Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Liebes-Märchen aus fernen Ländern
Liebes-Märchen aus fernen Ländern
Liebes-Märchen aus fernen Ländern
eBook350 Seiten4 Stunden

Liebes-Märchen aus fernen Ländern

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Liebesmärchen aus fernen Ländern spiegeln wider, was wir alle kennen: Liebe ist Freud und Leid zugleich und ebenso Ansporn zu Höchstleitungen.

In diesem Buch finden Sie

Den Sohn des Pharao, dessen Schicksal die Liebe entscheidet.
Die Amazone, die einen hohen Preis für ihre Träume zahlt.
Zwei Aborigine-Krieger, die zu ihrem Unglück dieselbe Frau lieben.
Den schiffbrüchigen Europäer, der in Madagaskar seine Liebe findet.
Den Zarensohn, dessen Leben von Neid zerstört und von Liebe gerettet wird.
Den Sklaven, der sich ausgerechnet in die Tochter des Tolteken-Königs verliebt.
Die stolze Isländerin, die lernt, dass zu Liebe auch Vergebung gehört.
SpracheDeutsch
HerausgeberMachandel Verlag
Erscheinungsdatum15. März 2023
ISBN9783959593649
Liebes-Märchen aus fernen Ländern

Mehr von Boris Schneider lesen

Ähnlich wie Liebes-Märchen aus fernen Ländern

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Liebes-Märchen aus fernen Ländern

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Liebes-Märchen aus fernen Ländern - Boris Schneider

    Drei Schicksale

    (frei nach dem altägyptischen Märchen „Der verwunschene Prinz")

    Der Ziellose erleidet sein Schicksal - der Zielbewusste gestaltet es.

    IMMANUEL KANT

    Ägyptische Hieroglyphen

    Prolog

    Thu`bân

    Neith stockte. Sie presste den neugeborenen Prinzen fest an ihre Brust. „Hast du das gehört?" Mit weit geöffneten Augen starrte sie Sagira, die jüngere Hebamme, an.

    Kopek

    Es war wie ein leises Knistern, als ob der Wüstenwind mit glutheißen Stimmen flüsterte. Sie schwiegen und lauschten. Neith lief der Schweiß die Stirn hinab. Die Frau des Pharao, die frischgebackene Mutter, stöhnte leise im Schlaf. Nach den Torturen der Geburt hatten sie ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.

    Timsah

    Neith zitterte. Sie konnte es an der versteinerten Miene von Sagira sehen, dass diese es auch gehört hatte.

    „Was ist das?", hauchte die junge Hebamme mit bebenden Lippen.

    Thu`bân, Timsah, Kopek

    Neith blickte auf das Baby in ihren Armen. Es war wach und schaute sie mit großen braunen Augen an.

    Timsah, Thu`bân, Kopek

    Die Stimmen wurden lauter, intensiver. Neith ahnte, was es sein könnte, befürchtete es. Sagira verdrehte die Augen und hielt sich die Ohren zu.

    Kopek, Timsah, Thu`bân.

    Neith fixierte den Prinzen. Er schien keine Angst zu verspüren.

    Timsah, Kopek, Thu`bân

    Es war jetzt ein Brüllen, ein Tosen, unüberhörbar. Sagira brach ohnmächtig zusammen.

    Kopek, Thu`bân, Timsah.

    Der Prinz stieß einen einzigen lauten Schrei aus. Es war kein Schrei der Angst. Es war ein herausfordernder Schrei, ein kämpferischer Schrei.

    Danach herrschte Stille. Eine Schweißperle tropfte leise auf den Boden. Unwillkürlich musste Neith lächeln. Der Prinz hatte die Herausforderung angenommen, er würde sich seinem Schicksal stellen. Trotzdem musste sie wohl oder übel den Atum-Priester informieren.

    „Was hat die Unruhe im Palast zu bedeuten? Der Pharao blickte den Atum-Priester mit ernster Miene an. Neith, die mit dem Prinzen im Arm demütig am Eingang wartete, konnte hören, wie dieser schluckte. Es war nicht gut, dem Pharao schlechte Nachrichten zu überbringen. „Eurer Frau geht es gut, begann der Priester vorsichtig. „Sie hat Euch einen gesunden Sohn geboren." Er zeigte auf die Hebamme, die das Kind hielt.

