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Amir,
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eBook273 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Lis und Amir.
Wo beginnen die Grenzen einer Beziehung und wo enden sie? Wieviel Nähe und Distanz erträgt die Liebe und was passiert, wenn man sich in seinen eigenen Gefühlen zum anderen verliert, wenn dieser unerreichbar zu werden scheint? Wenn ein Schwanken zwischen Zuneigung und Entfremdung über allem zu schweben anmutet? Ein intimer Monolog über eine besondere Beziehung, eine unerfüllte Sehnsucht zwischen den Zeilen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum17. Juni 2023
ISBN9783347989030
Amir,
Autor

Elisa Maik

Elisa Maik ist eine österreichische Schriftstellerin, die in Wien lebt. Die Charaktere in ihren Büchern sind von Personen und Geschichten aus dem Alltag inspiriert. Gefangen in trübseligen Gedanken und Ernsthaftigkeit kreiert Elisa Maik eine Lichtung, basierend auf Humor. Die LeserInnen erhalten eine detaillierte Beschreibung der Gedanken der Charaktere, der Umgebung und der Geschichte.

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    Buchvorschau

    Amir, - Elisa Maik

    KAPITEL I

    Montag.

    12:23 Signal. Hey, kannst Du mir bitte die Notizen von der Sandra geben? Danke!

    15:02 Signal. Ok, hat sich schon erledigt, Mario hat sie mir gegeben.

    Dienstag.

    06:31 Signal. Musst mir eh keinen Gefallen tun, ich hatte sie zuhause liegen lassen und brauchte sie dringend. Ich dachte mir, Du hilfst mir.

    08:59 Signal. Tut mir leid, habe vorhin überreagiert. Normalerweise antwortest Du mir fast sofort, wenn Du kannst. Ist alles ok bei Dir? Schreib mir!

    23:51 Signal. Ja, ok dann halt nicht! Mensch.

    Mittwoch.

    00:02 Signal. Tut mir leid. Bist Du da? Komm schon, antworte. Das klingt ja sonst auch nicht nach Dir. Du antwortest meistens innerhalb von einigen Minuten. Ich finde, hier sollte es auch angezeigt werden, so wie bei willhaben. User antwortet innerhalb von fünfzehn Minuten. Bei Dir würde jetzt 10000 Tage stehen! Ja. Mensch, wo bist Du?

    Mittwoch.

    07:00 Signal. Guten Morgen.

    07:01 Aus dem Fenster. Guten Morgen!

    12:31 Signal. Hallo!?!?!?

    12:32 WhatsApp. Sag, hast Du Signal gelöscht?!

    22:10 Signal. Jetzt antworte doch endlich! Komm schon.

    Donnerstag.

    04:32 Signal. Ich kann nicht schlafen. Ich werde jetzt aufstehen und ins Büro fahren. Dort habe ich Dich auch schon lange nicht gesehen. Geht es Dir gut? Ist irgendwas passiert? Ja ich weiß, wir haben wirklich lange nicht mehr gequatscht, irgendwie fehlt es mir. Na, vielleicht sehen wir uns heute.

    06:30 Signal. Mario sagt, Du warst länger nicht mehr hier. Wo bist Du? Muss ich mir Sorgen machen? Schreib mir.

    19:22 Signal. Wir gehen jetzt auf einen Afterwork-Drink. Kommst Du mit? Du kennst doch eh die meisten von uns. Komm doch mit! Wir gehen unten in die Bar. Ich versuche schon seit Jahren, sie zu überreden, woanders hinzugehen, aber sie sind nunmal alteingesessene Österreicher. Zu nah. Zu neu. Es könnte ja jemand anderer von der Redaktion auch dort sein. Man muss reservieren. Zu komplizierte Auswahl. Vielleicht gehst Du deshalb nie mit uns irgendwohin.

    Donnerstag.

    23:39 Signal. Warum auch immer wusste ich, dass Du nicht auftauchen wirst. Du fehlst mir. Ich vermisse Dich. Eigentlich kann ich Dich ja auch einfach anrufen. Und dann stelle ich mir vor, wie es wäre. Einfach anrufen. Dir von meinem Tag zu erzählen, wie immer. Ich würde mich zuerst darüber beschweren, wie bescheuert Du reagierst, dass ich nicht das Richtige sage, wenn ich den Hörer abhebe – ich sage nicht das, was Du Dir vorstellst, es ist kein standardmäßiges Hallo oder die gewöhnliche Frage nach Deinem Wohlbefinden, bevor wir unser Gespräch starten. Nicht, dass Du mich jetzt falsch verstehst, ich erkundige mich sehr wohl immer und bewusst nach Deinem Wohlbefinden. Schließlich will ich ja wissen, wie es Dir geht.

