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Schamanenkind
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eBook175 Seiten2 Stunden

Schamanenkind

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Über dieses E-Book

Der 12-jährige Falko lebt nach dem Tod seiner Eltern bei seiner Tante in einem kleinen Dorf. Die Ferien haben gerade begonnen und versprechen eigentlich nur eines: Jede Menge Zeit und wahrscheinlich eine gehörige Portion Langeweile. 

Doch dann begegnet er Magnus, einem etwas kauzigen Einsiedler, und freundet sich langsam mit ihm an. Falko erfährt, dass Magnus eine Menge über die Natur und die indianische Lebensart weiß. Mit seiner Hilfe beginnt er, in einer nicht alltäglichen Wirklichkeit herumzustreifen, die Natur anders zu verstehen und sich mitten im größten Abenteuer seines Lebens wiederzufinden. Und Falko findet Heilung von seiner tiefen Trauer. 

Eine liebevolle und spannende Einführung in die Welt des Schamanismus, nicht nur für Kinder und Jugendliche.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum4. Juli 2016
ISBN9783957659729
Schamanenkind
Autor

Gerd Scherm

Gerd Scherm, 1950 in Fürth geboren und aufgewachsen, lebt seit 1996 mit seiner Frau Friederike Gollwitzer in einem alten Fachwerkgehöft in Binzwangen bei Colmberg. Gerd Scherm ist Schriftsteller und bildender Künstler. Er arbeitete zehn Jahre als Kreativdirektor für Rosenthal und organisierte u.a. die Selber Literaturtage und die Künstlertage auf der Mathildenhöhe in Darmstadt. Sein reiches literarisches Spektrum umfasst Theater-stücke, Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Satiren, Libretti und Essays. Einer seiner Schwerpunkte liegt in der Lyrik, die er meist in künstlerisch-bibliophiler Ausstattung präsentiert und die auch immer wieder zeitgenössische Komponisten zu Vertonungen anregt. Gerd Scherm war Gastdozent an der Freien Universität Berlin und an der Universität St. Gallen im Fachbereich Kultur- und Religionssoziologie. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und dem Deutschen Phantastik Preis.

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    Buchvorschau

    Schamanenkind - Gerd Scherm

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    Vorwort

    Im Jahr 2002 kam mein Freund Dr. P. Günter Strauss mit einem ungewöhnlichen Anliegen zu mir. »Könntest du dir vorstellen, in einem Buch Kindern und Jugendlichen den Schamanismus näher zu bringen?«, fragte er und ich gestehe, ich konnte es mir nicht vorstellen. Wie sollte ich etwas erklären, was man nur durch persönliche Erfahrung erfassen kann? Der Schamanismus ist ja kein mechanisches System, in dem man auf einen Knopf drückt und dann geschieht dieses oder jenes. Es gibt auch keinen Guru, der immer recht hat; es gibt nur Lehrer, die einem helfen, die eigenen Wege zu finden.

    Etwa ein Jahr später besuchte mich Dr. Strauss in unserem alten Fachwerkgehöft auf der Frankenhöhe. Er erzählte mir vom »Freundeskreis Indianerhilfe e. V.«, einer Initiative von Ärzten, die sich medizinischen und sozialen Projekten für die Amazonas-Indianer widmen. So wie diese engagierten Menschen Wissen und Erfahrungen nach Südamerika bringen, sollte das geplante Buch quasi im Austausch schamanische Erfahrungen hierher bringen.

    Nach einigen Tagen intensiver Gespräche hatte mein Freund mich überzeugt. Ich wollte das Wagnis eingehen, meine schamanischen Erfahrungen in einer für mich völlig neuen Form zu artikulieren. Wichtig war für mich, meine Geschichte nicht am Amazonas, den Black Hills, in Sibirien oder einem anderen »exotischen« Gebiet anzusiedeln, sondern bei uns in der westlichen Zivilisation der Gegenwart. Die Handlung findet in einem Dorf statt, das dem meinen auf der Frankenhöhe nicht unähnlich ist. Damit will ich aufzeigen, dass der Schamanismus kein Phänomen ist, das sich auf die sogenannten Naturvölker oder Stammesgesellschaften in fernen Urwäldern oder Steppen beschränkt, sondern im Hier und Heute praktiziert werden kann.

