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Falkenkrieger: Spiegelmagie Band 2
Falkenkrieger: Spiegelmagie Band 2
Falkenkrieger: Spiegelmagie Band 2
eBook352 Seiten4 Stunden

Falkenkrieger: Spiegelmagie Band 2

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Über dieses E-Book

Ihre königliche Schwiegermutter hält sie für einen halbwilden Bergtrampel. Ihr königlicher Schwiegervater nimmt sie kaum zur Kenntnis. Und was ihren Gatten Tolioro angeht, wäre Sirit heilfroh, würde er dem Beispiel seines Vaters folgen.
Zu allem Überfluss scheint sie unfähig zu sein, dem Land den heißersehnten Thronfolger zu schenken. Alles, was Sirit gebärt, sind Töchter. Unerwünschte Töchter.
Ioro, der einzige in der königlichen Familie, der ein gutes Wort für sie erübrigt hat, ist weit weg und führt das Heer Karapaks gegen die Wüstenstämme.
Wie kann eine kleine, schwache Frau, die noch dazu im Harem eingesperrt ist, in dieser Lage einen Krieg verhindern – oder entfachen?
SpracheDeutsch
HerausgeberMachandel Verlag
Erscheinungsdatum5. Apr. 2018
ISBN9783959591119
Falkenkrieger: Spiegelmagie Band 2

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    Buchvorschau

    Falkenkrieger - Chris Svartbeck

    Cover Falkenkrieger

    Spiegelmagie

    Band 2

    FALKENKRIEGER

    C. Svartbeck

    Falke

    Hinweis:

    Am Ende des Buches finden Sie einen Anhang mit einer Landkarte sowie Erläuterungen zum Land Karapak und seinen Bewohnern.

    C. Svartbeck

    Machandel Verlag

    Neustadtstr.7, 49740 Haselünne

    Bildquelle cover: Raisa Kanareva und tobibandi / www.shutterstock. com

    2016

    ISBN 978-3-95959-111-9

    Bestandsaufnahme

    Der Wind roch nach kaltem Brand. Der beißende Gestank des Versengtem hing in allen Kleidungsstücken. Selbst das Essen roch nach Feuer und Verkohltem.

    Karados wiegte Anai sanft in seinen Armen. Das kleine Mädchen war erschöpft vom Weinen eingeschlafen. Unter seinen Fingern konnte er die Rippen fühlen. Das Feuer hatte fast alle Vorräte vernichtet. Und das wenige, was sie noch hatten, stank nach Rauch. Sicher, da war noch das Fleisch der toten Ochsen. Aber den meisten Kindern wurde schlecht, wenn sie gebratenes Fleisch nur rochen. Zwei Tage lang hatten die Totenfeuer im Hof gebrannt. Selbst Karados war im Moment nicht nach Fleisch zumute.

    Meister Os aus der Nachbarprovinz hatte ihnen Hilfe und Lebensmittel angeboten. Im Tausch gegen fünf Kinder. Meister Jo hatte abgelehnt. Typisch jugendlicher Starrsinn. Ah, dieser junge Meister! Wenn er die Regeln beherrscht hätte, wäre dieses schreckliche Unglück nie passiert. Ein Zweikampf ohne den Schutz der Arena! Ein Wunder, das überhaupt jemand überlebt hatte. Karados sah zum Turm herüber. Das Dach war weg, aber der Turm stand noch, ein Symbol der Stärke des neuen Meisters. Doch egal, wie stark Meister Jo war, auch er konnte keine Lebensmittel aus der Luft herbeizaubern. Früher oder später würde er auf Meister Os Angebot eingehen müssen. Nur dass Os dann mit Sicherheit mindestens ein oder zwei Kinder mehr verlangen würde. Wenn bloß Marade noch da wäre, die hätte gewusst, was zu tun war. Leider war die Haushälterin des alten Meisters ebenfalls in dem brennenden Haus umgekommen. Ohne den eisernen Beschlag ihres Stocks hätten sie noch nicht einmal ihre Leiche identifizieren können.