    Wir diskutieren vor unserem tatsächlichen Gesprächsbeginn während unserer Telefonate immer, was an der Telefon-Abhebe-Kultur heutzutage nicht mehr stimmt, warum wir zwei in solch einer Situation nicht freundlich zueinander sind, warum nicht einfach ein Hallo, Wie geht’s? drin ist, sondern warum zur Hölle in dieser Welt wir es sind, die drauflos quatschen, ohne diesem blöden Geschwafel davor. Wir hassen diese formellen Begrüßungsfloskeln. Dennoch, macht es uns so besonders? Wahrscheinlich nicht, wir wissen es nicht, wir sind sehr schlecht in Selbstanalyse, so etwas brauchen wir nicht. Wir sind nun mal Menschen, die es sich freiwillig gegenseitig antun, miteinander zu kommunizieren und miteinander durch dieses Desaster zu gehen.

    Reden. Wörter. Sprache. Fehler ausbessern. Akzente. Blödsinn. Witz. Humor. Wahnsinn. Zuhören. Störfaktoren. Verbindungsstörung. Funkloch.

    Bist Du wieder da?

    Hörst Du mich?

    Ja.

    Na endlich.

    Na endlich.

    Das wär’s.

    Ich kann Dich aber nicht anrufen.

    Wenn ich Dich anrufen würde, würdest Du meine Nummer auf dem Display sehen und es würden Dir wahrscheinlich so manche Gedanken durch den Kopf gehen. Vermutlich komme ich bei Dir gar nicht durch, vielleicht geht es gar nicht, es sieht irgendwie so aus, als würdest Du den Kontakt zu mir meiden. Meine Nummer befindet sich wahrscheinlich auf der Schwarzen Liste Deines Telefons und Du würdest es gar nicht mitbekommen, dass ich versucht habe, Dich zu erreichen. Was heißt wahrscheinlich, dass die Nachrichten auch nicht durchgehen! Ein Häkchen. Grau. Dennoch. Mit einer großen Freude und gleichzeitiger Neugier würde ich gerne von Dir erfahren, was Dir in diesem kurzen Moment in den Kopf schießen würde und wie Dein Körper darauf reagieren würde, wenn Du einen Anruf von mir empfangen würdest. Was ist es? Unwohlsein? Empfindest Du Wärme? In welchem Teil Deines Körpers wäre es warm? Zittern Deine Hände? Schwitzen sie? Riechen sie anders als zuvor?

    In diesem Moment bewegen sich sogar meine Zeige- und Mittelfinger der linken Hand in Richtung Nase und ich schnuppere daran. Ich muss herausfinden, wie es bei mir ist. Riecht normal. Ich sehe mir die Innenseite meiner Handfläche an. Normal. Wie immer, leicht rötlich. Schluss jetzt. Für die genaue Beobachtung der Handfläche ist noch genug Zeit. Ich lasse es inzwischen. Hand zurück auf den Tisch. Ich berühre die Platte. Kalt.

    Wenn ich Dich jetzt anrufen würde, würdest Du Dir Gedanken darüber machen, was Du als Erstes sagst? Würdest Du die möglichen, Dir bekannten Formulierungen in Deinem Kopf durchspielen und dabei überlegen, was zu diesem Tag besser passt? Was genau das ausdrückt, was Du in diesem Moment empfindest, oder würdest du das Erstbeste nehmen, das Dir in diesem Moment einfällt, um Spontanität zu zeigen? Bildschirm entsperren.

    Telefon-Button.

    Favoriten.

    Den Daumen auf Deinen Namen.

    Nein, das kann ich nicht.

    Ich kann nicht.

    Heute nicht.

    Freitag.

    02:10 Signal. Na, das war ja mal eine Textwall. Das ist mir gerade etwas unangenehm, aber was soll’s, gesendet ist gesendet. Wer weiß, ob Du es überhaupt gesehen hast. Wahrscheinlich nicht. Ich kann nicht einschlafen. Andauernd überprüfe ich, ob aus einem Häkchen schon zwei geworden sind und ob sie sich wie durch ein Wunder verfärbt haben. Vergebens.

    Gute Nacht.

    Sonntag.