    Die Erstauflage meines Romans »Schamanenkind« erschien 2004 und ist seit etlichen Jahren vergriffen. Immer wieder wurde ich nach diesem Buch gefragt und ich freue mich, dass es nun mit dieser Neuauflage den Lesern erneut zugänglich gemacht wird.

    Gerd Scherm

    Schamanenkind

    Die rotbraun schimmernde Eidechse lag starr im prallen Sonnenschein. Falko hatte sich bis auf wenige Zentimeter an den Miniaturdrachen herangerobbt und konnte ihm fast in die Augen sehen. Die Begegnung mit der Echse war das Aufregendste der letzten drei Tage, die gleichzeitig die ersten Ferientage waren. Falko überlegte, ob ihm diese Ferien wohl überhaupt noch etwas zu bieten haben würden. So wie es aussah, lagen vor ihm sechs öde, langweilige Wochen.

    Seit dem Unfalltod seiner Eltern vor fast genau einem Jahr lebte Falko bei seiner Tante hier in diesem kleinen Dorf am Fluss. Er hatte diesen Bruch in seinem Leben immer noch nicht richtig verarbeitet. Der Tod der Eltern, der Umzug von der Stadt aufs Land, die neue Schule, der Verlust der alten Schulkameraden. Falko war zwölf Jahre alt und ziemlich einsam.

    Plötzlich schnellte die Eidechse um ihre eigene Achse und verschwand in einem Erdloch. Etwas hatte sie erschreckt und Falko war sich sicher, dass nicht er die Ursache war. Er blickte um sich, konnte aber nichts entdecken. Dann schaute er nach oben. Dort kreiste, nicht weit über ihm, ein Raubvogel. Falko hatte keine Ahnung, ob es ein Bussard oder ein Habicht war. Ein Falke war es mit Sicherheit nicht, Falken waren kleiner, das wusste er. Wegen seines Namens hatte er sich ein bisschen mit diesen Vögeln beschäftigt und er besaß auch ein Buch über sie. Ansonsten konnte er als Stadtkind lediglich den Adler ausschließen, von dem er wusste, dass er viel größer war und es ihn hier in der Gegend mit Sicherheit nicht gab. Der Vogel schien sich für ihn zu interessieren. Falko dachte angestrengt nach, ob solche Raubvögel auch Menschen angreifen würden, kam aber zu dem Schluss, dass dies höchstens Adler oder Geier tun. Das beruhigte ihn und die aufkeimende Angst verschwand. Der Vogel schwebte noch etwas tiefer und war nur noch etwa drei Meter über seinem Kopf. Dann drehte er ab und flog zum Fluss. Das Ufer war dicht mit Bäumen und Büschen bewachsen, ein ideales Gelände für Enten, Bisamratten, Fischotter und Biber, die er hier schon voriges Jahr beobachten konnte. Der Raubvogel verschwand im hohen Buschwerk, nicht weit von ihm. Falko fixierte mit seinem Blick das Gelände, in der Hoffnung, dass der Beutegreifer sich bald wieder daraus erheben würde. Plötzlich kam Bewegung in die Äste und Blätter, es knackte und raschelte, als würde sich etwas Großes darin aufhalten. Etwas sehr Großes.

    Dann teilten sich die Äste und ein Mann kam zum Vorschein. Falko staunte mit offenem Mund.

    ›Wo kommt der denn auf einmal her?‹, dachte sich Falko. Er kannte den Mann, es war Magnus aus dem Dorf.

    Kennen war eigentlich zu viel gesagt. Er wusste, dass es Magnus gab und dass er im Dorf wohnte, mehr aber auch nicht. Schon damals, als er mit seinen Eltern die Tante im Dorf zweimal jährlich besucht hatte, war ihm der Mann aufgefallen. Falko hielt ihn für einen komischen Kauz, der so ganz anders war als die anderen Dörfler. Die waren entweder Bauern oder Nebenerwerbslandwirte, wie man die Leute nannte, bei denen noch ein paar Kühe oder Schweine im Stall standen und die ein paar Äcker und Wiesen bewirtschafteten. Viele von denen waren inzwischen auch als Vermieter von Zimmern und Ferienwohnungen erfolgreich und boten »Ferien auf dem Bauernhof« für Stadteltern mit Stadtkindern an. Die durften dann Ponys reiten und Ziegen streicheln, Hühner füttern und mit kleinen Hasen schmusen, in Scheunen toben und auch im Heu schlafen.

