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CLOWNFLEISCH: Horrorthriller
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CLOWNFLEISCH: Horrorthriller
eBook423 Seiten5 Stunden

CLOWNFLEISCH: Horrorthriller

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Über dieses E-Book

Das Städtchen Craw Falls in South Dakota ist zu einem Gefängnis geworden. Ein Schneesturm ungeahnten Ausmaßes wütet über der Region. Die Straßen sind gesperrt. Niemand kommt mehr hinein, niemand kommt mehr hinaus.
Doch in den eisigen Winden und dem Schneegestöber lauert eine noch weitaus tödlichere Gefahr.
Sie kriechen aus dem Schnee und machen Jagd auf menschliche Beute.
Bis zum Morgengrauen wird sich die Stadt in eine Leichenhalle verwandelt haben – es sei denn, es gelingt einer kleinen Gruppe Überlebender, die Monster in ihrer Mitte zu bekämpfen. Grauenhafte Monster jenseits der menschlichen Vorstellung.
CLOWNS!
"… eine abstruse Idee … die seltsamerweise funktioniert!" - Amazon.com
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum30. Sept. 2020
ISBN9783958355187
CLOWNFLEISCH: Horrorthriller
Autor

Tim Curran

Tim Curran hails from Michigan’s Upper Peninsula. He is the author of the novels Skin Medicine, Hive, Dead Sea, Resurrection, Hag Night, The Devil Next Door, Long Black Coffin, Graveworm, and Biohazard. His short stories have been collected in Bone Marrow Stew and Zombie Pulp. His novellas include Fear Me, The Underdwelling, The Corpse King, Puppet Graveyard, Sow, and Worm. His short stories have appeared in such magazines as City Slab, Flesh&Blood, Book of Dark Wisdom, and Inhuman, as well as anthologies such as Flesh Feast, Shivers IV, High Seas Cthulhu, and Vile Things. Find him on the web at: www.corpseking.com

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    Buchvorschau

    CLOWNFLEISCH - Tim Curran

    Kapitel 1

    Heute Nacht kommt ein Blizzard über uns, ein geradezu tobendes Monster von einem Blizzard.

    Er bringt pfeifende Winde mit sich, deutliche Minusgrade, und sein Bauch ist aufgebläht, mit Schnee und eiskaltem Regen. Craw Falls – ein stinknormales, kleines Kaff im südöstlichen Teil des Bundesstaates – liegt genau auf seinem Weg, und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, versteckt sich noch etwas anderes in dem Sturm. Es benutzt das Unwetter als Tarnung, um in aller Ruhe zu jagen … Menschen zu jagen.

    Doch dazu kommen wir später.

    Im Moment sitzt Milford Zeiss, direkt neben seiner klapprigen Fischerhütte, auf dem Eis des Crow Lakes, etwa eine Meile vom Ort entfernt und angelt Barsche. Er hat nicht die geringste Lust, damit aufzuhören, denn im Moment beißen die richtig dicken Dinger wie verrückt. Sie schnappen quasi sofort nach seinen Wachswürmern, sobald er sie zu Wasser lässt. Der Eimer wird voller und voller und er sieht sich schon in einer strahlenden Zukunft voller gegrillter Barsche. So ein Glück hatte er schon lange nicht mehr.

    Aber dieser verdammte Sturm!

    Oh Mann, das wird echt heftig, denkt Mil, doch er lässt den Haken trotzdem noch ein letztes Mal ins Wasser gleiten. Keine zwanzig Sekunden später zieht er auch schon den nächsten dickbäuchigen Barsch hinaus und wirft ihn in den Eimer.

    Inzwischen klappert seine Holzhütte im Wind und selbst Mil macht sich so langsam Sorgen. Dabei angelt er schon seit 1954 im Crow Lake, damals war er gerade einmal zarte acht Jahre alt. Er seufzt bitterlich, schwer enttäuscht von Mutter Natur, die ihm gerade einen dicken Strich durch die Rechnung macht – ausgerechnet in einer Nacht, wo seine Ausbeute nicht nur gut, sondern richtig spektakulär ist. Widerwillig packt er seine Sachen zusammen und schließt den Abzug des Holzofens, damit das Feuer ausgeht.

    »Morgen ist ja auch noch ein Tag«, murmelt er durch seine zusammengebissenen Zähne, doch das bessert seine Laune auch nicht. Er weiß schließlich ganz genau, wie verdammt unberechenbar die Fische hier sind, und so eine Nacht wie heute wird es vielleicht wochenlang nicht mehr geben – vielleicht sogar Monate oder Jahre nicht. Deshalb fühlt er sich, als hätte ihm jemand gehörig in die Eier getreten.