    Neith sah, wie der Pharao lächelte. „Dann haben die Götter mein Flehen endlich erhört. Aber was soll dieser Aufruhr? Warum dieses Geschrei?"

    Der Priester schluckte erneut. Neith bemerkte, dass seine Hände zitterten. „Nun, … die Hebammen sind sehr beunruhigt. Sie haben … seltsame Stimmen gehört. Eine von ihnen ist sogar ohnmächtig geworden. Die andere wartet dort mit Eurem Sohn."

    „Bring sie her! Sie soll es mir alles genau erzählen."

    „Wie Ihr befehlt. Der Priester seufzte erleichtert und winkte Neith, heranzukommen. Mit bebendem Herzen schritt sie los. Der Pharao starrte sie mit gerunzelter Stirn an. „Was ist los? Warum hat es so einen Lärm gegeben? Sprich!

    Neith neigte untertänigst das Haupt. „Herr, Sohn der Sonne, ich bringe Euch Euren Sohn." Sie streckte ihm den Jungen entgegen, der mit wachen Augen die Umgebung musterte.

    Der Pharao wehrte mit einer Hand ab. „Warum kümmert sich meine Frau nicht um ihn?"

    „Die Gemahlin des Sohnes der Sonne schläft, die Geburt war anstrengend. Sie ist wohlauf, aber wir mussten ihr ein Schlafmittel geben."

    „Und der Lärm? Was war nun mit dem Lärm?", hakte der Pharao nach.

    Einen Moment herrschte Schweigen, dann fasste sich Neith ein Herz. „Herr, die Hathoren haben gesprochen. Die Worte Thu`bân, Timsah und Kopek waren klar und deutlich zu hören. Wir glauben, sie haben das Schicksal Eures Sohnes vorhergesagt."

    Die Augen des Pharao verengten sich. „Schlange, Krokodil, Hund. Was hat das zu bedeuten?" Diesmal blickte er den Atum-Priester an.

    Neith verkniff sich ein Lächeln. Jetzt hatte es den Priester doch noch erwischt. „Wenn nach der Geburt eines Kindes Stimmen zu hören sind, dann, so heißt es, sei dies eine Botschaft der Schicksalsgöttinnen."

    Die Brauen des Pharao zogen sich zusammen wie die Wolken vor einem Sturm. „Willst du damit sagen, die Götter haben mir einen Sohn geschenkt, damit eine Schlange, ein Krokodil oder ein Hund ihn mir wieder raubt?"

    Der Atum-Priester wischte sich den Schweiß von der Stirn. Neith merkte, dass dessen selbstbewusste und zuversichtliche Miene nur aufgesetzt war.

    „Wie der Sohn der Sonne sicherlich weiß, ist niemandes Schicksal unabwendbar. Atum, Osiris oder die Tugenden seines Trägers vermögen das Schicksal zu verändern. Die Lebenszeit Eures Sohnes kann durchaus über die Bestimmung der Hathoren hinaus verlängert werden."

    „Und was schlägst du vor, um das sicherzustellen?"

    „Nun …, stammelte der Priester. „Ich werde zu Atum beten und ihn um seinen göttlichen Rat bitten.

    Man sah dem Pharao an, dass er mit dieser Lösung alles andere als zufrieden war.

    Der Atum-Priester begann zu zittern. Seine Augen schossen hin und her, als ob er nach einer Fluchtmöglichkeit suchen würde. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Dann brach es aus ihm heraus: „Einstweilen schlage ich vor, Ihr haltet Euren Sohn von jeglichen Schlangen, Krokodilen und Hunden fern."

    Thu`bân (Schlange)

    Wieder einmal stand Fenuku auf dem Dach. Ein Sklave hielt einen Şemsi über seinen Kopf und spendete ihm Schatten. Ein anderer fächelte dem Jungen Luft zu. Anders war die Hitze kaum zu ertragen. Fenuku blickte in die Ferne. Die pralle Sonne tauchte den Horizont in ein Flirren, ließ alle Konturen verschwimmen. Auch ohne diese Erschwernis wäre wenig zu erkennen gewesen. Stein und Geröll, Felsen und Sand, so weit das Auge reichte. Kein noch so kleines Zeichen von Leben.