    Karados legte Anai sanft hin und erhob sich ächzend. Da waren noch mehr Kinder, um die er sich dringend kümmern musste.

    ***

    Leise Unterhaltung plätscherte durch den Raum. Ioro öffnete die Augen und versuchte, den Kopf etwas zu drehen. Selbst diese winzige Bewegung reichte, um ihm einen kleinen Schmerzensschrei zu entlocken. Seine linke Körperseite brannte wie Feuer. Direkt vor sich sah er das besorgte Gesicht eines graubärtigen Mannes. Dunkelbraune Augen blinzelten, die Lachfältchen in den Augenwinkeln vertieften sich, eine fröhliche Stimme begrüßte ihn. „Mein Prinz, wie schön, dass Ihr wieder unter uns seid!"

    Das war doch Mane, der Leibarzt seines Vaters? Wie kam der hierher? Überhaupt, wo war hier? Dies war nicht sein Zimmer in der Wachkaserne. Den Säulen nach befand er sich im inneren Palast. Zuletzt ... Das Letzte, woran Ioro sich erinnerte, waren die Flammen, die aus dem Scheiterhaufen nach ihm gegriffen hatten, und der Falke, der mit ausgestreckten Klauen auf ihn zugeschossen kam.

    Mane bückte sich kurz und kam mit einer kleinen Flasche in der Hand wieder hoch. Er setzte sie Ioro an die Lippen. „Trinkt, mein Prinz. Das wird Euch gegen die Schmerzen helfen."

    Der Trank war bitter und hatte einen schleimig-süßlichen Nachgeschmack. Ioro trank ohne Widerrede. Sein Kopf hämmerte, sein Körper brannte, alles schmerzte. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. „Was ist passiert?"

    Manes Gesicht verlor sein Lächeln. „Mein Prinz, die Göttin selbst hat Euch gerettet und damit Eure Unschuld bewiesen. Sie kam in Form eines Falken zu Euch ins Feuer und löschte es mit ihren Tränen."

    Der Falke? Das musste Jok gewesen sein. Aber was hatte es mit diesen mysteriösen Tränen auf sich? Egal, das konnte er später klären. Etwas anderes war vorrangig. „Dann bin ich begnadigt?"

    Manes Lächeln kehrte zurück und leuchtete über sein ganzes Gesicht. „Nicht nur begnadigt, mein Prinz! Euer Vater, König Kanatamehme – die Göttin möge ihn und sein Haus segnen – hat offiziell verkünden lassen, dass das Urteil gegen Euch aufgehoben wurde und Ihr vollständig rehabilitiert seid. Ihr wurdet in allen Ehren wieder in das Haus Mehme aufgenommen."

    Ioro war, als ob eine schwere Last sich von ihm hob. Seine Ehre war wieder hergestellt! Alles andere war zunächst unwichtig. Er beendete das Gespräch, indem er seine Augen schloss. Hoffentlich würde Manes Gebräu seine Schmerzen bald lindern.

    *

    König Kanata von Karapak, in gerader Linie neunter Herrscher aus dem ehrwürdigen Haus Mehme, Erbe des Falkenthrons von Sawateenatari, starrte in die Dunkelheit seines Schlafgemachs. Neben ihm lag eine junge Frau und schlief. Ihr sanfter Atem kitzelte ihn am Arm. Kanata vermisste Miomio. Mit ihr hätte er jetzt reden können. Sie war die Einzige unter all seinen Frauen und Konkubinen gewesen, die mehr Geist als Schönheit besessen hatte. Und Miomio war sehr schön gewesen. Zu schade, dass sie sich auf seinen Befehl hin das Leben genommen hatte. Was hätte er denn auch tun sollen? Ihr gemeinsamer Sohn Ioro war als Hochverräter zum Scheiterhaufen verurteilt worden. Nach den Gesetzen Karapaks war es ihm damit unmöglich gewesen, Ioros Schwestern und Mutter zu verschonen.