    Niedergeschlagen öffnet Mil den Riegel an der Holztür, die ihm der Wind jedoch sofort aus der Hand reißt. Verdammt, was für eine Brise. Im Licht seiner Laterne peitscht der Schnee wie eine wilde, wütende Masse durch das Dunkel der Nacht. Mil muss sich richtig gegen den Wind stemmen, als er die paar Schritte zu seinem Schneemobil macht, einem Polaris Colt von 1976. Er startet den Motor und gibt ihm ein paar Minuten, um warm zu werden.

    Als er endlich in der Hütte ist, nachdem er die Tür mit viel Mühe aufbekommen hat, schiebt sich Mil eine Winston in den Mundwinkel und entzündet sie mit seinem Zippo. Eine echt höllische Nacht, denkt er. Richtiges Scheißwetter. Aber er hat schon Schlimmeres erlebt, zumindest redet er sich das ein. Er nimmt einen Zug von seiner Zigarette und sagt sich, dass er das Ufer schon finden wird, trotz der schlechten Sicht. Er ist schließlich nur eine Viertelmeile vom Land entfernt und muss doch einfach nur den alten Spuren seines Schneemobils folgen. Abgesehen davon ist sein Polaris wie ein Pferd, es findet zur Not auch allein den Weg, selbst wenn der Reiter mal die Orientierung verloren hat.

    Mil wird klar, dass er garantiert als Einziger noch auf dem Eis ist, wenn man sich diesen Sturm mal genauer betrachtet. Er ist eben hart gesotten. Ein echter Draufgänger. Wenn die Fische so beißen, dann braucht es schon ein echtes Wunder, um einen Zeiss vom Eis zu kriegen. Sein Vater hatte früher immer gesagt, dass die Warmduscher bei Sonnenuntergang nach Hause gehen, doch dann fängt für die echten Männer das Angeln erst richtig an. Mil lächelt bei diesem Gedanken. Dennoch weiß er, dass man einen Blizzard auf einem zugefrorenen See nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Er hat schon genug Winter im hohen Norden erlebt, um einen gehörigen Respekt davor zu haben.

    Er nimmt einen letzten Zug, dann wirft er den Stummel in den Ofen und läutet damit den Feierabend ein. Er dreht die Gaslaterne aus und zieht sich seine Wollhandschuhe über, dann schnappt er sich den Eimer mit den Fischen und geht nach draußen, wobei er darauf achtet, dass der Wind ihm nicht die Tür aus der Hand reißt. Er verstaut den Eimer sorgfältig auf dem Polaris und macht sich anschließend bereit für die Fahrt nach Hause. Er muss nur noch schnell die Hütte zuschließen, dann ist er bereit zur Abfahrt. Doch plötzlich hält er inne.

    Was zur Hölle ist das?

    Trotz des anhaltenden Jaulens des Windes hört er etwas, das sich wie klingelnde Glocken anhört. Das kann doch nicht sein. Aber dann hört er es wieder, und dieses Mal scheint es noch näher zu sein. Aber hier draußen? Vielleicht hat ja irgendein Idiot ein Windspiel oder so etwas Ähnliches an seine Hütte gebunden, und nun fliegt das Ding durch die Gegend. Er erinnert sich, dass Johnny Pallanpa vor ein paar Jahren mal einen zwei Meter langen Flaggenmast auf sein Dach gepflanzt hat, um aus Solidarität mit den Truppen im Irak das amerikanische Sternenbanner wehen zu lassen. Eines Nachts hat dann ein ähnlich starker Sturm nicht nur den Mast abgerissen, sondern gleich auch noch das halbe Dach mitgenommen. Als Johnny endlich fertig damit war, den Schaden unter viel Schwitzen und Fluchen zu reparieren, war er deutlich weniger patriotisch gestimmt gewesen.

    Auch darüber muss Mil lächeln.

    Doch dann hört er das Klingeln ganz in seiner Nähe und sein Lächeln verschwindet. Irgendwas daran stimmt nicht … nicht hier draußen … nicht in so einem Sturm und in solcher Dunkelheit, mitten auf einem zugefrorenen See. Es ist nicht so, dass er Angst hat – zur Hölle noch mal, er hat als Mitglied der ersten Luftkavallerie 1965 schließlich den Kampf um Ia Drang überlebt und seitdem hat ihn nichts mehr schrecken können. Trotzdem ist er etwas besorgt. Als er auf sein Schneemobil steigt, hört er die Glocken dicht hinter sich.

    Das reicht.