    Aber Magnus war anders. Falko besaß zwar keine Ahnung, wieso und warum, aber er spürte es. Und dieser Magnus kam jetzt aus dem Gebüsch auf ihn zu, in dem vorher der Raubvogel gelandet war.

    Falkos Staunen und Verwunderung wichen einer zunehmenden Angst. Was wollte der Mann von ihm? Und wo kam er eigentlich her? Natürlich aus dem Gebüsch, aber wieso? War er die ganze Zeit dort gewesen? Dann musste er schon eine Stunde darin gesessen haben, denn so lange beobachtete Falko schon die Eidechsen auf dem kleinen Sonnenhügel der Wiese.

    »Hallo, Falko«, sagte der Mann.

    »Hallo«, erwiderte Falko leise, der immer noch auf dem Boden saß und zum überraschenden Ankömmling emporblickte.

    »Ein schöner Platz, der kleine Hügel«, stellte Magnus fest. »Ich bin früher auch oft hier gesessen.«

    »Es gibt hier eine Menge Eidechsen«, antwortete Falko unsicher.

    »Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte Magnus und nahm, ohne eine Antwort abzuwarten, neben Falko Platz. Dann saßen beide schweigend nebeneinander.

    Nach einer Weile fragte Magnus: »Bist du überhaupt nicht neugierig?«

    »Worauf?«

    »Woher ich auf einmal komme. Und was ich dort im Gebüsch gemacht habe.«

    »Schon«, gab Falko zu, ohne jedoch weiter nachzufragen. Er traute sich einfach nicht. Er konnte die Situation nicht einschätzen, wusste nicht, was der andere von ihm wollte.

    »Ich habe dich beobachtet.« Magnus’ Feststellung brachte Falko fast aus der Fassung. Warum beobachtete ihn dieser Mann? War er einer von dieser Sorte, vor der seine Eltern ihn immer gewarnt hatten? Falko wusste, dass es Männer gab, die auf zwölfjährige Knaben »standen«, wie das die Älteren nannten.

    »Nicht das, was du jetzt denkst«, grinste Magnus.

    »Woher wollen Sie wissen, was ich jetzt denke?«, fragte Falko trotzig.

    »Weil man es dir an der Nasenspitze ansieht. Und weil ich es an deiner Stelle auch denken würde.«

    Das konnte Falko akzeptieren und er wurde etwas mutiger.

    »Ich weiß, dass deine Eltern gestorben sind, und ich weiß auch, dass es dir deswegen immer noch ziemlich schlecht geht.« Magnus blickte ihn mit ernsten Augen an.

    Falko war das Thema unangenehm und er wollte möglichst schnell ablenken.

    Beschützer

    Deshalb fragte er: »Wo ist der Vogel abgeblieben?«

    »Der ruht sich im Gebüsch aus, ich denke, er schläft jetzt ein Weilchen. Es war für ihn ziemlich anstrengend.«

    Falko verstand überhaupt nichts. »Warum ist Fliegen für ihn anstrengend, er ist doch ein Vogel?«, fragte er verwundert.

    Magnus lachte. »Das schon, aber er ist es nicht gewohnt, Passagiere mitzunehmen.«

    »Passagiere?«, wiederholte Falko. »Ich habe nur den Vogel gesehen.«

    »Nun, er hat mich mitgenommen. Deshalb bin ich auch nach der Landung aus dem Gebüsch gekommen.«

    Falko konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass dieser Magnus ihn auf den Arm nahm.

    »Dann sind Sie wohl auf seinem Rücken gesessen wie Nils Holgersson?«

    »Das wäre auch nicht schlecht. Aber dazu war der Vogel wohl etwas zu klein. Ich war nicht auf ihm, sondern in ihm.«

    »So wie Jonas im Bauch des Wals?« Falko bekam langsam genug von diesen Lügengeschichten.

    »Das kommt der Sache schon näher, aber der beste Platz für solche Flugreisen ist nicht der Bauch, sondern das Gehirn«, erwiderte Magnus ganz sachlich, als würde er über die Vor- und Nachteile des Straßenbahnfahrens reden.