    Kanata schloss die Augen und wartete. Der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und führten ihn letzten Endes immer wieder zu der gleichen Frage: Hatte Ioro mit dem Attentat zu tun oder nicht? Ioro war eindeutig mit dem Dolch in der Hand auf ihn zugestürzt. Angeblich, um ihn vor einem tödlichen Zauber zu schützen. Aber wieso hatte nur Ioro diesen Zauber erkannt? Wie hatte er ihn brechen können? Inwieweit war sein ältester Sohn in die Machenschaften der Kristallkammer verwickelt? Welcher Zauberer hatte ihm geholfen? Diese Sache mit dem Scheiterhaufen – das Wunder der Göttin, das Ioro gerettet hatte, stank zehn Meilen gegen den Wind nach Zauberei. War die Kristallkammer direkt involviert? Hatte dieses angebliche Wunder damit zu tun, dass die Kristallkammer schon bei Ioros Geburt bemüht gewesen war, den Sohn seiner Konkubine in die Thronfolge einzubringen? Was verband Ioro mit den Zauberern?

    Und wenn tatsächlich nicht Ioro der Attentäter gewesen war, wer dann? Am nächstliegendsten wäre sein zweiter Sohn und Thronerbe Tolioro. Aber der hatte sich die ganze Zeit neben ihm aufgehalten und keine verdächtige Bewegung gemacht. Wer, bei der Göttin, konnte es bloß gewesen sein?

    *

    Tolioro kochte vor Wut. Nicht nur, dass sein älterer Bruder das Attentat auf ihren Vater vereitelt hatte, nein, Ioro war auch noch durch göttliche Hilfe gerettet worden! Die Bewohner Sawateenataris feierten ihn seitdem als Liebling der Göttin. Es wurden sogar schon Stimmen laut, wonach Ioro besser den Thron erben sollte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt!

    In dieser ganzen Misere gab es nur einen einzigen Lichtblick: niemand verdächtigte ihn. Außer seiner Mutter und ihm wusste keiner, wodurch das Attentat ausgeübt worden war, und seine Mutter war vorsichtig gewesen. Es gab keine Spur, die auf ihn oder Iragana hindeuten konnte.

    In Zukunft würden sie noch vorsichtiger sein müssen. Zu schade. Es war die perfekte Gelegenheit gewesen.

    Ein winziger Lichtblick blieb ihm aber: Ioro hatte offen gezeigt, dass er mit Zauberei zu tun hatte. Tolioro wusste genau, wie sehr sein Vater die Zauberer und ihre Machenschaften verabscheute. Blieb abzuwarten, ob er daraus Kapital schlagen konnte.

    *

    Iragana, erste Gemahlin König Kanatamehmes und Mutter des Thronerben, stickte behutsam einen kleinen goldenen Schmetterling auf das grüne Seidentuch. Sie konzentrierte sich. Ein kleiner Stich, ziehen, ein weiterer Stich. Ihre Hände durften nicht zittern. Bei allen Göttern – wäre sie nicht so vorsichtig gewesen, würden Tolioros und ihr Kopf jetzt zu Asche verbrennen. Jemand hatte ihre fein ausgetüftelten Pläne elegant durchkreuzt. Hoffentlich waren ihre Spitzel bald in der Lage, ihr Näheres zu erzählen. Sie musste unbedingt wissen, wer ihr Gegenspieler war. Eine der anderen Gemahlinnen? Die Zweite Gemahlin Scholinte hatte einen Sohn, der etliche Regenzeiten jünger als Tolioro war und als nächster in der Erbfolge stand. Darüber hinaus war Scholinte die Tochter des einflussreichen Herzogs Noredo und erfahren in Hofintrigen. Sie war die wahrscheinlichste Kandidatin. Es gab Möglichkeiten … Iragana hatte Erfahrung mit gewissen Dingen. Ob ihr Verbindungsmann zu den Zauberern bereit sein würde, ihr ein gutes Gift zu besorgen?

    Der goldene Schmetterling war fertig. Iragana bewunderte lächelnd ihr Werk.