    07:01 Tagebuch. Ich fühle mich nicht gut. Ich bin besorgt, wie noch nie. Da stimmt was nicht. Ich muss dem nachgehen. Will ich diese Nähe? Will ich es wieder? Alles aufrollen? Wie wird es diesmal ausgehen?

    Montag.

    Dienstag.

    10:50 Signal. Sag mal, hast Du etwas eingestellt, damit Du meine Nachrichten bewusst nicht bekommst? Ist es Deine Art, mir auszuweichen? Ich muss mit Dir reden, ich kann nicht anders.

    Punkt, aus.

    Ich brauche es.

    Ich muss reden.

    Mit Dir.

    Mit niemandem anderen.

    Niemand sonst versteht es.

    Ich muss reden.

    Niemand sonst versteht mich.

    Alles loswerden, bevor es mich einholt.

    Ja. Die innere Stimme ist zurück.

    Ich bin so geladen!

    Warte. Was bringt es mir? Fühle ich mich danach wieder von diesem unerklärlichen Zustand befreit? Vielleicht kann ich es Dir irgendwann beantworten. Vielleicht erzähle ich Dir irgendwann davon. Vielleicht erzähle ich Dir irgendwann meine Geschichte, die Geschichte, in der Du vorkommst ohne richtig darin vorzukommen. Die Geschichte, in der Du ohne es zu wissen, mittendrin gefangen bist, weil ich hier sitze und auf Dich warte. Die innere Stimme. Sie redet mit Dir. Und ich? Ich warte auf ein Lebenszeichen und es gibt keins. Wo bist Du nur?

    Es ist Dir nicht bewusst, wie sehr mir Deine Gespräche fehlen. Dieses unüberlegte, spontane, aber doch durchdachte und gut ausformulierte Gedanken-Sortieren und schlussendlich In-eine-Reihe-Ordnen von den entstandenen Inhalten. Das meist mit einem unfreundlichen WAS? beginnt und in einem emotionalen Desaster endet. Oder eigentlich nie endet, doch irgendwie hat es anscheinend, jetzt, durch Deine Entscheidung hat es nun ein kontrolliertes Ende gefunden. Mit einem bewussten ich habe genug. Einem meiner Ansicht nach zu voreiligem und unüberlegtem ich habe genug, denn ich weiß ganz genau, dass Du diese Art Unterhaltung genau so sehr vermisst, wie ich auch. Es ist ein Hungergefühl. Du bist verrückt danach. Dein Ich verlangt doch auch nach diesem Gefühl. Gib’s doch endlich zu! Wenn Du dieses Gefühl bekommst, dann saugst Du das zur Gänze auf. Du kostest es in vollen Zügen aus, genießt die schmerzvollen, die langen, dümmlichen, die schweigsamen Gespräche, die schönen Worte, die von mir kommen und in deinem Ohr durch die Nebenhöhlen ihren Weg ins Gehirn finden, genauso wie Deine gütigen Formulierungen, die bei mir mitten im Herzen ankommen.

    Doch vor einiger Zeit sagtest Du, Du hättest genug.

    Du hast also genug. Und ich muss jetzt sagen, dass ich es verstehe.

    Nein, sicher nicht. Ich verstehe gar nichts.

    22:23 Notepad++. Fuck FUCK FUCK.

    AAAHHHHHHhhh!!! §)"=%§/&

    22:30 Signal. Ich bringe es nicht übers Herz, damit aufzuhören. Ich bin verrückt nach jedem Gespräch mit Dir. Verstehe mich nicht falsch. Nicht nach Dir, um Gottes Willen! In das Gespräch mit Deinem Wesen bin ich verknallt. Ich bin ein Fan von Deinem Ich, von Deinen unkonventionellen Gedankengängen und subtilen Lösungsvorschlägen. Ich bin verrückt nach einem Dialog mit Dir. Unsere Gespräche.

    Die Amir-Gespräche.

