erfahren haben, deren Symptome sich schon rasch verbessert und die dann keinen »Therapiebedarf« mehr haben. Hier deutet sich an, dass die Ziele von Therapeuten und Patienten durchaus divergieren können und dass dies ein Grund für einen Behandlungsabbruch sein kann. Schließlich können auch externe Gründe wie eine Berufstätigkeit in einer anderen Stadt dazu führen, dass die Therapie vorzeitig beendet werden muss (vgl. Cinkaya et al., 2011).
Unter der Vielzahl von Gründen und Faktoren, die dazu führen können, dass Therapien vorzeitig beendet werden, ist ein besonders naheliegender Grund die Dynamik der therapeutischen Beziehung (Junkert-Tress et al., 2000). Es gehört zwar zum Berufsethos des Therapeuten, jederzeit reflektiert und bezogen zu bleiben, allerdings können sich wie in jeder menschlichen Beziehung Missverständnisse in der Kommunikation und »blinde Flecke« einschleichen. Besonders in einem so vertraulichen und hochsensiblen Kontakt wie zwischen einem Hilfe suchenden Patienten und einem Hilfe bietenden Therapeuten ist dies zu erwarten. Diesen Missverständnissen und Problemen ist in der therapeutischen Beziehung aus psychodynamischer Sicht besondere Beachtung zu schenken.
Bevor wir allerdings auf diese wichtigen Hintergründe genauer eingehen werden, soll zunächst die empirische Basis für Therapieabbrüche genauer in Augenschein genommen werden, das heißt, wir gehen anhand einer umfangreichen neuen Metaanalyse, die Studien aus den letzten vierzig Jahren einschließt (Cinkaya, 2016), der Frage nach, welche Merkmale im Therapieprozess, aber auch Merkmale des Patienten und Therapeuten auf ein Scheitern hinweisen, um in der Folge Abbrüche abzuwenden und zu verhindern. Auch im Sinne des Qualitätsmanagements und der kontinuierlichen Verbesserung von therapeutischen Behandlungsmethoden und -strategien gilt es, sich nicht nur mit regulär beendeten Therapien, sondern auch mit der Natur von Abbrüchen auseinanderzusetzen und diese zu verstehen.
Die Sichtung der empirischen Befunde ist wichtig, denn die ersten Forschungsansätze zu Abbrüchen in der Psychotherapie erfolgten bereits in den 1950er Jahren, aber im Gegensatz zu den Therapieerfolgen wurden Therapiemisserfolge nur in einem geringen Umfang untersucht (Rubenstein u. Lorr, 1956; Frank, Gliedman, Imber, Nash u. Stone, 1957; Lorr, Katz u. Rubinstein, 1958; Garfield u. Affleck, 1959). Daher fehlte es noch an vielen Stellen an umfassenden Erkenntnissen zu den Ursachen, Gründen und Merkmalen von Abbrüchen.
Übersichtsarbeiten geben hier wertvolle Informationen, indem sie Erkenntnisse aus Einzelstudien zusammenfassen und evaluieren (Lipsey u. Wilson, 2000). Wir beginnen mit der bekanntesten störungsübergreifenden Metaanalyse zum Thema Therapieabbruch (Wierzbicki u. Pekarik, 1993) und werden dann die jüngste umfangreiche Auswertung von Cinkaya (2016) ausführlich darstellen. Die Erkenntnisse werden dann zusammengetragen und es wird aufgezeigt, was Abbrecher von regulären Therapiebeendern unterscheidet.
Im weiteren Verlauf des Buches gehen wir der Frage nach, was die Zusammenschau der Befunde aus den Metaanalysen für unser therapeutisches Verständnis von Therapieabbrüchen im psychodynamischen Kontext bedeutet. Aspekte des Arbeitsbündnisses und der therapeutischen Beziehung werden ebenso beleuchtet wie Widerstandsphänomene aufseiten der Therapeuten und Patienten. Ein zentraler Punkt wird auch die Indikationsfrage sein. Da Abbrüche häufig in den ersten Stunden der Therapie erfolgen, werden wir ein besonderes Augenmerk auf die Anfangsphase der Therapie und die kommunikativen bzw. emotionalen »Missverständnisse« zwischen Therapeut und Patient richten, u. a. illustriert durch Fallbeispiele. Die negative therapeutische Motivation bzw. Reaktion ist als Sonderfall von Abbrüchen anzusehen. Die Besonderheit von Abbrüchen bei Kindern und Jugendlichen wird ebenfalls herausgestellt. Abschließend werden bisherige Schwächen in der Betrachtung von Abbrüchen beleuchtet und Therapeutinnen und Therapeuten Anregungen gegeben, um Abbrüchen vorzubeugen und diese