    Die Fäden werden aufgenommen

    In der Kristallkammer hatte man eine dringliche Sitzung anberaumt. Großmeister Ro, der oberste Zauberer des Reiches, dessen Haar bereits vollständig weiß war und dessen Alter sich im Dunkel der karapakischen Geschichte verlor, leitete die Versammlung.

    „Wir stehen vor zwei Problemen, die an Dringlichkeit einander ebenbürtig sind", begann er. „Ad eins ist zu klären die wundersame Rettung des Prinzen Ioro vor dem Tod auf dem Scheiterhaufen durch ein vorgebliches göttliches Wunder. Wie wir bereits verifiziert haben, war an diesem Wunder eindeutig ein Spiegelzauber beteiligt. Die Signatur dieses Zaubers ist unbekannt. Wir haben es also mit einem unbekannten Zauberer von ebenfalls unbekannter Stärke zu tun, der im Bereich der Kristallkammer unkontrolliert agiert. Wir sind nicht einmal sicher, ob es ein karapakischer Zauberer ist.

    Ad zwei hat es gravierende Verschiebungen im Machtgefüge der Häuser der mittleren Provinzen gegeben. Go wurde durch einen seiner Adepten besiegt."

    Leises Murmeln lief durch den Saal.

    „Kollege Os war vor Ort und hat sich ein Bild von der Lage gemacht. Ich ersuche ihn, uns jetzt einen Bericht zu geben."

    Os erhob sich und zückte seinen Spiegel. „Ich habe die Veränderung in den Kraftstrukturen unmittelbar bei Eintreten bemerkt. Alle Anzeichen deuteten auf einen Kampf außerhalb einer Arena hin. Dies habe ich vorgefunden."

    Mit einer Handbewegung schuf er über seinem Spiegel eine dreidimensionale Projektion. Schweigend musterte die Versammlung das Bild der Verheerungen.

    „Dies war das Haus von Kollege Go. Er wurde in einen Seelenspiegel integriert. Os wandelte das Bild. Jetzt war das Innere des Turms zu sehen. Ein junger Mann stand vor den Spiegeln, die rote Robe verdreckt und zerrissen, die ungekämmten schwarzen Locken wirr im Gesicht, blass und mit Ringen unter den Augen. „Wie ihr sehen könnt, ist der derzeitige Inhaber des Turmes dieser Jo, bis dato Adept im ersten Jahr.

    Erstauntes Murmeln lief durch den Saal.

    „Der junge Mann war noch nicht einmal ausreichend geschult, um zu wissen, dass eine Meister-Kampfforderung nur in einer Arena ausgetragen werden darf, fuhr Os fort. „Offenbar hat ihn das Ergebnis überrascht. Darüber hinaus ist er anscheinend weder fähig, mit der derzeitigen Lage ohne Hilfe umgehen zu können, noch kann man ihn in irgendeiner Weise als fertig ausgebildeten Zauberer betrachten. Damit stellt er eine potenzielle Gefahr für sich und andere da, was umso schlimmer ist, als er seinen Kräften nach bereits mindestens ein Zauberer der vierten Klasse ist, wenn nicht sogar schon der dritten, mit Potenzial zu einem Zauberer erster Klasse.

    Er setzte sich wieder. Diesmal brandete ein Gewirr von Stimmen im Saal auf. Alle der vierundneunzig Anwesenden wussten, was das zu bedeuten hatte.

    Ro wartete, bis seine Kollegen wieder zur Ruhe kamen. Dann fasste er den einzigen Zauberer ins Auge, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. „Kollege Na! Du hast bei Go gelernt und solltest somit diesen Jo kennen. Hast du eine Erklärung für uns?"

    Die Blicke aller Anwesenden wanderten zu dem jüngsten Mitglied der Versammlung.

    Der zuckte mit den Achseln. „Jo war immer sehr impulsiv. Vielversprechend, aber eigenwillig. Und sehr experimentierfreudig. Ich kenne Typen wie ihn. Leute, die immer aus der Reihe tanzen. Ich habe meinen damaligen Meister Go vor ihm gewarnt. Anscheinend hat Go ihn trotzdem unterschätzt."