    Fenuku drehte sich langsam auf der Stelle, um in alle Richtungen schauen zu können. Die Sklaven waren gezwungen, sich mitzubewegen. Es sah aus wie ein grotesker Tanz in extremer Verlangsamung. Als er am Ende seiner Drehung angelangt war, seufzte Fenuku auf. Es war wie jeden Tag. Wüste umgab ihn im Norden, Wüste umgab ihn im Süden, im Osten und Westen. Die kahle und unbarmherzige Steinöde umzingelte ihn von allen Seiten.

    Fenuku wandte sich zur Treppe, die ins Innere des Hauses hinabführte. „Najim!, rief er nach unten. Es dauerte einige Zeit, bis ein älterer Mann erschien. Mühsam kämpfte er sich die Stufen hinauf und deutete eine Verbeugung an. „Mein Prinz, womit kann ich Euch dienen? Sein Gesicht war braungebrannt und von Falten zerfurcht wie ausgetrockneter Boden. In seinen Augen lag ein gütig wissendes Funkeln. Seinen Mund umspielte ein geduldiges Lächeln, ganz so als wüsste er schon, was ihn erwartete.

    „Najim, erzähle mir noch einmal, warum mein Vater mich zwingt, in dieser Einöde zu leben."

    Der Alte nickte gehorsam. „Euer Vater, der allseits beliebte Sohn der Sonne, hatte nur Euer Wohlergehen im Sinn, als er dieses wunderbare Haus für Euch bauen ließ. Wie Ihr wisst – ich durfte es Euch das ein oder andere Mal erzählen – haben bei Eurer Geburt vor nunmehr fast fünfzehn Jahren die Schicksalsgöttinnen gesprochen …"

    „Schlange, Krokodil und Hund", unterbrach ihn Fenuku mit unverhohlener Frustration.

    Najim nickte. „So ist es, mein Prinz. Und damit Euch das Schicksal in Gestalt dieser Tiere nicht vorzeitig ereilt, hat er Euch diesen sicheren Ort bauen lassen."

    „In dem ich dann irgendwann vor Langeweile sterben werde."

    „Seid nicht ungerecht. Euer Vater will nur das Beste für Euch!"

    „Darum hat er dich auch mir zur Seite gestellt!"

    „Treibt nur weiter Euren Spott mit mir, mein Prinz, dann werde ich sterben, ohne dass Ihr überhaupt etwas von mir gelernt habt."

    „Warum sollte ich deine Kunst lernen, wenn ich ohnehin mein ganzes Leben in diesem Grab verbringen muss?"

    „So denkt nur ein Narr!"

    „So denkt ein Realist."

    „Mein Prinz, die Zauberei ist eine mächtige Kraft, sie kann heilen oder zerstören, sie könnte Euch schützen oder als Waffe dienen, um Euch gegen Euer Schicksal zu wehren."

    „Glaubst du ernsthaft, dass mich mein Vater ziehen lassen würde?"

    Najim ließ sich mit seiner Antwort Zeit. „Das weiß ich nicht. Aber Eure Chancen wären auf jeden Fall besser, wenn Ihr endlich lernen würdet."

    Fenuku wandte sich ab, als wolle er davon nichts hören. „Was ist das? Der Prinz zeigte auf etwas in der Ferne. Seine Stimme klang aufgeregt. Najim sprach einige abgehackte Silben, fuhr sich mit der rechten Hand über die Augen und schaute dann in die Richtung, in die Fenuku deutete. Man sah seinem Gesicht an, dass dort tatsächlich etwas Besonderes zu sehen war. „Ich nehme nicht an, dass Ihr den Mann meint, der dort vorbeigeht?, fragte er vorsichtig.

    „Natürlich nicht, Najim! Ich meine das Wesen, das ihm folgt und um ihn herumspringt."

    Der alte Mann seufzte. „Das, mein Prinz, ist ein Jagdhund."

    Fenukus Augen leuchteten auf. „Ein solches Tier kann unmöglich mein Schicksal sein! Es ist verspielt und dient seinem Besitzer. Najim, das ist ein Zeichen der Götter! Ich soll mich nicht vor meinem Schicksal verstecken. Man bringe mir einen solchen Hund!"