    Kapitel 2

    Mil gibt Gas und zischt mit bemerkenswerter Geschwindigkeit über den hart zusammengepressten Schnee. Mühelos findet er seine alten Kettenabdrücke und folgt ihnen. In zehn Minuten ist er wieder an Land. Er könnte zwar noch ein bisschen schneller fahren, aber er will nicht Gefahr laufen, bei dieser schlechten Sicht seine Spur zu verlieren. Es ist ein wirklich übles Unwetter, die Seitenwinde drücken ihn fast aus dem Sitz und er kann nicht mal fünf Meter weit sehen. Hier draußen auf dem blanken Eis ist es sogar noch schlimmer, denn hier gibt es weit und breit kein Hindernis. Der Wind bläst einfach mit voller Kraft und wird eher noch stärker als schwächer.

    Plötzlich hört er die Glocken wieder und auch wenn es verdammt noch mal unmöglich ist, klingt es so, als würden sie sich direkt neben ihm befinden. Trotzdem hat Mil noch immer keine Angst. Unter seinem Schneeanzug schwitzt er zwar, das Herz schlägt ihm bis zum Hals, und er beißt die Zähne zusammen, damit sie nicht klappern, doch Angst hat er nicht. Denn er weiß, was Angst aus Männern machen kann. Er hat es in der Landezone X-Ray im November '65 selbst erlebt, als die Kämpfe eskaliert waren und der Vietcong sie mit allem beschossen hatte, was sie hatten, vielleicht abgesehen von ihren Stiefeln und Reisbeuteln. Angst konnte einen dazu bringen, seltsam zu denken, und dann beging man Fehler.

    Er ist ja gleich da, es ist nun nicht mehr weit.

    Mil denkt ganz fest daran und klammert sich in Gedanken an das nahende Festland, wobei der Schnee wie ein bodenloser Strudel um ihn herumwirbelt. Doch plötzlich fühlt er einen Stich in seinem Herzen, denn was er da am Rande seiner schmalen Piste sieht, ist einfach unmöglich. Es kann nicht sein. Nicht hier draußen. Doch die Gestalt winkt ihm zu, als er vorbeifährt und grinst dabei breit.

    Jetzt will er doch schneller fahren. Mil gibt Vollgas, er muss das Land unbedingt erreichen. Komme, was wolle, er muss es schaffen. Seine Gedanken füllen sich unwillkürlich mit den grausamen Bildern der Landezone X-Ray und er denkt daran, wie er sich damals, vor so vielen Jahren, immer wieder gesagt hat, dass, wenn er es nur schaffte, bis zum Morgengrauen durchzuhalten, alles in Ordnung wäre. Jetzt muss er das Festland erreichen, denn wenn er das schaffte, wäre alles …

    Lieber Gott im Himmel!

    Die Gestalt ist plötzlich direkt vor ihm. Sie steht einfach so mit offenen Armen da und wartet auf ihn. Mil weiß ganz genau, dass sie ihn niemals überholt haben kann … nicht auf dem Eis … nicht im Dunklen … nicht bei diesem Sturm. Was auch immer dieses Ding ist, es ist definitiv kein Mensch. Er kann das fiese, grinsende Gesicht sehen – die Zähne sind lang und scharf. Mil gibt erneut Vollgas. Er wird das Ding einfach volle Pulle umfahren. Einfach wegsensen. Es kommt näher und näher. Mein Gott, diese Augen!

    Im letzten Moment macht die Gestalt einen Schritt zur Seite und Mil fühlt so etwas wie ein Stahlseil an seinem Hals, das ihn von der Maschine reißt. Er kracht mit voller Wucht aufs Eis. In seiner Schulter flammt ein höllischer Schmerz auf. Sein Gefährt schlittert in eine Schneedüne, wühlt sich darin noch ein Stück nach oben und kippt dann schließlich auf die Seite.

    Trotz der entsetzlichen Schmerzen kämpft sich Mil auf die Beine.

    Er hat ein Springmesser am Gürtel und zieht es jetzt hervor, dann lässt er die fünfzehn Zentimeter lange Klinge herausschießen. Der Sturm peitscht auf ihn ein und schleudert ihm die ganze Zeit Schnee ins Gesicht. Eiskalte Winde versuchen, ihn wieder zu Boden zu drücken, doch in seinen Venen pulsiert immer noch etwas von dem eisenharten Willen des Soldaten der ersten Luftkavallerie.

    Zeig dich, du feiges Monster. Wenn du aufgeschlitzt werden willst, dann komm her!