    „Ist er ehrgeizig?"

    „Genug, um gefährlich zu sein."

    „Besondere Fähigkeiten?"

    „Er hat eine hohe Affinität zu Seelenspiegeln."

    Diesmal durchzog die Versammlung ein kollektiver Seufzer.

    „Das sind die Schlimmsten. Er könnte uns allen großen Schaden zufügen. Wir müssen ihn unbedingt hierherholen und vernünftig schulen."

    „Aber dann bleibt sein Haus ohne Meister zurück!"

    „Nein. Du wirst das Haus solange übernehmen."

    Na zuckte zusammen. Gerade jetzt aus der Hauptstadt versetzt zu werden, wo es hier richtig interessant wurde? „Ich bin doch selbst kaum länger Meister als Jo. Könnt ihr nicht einen Erfahreneren schicken?"

    Nach kurzer Diskussion einigte sich die Runde. Ak, eine der nur vier Zauberinnen im ganzen Reich, würde die Verwaltung von Jos Haus übernehmen. Ak hatte Erfahrung im Wiederaufbau, sie war eine der wenigen Überlebenden sowohl der Zaubererkriege als auch der Aufstände gegen die Kristallkammer.

    Ro rief zurück zur Tagesordnung. Da war immer noch der ungeklärte Zauber im Zusammenhang mit der Rettung des Prinzen Ioro. Mangels besserer Alternativen einigte man sich darauf, den Prinzen stärker im Auge zu behalten. Auch wenn ihnen selbst der Palast verschlossen blieb, hatten die Zauberer Mittel und Wege, ihre Augen und Ohren dort einzuschleusen.

    Na hielt sich weiterhin bedeckt. Er hatte seine eigene Theorie zu der Sache. War es nicht Jo gewesen, der noch vor ihm von seiner Mitschülerin Thealina gelernt hatte, durch Geisteskraft einen Falken zu leiten? Und hatte nicht ein Falke Ioro gerettet? Es sah ganz danach aus, dass Jo hier seine Hand im Spiel hatte. Aber das musste er seinen Kollegen ja nicht gleich auf die Nase binden. Es hatte Vorteile, der Jüngste zu sein. Keiner der Älteren traute ihm Wissen und Fähigkeiten zu, die sie selbst nicht besaßen. Na war nicht umsonst ein Sohn des Hauses Kirasa-Poetoni. Adelige Karapakier sogen Intrigen und Strategien bereits mit der Muttermilch auf. Er würde dafür sorgen, dass er immer einen angemessenen Wissensvorsprung behielt. Nur so konnte er zu gegebener Zeit seine Position verbessern.

    Abgesehen davon war er natürlich neugierig, was Jo eigentlich bezweckte.

    *

    Bei allen Windgeistern! Jo schleuderte das Buch wütend in die Ecke. Er hatte den alten Meister Go sehr unterschätzt. Von wegen, er konnte einfach alles Notwendige in Gos Büchern finden. Was immer Go in seine Bücher geschrieben hatte, Zauberer-Weisheiten waren es nicht. Statt dessen – Rezepte. Go hatte Kochbücher geschrieben. Ausgerechnet Kochbücher! Was bei den Drachenzahnbergen hatte Go bewogen, ausgerechnet Kochbücher zu verfassen? Nicht, dass er sie je gebraucht hätte, die Küche war seit jeher ausschließlich eine Domäne der Diener.

    Und wenn doch mal auf irgend einem Pergamentfetzen ein Zauberspruch auftauchte, funktionierte er nicht. Nach wie vor blieb Jo nichts anderes übrig, als jeden Zauber mühsam über Versuch und Irrtum selbst auszutüfteln. Eine sehr zeit- und vor allem energieraubende Aktion. Kochbücher. Das konnte einfach nicht alles sein. Irgendwo musste Meister Go noch andere Aufzeichnungen verborgen haben. Und die restlichen Bücher in der Turmstube – nichts davon konnte er gebrauchen. Entweder es war Geschichte oder Viehzucht oder Gartenbau oder vollkommen unleserliches Gekrickel längst vergangener Zauberer-Generationen. Es war der pure Frust. Eine ganze Bibliothek mit nichts Brauchbarem darin.