    Najims Miene verriet nicht, was er dachte. „Wie Ihr wünscht, mein Prinz. Ich werde Euren Vater in Eurem Namen darum bitten …, er machte eine Pause, „… aber nur unter der Bedingung, dass Ihr dann endlich anfangt, Euch ernsthaft mit der Kunst der Zauberei auseinanderzusetzen.

    Fenuku wollte schon aufbrausen, schwieg aber, als er merkte, dass es Najim ernst war. Kurz nickte er. „So sei es." Ohne sich noch einmal nach dem Mann mit dem Hund umzublicken, stieg er hinab ins Haus. Als Najim ihm folgte, umspielte ein feines Lächeln seine Lippen.

    Es war fast vollständig dunkel. Nur eine Ölschale in jeder Ecke spendete einen Hauch von Helligkeit. Najim und Fenuku befanden sich im untersten Raum des Wüstenhauses. Er lag deutlich unter der Oberfläche und war der kühlste in der gesamten Anlage. Normalerweise beherbergte er die Essensvorräte. Najim hatte ihn für eine Lektion leerräumen lassen. Fenuku fröstelte. „Müssen wir das unbedingt hier machen?", fragte er.

    Najim legte einen Finger auf die Lippen. „Geister lieben die Finsternis, die Kälte und die Stille, hauchte er in das Ohr des jungen Mannes. „Wir haben uns nicht umsonst all die Arbeit gemacht und die besten Bedingungen für einen Toten geschaffen. Seid Ihr bereit, mein Prinz?

    Gegen seinen Willen überkam Fenuku nun doch Nervosität. Er spürte, dass seine Handflächen feucht wurden. Bis vor einigen Augenblicken war er fest davon überzeugt gewesen, dass es sich bei dieser Geisterbeschwörung um einen billigen Trick handelte. Jetzt bekam er plötzlich Zweifel. Warum hatte er nur Horemheb genannt, als ihn Najim fragte, wen er beschwören sollte. Wenn dieser ganze Hokuspokus doch funktionierte, war es dann wirklich eine gute Idee, diesen als sehr gewalttätig geltenden alten Herrscher aus dem Reich der Toten herbeizurufen?

    Unsinn, was immer der alte Zauberer plante, ihm sollte er damit keine Angst machen. Er würde sich keine Blöße geben. „Ja, Najim, lass uns beginnen", sagte er mit so viel Festigkeit in der Stimme, wie er aufbringen konnte.

    Im flackernden Licht der Ölschalen sah er ein Lächeln über das Gesicht des alten Mannes huschen. Sein Lehrmeister zwinkerte ihm kurz zu. „Beherrscht Ihr die Worte sicher?"

    Der Prinz nickte.

    „Gut, dann nehmt Eure Position ein."

    Die beiden Männer traten an gegenüberliegende Seiten des mit Kamelblut sorgfältig auf den Boden gezeichneten Kreises. Najim hob den rechten Arm. Als er ihn mit einem Ruck senkte, skandierten beide im Gleichklang. Als sie den Spruch das erste Mal wiederholten, wurde Fenukus Stimme fester. Er meinte, einen dünnen weißen Nebel im Bannkreis aufsteigen zu sehen. Kälte strahlte aus dem Zentrum des Runds. Eine Gänsehaut kroch Arme und Beine des jungen Mannes hinauf.

    Mit jeder beendeten Wiederholung waberte die Wolke höher, nahm mehr und mehr Konturen an. Ein hohes Heulen nahe der menschlichen Hörgrenze setzte ein. Es stach in Fenukus Hirn, raubte seine Konzentration. Er begann zu stammeln, konnte sich aber zum Glück an Najims Stimme orientieren. Nachdem er die Beschwörung zum fünften Mal wiederholt hatte, erstarb mit einem Schlag jegliches Geräusch. Totenstille erstickte alles.

    In der Mitte des Kreises stand die durchscheinende Gestalt eines Mannes in der Kleidung eines Herrschers. Körper und Gesicht waren Fenuku zugewandt. Die milchweißen Augen blickten den Prinzen herausfordernd an. An den Stellen, an denen sich bei lebenden Menschen die Pupillen befanden, blitzten zwei feuerrote Lichter. Fenuku begann unkontrolliert zu zittern.

    Der Geist tötete die Stille mit einem boshaften Lachen. „Du Wicht wagst es, meinen Geist dem Duat zu entreißen!"