    Das diplomatische Format, das wir gemeinsam kreiert haben oder zu kreieren versuchen, mittlerweile seit fast sieben Jahren. Gelingt es uns? Nein. Wir versagen stets. Wird es uns in Zukunft gelingen, tatsächlich Gespräche nach einer gewissen vorbereiteten oder in der Gesellschaft existierenden beziehungsweise von uns vorgegebenen Gesprächskultur zu führen? Wahrscheinlich auch nicht, denke ich. Das ist allerdings nicht das Ziel des Gesprächs. Das Ziel von jedem Einzelnen von uns ist nämlich bereits vordefiniert und ergänzt sich nicht. Weder Deins, das ich nicht wirklich kenne oder kennen möchte, weil ich tierische Angst vor der Aussprache Deines Ziels habe, noch meins, das ich selbst nicht wirklich bewusst formuliert habe und vor allem auch nicht in diesem schwierigen Zusammenhang formulieren möchte. Warum? Obwohl ich meistens möglichst selbstbewusst mit Hilfe meines Gehirns, ergänzt durch mein Bauchgefühl, ein Urteil fälle, habe ich tierische Angst. Es ist meine Intuition, die mir sagt, dass diese Ziele sich nicht ergänzen. Das verflixte siebte Jahr.

    In diesem Sinne reicht es für heute. Hier ein Pferde-Emoji. Ich weiß, wie sehr du es hasst. Ich habe es Dir schon so oft geschickt, als Du schöne Dinge zu mir sagtest. Du hasst es, weil ich es mit der englischen Redewendung hold your horses in Assoziation gesetzt habe. Aber trotzdem. Hier eine ganze Herde.

    22:33 Signal. Wo bleibst Du nur?

    Gute Nacht.

    22:34 Aus dem Fenster. Gute Nacht.

    22:56 Zum Plafond. Gute Nacht Habibi.

    Donnerstag.

    11:00 Signal. Es gibt soviel, das ich Dir erzählen möchte! Davon zum Beispiel, was ich alles in der letzten Zeit geschafft habe. So viel Tolles! Du wirst stolz auf mich sein. Zuvor habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, warum ich damit nicht schon viel früher begonnen hatte, und jetzt ist vieles geschafft. Ich könnte Dir erzählen, …

    Nein. Ich halte mich lieber zurück und lenke mich ab. Dennoch denke ich hin und wieder an Dich. Ich muss Dich in Ruhe lassen, wenn Du mir nicht antworten willst. Du musst es eh nicht lesen, es sind nur Gedanken. Solche, die ich leider nicht einfach so abdrehen kann. Ich denke nun mal an Dich. Ich denke an uns.

    An unsere seltsame, doch eine ganz besondere Beziehung, die sich über die letzten Jahre zwischen uns entwickelt hat. Die kann man nicht wirklich in eine Schublade stecken, ich möchte es auch nicht, und irgendwie erscheint es mir in diesem Fall auch gar nicht möglich: Was ist es? Freundschaftliche Dienste? Romantische Begegnung? Restauranttester? Psychotherapie? Ratgeber? Arschtritt-Beauftragte? Menschen, die zufällig aneinander geraten und miteinander von Zeit zu Zeit plaudern? Bekannte, die sich auf der Straße begrüßen, lächeln und einfach denken was ist denn mit ihr los? Brieffreunde? Offene wissenschaftliche Ehe? Städtetouristen? Ich weiß es nicht. Im besten Fall ist es eine Mischung aus all diesen Beispielen und das ist noch ausbaufähig.

    Ich weiß nur eins: der Kontakt. Das ist, was mir fehlt.

    Gerade jetzt, ein eingehender Anruf. Bist du es? Ich bekomme einen Krampf im Brustbereich. Meine Hände werden kalt und schwitzen. Ich platziere meine rechte Hand mit der Handfläche nach unten auf der ebenso kalten Tischplatte, um zu überprüfen, ob der Schweiß echt ist. Ein nasser Abdruck entsteht, der gleich wieder verschwindet. Es ist echt. Die andere Hand greift nach dem Telefon. Ist der Anruf von Dir? Nein. Es ist doch jemand anderer. Meine Freundin ruft mich an und fragt mich, ob ich sie heute zu einer Filmvorstellung im englischen Kino begleite, bevor die Kinos wegen des wieder bevorstehenden Lockdowns schließen. Ich sage natürlich ja. Ein nettes Abendprogramm vor der ewigen, kontaktlosen Stille. Eine angenehme Begegnung statt der Leere, die gerade in diesem Wintergarten herrscht.