    ***

    Kanatas Hände umklammerten das hölzerne Gesims. Er könnte spüren, wie das feine Schnitzwerk unter seinen Fingern zerbröselte. Er verstärkte den Druck. Kleine Splitter bohrten sich in seine Handflächen. Verdammt! Wie sollte ein König regieren können, der Zauberer und Priester zugleich gegen sich hatte?

    Hinter ihm räusperte sich der Hofmarschall. „Euer Majestät, wie ich bereits sagte, der Seher ist da. Natürlich will ich Euch nicht drängen, nur ... Er ist ein alter Mann, schwach und hinfällig. Wenn er noch lange warten muss, kann es sein, dass er heute nicht mehr in der Lage ist, die Geister für Euch zu befragen."

    Einen Moment lang schloss Kanata die Augen. Als er sich umdrehte, hatten sich seine Gesichtszüge wieder geglättet. „So ruft ihn."

    Der Seher betrat den Balkon unter Knochengeklapper. Knochenschnüre umschlangen seine Handgelenke, Knochenschnüre umschlangen seinen zum Erbarmen mageren Rumpf. Ein schmutziges braunes Tuch bedeckte notdürftig seinen Unterleib. Eine Halskette mit kleinen Steinchen und Tierkrallen baumelte auf seiner Trichterbrust. Er bewegte sich vorsichtig, suchend, den Kopf mit dem dünnen Kinnbärtchen vorgestreckt wie ein Geier. Die Wachen, die hinter dem Greis auf den Balkon treten wollten, hielt der Hofmarschall mit einer Handbewegung zurück. Sie verschwanden wieder im Gebäude und verschlossen die Türe fest hinter sich.

    Kanata musterte den Seher. Trübe, altersblinde Augen sahen ihn an, Augen, die kaum durch das Gewirr tiefer Falten und zotteliger weißer Haarsträhnen hindurchschienen. Der Mann sah aus, als ob ihn jeder sanfte Morgenwind umblasen konnte. Dennoch ... trotz seiner unbestreitbaren Gebrechlichkeit strahlte der Seher Autorität aus. Autorität und Gefahr. Einen Moment lang zögerte der König. Aber es gab keinen anderen Weg. Er brauchte die Information.

    „Du weißt, weshalb du hier bist?"

    Der Seher legte den Kopf schief. „Sagt Ihr es mir, Majestät."

    „Du hast von dem Anschlag auf mich gehört."

    Der Seher nickte nur. Natürlich hatte er davon gehört. Wenn der älteste Sohn des Königs ein Attentat auf seinen Vater verübte, redete das ganze Königreich darüber. Noch dazu, wenn dieser Sohn gegen alle Wahrscheinlichkeit seine Unschuld beteuerte und durch das Urteil der Götter vor dem Scheiterhaufen gerettet und damit rehabilitiert wurde.

    „Die Götter haben bezeugt, dass mein Sohn Ioro mich nur verteidigen wollte, als er mit dem Dolch auf mich lossprang." Kanata musste einen Moment innehalten. Wann immer er an diesen Augenblick dachte, schwoll ein Kloß in seiner Kehle. Ioro im Sprung, den Dolch in der Hand, und dann der Zauber. Ausgerechnet Ioro, dem er als einzigem seiner Söhne vollkommen vertraute, ausgerechnet Ioro hatte sich mit den verhassten Zauberern eingelassen.

    „Um das bestätigt zu bekommen, braucht Ihr mich nicht." Die Stimme des Sehers war ausdruckslos.

    „Nein. Wenn überhaupt, dann war Kanatas Stimme noch ausdrucksloser. „Ich will etwas anders von dir wissen. Die Zauberer haben eindeutig ihre Finger im Spiel. Und so eifrig, wie die Priester sich nach dem Gottesurteil auf Ioros Seite geschlagen haben, kann ich auch ihnen nicht trauen. Deshalb frage ich dich. Ich muss wissen, wer hinter dem Anschlag steht, und von welcher Person in der Zukunft unmittelbar eine Gefahr für mein Leben ausgeht.