    Dann steht die Gestalt plötzlich direkt vor ihm. Die Zähne sind wie Eiszapfen, die Klauen, die nach ihm greifen, wie die eines Bären. Mit einem Aufschrei rammt Mil das Messer tief in dessen Fleisch und ein wildes Jaulen ertönt aus der Kehle der Kreatur. Doch dann erwischt ihn eine der Krallen. Seine Kehle wird brutal herausgerissen, bevor er auch nur den Gedanken fassen kann, auszuweichen.

    Er ringt nach Luft, doch Blut flutet seinen Mund und schießt aus seinem zerrissenen Hals hervor. Kraftlos fällt er auf das Eis und seine Lebenskraft scheint ihn als heißer Dampf zu verlassen. Die Gestalt beobachtet genüsslich, wie er stirbt. Erst, als er sich nicht mehr bewegt, stürzt sie sich auf ihn, um zu fressen.

    Kapitel 3

    Obwohl er nun schon seit zehn Jahren der Sheriff von Clay County ist, weiß Will Teague ganz genau, dass ihn die meisten der alten Leutchen hier im Ort immer noch den Neuen nennen. Genau wie sein Vorgänger steht Will immer noch im Schatten von Lester Pease, der entweder der beste Cop aller Zeiten gewesen sein musste, oder das größte Arschloch, das je einen Sheriffstern getragen hatte – je nachdem, wen man fragte.

    Lester war 1993, nach stolzen vierzig Dienstjahren als County-Sheriff in Rente gegangen. Sein Nachfolger war Benny Lacks gewesen, der dieses Amt innehatte, bis Teague ihn 2005 abgelöst hatte. Doch selbst jetzt, über zwanzig Jahre später, war Lesters Glanz noch immer nicht verblasst – sein Schatten hingegen wurde immer länger. Für die Rentner in Craw Falls war Lester Pease augenscheinlich einfach nur der beste und härteste Cop, den die Welt je gesehen hatte, zu gleichen Teilen Dirty Harry und John Wayne. Ein pflichtbewusster, fleißiger Teufelskerl, der immer ganz genau gewusst hatte, was im Ort los war. Sobald irgendeine metaphorische Scheiße passierte, hatte er offenbar sofort mit der Schaufel daneben gestanden und hatte klar Schiff gemacht.

    Die Frage war nur: Was an diesem Bild entsprach der Wahrheit und was davon war von Lester einfach nur vorgegaukelt worden? Ehrlich gesagt, war das im Nachhinein schwer zu sagen.

    Als der Blizzard schlimmer wird, fährt Teague gerade die Nebenstraßen der Stadt ab und denkt über die Dinge nach, die außer ihm und Lester niemand weiß … die Veruntreuung von Geldern, die frisierten Statistiken, die gefälschten Beweise … und noch ein halbes Dutzend anderer unangenehmer Wahrheiten, die er damals, als Lesters Hilfssheriff, über seinen Boss erfahren hat. Benny Lacks hat es nie herausgefunden, sonst hätte er Les garantiert eingebuchtet. Teague hingegen hätte das natürlich tun können, doch er hatte es dem alten Mann durchgehen lassen, denn unterm Strich war durch Lesters schlampige Ermittlungsarbeit niemand je zu ernsthaftem Schaden gekommen. Nun war Les tot, deshalb breitete er einfach den Mantel des Schweigens über die Vergangenheit, auch wenn einiges davon einen wirklich üblen Nachgeschmack bei ihm hinterlassen hatte. Bis zu seinem Todestag hatte Les genau gewusst, dass Teague ihn durchschaut hatte, und wann immer sich die beiden getroffen hatten, hatte er es kaum fertiggebracht, Teague in die Augen zu schauen. Sein langer Schatten war nach und nach bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft.

    Es ist schon seltsam, dass Will ausgerechnet jetzt darüber nachdenkt, während unbändige Winde den Schnee durch die nächtlichen Straßen treiben, aber manchmal holt einen die Vergangenheit eben ein.

    Auf seiner Fahrt sieht der Sheriff nur wenige Menschen, was gut ist, doch auf der Hauptstraße sind eine Menge Autos geparkt, was schlecht ist, weil der Schneepflug hier bald durch muss. Das bedeutet, er muss sämtliche Kneipen abklappern und den Saufnasen sagen, dass sie gefälligst ihre Vehikel wegfahren sollen, und das würde ihnen garantiert nicht gefallen. Sie werden Ärger machen, das weiß er ganz genau.

    Aber das gehört nun mal zu seinem Job.

    Die Schaufel wurde weitergereicht und nun muss er die Scheiße wegschaufeln.

    Er parkt vor einer Bar namens Broken Bottle, steigt aus und bleibt für einen Moment unter der wild im Wind schwingenden Werbetafel stehen, um sich in die richtige Stimmung für seine Aufgabe zu bringen. Wenn das folgende Gespräch die unangenehmste Situation ist, die ihn heute Nacht erwartet, war das doch eigentlich in Ordnung, denn es gibt deutlich schlimmeres, sagt er sich.