    Bei der Beleidigung straffte sich Fenukus Gestalt. „Du sprichst mit einem Prinzen!"

    Wieder lachte der Geist. „Ich habe schon andere Prinzen sterben sehen. Und gerade dein Leben hängt an einem dünnen Faden. Ehe du dich versiehst, sehen wir uns wieder."

    „Der Prinz ist stark, sagte Najim, „er wird sein Schicksal bezwingen.

    Der Geist ignorierte die Stimme in seinem Rücken und starrte weiter den jungen Mann an. „Prinz, ich erkenne eine verwandte Seele, wenn ich sie sehe. Glaube mir, wir werden uns eher wieder begegnen, als du dir wünschst. Das gespenstische Lachen des toten Herrschers fraß sich durch Mark und Bein. Urplötzlich verstummte er und blickte auf den Blutstreifen am Boden zwischen sich und dem Prinzen. „Was ist das? Welcher Stümper hat diesen Bannkreis gezogen?

    Ohne nachzudenken, beugte sich Fenuku vor. „Nein!", schrie Najim. Die Haare des Prinzen sträubten sich Horemheb entgegen. Als sie die unsichtbare Grenze, die sie trennte, berührten, blitzte es bläulich auf. Fenuku riss den Kopf hoch und konnte gerade noch sehen, wie etwas Weißes auf ihn zuschoss. Er zuckte zurück und schrie. Etwas Schreckliches berührte ihn, durchfuhr ihn, ließ sein Herz zusammenkrampfen. Er sah noch Najim, der durch den Blutkreis auf ihn zustürmte, dann schwanden ihm die Sinne.

    Als Fenuku die Augen wieder öffnete, blickte er an die nur von Ölschalen erhellte Decke des Kellers. Er lag auf dem Rücken, eine unsagbare Kälte hielt seinen Körper gefangen. Ängstlich fühlte er in sich. Die fremde Präsenz war nicht mehr zu spüren. „Najim", stammelte er. Der alte Mann tauchte in seinem Gesichtsfeld auf und breitete eine Decke über ihn. Er sah selbst fast aus wie ein Geist und taumelte mehr als dass er ging.

    „Najim, murmelte Fenuku erneut, „es tut mir leid.

    „Unsinn, sagte der Alte mit erstaunlich ungerührt klingender Stimme, „es war mein Fehler. Ich habe es nicht wahrhaben wollen. Ihr seid kein Zauberer und werdet wohl auch nie einer werden. Tief in Eurem Inneren wollt Ihr es nämlich gar nicht.

    Fenuku schlug schuldbewusst die Augen nieder. „Was … was ist mit Horemheb?", hauchte er.

    Najim schwieg einen Moment. „Ich denke, er hatte nicht genug Zeit, um Euch wirklich zu schaden. Ihr werdet Euch bald wieder erholt haben. Ein Geist ist von den Hathoren nicht als eines Euer Schicksale genannt worden", fügte er mit der Andeutung eines Grinsens hinzu.

    „Ist er wieder in den Duat zurückgekehrt?"

    Diesmal war es Najim, der den Blick abwandte. „Horemheb war einst ein mächtiger Herrscher. Es ist mir nicht gelungen, seinen Geist zurückzuschicken. Er machte eine Pause und blickte seinem Schüler dann direkt in die Augen. „Fenuku, Ihr braucht keine Angst zu haben. Najim keuchte und schwankte, als würde er gleich zusammenbrechen. „Ich habe Horemheb gebannt. Er ist noch in der Welt der Lebenden, aber gebunden an einen Ort weit weg von hier."

    „Was?" Fenukus Blick war eine Mischung aus Verwirrung und Entsetzen.

    Najim stützte sich an einer Wand ab und holte mehrmals tief Luft. Langsam drehte er sich dann wieder seinem am Boden liegenden Schüler zu und erklärte: „Ich habe ihn in einen See verbannt, an den ich mich noch aus meiner Jugend erinnere. Horemhebs Geist ist stark. Osiris allein mag wissen, warum, aber er wollte nicht zurück in den Duat. Er hat sich mit Macht gesträubt. Es hat sehr an meinen Kräften gezehrt."

    „Wo liegt dieser See?"