    In meinen Gedanken frage ich Dich gerade auch, ob Du ins Kino gehen würdest, ob Du heute schon gegessen hättest, wie es Dir geht, ob Dein Bekannter Dir den Teppichboden verlegt hat, den Du wolltest. Ob Du Deine Ziele erreicht hättest, die beruflichen, in erster Linie, die Du Dir damals vorgenommen hattest und mir davon erzählt hattest. Du hattest Dir vorgenommen, Deinen gut bezahlten Nebenjob hinzuschmeißen, weil die Firma Dir nach Jahren keine Gehaltserhöhung garantieren wollte. Deine Hauptarbeit betreffend tauchen immer neue Hinweise auf und ich glaube mittlerweile zu wissen, was Dein nächstes Ziel auf diesem Gebiet ist. Seit ich vor Kurzem das Vergnügen habe, gelegentlich in Deiner Arbeit aufzutauchen, konnte ich einiges beobachten. Niemand erzählt hier freiwillig etwas über den anderen. Alle behalten die wichtigen Informationen für sich. Vor allem die neuen Kollegen sind gefragt: Sie müssen zuerst Vertrauen der anderen gewinnen, bis dahin sterben sie blöd.

    Unsere Kollegen halten sich also bedeckt. Sie würden nie erzählen, wo ein Journalist gerade ist. Es ist viel zu gefährlich. Mir haben sie nichts gesagt. Ich habe sie natürlich gefragt, wo Du bist, und wann Du wieder kommst, obwohl ich die Antworten bereits vor der Frage genau wusste. Ich habe sie gefragt, um den Schein zu kreieren, wir wären uns nicht nah. Um eine Illusion zu schaffen, Du würdest mir in dieser Hinsicht nicht vertrauen, Du würdest mir nicht sagen, wo Du Dich gerade herumtreibst. Sie haben nichts gesagt, Du auch nicht. Alle Hinweise kommen auf dem offiziellen Weg. Meine Aufgabe ist es, sie alle zu sammeln und zusammen zu führen, wie immer. Vielleicht bist Du bereits wirklich an dem Ort, wo Du die nächsten Jahre Deines Lebens verbringen wirst? Ich frage mich, ist es überhaupt wirklich das, was Du tatsächlich willst? Hast Du es Dir für Deine Zukunft so vorgestellt? Wird es Dich glücklich machen? Hast Du das Ziel während Deiner letzten Reise erreicht? Welche Komplikationen gab es? Können wirklich alle Leute, von denen Du willst, dass sie das erfahren, es tatsächlich auf dem Weg und in der Situation, die Du Dir vorgestellt hast, erfahren? Aus irgendeinem unerklärlichen Grund ist es für mich sehr wichtig, mich immer zu vergewissern, dass Du alles schaffst, was Du Dir vornimmst – ich wünsche mir, dass Du dabei möglichst verschont von Dummheit und Hass bist, ja, genau in dieser Reihenfolge, ich kann das alles nicht ändern oder lenken, möchte ich auch nicht, es ist ja schließlich Dein Weg.

    Warum ist es überhaupt so wichtig für mich, das zu wissen? Es kann mir doch völlig egal sein, was Du machst und wo Du bist und ob Du gesund bist, Magengeschwüre hast oder gerade auf einer warmen Insel mit hübschen, leicht bekleideten Frauen Party machst, in einer ruhigen Bucht Deinen Frieden vergeblich suchst oder arbeitest, arbeitest, arbeitest bis zum Gehtnichtmehr, um Deinen konstruierten Erfolg in der völligen Erschöpfung auszukosten! Ich versuche mich immer wieder darauf einzustellen, dass mir das alles egal sein sollte. Dass ich mich mehr auf mich konzentrieren soll; der gesunde Egoismus, wie Du es immer zu sagen pflegst. Oder vielleicht mehr auf die Beziehungen zwischen mir und meinen Mitmenschen, die, wie Du vermutlich weißt oder Dir vorstellen kannst, auch irgendwie existieren. Um diese Sachen kümmere ich mich tatsächlich täglich. Sie funktionieren nur deshalb. Das ist anscheinend so mein Ding. Mich kümmern. Zuhören. An der Kommunikation arbeiten. Respektieren. Mein Gegenüber sehen. Mit Erfolg! Manchen ist es gar nicht bewusst und auch schwer messbar oder sichtbar, aber genau das ist mein Verständnis vom Wort Erfolg.

    Lis denkt trotz allem ständig an Amir.

    Jetzt übernehme ich sogar noch Deine Formulierungen. Das blöde in der dritten Person von jemandem reden, der Dir gegenüber sitzt. Wie ich es immer gehasst habe. WIE ICH DAS HASSE! ICH HASSE ES! Aber wenn ich es hasse, warum fehlt es mir denn so sehr?!

    Ich möchte Deinen Weg nicht kreuzen, verändern, Berge drauf versetzen oder

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