    Der Seher zuckte die Achseln. „Die Götter haben mir nichts offenbart."

    „Dann frage sie!"

    „Sie antworten auch mir nicht auf Kommando."

    Kanatas Hand fuhr zum Dolch. „Frage! Ich weiß, dass du eine Antwort erzwingen kannst!"

    Der Seher zitterte kaum merklich. „Es ist möglich, murmelte er. „Aber der Preis ist hoch!

    „Ich zahle, was immer du willst."

    „Nicht Ihr allein werdet den Preis zahlen", murmelte der Seher noch leiser.

    „Frage!" Kanatas Stimme trug den Groll der Winterstürme in sich.

    Der Seher verneigte sich ehrerbietig. Dann setzte er sich. Mit zitternden Fingern nestelte er eine Tierklaue von seiner Halskette und legte sie auf seine offene Handfläche. Dann begann er zu summen. Kanata blinzelte. Die Tierklaue bewegte sich und begann, sich zu vervielfältigen. Die Klauen verschmolzen mit den Fingern. Der Seher streckte die Hand aus. Vier scharfe Krallen blitzten in der Sonne. Dann schlug die Hand zu. Rotes Blut spritzte über die meerblauen Glasfliesen. Während sein Leben aus dem zerfetzten Oberschenkel pulste, begann der Seher zu reden.

    Seine Stimme klang leise, wie von weit her, aber trotz ihrer geringen Lautstärke schien jedes Wort in Kanatas Ohren zu hallen. „Du hast deine Frage falsch gestellt, Königsfalke. Falsch gestellt … Es ist nicht nur einer, der dir nach dem Leben trachtet, es sind mehrere. Ein Krake, der hundert Köpfe hat und tausend Arme. Schlage einen Arm ab, so kommen die anderen umso weiter."

    Kanata erschauderte. Das war schlimmer, als er gedacht hatte. „Aber wer sind die Köpfe? Sind es Zauberer? Sind es Priester? Sind es Adelige? Kaufleute? Mitglieder meiner Familie?"

    „Ja, ja, ja, ja, ja", flüsterte die heisere Stimme des Sehers.

    „Was ja? Wer ist es denn nun?"

    „Du stellt immer noch deine Fragen falsch!" Der Spott war jetzt unüberhörbar.

    Kanata zwang sich zur Ruhe. „Sind es Zauberer?"

    „Ja"

    „Sind die Priester darin verwickelt?"

    „Ja."

    „Adelige?"

    „Ja."

    „Kaufleute?"

    „Ja."

    „Mitglieder meiner Familie?"

    „Ja."

    Kanata spürte, wie ihn ein Zittern überlief. Hatte sich denn die ganze Welt gegen ihn verschworen?

    „Alle?", fragte er ungläubig.

    „Dummkopf, zischte der Seher. „Einige von ihnen. Einige aus jeder Gruppe. Und überlege besser, was du fragst, Königsfalke. Die Götter werden nur wenige Fragen beantworten. Du hast dein Kontingent fast verbraucht.

    Kanata überlegte fieberhaft. Was war ihm am wichtigsten? „Wer von meiner Familie ist es?"

    „Einer deiner Söhne."

    „Welcher?" Eine hastige, fast verzweifelte Frage.

    „Das steht noch nicht fest."

    „Was? Kanata prallte zurück und sah den Seher ungläubig an. „Wieso? Müssen die Götter das nicht wissen?

    „Die Zukunft steht nicht immer fest. Sie wird von unseren täglichen Entscheidungen beeinflusst. Niemand, nicht einmal die Götter, kann genau vorhersehen, was geschehen wird." Erneut war der Spott in der Stimme des Sehers unüberhörbar, auch wenn sie noch leiser war als zu Beginn.

    „Dann sag mir wenigstens eines."

    Kanata fror und schwitzte zugleich.

    „Hat Ioro mich bei dem Attentat angegriffen oder gerettet?"