    „Keine Sorge, der See ist weit weg. Vermutlich wisst Ihr es nicht, aber ich stamme aus Syrien."

    In diesem Augenblick konnte man im oberen Teil des Hauses ein Bellen hören.

    Fenuku zuckte zusammen. „Was war das?"

    Najim versuchte zu lächeln. „Das ist Euer Hund, den Ihr gleich kennenlernen werdet. Euer Vater hat mir nur erlaubt, Euch Clia mitzubringen, weil ich ihm versprochen habe, Euch hart ranzunehmen. Wenn er wüsste, was eben passiert ist, würde er mich ohne mit den Augen zu blinzeln in die Skorpiongrube werfen lassen."

    Fenuku schaffte es nicht, dem alten Zauberer in die Augen zu schauen. „Es tut mir leid", war alles, was er noch herausbrachte.

    Najim lächelte. „Mein Prinz, das will ich gerne glauben. Ich hoffe, es hat Euch ein wenig mehr Ehrfurcht vor der Magie gelehrt."

    Fenuku hob die Augen und nickte. Seine Miene war ernst.

    Mehr wie die eines Erwachsenen als die eines Heranwachsenden, dachte Najim. Vielleicht hatte dieses Desaster doch auch etwas Gutes. „Komm, sagte er, „jetzt habt Ihr lange genug da unten auf dem Boden herumgelegen. Es wird Zeit, dass wir zwei wieder in die Sonne kommen.

    Sich gegenseitig stützend, kämpften sich die beiden Männer die Stufen hinauf. Von oben klang ihnen ein freudig erregtes Bellen entgegen.

    „Vater, Fenuku blickte den Sohn der Sonne unverwandt an, „ich bin nun 16 Jahre alt und habe meine Jugendlocke verloren.

    Der Pharao saß auf seinem Herrschersitz und gewährte seinem einzigen Kind eine Audienz. „Fahr fort", entgegnete er mit ernstem Gesichtsausdruck.

    Fenuku schluckte. „Ich kenne die Sprüche der Hathoren vom Tag meiner Geburt. Deshalb hast du mir ein Haus in der Wüste bauen lassen, in dem ich, seit ich denken kann, leben muss. Deshalb hast du mir den ehrenwerten Najim als Lehrmeister zur Seite gestellt. Deshalb habe ich viel gelernt – er schaute zu dem alten Mann, der etwas abseits vom Herrscher und seinem Sohn stand – „sogar mehr, als ich je geglaubt hätte.

    Najim erwiderte den Blick und nickte mit leicht gequälter Miene.

    Der Pharao sah zuerst Najim und dann seinen Sohn an. „Sprich weiter!", befahl er.

    Fenuku versuchte sich an einem Lächeln. „Seit über einem Jahr habe ich einen Hund, der Tag und Nacht um mich ist. Er drehte sich zum Eingang des Saals um und rief: „Clia!

    Eine riesige Jagdhündin kam bellend angerannt, schoss zwischen zwei Säulen hindurch und stürzte sich schwanzwedelnd auf ihr Herrchen, das sie beinahe umwarf.

    Der Pharao zuckte zusammen. Man sah ihm an, dass er sich das Haustier seines Sohnes deutlich kleiner vorgestellt hatte. Mit zusammengezogenen Brauen starrte er Najim an, der schuldbewusst dreinschaute und die Schultern hochzog.

    „Das, Vater, fuhr Fenuku fort, nachdem sich der Hund beruhigt hatte, „ist Clia. Ich habe sie selbst groß gezogen. Seit einem Jahr ist sie mir eine treue Gefährtin und hat manchen einsamen Tag mein Herz erfreut – Fenuku machte eine Pause – „ohne dass sich mein Schicksal erfüllt hätte. Was soll dabei herauskommen, wenn ich nur herumsitze? Sieh, ich bin nun einmal den drei Schicksalen befohlen. Darum lass mich frei, damit ich endlich die Welt kennenlerne und etwas erlebe, bis die Götter tun, was sie im Sinn haben. Diese Gefangenschaft ist für mich das schlimmste aller Schicksale."