    Damit hat er verdammt recht, denn schon bald wird er etwas bedeutend Schlimmeres kennenlernen.

    Kapitel 4

    Es ist alles Tubbs Schuld, und Gina hat bereits beschlossen, dass er dieses Mal aus ihrem Haus ausziehen muss, sobald er wieder aus dem Knast kommt. Es ist ihr scheißegal, dass er ihr Bruder ist. Sie hat einfach keine Lust mehr, sich um einen Vierzigjährigen zu kümmern, der sich immer noch wie ein Teenager benimmt. Die Quelle ihrer schwesterlichen Nächstenliebe hat lange genug gesprudelt, nun ist sie ausgetrocknet wie ein Wüstencanyon.

    Das ist schon das zweite Mal, dass er in den letzten anderthalb Jahren wegen Trunkenheit am Steuer eingebuchtet wurde, denkt sie, während sie darum kämpft, ihren Toyota trotz des unnachgiebigen Blizzards in der Spur zu halten. Dieses Mal behalten sie ihn garantiert für mindestens drei Monate da, und der Vollidiot hat jede Stunde davon verdient.

    Was für ein Sturm!

    Auf dem Hinweg nach Vermillion war es ja schon schlimm gewesen, aber nun ist die Straße kaum noch passierbar. Vor zwanzig Minuten hat sie noch einen Schneepflug gesehen, doch inzwischen liegen schon wieder über zehn Zentimeter Schnee. Wenn das so weitergeht, würde sie noch eine halbe Stunde bis nach Craw Falls brauchen – falls sie überhaupt jemals dort ankommt.

    Danke, Tubb. Vielen Dank auch!

    Sie kann sich lebhaft vorstellen, wie der Trottel gerade in einer gemütlichen Sammelzelle sitzt und mit den anderen Delinquenten Zigaretten raucht, während sie hier quasi um ihr Überleben kämpft. Natürlich hätte sie gar nicht nach Vermillion fahren müssen. Tubb und seine blöde Sucht hätten auch bis Montag warten können, aber ihr blöder Helferkomplex hatte schließlich wie immer gewonnen. Das hatte sie zwölf Jahren katholischer Mädchenschule sowie einer Mutter, die das eigene Leiden zur Kunstform entwickelt hatte, zu verdanken. In einem tobenden Blizzard den ganzen Weg nach Vermillion zu fahren, nur um ihrem geliebten Sohn eine Stange Kippen zu bringen, wäre garantiert ganz genau das, was sie getan hätte. Also muss Gina es auch tun, denn alles andere wäre undenkbar. Schließlich ist das Märtyrertum in der Keller-Familie so eine Art Wettkampf.

    Ich liebe dich, Mom, und ich vermisse dich jeden Tag, aber ich bin es wirklich leid, immer krampfhaft zu versuchen, noch mehr zu leiden als d…

    Der Wind trifft den Wagen plötzlich wie eine Tsunamiwelle und Gina klammert sich so fest sie kann, am Lenkrad fest, damit es ihr nicht aus der Hand gerissen wird. Der Toyota rutscht nach rechts und kippt dann etwas nach links, als er über den vereisten Straßenrand rutscht. Als sie schon kurz davor ist, im Graben zu landen, bekommt sie den Wagen endlich wieder unter Kontrolle.

    Mein lieber Herr Gesangsverein, das war aber knapp.

    Der Wind peitscht über die weiten Felder und wirft unablässig eine Art weißen Vorhang auf die Frontscheibe des Wagens. Die Wischer laufen bereits auf Hochtouren, um das Glas einigermaßen freizuhalten. In den Kegeln des Fernlichtes tanzen die weißen Flocken, als würde man unaufhörlich eine Daunendecke ausschütteln.

    Gina kneift die Augen zusammen, um herauszufinden, wo sie ist.

    Sie hat schon seit einer Weile kein anderes Auto mehr gesehen und die Straße ist ein jungfräuliches weißes Band, das am Rand in die umliegenden Felder übergeht. Zögerlich nimmt sie den Fuß vom Gas. Es ist unmöglich, zu sagen, ob sie überhaupt noch in ihrer Spur ist, oder schon im Gegenverkehr. Der Toyota schlingert um eine Kurve, als der Schnee ihre Fahrt schließlich zum absoluten Blindflug macht. Die Sichtweite beträgt jetzt nicht einmal mehr zehn Meter.

    Dann sieht sie plötzlich Scheinwerfer. Sie halten genau auf sie zu, und das mit einer irren Geschwindigkeit. Scheiße!