    »Und wie kommt es, dass ein erwachsener Mensch in das Gehirn eines Vogels passt? Haben Sie eine Pille erfunden, die einen schrumpfen lässt?«

    Magnus lachte laut. »Wäre nicht schlecht, oder? Aber es ist ganz anders. Es ist nicht körperlich, das wäre auch viel zu gefährlich. Ich erkläre es dir und du wirst es verstehen, auch wenn es zuerst kompliziert klingt. Willst du es wissen?«

    Falko nickte. Klar wollte er es wissen. Erstens schien die Sache interessant zu sein, auch wenn sie bestimmt erfunden war und zweitens war er von Natur aus neugierig.

    Ein Lächeln huschte über das Gesicht von Magnus. Er freute sich, dass er das Interesse des Jungen geweckt hatte.

    »Ich nenne die Technik, so zu reisen, ›Borgen‹. In der Praxis funktioniert das so: Ich sitze an einem geschützten Platz, so wie vorhin im Gebüsch, und suche mir einen Vogel aus. Es geht natürlich auch mit anderen Tieren, aber bleiben wir beim Vogel. Ich habe also diesen Habicht gesehen.«

    »Ein Habicht war es also!«, unterbrach ihn Falko.

    »Ja, ein Habicht. Und dann habe ich über meine Gedanken mit ihm Kontakt aufgenommen. Ich fragte ihn, ob ich mir für eine Weile seinen Körper ›borgen‹ dürfe, weil ich etwas beobachten wollte. Das bedeutet, dass er mir für eine Weile das Kommando über seinen Körper überlässt und er sich so bewegt, wie ich es möchte. Natürlich muss er die Muskeln und alles andere weiter selbst steuern, ich kann ja nicht fliegen. Aber in dieser Zeit kann ich alle seine Sinneswahrnehmungen aufnehmen, als wären sie meine eigenen und auch mit seinen Augen sehen. Und so konnte ich dich beobachten, wie du die Eidechse beobachtest. Im Prinzip ganz einfach.«

    »Ganz einfach?«, Falko schüttelte den Kopf. »Immerhin ist es die beste Geschichte, die ich seit Wochen gehört habe.«

    »Immerhin etwas«, sagte Magnus lächelnd.

    Wieder schwiegen beide.

    Nach einer Weile fragte Falko: »Machen Sie das öfter?«

    »Nur wenn es nötig ist.«

    »Nie aus Spaß?«

    »Doch, manchmal schon. Es ist einfach schön, über das Land zu fliegen und den Wind zu spüren.«

    »Und mit anderen Tieren?«

    »Kann auch recht interessant sein.«

    »Sie meinen das wirklich ernst?«

    Falko begann, an seinen Zweifeln zu zweifeln. Der andere machte keinesfalls den Eindruck eines Lügners. »Sie verarschen mich wirklich nicht?«

    »Nein.«

    »Kann man das lernen?«, fragte Falko zögernd.

    »Man im Sinn von irgendjemand wird es kaum schaffen. Aber wenn du wissen willst, ob du es lernen kannst: Dir traue ich es zu.«

    Falko jubilierte innerlich. Weniger wegen der Aussicht als Passagier im Gehirn eines Vogels mitzufliegen, als wegen der Tatsache, dass diese Ferien auf jeden Fall aufregender werden würden, als er geglaubt hatte.

    Falko stand vor dem Spiegel und kämpfte mit seinen Haaren. Das war ganz normal, denn er kämpfte immer nach dem Aufstehen damit, seine Haare in Kopfnähe zu bringen. Er verstand nicht, warum sie sich im Schlaf stets von seiner Kopfhaut abspreizten, um wie Antennen, – so bezeichnete es jedenfalls seine Tante Doris –, nach allen Seiten abzustehen. Falko blickte sich selbst tief in die Augen. »Du willst also mit den Vögeln fliegen?«, fragte er sein Spiegelbild. Und er wusste in diesem Moment nicht, ob er sich selbst ernst nehmen sollte.

    Für sein Alter war er eigentlich etwas zu klein, in seiner Klasse gab es nur einen, der nicht größer war als er. Falko selbst hielt sich für schlank, andere nannten es schmächtig, oder zart, wie die Psychologin,

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