    Lange starrte der Pharao seinen Sohn an. Dann nickte er mit betrübter Miene. „Nun, wenn es sein muss, so soll es sein. Ich werde dir Hondo-Kosey mitgeben. Es ist ein sehr gutes Chepesch-Schwert, das ich selbst im Krieg gegen die Amurriter getragen habe. Es hat mir stets treue Dienste geleistet. Man sagt, es habe magische Kräfte, die seinen Träger vor tödlichen Gefahren schützen. Außerdem erhältst du einen Wagen, Ausrüstung und Geld. Aber – der Pharao hob die Stimme – „das bestimme ich: Du wirst nicht alleine gehen, du wirst einen Gefolgsmann mitnehmen. Wähle unter den tapfersten meiner Krieger. Wen möchtest du an deiner Seite haben, mein Sohn?

    „Najim!", sagte Fenuku bestimmt und ohne jedes Zögern.

    Dem alten Mann entfuhr ein Laut der Überraschung. Der Pharao hob erstaunt die Augenbrauen und blickte Najim fragend an. Dieser wirkte für einen Moment verunsichert. Als Fenuku ihn auffordernd anschaute, nickte er schließlich. „Wahrscheinlich werde ich das mein Leben lang bereuen, aber nun gut, dann werde ich Euch begleiten, mein Prinz. Wer weiß, wie lange ich überhaupt noch zu leben habe", fügte er dann noch mit einem Grinsen hinzu.

    Fenuku lachte. „Warum so pessimistisch? Wir werden schon noch den einen oder anderen Becher Wein miteinander heben. Schließlich warst du es, der mich ausgebildet hat. Jetzt werde ich dich sicherlich nicht so sang- und klanglos wegsterben lassen, das könnte dir so passen."

    Najim grinste. „Ich sehe schon, wenn Ihr auch sonst nichts von mir gelernt habt, dann doch wenigstens den Humor."

    „Nun gut, der Pharao unterbrach das Geplänkel der beiden, „dann ist das beschlossen. Wohin wirst du dich wenden, mein Sohn?

    Einen Augenblick zögerte Fenuku. „Nach Nordosten", sagte er dann, einer inneren Eingebung folgend.

    „So sei es! Dann wird man dich und Najim in genau fünf Tagen übersetzen. So bleibt noch genügend Zeit für ein Abschiedsfest."

    Clia tollte bellend um ihren Wagen herum. Sie waren jetzt schon fast einen Mondunterwegs, aber die Hündin schien immer noch so glücklich wie ihr Herr. Sie reisten nur in den frühen Morgen- und Abendstunden, wenn die Sonne flach stand und es nicht zu heiß war. Gerade setzte die Abenddämmerung ein. Bald würden sie rasten und ihr Lager aufbauen. Obwohl Fenuku Schweiß und Wüstenstaub am Körper klebten wie ein Insektenpanzer, lächelte er. „Schau dir den Sonnenuntergang an! Es tut so gut, frei zu sein, den eigenen Weg selbst bestimmen zu können, etwas Neues zu sehen." Der Prinz schaute seinen Begleiter Zustimmung heischend an.

    Najim wirkte abgekämpft. Trotzdem entlockte ihm die Euphorie seines Schützlings ein Lächeln. „Also, ich weiß nicht. Einen Sonnenuntergang könnte ich mir auch von Eurem schönen, ruhigen und sauberen Haus aus ansehen."

    „Du bist ein Spielverderber!"

    Najim seufzte. „Ich bin einfach nur dreimal so alt wie Ihr. Mir ist bis heute unklar, warum Ihr gerade mich ausgewählt habt. Wenn ich daran denke, dass ich jetzt auf meinem bequemen Sessel sitzen und eine kühle Kamelmilch trinken könnte …"

    Fenuku lachte. „Stell dich nicht so an, ich weiß, dass dir die Reise Spaß macht."

    Najim verzog das Gesicht. „Vielleicht, aber ich hätte nichts dagegen, wenn wir mal eine längere Pause in einer größeren Stadt einlegen würden. Wie weit nach Norden wollt Ihr eigentlich noch? Wir sind jetzt schon bald in Syrien."

    Fenuku antwortete nicht. Stattdessen zügelte er die beiden Pferde und hielt den Wagen an. „Wo ist Clia?"

    Suchend blickten sich die beiden Reisenden um. Clia war nirgends zu sehen. „Eben ist sie noch um den Wagen gehüpft wie ein junger Welpe", sagte Najim etwas lahm.