    Sie muss tatsächlich die Mittellinie überquert haben und nun kommt ein Laster genau auf sie zu. Der Trucker lässt sein mächtiges Horn ertönen, während Gina von absoluter Todesangst übermannt wird. Wenn sie das Steuer jetzt zu schnell herumreißt, werden die Reifen ihre Haftung verlieren und sie wird frontal mit dem LKW zusammenstoßen. Also dreht sie, so vorsichtig es geht, am Lenkrad und schafft es gerade so, an dem entgegenkommenden Wagen vorbei. Es ist ein Tieflader, der mit Kieferstämmen beladen ist. Es sind nur wenige Zentimeter, die zur absoluten Katastrophe gefehlt haben. Wenn man eine Orange zwischen die beiden Fahrzeuge geklemmt hätte, wäre diese nun geschält. Sie kann von Glück sagen, dass der Truck bei seinem Ausweichmanöver nur eine riesige Ladung Schnee abgeworfen hat, die ihren kleinen Wagen beinahe in den Graben befördert hätte.

    Die nächsten zwanzig Minuten sind dankbarerweise deutlich ruhiger.

    Schließlich kämpft sich der Toyota über eine Kuppe und Gina kann Craw Falls in dem Tal vor sich sehen. Die Lichter der Stadt funkeln wie auf einem kitschigen Gemälde und das Ganze wirkt beinahe wie eine Fata Morgana in der Wüste, denn innerhalb von Sekundenbruchteilen ist die Aussicht wieder im Blizzard verschwunden.

    Ich bin fast zu Hause, denkt sie. Bald bin ich da.

    Als sie nur noch fünf Minuten vom Stadtrand entfernt ist, rollt sie einen Hügel hinunter und muss sich anschließend durch zehn Zentimeter hohen Schnee kämpfen, der die Straße komplett bedeckt.

    In diesem Moment tritt eine Gestalt in ihren Scheinwerferkegel. Sie schreit erschrocken auf und tritt auf die Bremse. Der Toyota schaukelt hin und her, rutscht aber auf dem gefrorenen Untergrund beinahe ungebremst weiter. Es gibt ein grauenhaftes, dumpf klingendes Geräusch, als die Person von der Stoßstange erfasst und dann ins Schneegestöber geschleudert wird.

    Das Nächste, was Gina mitbekommt, ist, dass der Toyota bis zur Windschutzscheibe in einem Schneehaufen steckt. Sie legt den Rückwärtsgang ein, aber die Räder drehen einfach durch. Sie versucht sich zu beruhigen, schaltet die Warnblinkanlage an und öffnet dann unter hohem Kraftaufwand die Tür. Anschließend torkelt sie in den Sturm hinaus.

    Der eiskalte Wind peitscht auf sie ein und sofort fühlt sich ihr Gesicht taub an.

    Ihr ganzer Körper zittert, doch nicht nur wegen der Kälte. Sie hat jemanden angefahren, und es gibt absolute keine Chance, dass diese Person noch einmal aufsteht. Sie muss sofort die 911 wählen und die Leiche suchen. Allein der Gedanke daran, lähmt sie, denn sie hat ganz genau gesehen, wen sie gerammt hat, oder besser gesagt, was. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.

    Sie hat einen Clown überfahren!

    Kapitel 5

    »Jetzt beruhigt euch doch endlich mal!«

    Die Stimme von Sheriff Teague dröhnt aus den Boxen der Karaoke-Anlage. Sogar die Biker, die im Nebenraum Billard spielen, halten inne und stützen sich auf ihre Queues auf. In der gesamten Kneipe kehrt jetzt Stille ein, niemand im Broken Bottle macht auch nur das leiseste Geräusch. Die Gäste haben ihre Biergläser vergessen und fassen auch die Schnäpse nicht mehr an. Die fettigen Pizzastücke auf den Papptellern werden langsam kalt.

    »Also«, setzt Teague erneut an. »Ich habe nicht gesagt, dass ich das Broken Bottle schließen will. Dazu habe ich gar nicht die Autorität, und …«

    »Da kannst du aber einen drauf lassen, dass du die nicht hast«, erwidert einer der Gäste lautstark, was zu Jubelrufen und Klatschen führt.

    Teague schüttelt den Kopf. »Danke, Carpy. Wenn ich dich das nächste Mal anhalte, weil du Schlangenlinien fährst, dann nehme ich dir nicht nur den Schlüssel weg, dann verfrachte ich dich direkt in eine Zelle.«

    Auf einmal ist der Enthusiasmus von George Carp drastisch gedämpft. Er starrt in sein Bierglas, als würde er irgendwo in dem Sud seinen verlorenen Mut wiederfinden können.