    „Zu spät, Königsfalke. Die Stimme des Sehers war kaum noch vernehmbar. „Die Götter haben sich bereits zurückgezogen. Die Gestalt des Sehers sackte auf dem Boden zusammen. Müde murmelte er: „Ich kann dir nur sagen, dass Ioro derjenige deiner Söhne ist, der Karapak gegenüber immer loyal handeln wird."

    Dann verstummte er. Im selben Moment hörte sein Blut auf zu fließen.

    Kanata wagte nicht, sich zu rühren. „Ist er ... tot?", fragte er.

    Der Hofmarschall trat zu der reglosen Gestalt. Mit sichtbarer Überwindung kniete er sich nieder und fühlte den Puls am Hals des Alten. „Er lebt noch, Euer Majestät. Er lebt noch, aber sein Lebensfaden ist schwach, kaum noch spürbar. Ich bin nicht sicher, ob er den morgigen Tag noch erleben wird."

    „Schaff ihn fort."

    Kanata drehte sich brüsk um. Ein weiterer Reinfall, dieser Seher. Er war kein Stück weiter gekommen. Wie um alles in der Welt sollte ein König regieren, der niemandem mehr trauen konnte?

    *

    Ioro schrak aus seinen Fieberträumen hoch. Der schrille Schrei gellte immer noch in seinen Ohren. Da! Schon wieder! Nein, das hatte er nicht geträumt. Irgendwo ganz in seiner Nähe schrie ein Falke. Ioro öffnete den Mund, versuchte, seinerseits zu rufen, aber außer einem heiseren Krächzen drang nichts aus seiner Kehle.

    „Wartet, mein Prinz!" Da war Mane schon wieder, in der Hand einen Becher.

    Ioro trank, einen Schluck nur, schmeckte die Bitterkeit der Medizin. Dann hob er abwehrend die Hand. Der eine Schluck hatte zumindest gereicht, seine Kehle wieder anzufeuchten, denn jetzt kamen tatsächlich vernehmbare Worte aus seinem Mund.

    „Mane, ich habe einen Falken gehört ...?"

    „Ganz richtig, mein Prinz, bestätigte der Hofarzt. „Der Falke, der Euch gerettet hat, wurde ebenfalls durch die Flammen versengt. Er ist derzeit unfähig zu fliegen. Wir haben ihn deshalb ins Nebenzimmer gebracht.

    „Seit wann kümmert Ihr Euch auch um tierische Patienten? Reicht Euch der Lohn für die Behandlung der königlichen Familie noch nicht?", versuchte Ioro zu scherzen.

    Manes Gesicht bliebt ernst. „Genaugenommen gehört der Falke zur königlichen Familie, gab er zurück, „und damit ist er wohl auch mein Patient.

    Ioro hörte das unausgesprochene „Aber in Manes Satz. „Ihr habt Schwierigkeiten mit dem Falken?, fragte er.

    „Nun, Mane zögerte, „im Grunde fehlt dem Falken nichts, er hat nur ein paar verbrannte Federn, die nach der nächsten Mauser nachwachsen werden. Aber bis dahin muss er bei uns bleiben. Und, mein Prinz, er ist ganz offensichtlich nicht glücklich darüber.

    „Hackt er nach Euch?" Ioro versuchte ein Lächeln, ließ es aber gleich wieder, als eine feurige Schmerzwelle über seine Wange strich.

    „Der Falke frisst nichts, gestand Mane. „Was immer wir ihm vorsetzen, er frisst nichts. Die königlichen Falkner geben ihm noch ein oder zwei Tage, bevor er an Entkräftung stirbt.

    „Und das, murmelte Ioro, „wäre wahrlich ein schlechtes Omen.

    „Ihr sagt es, mein Prinz."

    Ioro dachte nach. Der Falke war nie gezähmt worden. Das Tier hatte aber – mit Joks Geist in seinem Körper – viele Stunden in seiner Gegenwart verbracht und war ihn gewöhnt. Hatte er den Falken nicht auf der einen oder

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