    In diesem Augenblick hörten sie ein klägliches Jaulen. Es kam aus der Richtung einer seltsamen Felsformation, die in der einbrechenden Dunkelheit bedrohlich am Rand des Weges aufragte. Wieder erklang ein Jaulen, das in einem verzweifelten Winseln endete. Die Miene des Prinzen zeigte Besorgnis. „Es ist ohnehin Zeit zu rasten. Najim, schlägst du das Lager auf, ich schaue nach Clia."

    Der alte Mann nickte. Auch in seinen Augen zeigte sich Sorge. „Seid vorsichtig, mein Prinz, sagte er. „Vergesst nicht, dass der Hund auch eines Eurer Schicksale ist.

    Fenuku verzog unwirsch das Gesicht, nahm aber Hondo-Kosey, das Chepesch-Schwert seines Vaters, mit, als er sich auf den Weg machte.

    Das Winseln wurde lauter je näher er den Felsen kam, aber es klang dumpf, so als würde es aus dem Boden aufsteigen. Vielleicht war die Hündin in eine Spalte gestürzt. „Clia!", schrie er.

    Das Winseln ging in ein Bellen über, das von den Felswänden zurückgeworfen wurde. Es klang, als käme es von allen Seiten. „Ruhig, ruhig, es wird alles gut, versuchte Fenuku zu beruhigen. Als die Hündin die Stimme ihres Herrchens hörte, heulte sie immer lauter. Es klang wie ein Chor verlorener Seelen. Zwischen den Felsbrocken war es so finster, dass sich der Prinz ärgerte, nicht noch einige Augenblicke gewartet zu haben, bis das Feuer brannte. Eine Fackel wäre jetzt sehr hilfreich gewesen. Er blickte zurück. Ein schwach flackernder Lichtschein zeigte ihm, dass Najim mitgedacht und das Feuer entfacht hatte. Es war wichtig, um die Badyabestien von den Pferden fernzuhalten. Wenigstens würde er so problemlos zu seinem Reisegefährten zurückfinden. Einen Moment überlegte er, ob er zurückgehen und sich ein brennendes Holzscheit holen sollte, als Clias Kläffen plötzlich erstarb. Dann war ein tiefes bedrohliches Knurren zu hören, dass sich Fenuku die Nackenhaare aufstellten. Er fasste sein Chepesch-Schwert fester und eilte zwischen den Felsen weiter in die Richtung, aus der er glaubte, das Knurren gehört zu haben. „Clia, halt durch! Ich komme!, rief er und verschwand in der Dunkelheit.

    Er kämpfte sich zwischen den Felsbrocken durch. Es wurde immer mehr ein Vorantasten als dass er seinen Weg sehen konnte. Ungeduldig folgte er einem Winseln, das jetzt wieder leise zu hören war. Die genaue Richtung, aus der das Geräusch kam, konnte er in den teils engen, sich weit verzweigenden Felsgängen kaum bestimmen. Irgendwie hatte er immer mehr das Gefühl, Clia befände sich irgendwo unter ihm in einer Höhle oder Grube.

    Das furchterregende Knurren war wieder zu hören. Diesmal schien es von hinten zu kommen. Fenuku wurde unsicher. Angst griff nach seinem Herzen. Er war ein Idiot, sich im Dunkeln ohne Licht in dieses Felsenlabyrinth gewagt zu haben. Was erwartete ihn hier? Wie sollte er wieder hier herauskommen, falls er Clia jemals finden würde?

    Er unterdrückte die aufkeimende Furcht und tastete sich weiter vor. Vorsichtig schob er einen Fuß vor den anderen. Dann war da plötzlich Leere. Er spürte den Abgrund mehr als dass er ihn sah. „Clia?", hauchte er. Die Tiefe schien seine Worte zu verschlucken. Von unten konnte er nun deutlich das Winseln hören, das ihn hergeführt hatte. War das seine Hündin?

    „Clia?", rief er etwas lauter. Das Jaulen ging in ein aufgeregtes Bellen über. Er hatte Clia gefunden, aber wie sollte er in der Dunkelheit zu ihr kommen, gar nicht zu reden davon, sie aus der Felsspalte hochzuholen. Fenuku hatte diesen Gedanken

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1