    Teague fährt fort: »Niemand will das Broken Bottle dichtmachen, ich informiere euch lediglich über den Ernst der Lage, denn es ist wirklich verdammt ernst. Draußen braut sich gerade der Blizzard des Jahrhunderts zusammen. Wir werden bis Mitternacht garantiert dreißig Zentimeter Schnee haben und bis zum Morgengrauen einen Meter. Die State Police hat bereits den Highway dichtgemacht und auch wir von der örtlichen Polizei werden nicht versuchen, die Nebenstraßen offen zu halten. Diejenigen unter euch, die also weiter draußen wohnen – wie du zum Beispiel, Carpy – sollten sich deshalb sofort auf den Weg nach Hause machen, oder sich wenigstens darum kümmern, dass sie bei irgendwem im Ort übernachten können.«

    Im ganzen Raum entsteht daraufhin Gemurmel und Gebrummel.

    »Ganz tolle Aktion, Sheriff«, schimpft Brenda Prechek. »Du ruinierst mir damit mein komplettes Freitagabend-Geschäft! Ich kann schon so kaum die Miete zahlen, damit ruinierst du mich endgültig.«

    »Jawohl«, stimmt ihr Ehemann Stew lautstark mit ein.

    Teague weiß allerdings ganz genau, dass Stew Prechek seiner Frau immer recht gibt, egal was sie sagt. Ob es nun um die gestiegenen Preise von eingelegten Gurken geht oder um die Konsistenz ihres morgendlichen Stuhlgangs.

    »Ich nenne euch hier nur die Tatsachen«, ruft Teague, »ihr könnt alle machen, was ihr wollt, aber schafft gefälligst eure Autos und Trucks von der Straße. Der Schneepflug muss hier ungehindert durchkommen können. Wenn nicht, habe ich keine andere Wahl, als in dreißig Minuten den Abschleppdienst zu rufen.«

    Einige der Gäste ziehen sich ihre Jacken über und eilen nach draußen, woraufhin sofort ein eisiger Wind hereinbläst und den einen oder anderen Pappteller durch die Luft wirbeln lässt. Die Stammgäste und Volltrunkenen bleiben allerdings, wo sie sind, und murmeln nur in ihre Bärte, wer zum Henker Will Teague denn zum neuen Weltherrscher ernannt hat.

    Brenda Prechek hingegen tobt vor Wut. »Wirklich ganz tolle Aktion, Sheriff. Damit muss demnächst noch ein weiterer Laden in dieser pissigen Stadt dichtmachen!«

    »Dreißig Minuten!«, ruft Teague noch einmal, bevor er von der Karaoke-Bühne hinuntersteigt, die kaum größer als ein Bierdeckel ist.

    Brenda lamentiert weiter über Cops und Beamte, die jedem die fettigen Finger in den Arsch schieben und damit irgendwann das ganze Land ruinieren. Man darf keine Waffen mehr kaufen, und in der Schule darf man nicht mal mehr beten, behauptet sie. »Das hat man von diesen ganzen Liberalen mit ihrem …«

    »Halt doch endlich dein verdammtes Maul, Brenda«, fährt Teague sie schließlich an.

    »Lässt du den Kerl etwa so mit mir reden?«, fragt sie ihren Mann empört, der so dünn ist, dass er manchmal mit einem Pfeifenreiniger verwechselt wird.

    »Überleg dir gut, was du jetzt sagst«, knurrt Teague.

    Stew schaut vom knallroten Gesicht seiner Frau zum Sheriff … zu den gesamten hundertachtzig Zentimetern voller Muskeln, und den breiten Schultern, die in einer Polizeilederjacke stecken.

    Er schluckt trocken. »Ja.«

    Kapitel 6

    Der Blizzard tobt weiter und peitscht weiße Schneewände vor sich her. Gina stopft ihre Handschuhe in die Jackentaschen und zieht ihr Handy hervor. Sie wird jetzt zuerst die 911 wählen und dann den Kerl suchen, den sie überfahren hat.

    Durch die Kälte und ihre Angst zittern ihre Hände so stark, dass das Telefon ihr förmlich aus der Hand katapultiert wird. Es fliegt durch die Luft und verschwindet dann in einem Schneehaufen.

    »So eine Scheiße!«

    Sie geht auf die Knie und wühlt mit eiskalten Fingern in der weißen Masse herum. Eigentlich müsste es doch ganz leicht zu finden sein, doch das ist es nicht. Sie buddelt und tastet weiter, bis sie die Minusgrade irgendwann nicht mehr aushält und sich die Handschuhe wieder anziehen muss. Es sind allerdings nur dünne Lederhandschuhe. Nutzlos gegen die Kälte, aber gut für feinmotorische Bewegungen. Trotzdem kann sie das Telefon einfach nicht finden. Es ist zu dunkel und hier liegt einfach viel zu viel Schnee. Sie kämpft sich zurück zum Auto und holt ihre Mini-Taschenlampe aus dem Handschuhfach. Als sie an die Stelle zurückkommt, wo sie ihr Telefon fallenlassen hat, tritt sie auf etwas Hartes.

    Toll, diese beschissene Nacht wird echt immer besser!

    Sie durchwühlt den Schnee und findet schließlich ihr Handy. Na super. Mit ihrem eigenen Gewicht hat sie Schnee zwischen die Tasten gedrückt und das Display hat jetzt einen Sprung. Sie versucht den Schnee aus den Ritzen zu kriegen, hat aber mit ihren betäubten Fingern nicht viel Erfolg damit. Die Knöpfe reagieren nicht und auf dem Bildschirm ist nur noch eine wirre Ansammlung von Pixeln zu erkennen. Sie fällt auf die Knie und würde am liebsten losheulen. Der Wind bläst ihr unaufhörlich Schnee ins Gesicht und die Kälte kriecht immer tiefer in ihre Kleidung. Sie kann sich keine hoffnungslosere Situation vorstellen. Doch dann macht sie sich bewusst, dass sie in zehn Minuten im Ort sein könnte, wenn sie jetzt losgeht.

    Tja, wenn …

    Aber sie weiß, dass sie den Unfallort nicht verlassen kann, ohne zumindest kurz nach der Person zu suchen, die sie überfahren hat, denn die Schuldgefühle würden sie zerstören.

    Du hast gesehen, was es war.

    Und das ist es, was ihr wirklich zu denken gibt. Ein Clown? In einem Blizzard? Allein die Idee ist absurd. Sie muss dabei sofort an durchgeknallte Massenmörder denken, denn abgesehen von irgendwelchen psychischen Störungen kann es keinen Grund geben, in diesem Unwetter in einem solchen Kostüm unterwegs zu sein. Und das macht ihr letzten Endes noch viel mehr Angst als der Sturm.

    Das Wichtigste ist aber, dass ihr arschkalt ist. Entweder sie läuft jetzt sofort los, oder sie schaut nach der Leiche. Wie immer gewinnt bei dieser Entscheidung der verdammte Helferkomplex der Familie Keller.

    Mit der Taschenlampe in der Hand quält sie sich durch die Schneewehen. Sie muss allerdings gar nicht allzu weit gehen, maximal fünfzehn bis zwanzig Meter. Die Spuren des Toyotas verschwinden zwar bereits, doch sie kann immer noch sehen, wo sie ins Schlingern gekommen ist.

    Dann sieht sie das Blut.

    Es ist zwar schon teilweise von Schnee bedeckt, aber im Schein der Taschenlampe sieht sie dennoch genug, um zu wissen, dass hier jemand schwer verletzt wurde.

    So viel Blut … das kann niemand überlebt haben.

    Trotzdem sieht sie keine Leiche. Aber bei diesem Wetter sieht man sowieso nicht viel.

    Der Schnee tobt um sie herum und scheint nach und nach alles zu verschlucken. Einige der Schneewehen sind schon fast einen Meter hoch. Darunter könnte locker eine Leiche liegen. Mit ihrem Stiefel bohrt sie vorsichtig in einen der großen Haufen, doch da ist nichts. Es ist einfach nur eine riesige Schneemasse, und ähnliche Ansammlungen sind überall. Es könnten ein Dutzend tote Clowns um sie herum liegen.

    Denk doch nicht so einen Blödsinn!

    Es gibt also keine andere Möglichkeit, als nach Craw Falls zu laufen, um den Sheriff und seine Leute zu holen.

    Die werden schon wissen, wie man mit so einer Situation umgeht. Sie macht ein paar Schritte und hält dann sofort wieder inne, denn sie hört etwas, das nicht hierher gehört.

    Was ist das?

    Der Wind pfeift über die leeren Felder und der Schnee scheint förmlich zu flüstern, während er um sie herumtanzt. Die ganze Welt wirkt wie ein weißer Friedhof.

    Doch da ist das Geräusch schon wieder … ein seltsames Klappern … so als würde man eine Babyrassel schütteln. Scheiß drauf, denkt Gina.

    Sie macht sich wieder auf den Weg in Richtung der Ortschaft und weigert sich, weiter über das Geräusch nachzudenken. Sie will einfach nur einen Schritt

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